Juristische Notizen zu einem "Gemeinsamen Land"

Roter Adler, schwarzer Bär


Daß aus Berlin und Brandenburg Berlin-Brandenburg werde, hält die Mehrzahl der Parlamentarier beider Länder für sinnvoll. Ob es auch die Bevölkerungen so sehen, steht dahin. Es soll sich im Mai 1996 erweisen. Auch dieser "Einigungsprozeß" wäre juristisch kompliziert; (nur) dazu gibt der Beitrag einige Hinweise.


Aus der Sicht des Grundgesetzes (GG) geht es um eine sogenannte Neugliederung. Artikel 29 GG sagt, das Bundesgebiet "könne" neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, daß die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. Zu berücksichtigen seien dabei landsmannschaftliche Verbundenheit, geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge, wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung. Dies klingt vernünftig und stand so ähnlich schon seit 1949 im GG, zunächst sogar als Verpflichtung zum Neuzuschnitt, die innerhalb von drei Jahren zu erfüllen sei. Fast alle damaligen Länder erschienen als Zufallsprodukte. Bundespräsident Theodor Heuss nannte sie "weniger originär als originell".


Schon die Weimarer Verfassung hatte Neugliederung erstrebt, wollte Kleinstaaterei abbauen, auch preußische Dominanz; es gelang nicht. Auch unter dem GG versandete der politische Wille zur Neugliederung, und 1976 wurde die peinlich gewordene Neugliederungspflicht in eine Kannvorschrift umgeschrieben und damit ruhiggestellt. Das war teilweise Beharrungsinteressen der in den Ländern gebildeten Institutionen zuzuschreiben, vielleicht auch schon der Herausbildung gewisser Identitätsgefühle jedenfalls in einigen Ländern. Außerdem hatte das GG Verfahrensvorgaben von äußerster Kompliziertheit getroffen ö an seiner einzigen Stelle, die nicht allein auf repräsentative Demokratie setzt, sondern auch auf Volksentscheid, Volksbegehren, Volksbefragung. Auch die letzte Volkskammer der DDR fand übrigens im turbulenten Vereinigungsjahr nicht die Kraft, bei der Neubegründung einer föderalen Struktur andere Kriterien anzusetzen als das einer historischen Momentaufnahme.

Der Einigungsvertrag faßte dann die "Neugliederung" (allein) für Berlin und Brandenburg ins Auge. Um der hemmenden Wirkung des komplizierten Art. 29 zu entgehen, wurde schließlich ö 1994 ö Artikel 118 a in das GG aufgenommen. Er lautet: "Die Neugliederung in dem die Länder Berlin und Brandenburg umfassenden Gebiet kann abweichend von den Vorschriften des Art. 29 unter Beteiligung ihrer Wahlberechtigten durch Vereinbarung beider Länder erfolgen." Ähnlich hatte man es schon 1949 für den südwestdeutschen Raum gehalten und wohl nur dadurch die 1952 erfolgte Bildung Baden-Württembergs ermöglicht. Werden Berlin und Brandenburg die zweite Ausnahme bilden? Nach den bisherigen Erfahrungen: Wohl jetzt ö oder nie.


Berlin-Brandenburger Fusionsrecht


Der Weg hin zur Bildung eines gemeinsamen Landes wurde durch zahlreiche Rechtsgrundlagen gepflastert, durch Bundesrecht, Landesrecht und Verträge. Dabei geht es um Verfahren, um Übergangszeiten und um die Umrisse des denkbaren Endprodukts. Auch das Bundesrecht wurde dabei von Berlin und Brandenburg, teils in Gemeinsamkeit, beeinflußt. Beide Regierungen hatten schon 1991 eine entsprechende Regierungskommission eingerichtet und u.a. den Erlaß eines Bundesgesetzes "zur Regelung der finanziellen Voraussetzungen" betrieben, das lindernde Übergänge vorsieht. Ohne solche Vorkehrung entfiele das Stadtstaatenprivileg Berlins beim Länderfinanzausgleich, und auch bei der Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer sowie bei den sogenannten Ergänzungszuweisungen ergäben sich erhebliche Nachteile.

Schließlich konnten sich die Regierungen beider Länder im April 1995 auf einen "Neugliederungsvertrag" einigen, der in Landtag wie Abgeordnetenhaus am 22.6.1995 die notwendige Zweidrittelmehrheit fand. Ende Juni 1995 trat der Vertrag in Kraft, ebenso ein "Landesplanungsvertrag" und ein Staatsvertrag über die Durchführung der Volksabstimmung. Diese soll am 5.5.1996 getrennt in beiden Ländern durchgeführt werden. Dabei geht es um das Ob und das Wann, wobei 1999 und 2002 zur Auswahl stehen. Die Abstimmungsfrage wird lauten: "Stimmen Sie dem Vertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes zu?" Als Zustimmung gilt in jedem der beiden Länder die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, die aber mindestens jeweils ein Viertel der Abstimmungsberechtigten umfassen muß. Die zeitbezogene Zusatzfrage wird lauten: "Soll das gemeinsame Land gebildet werden im Jahr 1999 oder im Jahr 2002?" Das Land würde dann in dem Jahr gebildet, auf das in jedem der beiden Länder die meisten Stimmen entfallen. Bei insoweit unterschiedlichen Antworten: 2002.


