Do you like the Lucky Streik?




Unverhofft kommt oft. So auch der gegenwärtige Protest der Berliner Studierenden gegen die Kürzungen an ihren Hochschulen. Noch Anfang November rieb man sich hier verwundert die Augen, als die Zeitungen und das Fernsehen über die Demonstrationen und Aktion en in Gießen und Marburg, an denen sich Zehntausende beteiligten, berichteten. Schließlich sprang der Funke doch noch von der Provinz auf die Hauptstadt über. Übrigens, ein Novum in der Geschichte der Studentenbewegung. Ebenso wie die Sympathiewelle, die ü ber die Studierenden hinwegrauschte: Alles was in der Politik Rang und Namen hatte - und zum Teil auch Mitschuld an der Verrottung des Bildungssystems - bekundete seine Solidarität. Die falschen Freunde waren schnell entlarvt. Den Studierenden raubten sie jedenfalls nicht den Spaß am Protest, dem die Kölner Kommillitonen den Namen Lucky Streik gaben.

Die Redaktion der FU:Nachrichten hat einige - willkürlich ausgesuchte - FU-Angehörige nach ihrer Meinung zum Protest befragt. Hier ist das Ergebnis!

Burkhard Schröder, AStA-Öffentlichkeitsreferat: Toll, wie viele motivierte Menschen sich engagieren. Aber die inhaltlichen Diskussionen müssen noch stärker werden, um über die Forderungen nach ein bißchen mehr Geld hinauszukommen.

Stefen Niemeyer, OSI-Student und Mitglied im Studentenparlament: Wenn 2000 von über 43000 Studierenden auf einer "Vollversammlung" ohne faire freie Aussprache einen "unbefristeten Streik" beschließen, bin ich dem weder rechtlich noch moralisch verpflichtet.

Beschlüsse einer VV besitzen laut Satzung der FU-Studierendenschaft ausschließlich "empfehlenden Charakter". Und glaubt Ihr im Ernst, daß ich mich nach 2000 Studis richte, von denen am Tag nach der "Entscheidung" mehr als vier Fünftel überhaupt nicht in der Uni auftauchen?

Nein, wir brauchen gewählte Studivertreter, die unsere studentischen Interessen durchsetzen. Die jetzigen Vertreter verhindern das, wenn sie zur Sprengung von Gremiensitzungen aufrufen. Notwendig ist ein dauerhaftes Engagement im Universitätsalltag, nicht die Beschränkung auf ein paar wilde Wochen und die anschließende Radikalisierung oder Resignation. Mein Motto: Ja zu Aktionen und Demonstrationen, ja zur Reform der FU an Haupt und Gliedern, nein zur Farce "Streik".

Hans Kiefer, Pförtner in der Rost- und Silberlaube: Das ist stressig! Wir müssen hier immer die Türen auf- und zuschließen, damit die Studenten die Fluchtwege nicht mit Stühlen oder anderem verbauen können. Wir kriegen richtig runde Füße. Wenn wir nach Hause kommen, gibtäs nur: Fußbad und Füße hochlegen.

Die Studenten sind aber ganz friedlich. Da fällt kein böses Wort. Wir sind ihnen auch nicht böse. Wir verstehen ja ihre Probleme.

Bernd Rabehl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Politische Wissenschaft: Die können doch nicht gegen die Professoren, gegen den Präsidenten, gegen die Gewerkschaften und was weiß ich nicht streiken. Die müssen doch ihre eigenen Interessen formulieren und die habe ich noch nicht entdecken können. So ist das doch ein Streik gegen das Schicksal.

