Mathematische Denkfabrik

Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik


Einen Supercomputer hat jetzt der Fachbereich Mathematik und Informatik in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Der schnelle Rechner gehört zum Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik (ZIB), das Anfang des Jahres einen 57-Millionen-Neubau direkt neben dem Gebäude der Informatik in der Takustraße bezogen hat. Das 1984 gegründete und vom Land Berlin finanzierte interdisziplinäre Forschungsinstitut gilt als eines der fünf besten Höchstleistungsrechenzentren der Welt.

Das ZIB ist eine Denkfabrik. "Unser Computer steht im Keller", stellt denn auch Peter Deuflhard, Präsident des Konrad-Zuse-Zentrums und seit 1986 Professor am Fachbereich Mathematik und Informatik, fest. "Bei uns geht es zuallererst ums Forschen und Entwic keln", sagt Deuflhard. "Zuerst muß theoretisch geklärt sein, was berechnet werden soll und mit welchen Methoden. Dann erst läßt sich der schnelle Rechner optimal nutzen." Von den rund 150 Mitarbeitern arbeiten deshalb auch nur 40 im Rechenzentrum im engere n Sinn. Den größten Anteil der Angestellten stellen Physiker, Biologen, Chemiker, Mediziner und Mathematiker. Sie forschen - oft in enger Kooperation mit den Berliner Universitäten und anderen wissenschaftlichen Instituten - auf dem Gebiet der anwendungsor ientierten Grundlagenforschung.

Was sich dahinter verbirgt, verrät der 200seitige Jahresbericht. Zum Beispiel das Projekt Moleküldynamik - ein Stekkenpferd von Peter Deuflhard. Mit Blick auf eine spätere Kooperation mit FU-Chemikern haben Wissenschaftler am ZIB völlig neue Algorithmen en tworfen, um die Energie von Molekülclustern zu beschreiben. Andere Forscherteams tüfteln am optimalen Einsatz von Bussen für den öffentlichen Nahverkehr - ein Projekt, an dem neben Wissenschaftlern der TU auch die Berliner Verkehrs-Betriebe beteiligt sind. In dem Sonderforschungsbereich "Hyperthermie: Methodik und Klinik" arbeiten Physiker des Zuse-Zentrums zusammen mit Medizinern des Virchow-Klinikums an der rechnergestützten Simulation einer thermischen Krebstherapie. Hierbei kommt es darauf an, für jeden Patienten individuell in möglichst kurzer Zeit die richtige Dosis an Radiowellenstrahlen zu berechnen. Eine andere Arbeitsgruppe erforscht, wie sich schwierige mathematische Objekte auf dem Bildschirm visualisieren lassen - wie etwa dreidimensionale magne tische und elektrische Strömungsfelder.

Grafik1Bei der Krebstherapie durch Hyperthermie wird der Körper der Patienten durch acht Antennen mit Radiowellen bestrahlt. Forscher am ZIB versuchen, mit raffinierten Algorithmen die Ausrichtung der Antennen in möglichst kurzer Zeit zu berechnen. Dazu wird die Therapie samt Wirkung auf den Patientenkörper am Bildschirm simuliert.

Obwohl alle diese Projekte so anschaulich klingen, steckt viel harte Mathematik dahinter. Sobald nämlich Naturvorgänge möglichst genau beschrieben werden sollen, reicht einfache Algebra nicht mehr aus. Dynamische, mitunter chaotische Systeme müssen berechn et werden. Da bei aller Abstraktion immer die Lösung ganz konkreter Rechenprobleme aus Naturwissenschaft und Technik im Vordergrund stehen, heißt das Forschungsgebiet "Scientific Computing", auf deutsch: Wissenschaftliches Rechnen.

Dieses Grenzgebiet zwischen Mathematik, Informatik und den Natur- und Ingenieurwissenschaften stellt den Kern der Forschungs- und Entwicklungsarbeit des ZIB dar. Gleichzeitig gewinnt dieses theoretisch-angewandte Gebiet dank großer wissenschaftlicher Erfol ge immer mehr Bedeutung. Prof. Deuflhard plant deshalb, einen neuen Studiengang "Scientific Computing" an der FU einzurichten. Im Juli vergangenen Jahres haben Universität und Forschungsinstitut bereits einen Kooperationsvertrag geschlossen, der vorsieht, daß die FU zwei neue Professuren auf diesem Gebiet einrichtet, von denen das ZIB eine für zehn Jahre finanziert.
Da das ZIB inmitten des naturwissenschaftlichen Campus der FU liegt, haben die FU-Forscher günstige Voraussetzungen für einen wissenschaftlichen Austausch. "Schon auf dem Weg zur Mensa trifft man die Kollegen anderer Disziplinen", sagt Prof. Deuflhard. Nic ht zuletzt wird der prall gefüllte Vortragskalender des Zuse-Zentrums ein Anziehungspunkt für Forscher der anliegenden Institute sein. Davon profitieren auch die angehenden Naturwissenschaftler und Mathematiker. Im vergangenen Jahr haben 16 Studierende ihr e Examensarbeit am ZIB geschrieben. Die Diplomanden erleben geradezu ein wissenschaftliches Paradies. Da sie stets fest in Arbeitsgruppen eingebunden sind, ist die Betreuung vorbildlich. Spitzenkräfte sind das Ergebnis. "Die Absolventen werden uns quasi au s den Händen gerissen", betont Deuflhard. Trotz des Standortvorteils der FU werde sie aber nicht bevorzugt. Ein paritätisch besetzter Verwaltungsrat wacht über die Gleichbehandlung der drei Berliner Universitäten.

Als Anstalt öffentlichen Rechts wird das ZIB zu zwei Dritteln vom Land Berlin finanziert; der Rest - immerhin noch über vier Millionen Mark im Jahr - wird durch Drittmittel abgedeckt. Ein Ausschuß mit unabhänigigen Experten garantiert, daß nur Spitzenproje kte an den Höchstleistungsrechner des ZIB kommen.

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Äußerlich wirkt der Supercomputer des ZIB eher wie ein Designer-Heizkessel. Wer ihm erstmals begegnet, könnte ihn auch für einen solchen halten, denn er steht im Keller des ZIB.
In seiner Ausrichtung ist das ZIB in Deutschland einmalig. Nur hier sind die zwei Forschungsbereiche, die an anderen Instituten getrennt sind, unter einem Dach vereint: die Abteilung "Numerische Methoden", die Deuflhard leitet, und die Abteilung "Diskrete Optimierung", die der TU-Professor Martin Grötschel betreut, der zugleich Vizepräsident des ZIB ist.

Wesentlichen Anteil an der heutigen Struktur hat Peter Deuflhard, der seit seiner Berufung an die FU das ZIB umstrukturierte und kontinuierlich aufbaute. Diese Arbeit hat ihm zuletzt einen Ruf an die RWTH Aachen eingebracht, wo er ebenfalls aus einem klass ischen Rechenzentrum ein Zentrum für Scientific Computing hätte aufbauen sollen. Den Ruf hat er kürzlich abgelehnt, um die Zukunft des Zuse-Zentrums weiter mitgestalten zu können. In einer Zeit, wo das Geld knapp wird und immer mehr Spitzenleute aus Berlin wegziehen, mutet das ZIB wie eine sichere und lebenswerte Insel für Forscher an.

Vasco Alexander Schmidt


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