Hoch über dem Heiligen Land

Digitales Fernerkundungssystem liefert einzigartige Luftaufnahmen


Wolkenlos blau spannt sich fast immer der Himmel über Israel. In dem schmalen, trockenen Land gibt es mehr als zehn verschiedene Klimazonen, von subtropischen Regionen am Mittelmeer bis hin zur Wüste Negev und der tiefsten und heißesten Landschaft der Erde, dem Toten Meer. Nur ein einziger Fluß, der Jordan, fließt im Landesinneren. Er entspringt in den bergigen Golanhöhen, fließt durch den See Genezareth, dem größten Trinkwasserreservoir Israels, und mündet in das Tote Meer. Umweltforschung und Gewässerschu tz sind wegen der Wasserknappheit lebenswichtig.

Wissenschaftler vom FU-Institut für Weltraumwissenschaften sind Anfang vorigen Jahres von der israelischen Firma Taldor-Navot Image Processing & Remote Sensing beauftragt worden, diese einzigartige Landschaft aus der Vogelperspektive zu dokumentieren und mit Hilfe eines speziellen Aufnahmegeräts Informationen zu gewinnen, die dem bloßen Auge oder einer gewöhnlichen Fotokamera verborgen bleiben.


Das FU-Institut ist bekannt für seine Erfahrung mit flugzeuggestützten Meßkampagnen und besitzt ein digitales Fernerkundungssystem, das weltweit nur einige Male gebaut wurde: Der Compact Airborne Spectrographic Imager, kurz casi genannt, mißt reflektiertes Sonnenlicht im Spektralbereich zwischen Blau (Wellenlänge 428 Nanometer) über Rot bis hin zum nahen Infrarot (925 Nanometer). Institutsdirektor Professor Jürgen Fischer schickte seinen Doktoranden, den Informatiker Carsten Olbert, mit 400 kg Ausrüstung im April 1997 zu dieser Mission in das Heilige Land.

An der Kampagne sind Wissenschaftler aus sehr unterschiedlichen Fachrichtungen beteiligt, die nun die Luftaufnahmen auswerten. Die Kooperation umfaßt Geophysiker und Geographen der Universität Tel Aviv, Ozeanographen und Limnologen der Hafenstadt Haifa, da s Institut für Wüstenforschung aus Beersheba, das israelische Landwirtschafts- und Umweltministerium sowie das deutsche Geoforschungszentrum Potsdam. Um die Organisation und Bewilligung der gesamten Kampagne kümmerte sich Dr. Gideon Tibor von der Firma Tal dor-Navot Image Processing & Remote Sensing. Die Genehmigung zur wissenschaftlichen Überfliegung war allerdings von den Behörden nicht leicht zu haben, denn wegen der besonderen Sicherheitsbedürfnisse des Staates Israel begegnete vor allem das Militär dem Projekt lange mit großer Skepsis. Die letzte wissenschaftliche Fernerkundungskampagne fand vor über acht Jahren statt.


Erst im Computer werden aus Daten Bilder


Der casi arbeitet im Bereich des sichtbaren Lichts, funktioniert aber ganz anders als eine Kamera. Während eine Fotografie alle Farben gleichzeitig festhält, also die Summe der vom Objekt zurückgestrahlten Wellenlängen, werden beim casi 288 verschiedene Fa rbkomponenten getrennt erfaßt. Die Daten werden im Computer zu Bildern aufbereitet.

Ein Betrachter kann zum Beispiel vom Flugzeug aus über einer Wüste keine Pflanzen mehr erkennen, obwohl es einige sehr kleine Vegetationsformen gibt, die das Wüstenklima aushalten. Sie werden auf den „künstlichen Bildern“ des Spektrometers gesehen, weil da s Chlorophyll der Mikroorganismen im nahen infraroten Wellenlängenbereich das Sonnenlicht weniger absorbiert und eine stärkere Reflektion gemessen werden kann. Für solche Aufnahmen von der Negev-Wüste interessieren sich die Wissenschaftler vom Institut für Wüstenforschung, um die Vegetationsdichte quantitativ zu erfassen.

