Mitbegründer und Ehrenbürger der FU Otto H. Hess im Alter 85 Jahren gestorben

Die sittliche Pflicht zum Widerspruch


Grafik1Otto Hess (sehend) und andere FU-Studenten der ersten Stunde

Otto Hess war einer der markantesten Persönlichkeiten, die die Berliner Universitäten nach 1945 mitgestaltet und geprägt haben. Obwohl schon 34 Jahre alt, begann er 1946 Medizin zu studieren. Doch sich nur dem Studium zu widmen, genügte ihm nicht. Die sitt liche Pflicht zum Widerspruch hat ihn immer stärker zum Hochschulpolitiker werden lassen. Sein Alter, seine Erfahrung im Berufsleben (Industriekaufmann bei Telefunken), die Zeit als Soldat und Dienstverpflichteter der Organisation Todt unter der Diktatur d es Nationalsozialismus haben sein Denken und Handeln ganz wesentlich zur Mitwirkung an der Entwicklung eines demokratischen Deutschland veranlaßt. Im Geleitwort des ersten Heftes der von ihm und Joachim Schwarz herausgegebenen Zeitschrift für junge Akademi ker Colloquium heißt es programmatisch: "Freiheit, Humanität und Menschenrechte sind für uns unveräußerliche Werte und jeder, der sie anzutasten wagt, wird von uns unnachsichtlich bekämpft. Diese Grundhaltung hat Ernst Fischer-Bothof in der Sondernummer de s Colloquiums, "Kampf um die Universität, Kampf um die Freiheit", ergänzend interpretiert. "Mit viel Elan begannen wir den Frieden, kehrten zurück aus den Gefangenenlagern, KZ's und Schützengräben. Es ist zum Lachen, aber wir glaubten irgendwo doch an das Gute. Dies sollte nun unsere Welt sein. Aufbauen, Aufatmen, Leben. Diesmal wachen wir nicht erst auf, wenn es fast zu spät ist. Wir wissen, es geht um die letzte Position, es geht um unsere Freiheit". Nach diesen Bekenntnissen hat Otto Hess mit Wort und Ta t gelebt und gewirkt. Schon gleich nach der Eröffnung der Universität Unter den Linden wurde er zum Leiter der Studentischen Arbeitsgemeinschaft (Vorläufer der Studentenvertretung) gewählt und wurde 1947 stellvertretender Vorsitzender des ersten Studentenr ates. Die vielen, meist fruchtlosen Gespräche und Verhandlungen mit der Universitätsleitung, der Zentralverwaltung für Volksbildung und der sowjetischen Militäradministration über Wünsche und Erwartungen der Studenten, über Zulassungsfragen oder über den N utzen einer studentischen Selbstverwaltung als demokratisches Mitwirkungs- und Verantwortungsorgan usw. haben sein Engagement nicht vermindern können. Um über die eigene Universität hinaus wirken zu können, wurde er zeitweilig führendes Mitglied im Soziali stischen Deutschen Studentenbund (SDS). Begleitet wurde die politisch parlamentarische Tätigkeit durch die Herausgabe der erwähnten Zeitschrift Colloquium, in der sich die über die Verhältnisse an der Universität Interessierten recht gut und genau informie ren konnten. Die die Machthaber störenden freien Meinungsäußerungen der monatlich erscheinenden Zeitschrift , die sich direkt an die Studenten wandte, waren dann auch Anlaß, die Herausgeber und den Redakteur Otto Stolz von der Universität zu verweisen.

Von da an haben Otto Hess und Otto Stolz mit aller Kraft den Aufbau der Freien Universität betrieben. Sie waren Mitunterzeichner des Aufrufs zur Gründung der FU und Motor bei dessen Durchsetzung. Hess gehörte dem vorbereitenden Gründungsausschuß und nach d er Konstituierung dem Kuratorium, dem wichtigsten Gremium der neuen Universität, bis November 1949 an. Er erreichte unter anderem, daß statt der 167 Fragen, die der amerikanische Fragebogen für deutsche Bewerber enthielt, nur 11 von den Studienanfängern de r FU beantwortet werden mußten, damals eine Sensation und ein Vertrauensbeweis. Auch die von den Studentenvertretern gewünschte und erreichte Mitbestimmung in den Universitätsgremien ist sein Werk. Daneben widmete er sich seiner Zeitschrift und studierte i n seinem Fachgebiet. 1950 bestand er das Physikum. Ende 1953 exmatrikulierte sich Otto Hess, weil das Klinische Studium sich zeitlich mit den Aufgaben eines Verlegers des 1952 gegründeten Colloquiumverlages nicht vereinbaren ließ, zumal Schwarz der zweite Herausgeber der Zeitschrift ausgeschieden war. Bis 1971 erschien das Colloquium als Chronik und Diskussionsforum der akademischen Jugend in enger Verbindung mit der FU, aber auch der TU und HdK. Die vorwiegend emotionalen Auseinandersetzungen und Aufgeregt heiten jener Zeit, die Demonstrationen mit Rufen Che Guevara und Ho Chi Minh, die neue Sympathie für den Marxismus und der Opportunismus der damals politisch Verantwortlichen haben Otto Hess abgestoßen. Das Gespräch und auch der kritische Dialog, die im Co lloquium, wie in dem zitierten Geleitwort von 1947 nachzulesen ist, stattfinden sollten, waren nicht mehr möglich. Otto Hess konzentrierte sich auf die Herausgabe von Schriftenreihen und Büchern, von denen er hoffte, sie könnten dem Leser neue Erkenntnisse vermitteln. Genannt seien nur die 1953 veröffentliche Schrift von M. und E. Müller: "Stürmt die Festung Wissenschaft. Die Sowjetisierung der Mitteldeutschen Universität seit 1945" (Neuauflage 1994); G. Reitlinger: »Die Endlösung. Die Vernichtung der Juden in Europa 1954" (Neuauflage 1956); und J.F. Tent: "Freie Universität Berlin 1948-1988. Eine deutsche Hochschule im Zeitgeschehen."

Grafik3In den 80ziger Jahren hat Otto Hess immer mehr resigniert. Seine Aktivitäten beschränkten sich auf die Ernst Reuter Gesellschaft, der Förderer und Feunde der Freien Universität Berlin e.V.. Trotz seines vielfältigen Einsatzes, haben sich seine Erwartungen an die Freie Universität und ihrer Stellung in der Gesellschaft zu seinen Lebzeiten nicht erfüllt. Doch die Ideale des Bildungsbürgers Otto Hess, Veritas, Iustitia, Libertas und das Streben danach werden bleiben.

Helmut Coper, Mitgründer der FU und erster Vorsitzender des AStA


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