Siegward Lönnendoncker, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Politische Wissenschaft: Unser Hauptseminar ist ausgefallen, wegen einer Vollversammlung. Angeblich sollte es auch zum autonomen Seminar umfunktionbiert werden, aber die Kommunikation unter den Studenten läßt wohl sehr zu wünschen übrig. Der größere Teil ist auch überhaupt nicht informiert über die Situation der FU. Irgendwie geht es ums Geld, aber es gibt keine konkreten Aussagen. Man muß konkrete Ziele haben, z.B. könnte man die Besetzu ng einer Stelle am Fachbereich erzwingen, wenn man so lange eine Mahnwache beim Senator macht, bis der Ruf, der ja schon ein Jahr lang da liegt, endlich bearbeitet wird. Ein unbefristeter Streik ist doch Quatsch, da fahren die Leute doch nur in die Ferien oder gehen jobben. Das hätte der SDS nie gemacht. In so einer Situation hätte der SDS immer die Leute dabehalten mit Teach-ins und Sit-ins. Aber diese Diskussionskultur fehlt heute auch. Und dann diese Zustimmung. Ich fand es schon ein bißchen komisch, wenn der Fachbereich beschließen will, daß wir den Boykott unserer eigenen Lehrveranstaltungen begrüßen. Na gut, vielleicht bin ich der Apo-Opa, aber der Feind, den die Studenten suchen, der bin ich doch nicht.

Prof. Dr. Hans Peter Rosemeier, FB Humanmedizin, Mitglied des Konzils: Der Streik ist nicht zu vergleichen mit den bisherigen Streiks. Die Studierenden sind weniger unkoordiniert, wenig aggressiv und handeln überlegt. Sie wollen die politische Diskussion und sie wollen lernen. Die Diskussionen im Anschluß an meine Lehrveranstaltungen laufen auf hohem Niveau. Die jungen Leute sind gut ausgebildet, hochintelligent und wissen ziemlich viel, sie sind auch nicht desinteressiert, haben aber ein gesundes Mißtrauen gegen Politik und Institutionen. Ihnen ist schon klar, daß sich die FU in einer historisch neuen Verkleinerungsphase befindet, doch sie sind sensibilisiert bezüglich ihrer eigenen materiellen Zukunft. In der für die Universitäten wirtschaftlich schwierigen Lage haben sie für ihre Biographie viel zu verlieren.

Hardy Grafunder, Referatsleiter in der Rechtsabteilung: Der Protest kommt viel zu spät. Er wäre vor Abschluß der Verträge erforderlich gewesen; mit deren Abschluß ist alles zementiert. Der FU-AStA hat einfach den richtigen Moment verschlafen.

Ansonsten scheint mir der Boykott mit mehr Vernunft angegangen zu werden. Offenbar haben die Studenten kein Interesse daran einfach nur den Betrieb lahmzulegen. Wichtige Lehrveranstaltungen können offenbar stattfinden.

Grundsätzlich können Lehrveranstaltungen - soweit vertretbar - ersatzlos ausfallen. Die wichtigen - etwa in der Medizin - müssen, wenn nötig und möglich, ausgelagert oder in der vorlesungsfreien Zeit nachgeholt werden.

Wolf-Dietrich v. Fircks, FU-Kanzler: Meine Eindrücke waren widersprüchlich. Einerseits die etwas hilflose und aggressiv nach innen gerichtete Wut, die zu den Konfrontationen anläßlich der Senatssitzungen führte - wobei ich durchaus auch den Eindruck hatte, daß hier teilweise eine Instrumentalisierung der Ängste von betroffenen Studienfächern, wie z.B. Sportwissenschaften, stattfand. Andererseits aber die sehr konstruktive Beratung vor allem auch mit den studentischen Gremienmitgliedern. Die wissen durchaus zu differenzieren zwischen unserer Pflicht, die gekürzten Ressourcen optimal einsetzen zu müssen, damit an der FU in einem möglichst breiten Fächerspektrum qualitativ gute Lehre und Forschung weiterhin möglich bleibt, und der Rolle des Staats, der sich zu sehends aus der Finanzierung der Hochschulen und damit aus der Verantwortung für deren Bildungsauftrag zurückzieht. Was mich insgesamt wundert ist, daß nicht in viel stärkerem Maße die politischen Irrationalitäten aufgegriffen wurden, die schon jetzt dazu führen, daß das wenige Geld teilweise nutzlos ausgegeben wird, wie z.B. die überbordene Wissenschaftsbürokratie, Mehrfachinvestitionen z.B. im Medizinbereich, ein fehlendes Nutzungskonzept für das Olympiasportgelände, das American Head Quartier und das US-Hospital, ganz zu schweigen von den massenhaft leerstehenden Büroimmobilien. Gerade das Aufgreifen der Widersprüche bei den staatlichen Prioritätensetzungen könnte ein Umdenken bewirken.


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