Untersuchungen des Phytoplanktons im Unteren Odertal

Ein Blick in das "nasse Element"


Flußauenlandschaften sind in Deutschland rar geworden. Die Begradigung von Flüssen, um diese u.a. für den intensiven Lastschiffverkehr nutzbar zu machen, läßt die natürlichen flußbegleitenden Landschaften verschwinden. Um so wichtiger erscheint es, noch vorhandene Lebensräume dieser Art zu erhalten.

Ihre Erhaltungswürdigkeit ist in zweierlei Hinsicht gegeben. Zum einen besitzen sie eine wichtige Funktion im Hochwasserschutz, denn sie dienen während der Winter- und Frühjahrshochwasser als großräumige Überschwemmungsbereiche und können die Pegelstände der Flüsse somit ausgleichend beeinflussen. Zum anderen können Auenlandschaften als Refugium einer ganz eigenen und sehr artenreichen Pflanzen- und Tierwelt angesehen werden.

Das Untere Odertal - ca. 130 km nord-östlich von Berlin gelegen - stellt eine dieser letzten Flußauenlandschaften Deutschlands dar. Es erstreckt sich über eine Länge von 60 km entlang der deutsch-polnischen Grenze und liegt zwischen Hohensaaten im Süden und Stettin (Szczecin) im Norden. Eingerahmt wird das Untere Odertal von zwei Fließgewässern - in Deutschland von der Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße und der Oder, in Polen von der West- und der Ostoder. Die zahlreichen Altwasser, die das Bild dieser Landschaft prägen, werden in Nordostdeutschland als stark gefährdete Biotope eingestuft. Vermutlich ist es der relativ geringen Nutzung dieses grenznahen, strukturschwachen Gebietes zu verdanken, daß das Gefüge dieser 3-5 km breiten Flußniederung in den letzten Jahrzehnten erhalten geblieben ist.

Um ein solches Gebiet langfristig zu schützen, ist es notwendig, das Artenspektrum der Lebensgemeinschaften zu kennen und ihre Reaktionen auf die Dynamik der ökologischen Einflüsse verstehen zu lernen. Mehrere Arbeitsgruppen der Fachbereiche Biologie der FU und der TU Berlin arbeiten seit Anfang der 90er Jahre im Gebiet. Algen - im speziellen Phytoplankter - der Gewässer des Unteren Odertales sind die Untersuchungsobjekte der hier vorgestellten Arbeit. Diese frei im Wasser schwebenden, mikroskopisch kleinen Organismen finden zunächst nur bedingtes Interesse, wenn es um Arten- bzw. Biotopschutz geht. In diesem Zusammenhang denkt eine jede zunächst an seltene Blütenpflanzen oder vom Aussterben bedrohte Tiere. Doch das Phytoplankton steht - neben den Bakterien - an der Basis der Gewässer-Nahrungsnetze und bildet mit seiner Entwicklung die Grundlage für die Entwicklung dieser ·kosysteme. Die Identifizierung und Quantifizierung dieser Algen läßt Aussagen über den Zustand eines Gewässers - z.B. den Trophiegrad - zu. Über vergleichende Betrachtungen der Nährstoffgehalte und der Entwicklungen anderer Glieder der Nahrungsnetze lassen sich Zusammenhänge des Systems See erkennen und verstehen.

Zwar ist die Oder selbst - z.B. in den 60er Jahren - hinsichtlich ihres Algenbestandes intensiv untersucht worden. Aus den angrenzenden Poldergebieten fehlen jedoch Untersuchungen dieser Organismengruppe vollständig. So habe ich im Rahmen meiner Diplomarbeit das Hauptaugenmerk zunächst auf die Erfassung des Phytoplankton-Artenspektrums gelegt. Mit weit über 200 nachgewiesenen Arten stellt sich das Gebiet als hoch divers dar. Innerhalb dieses Artenspektrums finden sich einige seltene Algen, von denen nur wenige weitere Funde aus Europa bekannt sind. Zur Charakterisierung noch unzureichend untersuchter Algensippen muß in der weiterführenden Arbeit die Kultivierung einzelner Individuen herangezogen werden. Durch Algenzählungen kann ein Maß für die Produktivität des Phytoplanktons - Biovolumen in mm3/l - ermittelt werden. Die ersten Ergebnisse zeigen, daß diese Produktivität z.B. der des Lietzensees oder des Müggelsees vergleichbar ist und daß die Gewässer des Unteren Odertales demzufolge als hocheutroph bezeichnet werden können. Dies kann zum einen mit den Nährstoffeinträgen aus gewässerangrenzenden Weideflächen erklärt werden. Zum anderen werden mit jeder Überschwemmung hohe Nährstoff-Frachten durch das einfliessende Oderwasser ins Gebiet eingetragen.

Die Besonderheit der Gewässer des Unteren Odertales liegt darin, daß sie - im Gegensatz zu anderen stehenden Gewässern - kaum eine historische Komponente aufweisen. Ihre Entwicklung wird mit jeder Überschwemmung in den Wintermonaten beendet und ihr eigener Seecharakter durch die Gesamtwasserfläche aufgehoben. Erst nach Abfluß des Hochwassers im April/ Mai des nächsten Jahres beginnt ihre Entwicklung erneut. Welche Besonderheiten die Phytoplanktongemeinschaften dieser Gewässer im Jahresverlauf auszeichnen und welche beeinflussende Größe der dynamisch auftretenden Überschwemmung zugeschrieben werden kann, soll im Rahmen der Dissertation herausgearbeitet werden. Derartige Ergebnisse können im weiteren unter anderem als Datenbasis dienen, Veränderungen im Gebiet zu erkennen und gegebenenfalls im Sinne des Naturschutzes zu steuern.

Um diese Landschaft in ihrer Struktur und ihrer Besonderheit zu erhalten, wurde nach der deutsch-deutschen Grenzöffnung 1989 die Idee eines grenzüberschreitenden Nationalparks "Unteres Odertal" geboren. Der polnische Bereich ist bereits seit April 1993 gesetzlich gesichert. Das deutsche Gebiet - zuvor nur einstweilig gesichert - wurde im Juni 1995 durch ein Nationalparkgesetz ebenfalls endgültig unter Schutz gestellt.

Juliane Kasten



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