Brief aus Berkeley



The Sather Gate ö Eingang zur University of California, Berkeley

Neun Monate dieses Jahres habe ich im Rahmen meiner Habilitationsarbeit am Soziologischen Institut der University of California in Berkeley verbracht, um von dort aus den amerikanischen Teil einer vergleichenden Untersuchung über Konversion zum Islam in Deutschland und den Vereinigten Staaten zu bearbeiten. Neun Monate, das ist lange genug, um den Punkt zu erleben, an dem man nicht mehr touristisch alles Neue in sich aufsaugt, sondern anfängt, in einem anderen Land tatsächlich zu leben. Plötzlich ist man wirklich weg von Zuhause.


Von Monika Wohlrab-Sahr /
aus Berkeley zurück

Als Deutsche in die USA zu gehen, impliziert noch vor jeder inhaltlichen Auseinandersetzung eine Konfrontation mit den eigenen Vorurteilen. Gerade in linken Subkulturen glaubt man ja oft vor jeder direkten Erfahrung bereits sehr viel zu wissen über die Vereinigten Staaten: angefangen vom schlechten Essen, über die schlechte Allgemeinbildung, das mangelnde Geschichtsverständnis und die Oberflächlichkeit der Beziehungen, bis hin zum Rassismus und Kulturimperialismus. Bei anderen findet man ö als entgegengesetztes Extrem ö dann wieder eine überbordende Begeisterung für das Land der "unbegrenzten Möglichkeiten", das uns angeblich die eigene Zukunft vor Augen hält. Viele der Amerikaner, die ich getroffen habe, sind immer wieder auf solches "Schon-Bescheid-Wissen" gestoßen und waren es leid, sich dagegen verteidigen zu sollen. Umgekehrt gibt es natürlich auch festsitzende Bilder über Deutschland und Deutsche, die durch aktuelle Ereignisse leicht wiederbelebt werden. So bildet der Nazismus noch immer die Folie, auf der Nachrichten aus Deutschland schnell interpretiert werden. Und im Hinblick auf ihren Habitus gelten Deutsche oft als sehr zugeknöpft (aber auch verbindlich) oder auch ö gespeist aus einem deutschen Schuldgefühl ö als besonders moralisierend im Hinblick auf Fragen des Rassismus. Und natürlich ertappt man sich selbst gelegentlich dabei, solche Vorurteile zu reproduzieren oder auch zu bestätigen. Die Auseinandersetzung mit solchen Bildern war ö vor allem im Austausch mit Amerikanern, die selbst längere Zeit in Europa gelebt haben ö ein spannender Begleiteffekt dieser Reise.

Dadurch, daß ich zwar als Gastwissenschaftlerin an der Universität Berkeley war, aber eigenständig Forschung betrieben habe, bewegte ich mich in einem merkwürdigen Spannungsfeld. Auf der einen Seite dieses Spannungsfeldes stand die University of California, Berkeley, die als öffentliche Bildungseinrichtung zu den führenden amerikanischen Universitäten gehört, mit etwa 30.000 eingeschriebenen Studenten unterschiedlichster ethnischer Herkunft.


Der Sitz der Soziologen

Berkeley wirbt damit, daß seit Beginn der 80er Jahre keine ethnische Gruppe unter den Studierenden die Majorität habe, was vor allem auf den hohen Anteil asiatischer Studierender zurückzuführen ist, die heute mehr als 40 Prozent der undergraduates ausmachen. Programme zur Förderung ethnischer Minderheiten ö sogenannte affirmative action ö waren hier offenkundig erfolgreich, sind aber mittlerweile unter starken politischen Beschuß geraten.

Den Campus charakterisiert eine quirlige Atmosphäre. Es finden sich zahlreiche CafŽs und Buchläden, eine Fülle studentischer Infotische mit diversen politischen und religiösen Materialien und gleich über die Straße dann Verkaufsstände mit Schmuck und Räucherstäbchen. So verschmilzt der Campus mit dem angrenzenden Teil der Stadt zu einem großen multikulturellen Jahrmarkt. Und wie ein Jahrmarkt wirkt auch diese Situation in ihrer Vielfalt etwas beliebig. Jeder kann hier sagen und anbieten, was er will, er wird aber vermutlich nur selten auf wirklich beteiligte Reaktionen treffen. Selbst die Demonstrationen auf dem Campus, auch dort wo sie sich ö für deutsche Ohren ö eines sehr radikalen Vokabulars bedienen ö erschüttern amerikanische Gemüter letztlich doch wenig. So etwa eine Demonstration muslimischer Studenten, von denen sich einige ö in Militärkleidung ö angesichts israelischer Bombardements lautstark mit Hamas solidarisierten. Bis auf eine kleine Gruppe jüdischer Studenten war freilich kaum jemand empört. Man ließ sich in der Mittagssonne zum Lunch nieder, hörte ein wenig zu und ging wieder seiner Wege.