Die Gewässerkundler dagegen werten vorwiegend die Aufnahmen über dem See Genezareth und der Hafenbucht von Haifa aus. Weil sich auch Schwebstoffe im Wasser und Abbauprodukte von Pflanzen und Organismen durch spektroskopische Aufnahmen erfassen lassen, könn en die Limnologen mit den Luftbildern die Gewässer auf Verschmutzungen oder Algenwachstum untersuchen. So wurde auch der Zustand der Korallenriffe bei Elat dokumentiert, einem einzigartigen und sehr artenreichen Tauchgebiet, das aber gerade durch die stei gende Zahl der Hobbytaucher, die Abwässer der Hotels und auch Einleitungen der Industrie mehr und mehr gefährdet wird.


Neuland in Sicht


Das Landwirtschaftsministerium will den Übergang von den fruchtbaren Zonen über die bewässerten Regionen bis zur Wüste untersuchen, um abzuschätzen, wo etwa noch Boden landwirtschaftlich genutzt werden kann.

Mit Luftaufnahmen über Tel Aviv sollte ein neues Verfahren zur Höhenmessung getestet werden. Üblicherweise werden Höhen vom Flugzeug aus mit Radar bestimmt (Wellenlänge im Zentimeterbereich, also millionenmal größer als bei casi). Das ist jedoch relativ au fwendig, da außen am Flugzeug ein leistungsstarker Radarsender samt Antennen montiert werden muß. Das Meßverfahren der FU-Gruppe dagegen kommt ohne Sender aus, weil es das von der Erde zurückgeworfene Sonnenlicht analysiert. Die Präzision der aus den Aufna hmen gewonnenen Höhenwerte läßt sich besonders über Stadtgebieten, von denen die Dimensionen der Gebäude bekannt sind, leicht feststellen.

Auch das Tote Meer wurde gründlich überflogen. Hier wird jährlich Salz in einem Wert von einer halben Milliarde Dollar abgebaut. Wissenschaftler vom Geoforschungszentrum in Potsdam untersuchen anhand der casi-Aufnahmen die Bodenqualität im Rückzugsbereich des Toten Meeres, vor allem im Hinblick auf Neulandgewinnung. Zeitgleich zur Flugkampagne waren zahlreiche Wissenschaftler unterwegs, um Boden- und Gewässerproben vor Ort zu nehmen.


Verwackelungen „herausgerechnet“


Nach der langen Vorlaufzeit und sehr schwierigen Organisation war es dann besonders ärgerlich, daß beim Transport der Instrumente ein Unfall passierte, der das Projekt beinahe scheitern ließ: Die lagestabilisierende Plattform verlor Hydrauliköl, das unglüc klicherweise in die Elektronik hineinlief. Auf die Schnelle war der Schaden nicht zu reparieren. Eine solche Plattform wird in den Boden des Flugzeugs eingebaut und gleicht durch innere Kreisel alle Bewegungen, Drehungen und Vibrationen des Flugzeugs aus. Das Spektrometer muß auf einer Plattform sitzen, weil sonst die Aufnahme „verwackelt“. Die israelische Flugzeugbesatzung und Carsten Olbert machten sich dennoch ohne diese Plattform an die Arbeit und führten alle Messungen durch. Das Institut für Weltraumw issenschaften konnte die verwackelten Messungen durch ein eigens entwickeltes Rechenprogramm nachträglich korrigieren und so die Daten retten.

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Aus spektrometrischen Daten gewonnene Luftaufnahme vom Toten Meer. Die vordere Hälfte ist durch die Rollbewegungen des Flugzeugs stark verwackelt, in der zweiten Hälfte wurden diese Bewegungen mit Hilfe eines „Rollkorrekturprogramms“ herausgerechnet. (Bild daten FU, Korrekturprogramm FU)


Antonia Rötger


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