Das Botanische Schaumuseum zeigt Natur in ungewöhnlicher Perspektive

Der modellhafte Charakter der Pflanze



Normalerweise erwartet man in einem Museum Originale. Die gibt es auch im Botanischen Schaumuseum in Dahlem: Beispielsweise jahrtausendealte Pflanzenfunde aus altägyptischen Pharaonengräbern, die der berühmte Afrikaforscher Georg Schweinfurth nach Berlin gebracht hatte, oder Millionen Jahre alte Fossilien, versteinerte Zeugen pflanzlicher Stammesgeschichte. Originale sind auch verholzte Früchte und Fasern, Dinge, die sich auf Dauer ansehnlich präparieren lassen. Es gibt aber auch Originale, die wenig präsentabel sind, denn getrocknete oder in Flüssigkeiten konservierte Pflanzen verlieren rasch Farbe und werden unansehnlich.
Aus diesem Grunde ist das Meiste, was hier zu sehen ist, Nachbildung. Entweder stark vergrößert, um mikroskopisch kleine Pflanzen oder Pflanzenteile, wie zum Beispiel Brennesselhaare, zu veranschaulichen, oder stark verkleinert, nämlich für die Darstellung vonVegetationstypen in Schaukästen (Dioramen). Nur so kann das, was dem Besucher im Botanischen Garten gezeigt wird, mit zusätzlichen Informationen zu Aufbau, Feinstruktur, Entwicklung und Verbreitung der Pflanzen sinnvoll ergänzt werden. Die Modelle werden nach einem besonderen, in den Museumswerkstätten entwickelten Verfahren, von Modellbauern und Grafikern hergestellt.

Die "Kobrapflanze" (Darlingtonia californica), ist eine tierfangende Pflanze, heimisch in Süd-Oregon und Nordwest-Kalifornien (Foto: Klaus Korpel)
Alles geschieht in Handarbeit, alle Modelle sind Unikate.
Wie entsteht nun ein solches Modell?
Der erste Schritt ist die detailgetreue Modellierung von Gipsformen, die nach mikroskopischen Präparaten oder Abbildungen in bis zu 150.000facher Vergrößerung gearbeitet werden. Im sogenannten Tiefziehverfahren (so werden auch Joghurtbecher hergestellt)werden dann mittels Vakuum-Verformung von Kunststoffolie über den Gipsformen Kunststofformen der Pflanzenteile hergestellt. Alle kompakten Gebilde, wie zum Beispiel Blütenstengel oder Staub- und Fruchtblätter für Blütenmodelle, werden aus Plexiglas geformt und gefräst.
Für die Bearbeitung der Kunststoffteile haben sich übrigens die kleinen Werkzeuge von Zahnarztbohrmaschinen als überaus brauchbar erwiesen. Die Kunststoffteile werden zu räumlichen Objekten zusammengebaut und bemalt. Dabei müssen die Modellbauer die Bemalung so anlegen, daß die Modelle später im Kunstlicht der Vitrinen den natürlichen Farbton aufweisen.
Nicht nur Vergrößerung, auch die Verkleinerung hat ihren Reiz. In Kleindioramen führen Hunderte von winzigen Modellen (Maßstab 1:20 oder 1:10) dem Beschauer ausschnitthaft die verschiedenen Vegetationstypen der Erde dreidimensional vor Augen. Man kann den Blick über eine ostafrikanische Savanne schweifen lassen oder in eine Kakaoplantage hineinschauen. In diesen Dioramen sind die Dinge zu sehen, die sich auf der begrenzten Fläche eines Botanischen Gartens nicht oder nur mit gewaltigem Aufwand darstellen lassen. Aber auch Lebensräume aus längst vergangenen Erdepochen können auf diese Weise dargestellt werden: Wie sah die Erde aus, als vor 400 Millionen Jahren die ersten grünen Pflanzen mit der Besiedelung des Festlandes begannen oder vor 200 Millionen Jahren die Saurier die Erde beherrschten.

Diese Kobrapflanze fängt keine Tiere, heimisch ist sie im Botanischen Museum (Foto: Klaus Korpel)
Ausschließlich Originale werden in der aktuellen Sonderausstellung des Botanischen Museums gezeigt: Zur 50-Jahr-Feier der Freien Universität wird "Die grüne Schatzkammer der FU" geöffnet. Vorgestellt werden das amerikanische Reisewerk Alexander von Humboldts mit kostbaren Kupferstichen und von ihm selbst gesammelten Pflanzen, Vater und Sohn Forster mit ihren Pflanzen aus der Südsee, Georg Schweinfurth und die jahrtausendealten ägyptischen pflanzlichen Grabbeigaben, die "Blütenkränze der Pharaonen". Hörsaaltafeln und japanische Pflanzendarstellungen auf Holz fehlen ebensowenig wie die berühmten Kupferstiche aus "Banks' Florilegium", angefertigt nach Vorlagen eines Zeichners, der Captain Cook auf seiner ersten Weltumsegelung begleitet hatte. Aber auch die neuesten Pflanzensammlungen, die Mitarbeiter des Botanischen Gartens und Botanischen Museums nach Dahlem gebracht haben, werden gezeigt. Alles dies ausgewählt aus den 3 Millionen Schätzen, die sonst in den Magazinen des Museums verwahrt werden. (Die Sonderausstellung läuft noch bis zum 6. Dezember .)
Robert Vogt ist Kustos am Botanischen Museum

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