Die andere Seite dieser Spannung zwischen Universität und Feldforschung verkörperte Oakland ö eine an Berkeley angrenzende Industriestadt mit etwa 370.000 Einwohnern. 44 Prozent davon sind Schwarze, 15 Prozent Asiaten, 14 Prozent sogenannte Hispanics. Hier hat der "Multikulturalismus" weniger den leichten, spielerischen Charakter wie an der Universität. Bis auf wenige Wohngegenden, in denen sich eine kleine schwarze Mittelschicht neben der weißen Bevölkerung etablieren konnte, ist die Siedlungsstruktur in großen Teilen sehr aufgespalten. Zu Beginn meines Aufenthaltes setzte ich mich einmal in einen Bus und fuhr einfach immer weiter. Während es zu Beginn eine vielfältige Mischung von Fahrgästen gab, waren, je mehr sich der Bus "downtown" näherte, fast nur noch Schwarze und Asiaten im Bus, bis ö nach Chinatown ö schließlich die "Belegschaft" ausschließlich schwarz war. Erst in den Vororten ö der Bus war inzwischen fast leer ö war ich dann einer der mittlerweile ausschließlich weißen Fahrgäste. Meine Interviews und die Feldforschung in diversen Moscheen brachten mich später erneut in die schwarzen Wohngegenden, Gegenden, in die ich ohne diese Forschung nie gekommen wäre. Gibt es doch für weiße Mittelschichtsangehörige keinen Grund, dorthin zu fahren: keine Kneipen, Restaurants, Kinos, Museen, Bibliotheken; stattdessen: liquor stores, ab und zu kleine Kosmetikläden, in denen sich schwarze Frauen die beliebten langen und vielfältig verzierten Fingernägel herrichten lassen, gelegentlich einen kleinen Supermarkt und dazwischen verstreut Kirchen und Moscheen.

Es ist mir nie ganz gelungen, einzuschätzen, wie ernst die Warnungen vor Überfällen zu nehmen waren, die mir amerikanische Bekannte von Anfang an mit auf den Weg gaben: in bestimmte "bad neighborhoods" nicht allein oder zumindest nicht abends zu gehen, nur mit dem PKW dorthin zu fahren, generell abends vorsichtig zu sein. Anfangs beeinträchtigten diese Warnungen sehr stark meine Unbefangenheit. Nach einiger Zeit gelang es mir, sie etwas zu relativieren: sie als Ratschläge nicht völlig zu ignorieren, aber auch nicht alle meine Erkundungen davon beeinflussen zu lassen. Mit der Zeit stellte ich dann auch fest, daß die Beispiele von Gewalttaten, die erzählt wurden, häufig dieselben waren. Offenkundig drückte sich in diesen gutgemeinten Warnungen nicht nur die objektiv gefährlichere Situation aus, sondern auch eine bestimmte Form von sozialer Angst, die etwas aussagt über die Stimmungslage einer Gesellschaft. Wie etwa soll man es beurteilen, daß eine Universität wie Berkeley über eine eigene Campus-Polizei verfügt?

Die Erfahrungen am soziologischen Institut waren am Anfang etwas ernüchternd. Nachdem der Zugang sehr einfach gewesen war ö ich hatte mit einem der führenden Religionssoziologen der USA einen kurzen Briefwechsel und ein einmaliges Treffen und wurde daraufhin von ihm eingeladen ö zeigte sich dann vor Ort, daß damit die Leistungen von Seiten des Einladenden auch erfüllt waren. Ich war ö wie auch die anderen visiting scholars ö völlig auf mich gestellt. Wir teilten uns zu fünft ein fensterloses Büro, es gab keinerlei institutionalisierte Formen der Kontaktaufnahme, wie etwa ein gemeinsames Mittagessen, oder Möglichkeiten, die eigenen Arbeiten im Kollegenkreis einmal zur Diskussion zu stellen. So mußte man je des Gespräch, das man führen wollte, erst eigens arrangieren. Konkret hieß das: man trug sich in eine Liste ein, die die Hochschullehrer für ihre Sprechstunden an der Tür hängen hatten. Nach einer ersten Enttäuschung konnte ich die Situation für mich neu definieren und mich darauf einstellen, daß ich diesen Forschungsaufenthalt von Anfang bis Ende eigenständig zu gestalten und mich um Kontakte und wissenschaftlichen Austausch selbst zu bemühen hatte. Das allerdings hat sich für mich gelohnt.

Dr. Monika Wohlrab-Sahr ist Diplom-Soziologin und wissenschaftliche Assistentin am Institut für Schulpädagogik und Bildungssoziologie der FU. Sie arbeitet an einer Habilitation über Konversion zum Islam in Deutschland und den USA. Ihren Forschungsaufenthalt von Januar bis September 1996 an der University of California, Berkeley finanzierte sie mit Hilfe eines Habilitationsstipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).


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