Sexualität in der Antike

Ehrbare Frauen - nichtswürdige Weiber


Während für die Menschen aller Zeiten der Spielraum sexueller Praktiken relativ unveränderlich ist, variiert die gesellschaftliche Reglementierung dieses existentiellen Triebes doch erheblich. In der Antike anerkannte man dessen Mächtigkeit unbefangen: Eros, "der schönste im Kreis der unsterblichen Götter", entstand laut Hesiod noch vor den olympischen Göttern: "Gliederlösend bezwingt er allen ... den Sinn in der Brust und besonnen planendes Denken." (Theogonie 120 ff.).

Eros, der vor allem die Liebesleidenschaft in ihrer Ambivalenz zwischen Glückseligkeit und Leid repräsentiert, und Aphrodite, die mehr für die körperliche Seite steht, sind in Kunst und Literatur häufig dargestellt. Das Klischee der sinnenfreudigen und lasterhaften Antike rührt wohl u.a. daher. Wohl ist es richtig, daß die gesellschaftlich anerkannte Bandbreite sexueller Kontakte größer war als in der christlich geprägten Kultur - doch ist es wichtig, hier gruppenspezifisch zu unterscheiden. Es gab für verschiedene Gruppen der Gesellschaft jeweils unterschiedliche sexualmoralische Maximen. Dies wird vielleicht nirgends deutlicher als am Phänomen der griechischen Päderastie, die nur bei Einhaltung ganz bestimmter Regeln (diese betrafen vor allem das Alter der Beteiligten und die Verteilung der aktiven bzw. passiven Rolle) gesellschaftlich akzeptiert war. Auch das römische Dictum, nach dem Unzucht für einen Freigeborenen ein schlimmer Vorwurf, für einen Sklaven eine Notwendigkeit und für einen Freigelassenen eine Verpflichtung sei, drückt klar eine standesspezifische Moral aus.


Maßvolle sexuelle Betätigung ebenso wir ausreichender Schlaf, ausgewogene Ernährung, frische Luft und Bewegung wurden als gesundheitsförderlich betrachtet.

Es gab vielerlei Gelegenheit, körperliche Lustbarkeiten auch außerhalb der Ehe zu finden - doch ist hier eine weitere große Einschränkung zu machen: Dies galt vor allem für Männer. So konnte etwa ein römischer Mann seine eigene Ehe gar nicht brechen. Er durfte mit einer Sklavin oder einer anderen nicht ‰verbotenenď Frau durchaus straffrei eine Beziehung unterhalten, während er lediglich durch die Verbindung mit einer verheirateten Frau deren Ehe brach.

Diese je nach Stand unterscheidende Moral zeigt sich auch in folgender Anekdote: Der Zensor Cato begegnete einem jungen Mann, der offensichtlich aus einem Bordell kam. Cato rief ihm zu: "Nur Mut, du tust recht, zu den nichtswürdigen Weibern zu gehen und dich nicht an ehrbaren Frauen zu vergreifen!" 'Ehrbare Frauen' - das waren die römischen Bürgersfrauen und -töchter, die 'nichtswürdigen Weiber' dagegen (so wurde es in der römischen Kaiserzeit durch Juristen fixiert) Sklavinnen, Prostituierte, Schauspielerinnen,Gast-wirtinnen oder deren Töchter und Freigelassene sowie solche, die ihre Ehrbarkeit durch einen entsprechenden Lebenswandel verspielt hatten und z.B. wegen Ehebruchs verurteilt worden waren. Diese Frauen wurden vom Gesetz vor männlichen Übergriffen nicht geschützt, sie unterlagen aber andererseits auch nicht den strengen Erwartungen der Gesellschaft. Daß dies auch als vorteilhaft angesehen werden konnte, zeigt das Beispiel der Vistilia (Anfang 1. Jahrhundert): Aus der senatorischen Oberschicht stammend, ließ sie sich als Prostituierte registrieren, um sich ungehindert ausleben zu können.

Festzuhalten ist also, daß Sexualität nicht an sich verurteilt oder als lasterhaft angesehen wurde. Entscheidend für die Bewertung war vielmehr die Frage, wer sie mit wem praktizierte.

Vor exzessiver sexueller Aktivität wurde freilich gleichwohl gewarnt - insbesondere von Ärzten. Zwar wurde in medizinischer Hinsicht seit hippokratischer Zeit maßvolle sexuelle Betätigung, ebenso wie ausreichender Schlaf, ausgewogene Ernährung, frische Luft und Bewegung als gesund-heitsförderlich betrachtet. Auf der Basis der Humoralpathologie wurde der Orgasmus aber im Sinne eines mechanischen Modells als das Erhitzen und Überkochen einer Flüssigkeit gedacht, mit der der Körper besonders wertvolle Substanz verlor. Dies galt für Männer gleichermaßen wie für Frauen: Diese sah man als nicht voll entwickelte Männer und nahm an, daß auch sie ejakulierten. Da Frauen aber bereits durch ihre Menstruation regelmäßig Flüssigkeit ausschieden, war für sie ein Maßhalten um so bedeutsamer. Andererseits wurde auf die Gefahr der ‰Austrocknungď hingewiesen, wenn sie sexuell inaktiv waren. So befanden sich die medizinischen Texte in Einklang mit den gesellschaftlichen Normen, die wohl vor allem aus erbstrategischen Gründen für Frauen strenger als für Männer waren.

Mögen sich die Grenzen zwischen den Feldern des Erlaubten und Verbotenen auch verschoben haben, - die mit Liebe und Leidenschaft verbundenen Emotionen haben sich kaum verändert, so scheint es zumindest, liest man folgende Zeilen Catulls aus dem 1. Jh. v. Chr.: Odi et amo. quare id faciam, fortasse requiris. nescio, sed fieri sentio et excrucior. (Hassen tu' ich und lieben. Weshalb?, fragst du mich vielleicht. Weiß nicht. Doch daß es so ist, fühle ich und quäle mich.)

Ines Stahlmann

Ines Stahlmann ist Privatdozentin und wissenschaftliche Assistentin am Fachbereich Geschichtswissenschaften.


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