Der Elitenforscher Dietrich Herzog geht in den Ruhestand

Vertreter einer "Nicht-Disziplin"


Wie wird man Bundestagsabgeordneter? Haben die Spitzenpolitiker der Bundesrepublik typische Karrierewege durchlaufen? Wie verändert sich die Rolle des Abgeordneten unter sich wandelnden gesellschaftlich-politischen Anforderungen? Wie ist es um das Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten bestellt? Wie funktioniert der "Spagat" der politischen Führung zwischen Vertretung der Wählerinteressen und der Lösung immer komplexer werdender politischer Probleme?


Dietrich Herzog: Wer regiert das Land?

Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich die Elitenforschung. Wobei es Elitenforschung, als eigenständige Disziplin der Sozialwissenschaften, in Deutschland eigentlich gar nicht gibt. Was auch damit zusammenhängt, daß der Begriff "Elite" durch den Nationalsozialismus diskreditiert wurde und hierzulande erst allmählich den wertenden Unterton verliert.

Ein herausragender Vertreter dieser "Nicht-Disziplin", Professor Dietrich Herzog, wurde im Oktober vom Fachbereich Politische Wissenschaft mit einem Colloquium geehrt und zugleich (zumindest offiziell) in den Ruhestand verabschiedet.

Dietrich Herzog war seit 1973 Professor für Politische Wissenschaft an der FU, zugleich Mitglied und viele Jahre Vorsitzender des Institutsrats des (inzwischen aufgelösten) Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung.

In seinen Forschungsarbeiten hat sich Herzog mit dem parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik, mit der Funktionsweise und den Funktionsproblemen der repräsentativen Demokratie beschäftigt. Dabei hat er aber immer, und das macht das Besondere seiner wissenschaftlichen Arbeit aus, die handelnden Personen zum Gegenstand seiner Forschung gemacht. Im Kern besteht jedes politische System zunächst aus Akteuren: sowohl individuellen (z.B. Abgeordneten, Ministern), als auch kollektiven (z.B. die wahlberechtigte Bevölkerung, Parteivorstände, Parlamentsfraktionen). Herzog hat in seinen empirischen Forschungsprojekten das komplexe Wirkungsgefüge zwischen all diesen Akteuren untersucht, und damit die Funktionsweise unseres politischen Systems unter den sich wandelnden Anforderungen transparenter gemacht.

Es gibt wohl keinen anderen Wissenschaftler, der sich dieser Forschungsrichtung so kontinuierlich und umfassend gewidmet hat. Seine Veröffentlichungen sind Standardwerke der Fachliteratur und in der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft ist Elitenforschung untrennbar mit seinem Namen verbunden.

Dietrich Herzog war aber nicht nur als Forscher, sondern auch als Lehrer tätig. Im Umgang mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs hat er eine besondere Gabe: zu fördern und anzuleiten ohne zu gängeln, eigenständiges Denken zu unterstützen und Kritik so zu formulieren, daß sie nicht nur konstruktiv ist, sondern zugleich motivierend wirkt.

Eine Bilanz der wissenschaftlichen Tätigkeit von Dietrich Herzog kann hier nicht gezogen werden. Die käme auch sicher zu früh, denn nach Ruhestand sieht es bei ihm bislang noch nicht aus. Im laufenden Wintersemester bietet er ein Seminar über die Bedeutung der Elitentheorie und Elitenforschung für die Politikwissenschaft an, und vermutlich wird es auch noch einigen Examenskandidaten oder Doktoranden gelingen, ihn mit einem interessanten Thema als Betreuer für ihre Abschlußarbeit zu gewinnen. In seinem Arbeitszimmer steht ein Ordner mit der Beschriftung "Elitenprojekte, nicht realisiert". Wer weiß, vielleicht schlägt er diesen Ordner auch noch mal auf.

Bettina Scholz


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