Präsident Gerlach: "Kürzungen sind nicht mehr schadlos zu bewältigen"

Fatale Politik: Abbau West für Aufbau Ost


In Berlin steht vieles in Frage, was vorher beidseits der Mauer fraglos erschien. Das gilt auch für den Westteil. Dieser soll zwar politisch-demokratisch und geistig-international geprägt und tragend bleiben, aber quantitativ abbauen und sich strukturell verändern, um zu Aufbau und Erneuerung des Ostteils beizutragen, denn die Stadt hat wegen rapider Beendigung der Bundeshilfe, eigener Mißwirtschaft und großer Nachholbedürfnisse im abgewirtschafteten Ostteil nicht genug Geld, um die beiden früheren "kapitalen" Teile einheitlich auf oberem Niveau zu finanzieren.

Das praktizieren die West-Universitäten FU, TU und HdK mit dem akzeptierten "Hochschulstrukturplan 1993" bereits beispielhaft, wonach sie (bis 2003) 15.000 Studienplätze abzubauen haben, davon allein 10.000 an der FU mit einer Einsparung von 75 Mio. DM und 650 Personalstellen. AbBer die Politik hat sich nicht verläßlich daran gehalten, sondern wiederholt zusätzliche Kürzungen verfügt, die inzw ischen alle Universitäten, auch die HU, treffen, sich jedoch am schlimmsten zu Lasten der FU massieren, die jetzt bereits annähernd 100 Mio. DM und 550 Personalstellen weniger zur Verfügung hat.


Wieder droht Einstellungsstopp

Vor allem das Ausmaß und die erzwungene kurzfristige Umsetzung dieser Kürzungen sind nicht mehr schadlos zu bewältigen. So droht bei allen Universitäten bald ein Einstellungsstopp, dem vor allem die für eine laufende Erneueru ng nötigen befristeten Qualifikationsstellen zum Opfer fallen. Gleichwohl fragt die Politik allen Ernstes nach weiteren "strukturellen" Einsparungen, womit es ihr in Wirklichkeit weniger um Strukturen als um Kürzungen geht. "Abbau von Doppel- und Mehrfachangeboten" ist jetzt die Parole - als ob das Ideal nur noch in "Einfachangeboten" einer Berliner Universität mit mehreren Standorten zu sehen wäre.

Dabei wird völlig ignoriert, daß die Berliner Universitäten bereits Fächer zusammengelegt haben und auch sonst viel koordinieren und kooperieren, die FU übrigens auch schon in der Planung mit der Universität Potsdam. Gleichzeitig schafft die Politik selbst laufend neue und teuerste Mehrfachangebote, ohne nach dem Geld zu fragen.


Adlershof kostet Milliarden

So bleibt ein naturwissenschaftlicher Campus der HU in Adlershof mit Milliardenkosten weiter Programm, obwohl etwa die Chemie an FU und TU mehr Kapazitäten hat, als Berlin (und Brandenburg) braucht. War um werden nicht die Naturwissenschaften von HU und TU wie die von FU und der Universität Potsdam besser koordiniert, so daß für Adlershof ein gemeinsamer Kooperationsstandort zum dortigen Technologiepark genügt?

Auch bei den zahlreichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird wenig gespart. Dafür wird das Studentenwerk um fast 10 Mio. DM gekürzt. Und an der FU sollen die Informatik und die Zahnmedizin eingestellt werden. Dadurch würden nur unsinnige wissenschaftliche Lücken und zugleich Verschwendungen entstehen, indem gut funktionierende, stark nachgefragte und erst kürzlich mit teuren Investitionen ausgestattete Fächer als unnütz vertan würden.

Das kann kein Wissenschaftspolitiker und auch kein Steuerzahler in Ost- wie in West-Berlin mehr verstehen. Schließlich haben wir längst nur eine Währung und dasselbe Geld, so daß der Mühlstein der Haushaltsnot bald allen am Halse hängt, wenn nicht noch einmal über ein besseres Struktur- und Finanzkonzept zur einheitlichen Entwicklung in Berlin (und Brandenburg) nachgedacht wird.

So geht es auch bei den jetzigen Koalitionsvereinbarungen keineswegs allein ums fehlende Geld, sondern ebenso um politische Prioritäten, und zwar innerhalb des Hochschulsystems wie in dessen Verhältnis zu anderen öffentlichen Aufgaben. W ir haben in Berlin immer noch eine besonders große Zahl von Bezirken mit vielen Posten für Stadträte und Verordnete, dagegen kein einheitsbedingtes Überangebot an Studienplätzen, sondern - gemessen an der Bevölkerungszahl - nur halb soviel wie etwa in München, Frankfurt und Köln. Nur wirtschaftlich gerechnet bringen allein die über 40 % ausw ärtigen Studierenden eine Kaufkraft nach Berlin, die bei den Geistes- und Sozialwissenschaften dem gesamten Staatszuschuß für diese Fächer entspricht.

Es wird also wirklich ernst, weil wir entgegen jeder vernünftigen Planung mit immer neuen Haushaltskürzungen strapaziert und wie die Hasen von den politischen Igeln sinnlos erschöpft gemacht werden.


Die FU hat eine große Tradition zu verteidigen

Dagegen müssen wir uns auch im öffentlichen Protest gemeinsam wehren. Gleichzeitig sind aber auch alle vertretbaren internen Einsparungen zu realisieren, so daß nicht nur angenehme Gewohnheiten aufhören müssen. Trotzdem müssen wir uns vor allem den eigentlichen Aufgaben in Forschung und Lehre zuwenden Die FU hat eine große, westlich-demokratische und internationale Tradition und vielfach hervorragende Wissenschaften zu verteidigen. Darauf sollten wir uns besinnen, denn jedenfalls für uns selbst muß es zuerst um den Sinn und Wert der Universität und ihrer akademischen Gemeinschaft gehen, damit wir daraus auch die Kraft zum Widerstand gegen eine schiere Kürzungs- und Abgabenpolitik finden.

Prof. Dr. Johann W. Gerlach


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