Egon Renner - Honorarprofessor für nordamerikanische Ethnologie

I did it my way


Egon Renners Leben ist anders verlaufen. Ein wenig abenteuerlich und jedenfalls ungewöhnlich, weit entfernt vom glatten Weg einer akademischen Durchschnittskarriere. Im vergangenen Wintersemester ist Renner, 62jährig, zum Honorarprofessor ernannt worden. Nur scheinbar eine späte Ehrung, denn Renner ist erst spät Wissenschaftler geworden. Mit 34 hat er 1969 in Berlin das Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg gemacht, danach an der FU Ethnologie, Spanisch und Altamerikanistik studiert und 1978 in Ethnologie promoviert. Davor liegt ein Leben fern der Wissenschaft. Nach der damaligen sogenannten Volksschule macht Renner zunächst eine Lehre im Dekorations- und Malerbetrieb des Vaters in Offenbach-Hundheim, einem kleinen Ort in Rheinland-Pfalz; eine kunsthandwerkliche Weiter bildung an der Meisterschule für Handwerker in Kaiserslautern und die Gesellenzeit in der Schweiz folgen. Doch die Ausbildung engt den künstlerisch begabten Jungen mehr ein, als daß sie seinen Talenten zum Durchbruch verhilft. Der Schüler schafft sich sein e eigene Welt, liest Karl May und Goethes Faust und träumt von großen Taten. Leichter wird das Leben dadurch nicht. „Ich habe einen sturen Kopf und mußte immer kämpfen, weil ich stets aus der Reihe tanzte“, sagt er rückblickend, und Stolz schwingt mit in d er Stimme.

Erst der Schritt vom Handwerker zum Künstler und von der Bundesrepublik nach Italien bringt wirkliche Freiheit und intellektuelle Emanzipation. Von 1956 bis 1960 studiert Renner an mehreren Kunsthochschulen in Rom Malerei. Der wohl wichtigste, weil prägend e Lebensabschnitt für ihn: „Hier war ich in kein enges Korsett gepreßt. Diese Erfahrung von Freiheit hat mein späteres Leben bestimmt.“ Studienreisen führen ihn nach Spanien, England und Westafrika. Renner malt und erfährt zugleich, wie unterschiedlich das Verhalten der Menschen von Land zu Land ist: „Es gibt für alle eine gemeinsame Basis, Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen. Jeder ißt, trinkt, schläft, verfolgt seine Interessen, erfüllt Aufgaben und Verpflichtungen, unterhält Kontakte mit anderen Me nschen. Aber die Art, wie dies geschieht, variiert von Gesellschaft zu Gesellschaft.“ Renners Interesse, solchen kulturell bedingten Unterschieden auf die Spur zu kommen, war geweckt, der Weg zum Wissenschaftler begann.

Doch einfach geht es auch jetzt nicht voran. In der deutschen Ethnologie wird Kultur lange Zeit vor allem als historisches Phänomen verstanden. Mit den Erfahrungen und Beobachtungen Renners lassen sich die Inhalte und Lehren der sogenannten kulturhistorisc hen Schule nicht in Einklang bringen. Vielmehr begreift er diese Schule als überholt: „Wenn man Ethnologie als eine methodologisch und theoretisch interkulturelle Disziplin versteht, die sich im fachlich führenden Ausland seit dem Historismus paradigmatisc h mehrfach grundlegend verändert hat, so bedeutet jede Form von Historismus Rückständigkeit.“ Renner geht von Beginn an davon aus, daß Kultur mehr ist als ein historisches Phänomen. Seine Doktorarbeit ist von dieser Einsicht geprägt; sie macht die Distanz zum Historismus sozusagen zum Thema und bildet die Grundlage für seine späteren Forschungen. „Kognitive Anthropologie“ - diese in den USA entstandene, von der Ethnologie her angelegte, interdisziplinäre Forschungsrichtung steht als Titel über der Promotion . Renner definiert kognitive Anthropologie als „Bewußtseinsforschung, als Rekonstruktion menschlichen Regelverhaltens in bestimmten Kulturen“. Denken und Handeln sind demnach als kognitive Verhaltensregeln zu verstehen, die Menschen im selben Maße erlernen in dem sie in eine Gesellschaft hineinwachsen. Kognitionsforschung ist dabei Teil einer Entwicklung, die vom Behaviorismus weg hin zu Mentalismus und Strukturalismus führt.

Seit sechs Jahren arbeitet Renner beim Verein für interkulturelle und interdisziplinäre Humanforschung. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Völkerkundemuseum in Berlin, Hochschulassistent (C1) an der Uni Hamburg, Redakteur bei der „Zeitschrift f ür Ethnologie“. Seit 1988 unterrichtet er regelmäßig als Lehrbeauftragter an der FU. Die Honorarprofessur für nordamerikanische Ethnologie ist einmalig; sie vereint die Regionalspezialisierung auf Sprache und Kultur der indigenen Völker Nordamerikas einer seits mit der Grundlagenforschung zu Geschichte und Entwicklung der Ethnologie Nordamerikas andererseits.

Renner ist ein besessener Arbeiter. Jeden Morgen sitzt er um vier Uhr am Schreibtisch - ohne Unterbrechung bis mittags, dann oft noch einmal etwa fünf Stunden. Auf seine Zukunftspläne angesprochen, antwortet Renner prompt: „Ich werde an der FU mindestens n och zehn Jahre lehren und forschen.“ Die Arbeit mit den Studenten ist für ihn zum Entscheidenden überhaupt geworden: „Was mir selbst nicht gelingt, sollen einmal meine Schüler leisten.“ Es ist nicht so sehr dieser Anspruch, sondern die Art, wie er ihn im U mgang mit den Studenten umsetzt, der den Lehrer bei seinen Schülern so beliebt macht. Renner, der vor allem den offenen Dialog liebt, bringt es selbst auf den Punkt: „Ich lasse den Studenten die Freiheit, ihren eigenen Weg zu finden.“

Holger Heimann


Ihre Meinung: Grafik2

[vorherige [Inhalt] [nächste