Stanislaw Karol Kubicki war der erste an der FU eingeschriebene Student

Die Nummer 1



"Was glauben Sie, in wieviele Objektive ich damals lächeln mußte," sagt Prof. Dr. Stanislaw Karol Kubicki, "alle Amis wollten den Studenten Nr. 1 fotografieren. Die Amerikaner haben sich ja wirklich mit der FU identifiziert". Daß er am 5.11.48 als erster eingetragen wurde, verdankt er hauptsächlich seiner Bestimmung zum Leiter der Quästur (Immatrikulation), bis die Verwaltungsstelle geschaffen und besetzt war.

Tatsächlich begann für den damals 22jährigen Sohn eines polnischen Malers und Schriftstellers und einer deutschen Malerin und Lehrerin die FU schon im Sommer 1948, als er eigentlich noch an der "Lindenuniversität" (damals noch Universität Berlin, später Humboldt-Universität) studierte. Er gehörte zum GründungsAStA und war ab April (nach der Relegation von drei Studenten) "in jeder freien Minute" hier. "An den Abzug der Alliierten haben wir keinen Gedanken verschwendet, es gab die Luftbrücke, das hat uns die Sicherheit gegeben, die wir brauchten", sagt Kubicki und auch das Verlassen der Ostberliner Universität war für ihn und die Kommilitonen ein Muß: "Die SED-Eingriffe waren denen in der NS-Zeit so ähnlich, wir haben es einfach nicht mehr ertragen". Das sei allerdings nicht nur bei den Studenten so gewesen, erzählt der Professor, auch in der Berliner Bevölkerung sei die Abgrenzung so schnell gewachsen, daß z.B. das Angebot, sich im Osten Lebensmittel zu holen, nur von drei Prozent der Bevölkerung wahrgenommen wurde, "obwohl es im Westen sogar 13 Prozent SED-Wähler gab".
Voller Euphorie ging es an die Gründung der neuen Universität, die frei von politischen Zwängen sein und das auch mit ihrem Namen bekunden sollte. Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit - was sie lange vermißt hatten, sollte diese Universität prägen. "Sie war unser Bekenntnis zur Demokratie", so Kubicki," denn unpolitisch waren wir alle nicht". Und sie ließen sich "was einfallen: Um Geld zu beschaffen, wurden Bälle organisiert - zwei bis drei in den ersten beiden Semestern. Nach Abzug der Unkosten blieben jeweils rund 2000,- Mark übrig; Hilfe für neue Flüchtlinge! Das Finanzierungssystem war bezeichnend für die Stadt: Eine Ballkarte kostete rund 10 Mark, davon höchstens 2,-DM (West). Grundsätzlich galt: Etwa 75 - 80 % Ostmark und 20 - 25 % Westmark.
Von den FU-Studenten waren mindestens ein Drittel Flüchtlinge - so Kubicki - die meisten kamen von Universitäten im Osten; hauptsächlich Rostock und Jena.
Der Alltag hatte im Jahr 1948 noch viele Tücken. Einen normalen Tag beschreibt Kubicki so: "Im Sommer bin ich von Britz (Wohnort) mit dem Fahrrad nach Dahlem gefahren, von dort nach Westend in die Uniklinik und zurück nach Britz. Man konnte aber auch wieder mit S-Bahn, U-Bahn oder Straßenbahn fahren - die Zeit konnte man zum Lesen nutzen; "45 fuhr ja gar nichts". Eine Besonderheit für die Medizinstudenten war der "Irrenbus", der die Kliniken in Westend mit "Bonnies Ranch" (Bonhöfer Heilstätten in Wittenau) verband und die "Gonokokkenschaukel", eine Straßenbahn zum Britzer Krankenhaus, wo die Dermatologie untergebracht war.
Bis zum Hörsaalbau - 1950 - gab es im Klinikum Westend keine Hörsäle, aber noch Säle für die Kranken, und die waren voll. An viele Tuberkulosen erinnert sich der Mediziner, an freie Betten kann er sich nicht erinnern.
Auch die Kranken nahmen die Studenten freundlich auf. "Mindestens in den ersten vier bis sechs Semestern waren wir eine Gemeinschaft, die auch mit der Berliner Bevölkerung völlig im Einklang war", erklärt Kubicki.
Die Gemeinschaft der Studierenden mehrte nicht nur das akademische Wissen, sondern auch Improvisationsvermögen und Organisationstalent. Manchmal wurden die Vorlesungen bei Kerzenlicht gehalten oder im Kino, und wenn die versprochene Ladung Stühle Kinderstühle waren, na dann saßen sie eben etwas tiefer. Elektrisches Licht gab es selten und zu den ungewöhnlichsten Zeiten, dann wurde gelernt, auch wenn es zwei oder vier Uhr morgens war. Und alle, nicht nur der AStA, waren beteiligt: Stühleschleppen, Räume organisieren, Bücher besorgen usw. usw.
Insbesondere die Amerikaner waren begeistert vom Enthusiasmus und der Arbeitswut der Studenten. So entstand der erste Kontakt nach Stanford durch dort organisierte Kleidersammlungen für die FU-Studenten. In Dahlem zeigten sich die feinen Unterschiede, die die Amerikaner machten darin, daß im Juni "48 jeder vom Rasen vor dem Harnack-Haus ("das war zur Gründungszeit ja ein heiliges Gebäude") vertrieben wurde - nur die FU-Gründer/innen nicht. Auch zum internationalen Studententreffen in Tronje im Herbst 1949 wurden noch keine deutschen Studenten eingeladen, nur drei Studenten aus Berlin.
Beinahe hätte es am Gründungstag einen Eklat gegeben, erzählt Kubicki, "der Rektor hörte ja nicht gern die Rede von der "Studentengründung", aber die waren zweifelsohne die pressure group. Zur Gründungsfeier im Titania Palast hatte der Rektor für die Studenten dann die Reihe 20 vorgesehen. Die Reihen davor waren ja auch mit Würdenträgern belegt, aber die Studenten sagten, "dann kommen wir nicht". Und so kam es, daß Ordinarien und Studenten sich auf der Bühne versammelten.
Anne Schillo


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