Blick in eine der bedeutendsten botanischen Spezialbibliotheken Europas

Die Pflanze im Buch


Cicero dürfte bei den Worten "Si apud bibliothecam hortulum habes, nihil deerit" ('Wenn Du bei einer Bibliothek noch ein Gärtchen hast, fehlt es Dir an nichts') zwar eher sinnliche Aspekte im Auge gehabt haben, Apothekergarten und Heilpflanzenbuch sind jedoch die Wurzeln der Botanik. Denn vor dem Wissen um die Kräfte der Pflanzen steht jenes vom Unterscheiden und Erkennen der Arten.

 Die Vergänglichkeit der Gewächse brachte den Garten in die Bibliothek und die Pflanze ins Buch. Zum einen im wörtlichen Sinne: Der 'hortus siccus' oder 'trockene Garten' war eine Sammlung gepreßter Pflanzen auf Papierblätter geklebt und zum Buch gebunden und damit Vorläufer des Herbariums. Im Botanischen Museum stehen aus praktischen Gründen übrigens umgekehrt eine ganze Anzahl von Bänden der Bibliothek im Herbarium bei den Pflanzengruppen, die sie behandeln. Zum anderen im übertragenen Sinne: Der 'hortus pictus' oder 'gemalte Garten', war der Vorläufer jener berühmten, Pflanzenabbildungswerke mit handkolorierten Stichen, die zu den Pretiosen einer botanischen Bibliothek zählen, und von denen auch die des Botanischen Museums eine ansehnliche Sammlung ihr Eigen nennt.

Ein Garten mit 20. 000 Pflanzenarten aus aller Herren Länder wäre eine schöne Grünanlage, aber er wäre kein Botanischer Garten, böte er nicht die sorgfältige Bestimmung und Beschriftung der Pflanzen und all das, was eine wissenschaftliche Pflanzensammlung ausmacht. Ihre wissenschaftliche Betreuung und Erforschung wiederum wäre nicht ohne die täglichen Zugriffsmöglichkeit auf eine Spezialbibliothek mit Zehntausenden von Bänden zu leisten, zusammengetragen aus aller Welt und fünf Jahrhunderten. Dies gilt für den Garten ebenso wie für die 3 Millionen Belege umfassende Sammlung getrockneter Pflanzen, das Herbarium. Nicht von ungefähr beherbergt der BGBM deshalb neben seinen großen Pflanzensammlungen auch eine der bedeutendsten botanischen Spezialbibliotheken Europas. Die Dreiheit der Sammlungen, Garten, Herbarium und Bibliothek, an einem Ort vereint zu haben - 1822, noch in Schöneberg - war das Verdienst des damaligen Direktors Heinrich Friedrich Link. Diese Konstruktion hat sich bewährt und war eine nicht unwesentliche Voraussetzung für die spätere internationale Bedeutung der ganzen Einrichtung.

Das Sammelgebiet der Bibliothek, die fast den ganzen 1987 neu errichteten Ostflügel des Botanischen Museums in der Königin-Luise-Straße einnimmt, erschöpft sich jedoch keineswegs in der Pflanzenbestimmungs- und Abbildungsliteratur. Im dreistöckigen systematischen Freihandmagazin sind auf 9,5 Regalkilometern als Sammelgebiet die Pflanzen in der Kulturgeschichte ebenso vertreten wie der Naturschutz und die Biodiversitätsforschung, die Geschichte der botanischen Erforschung der Erde ebenso wie Sukkulenten und Aquarienpflanzen, die Heil-, Drogen- und Nutzpflanzen wie die Zierpflanzen, die Vegetation Neuguineas ebenso wie die des Harzes, Algen wie Pilze und Flechten, Moose und Farne wie Samenpflanzen, die Ökologie der Pflanzen wie auch ihre Morphologie und Anatomie. Der Sammelauftrag dieser Bibliothek ist kein geringerer, als die weltweit erscheinende Literatur ihres Fachgebietes - wozu neben den gedruckten auch die wachsende Zahl elektronischer Publikationen gehört - möglichst vollständig zugänglich zu machen. Die Bibliothek steht nicht allein Wissenschaftlern und Studenten offen, die sogar nur eine Minderheit der Bibliotheksbesucher ausmachen, sondern der gesamten interessierten Öffentlichkeit. Der Präsenzbestand kann werktags von 9.00-13.00 Uhr sowie nach Vereinbarung konsultiert werden. Nähere Informationen finden sich im Bibliothekenführer der FU und auf der Homepage der Bibliothek.

Norbert Kilian ist Leiter des Referats Bibliothek und Publikationen im BGBM


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