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Ursula Raue


Im Dahlemer Haus, wo die Juristin Ursula Raue mit ihrer Familie wohnt, sieht es beinahe aus wie in einer Galerie für moderne Kunst. Denn Jura war nie alles im Leben der Vorsitzenden des Deutschen Juristinnenbundes (DJB). Mit dem Sammeln von Kunst begann sie, sobald sie eigenes Geld verdiente.

Ursula Raue, 1943 in Westfalen geboren, hatte die Schule abbrechen und stattdessen eine Lehre anfangen müssen, weil sie nach dem Tod ihres Vaters das Schulgeld nicht mehr aufbringen konnte. Teilen der Familie, sagt Frau Raue, war dies willkommen, denn mit dem Gedanken, daß das Mädchen Abitur machen könnte, freundeten sie sich nur schwer an; sehr zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte.

Abfinden mußten sie sich damit, denn die mittlerweile 22jährige holte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und ging nach Berlin an die FU, um Jura zu studieren. Man schrieb die letzten Jahre der Sechziger, und die Studentenrevolte fing an, in die Gänge zu kommen. Das "Mädchen vom Lande" nahm an Diskussionen und Demos nicht in der ersten Reihe teil, war aber mit großem Interesse dabei. "Zu Reden von Rudi Dutschke ging man hin", berichtet die 53jährige.

Nach ihrem 1. Staatsexamen machte sie 1972 ein Praktikum bei der EG-Kommission in Brüssel. Obwohl dort direkt nach dem Beitritt Englands und Irlands zur EG viel los war, freute sie sich auf die Rückreise.

Wieder in Berlin arbeitete sie als Assistentin im Abgeordnetenhaus für die Ausschüsse Wissenschaft, Kultur und Schulen. Inzwischen hatte sie geheiratet, und ihr Mann Peter, ebenfalls Anwalt, war gerade dabei, seine Anwaltskanzlei aufzubauen, als 1976 ihre Tochter geboren wurde. Damals war sie noch überzeugt, Kinder, Ehe und Beruf problemlos unter einen Hut bekommen zu können. Als dann aber zwei Jahre später ihr Sohn zur Welt kam, mußte sie feststellen, daß sie nicht mehr genug Zeit für alles aufbringen konnte. "Hätte ich weiter gearbeitet, wäre meine Ehe ziemlich schnell am Ende gewesen."

Einzig und allein der Hausfrauentätigkeit wollte sich Ursula Raue jedoch auch nicht verschreiben. Aber es gab ja noch die Kunst: Ende der siebziger Jahre gründeten sie und ihr Mann den Verein der Freunde der Nationalgalerie.

Seit den achtziger Jahren engagiert sie sich für den Deutschen Juristinnenbund (DJB), der sich seit seiner Gründung 1914 für eine gesetzliche Gleichberechtigung der Frau nicht nur im Grundgesetz einsetzt. 1993 wurde sie zur Vorsitzenden gewählt. Seitdem koordiniert sie die Verteilung der Expertinnen in den Kommissionen des Verbandes, der derzeit fast 2500 Mitglieder hat.

Seit der Neuwahl des FU-Präsidenten Gerlach sitzt sie zudem als Frauenvertreterin im Kuratorium der Freien Universität. Stolz weist Ursula Raue darauf hin, daß es ihr im letzten Semester gelungen ist, zu verhindern, daß 15 geförderte Wissenschaftsstellen für Frauen an die Humboldt-Universität abwandern.

Für ihre eigene Zukunft hat die Juristin, die übrigens auch ein Anwaltspatent besitzt, schon feste Pläne, wenn demnächst ihr Vorsitz im DJB ausläuft. Sie macht seit anderthalb Jahren eine Zusatzausbildung in Mediation und will Ende des Jahres ihre eigene Praxis eröffnen. Mit Meditation hat das nicht das geringste zu tun hat, vielmehr geht es um die außergerichtliche Schlichtung von Streitfällen: psychologisch geschulte Juristen wollen den Parteien helfen, ohne Gerichtsverhandlung zu einer tragfähigen Lösung ihres Konflikts zu kommen.

Hier, so meint Raue, könnte sich für junge Juristinnen und Juristen ein interessantes neues Aufgabengebiet auftun. Und so sieht sie denn auch die Lage der JurastudentInnen weniger pessimistisch als andere.

Birgit Bohn


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