Zur Gestalt des neuen Landes


Allein der Neugliederungsvertrag umfaßt 60 Artikel, dazu "Protokollnotizen" und einen "Briefwechsel" (zum Braunkohleproblem), auch "Anlagen", unter denen sich ein "Organisationsstatut" befindet. Es würde im Übergang teilweise die Funktion einer Verfassung wahrnehmen. Die Verfassung des gemeinsamen Landes soll auf der Grundlage beider bisherigen Verfassungen erarbeitet werden, bedarf der Zustimmung in Abgeordnetenhaus und Landtag, und soll Gegenstand einer Volksabstimmung am Tag der Wahl zum ersten gemeinsamen Landtag sein. Der Weg zur neuen Verfassung würde schwierig genug sein. In Berlin galt bis vor kurzem die Verfassung des alten Westteils von 1950 in wenig veränderter Form. Am 22.10.1995 stimmte das Wahlvolk einer um Modernisierung bemühten Version zu, die sich inhaltlich nicht unerheblich von der gegenwärtigen Verfassung Brandenburgs unterscheidet. Vor allem gegen die Modalitäten der Verfassungsfindung und die damit verbundene Ablösung der gegenwärtigen brandenburgischen Verfassung richtet sich der juristische Angriff von 18 Abgeordneten der PDS vor dem Verfassungsgericht in Potsdam, ein seit Ende September 1995 laufendes "Normenkontrollverfahren".

Der Neugliederungsvertrag gilt, wie gesagt, schon jetzt und organisiert die Vorbereitung der Fusion, doch trifft er auch Festlegungen, die die Gestalt des neuen Landes umreißen. Berlin-Brandenburg mit der Hauptstadt Potsdam würde Berlin als "Gemeinde" kennen, genauer als "Einheitsgemeinde" mit (rechtlich unselbständigen Stadt-) Bezirken. Berlin wird eine Stadtverordnetenversammlung haben, einen Oberbürgermeister und einen Magistrat, der sich aber "Senat von Berlin" nennen darf. Auch weitere Äußerlichkeiten sind geregelt, detailliert das Wappen, mit goldenem Kleestengel für die Flügel des Adlers und ö ausdrücklich "aufgerichtetem" Bären. Nicht alle Vorschriften lassen dermaßen klar erkennen, was die Zukunft bringen soll. Für die Landesentwicklung wird das "Leitbild der dezentralen Konzentration" vorgegeben, ist vom Interessenausgleich zwischen Berlin, "dem angrenzenden Teil des engeren Verflechtungsraums" und "dem äußeren Entwicklungsraum" die Rede, auch von "polyzentrischer Entwicklung" des Gesamtraumes auf der Grundlage "zentralörtlicher Gliederung". Auch wenn es sich bei der Abstraktionshöhe solcher Vorgaben kaum gleich erschließt: Dies hat Bedeutung auch für die Freie Universität. In einer Protokollnotiz ist von einer Beauftragung der Wissenschaftsressorts (in Verbindung mit den Innen- und Finanzressorts) die Rede, bis Ende 1997 eine gemeinsame Hochschulstrukturplanung für den Gesamtraum beider Länder vorzulegen. Ziel soll die "Steigerung von Qualität und Leistungsfähigkeit, Zusammenarbeit und Wirtschaftlichkeit" sein: "Der in Berlin geplante Abbau von Studienplätzen" ö von zur Zeit etwa 115.000 auf etwa 100.000 im Jahr 2003 ö soll zum Aufbau in Brandenburg genutzt werden; dort gibt es zur Zeit etwa 13.000 Studienplätze, aber 34.000 sind ins Auge gefaßt. Das würde die Fächerangebote und die wissenschaftlichen Profile der Einrichtungen nachhaltig betreffen, vorhandene Einzelangebote wären ab- oder umzubauen. Die "gemeinsame Hochschulstrukturkommission" soll dies steuern, aus wohl offensichtlichen Gründen überwiegend aus auswärtigen Sachverständigen zusammengesetzt.

In dem Abschnitt des Vertrags über "einzelne Sachgebiete", der sich z.B. zu Schulen, Polizei, auch Gerichten und Behörden erklärt, findet man die Universitäten nicht. Jedenfalls "neue Körperschaften", zu diesen zählen Universitäten, dürfen nur noch im Einvernehmen beider Länder gebildet werden. Die heute in Berlin und Brandenburg vorhandenen Universitäten würden im gemeinsamen Land in deutlich verändertem Rahmen konkurrieren und kooperieren. So bestimmt das Wahlvolk im kommenden Mai auch darüber, ob es dereinst eine berlinbrandenburgische Freie Universität geben wird, die dann ihre Rolle und Gestalt noch finden und sich alsbald darauf vorbereiten müßte.

Philip Kunig


Philip Kunig ist Professor für Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Völkerrecht an der FU und Richter am Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin.


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