Das interkulturelle Experiment des SFB

Radio MultiKulti: Babylon auf dem Äther


SFB4-MultiKulti ist ein Experiment, ein dreijähriger Modellversuch seit September 94, in einem Radio-Vollprogramm den multikulturellen Aspekt der Hauptstadt Berlin zum Thema zu machen; eine Welle, die informieren und zur Bewahrung kultureller Identität der in der Stadt lebenden Migrantengruppen beitragen will, zugleich aber auch einen Integrationsauftrag hat.

Daraus ergibt sich ihr Doppelcharakter: als Tagesbegleitprogramm von 6 bis 16 Uhr in der lingua franca deutsch und als Zielgruppenprogramm in insgesamt 18 Fremdsprachen von 16 bis 22.20 Uhr. Klammer für beide Sendestrecken ist die Musikfarbe Weltmusik, oder ex negativo definiert: angloamerikanischer Rockpop findet nicht statt.

Drei Aspekte müssen hervorgehoben werden:
1. Wir versuchen, in den deutschsprachigen Programmen ausländische Journalisten als Moderatoren und Kommentatoren mit ihrer "Außensicht" zu Wort kommen zu lassen.
2. Wir bemühen uns, in täglichen Sendestrecken dem Integrationsgedanken mit Themen und Informationen gerecht zu werden (in einem "Forum des Dialogs").
3. Wir leisten praktische Hilfestellung mit Service-Angeboten und Orientierungshilfen im sozialen Bereich, auf Deutsch und in den Muttersprachen der verschiedenen Migrantengruppen.


Radio MultiKulti: Aus aller Welt auf einer Welle

Ein solches multikulturelles Radio soll aber zugleich ein ganz "normales" Radio sein, nicht moral- oder problemorientiert (was nicht immer gelingt). Es soll die kulturelle Vielfalt des Berliner Alltags bringen. Es soll - auch dies ein wesentlicher Wunsch der Macher - lustvolles Hören garantieren.

Dieser Modellversuch ist in vielerlei Hinsicht tatsächlich ein Experiment. Er ist nicht nur mit deutlich weniger Personal und Sachmitteln als andere öffentlich-rechtliche Programme ausgestattet, sondern ist auch mischfinanziert. Er lebt von Zuwendungen der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, des Bundesarbeitsministeriums und des SFB.

Das low-budget-Programm engt den Rahmen der journalistischen Möglichkeiten empfindlich ein, läßt aber zumindest die Möglichkeit, in einem bisher noch unerschlossenen Programmfeld zu experimentieren. Im übrigen entspricht dieses Spartenprogramm präzise dem vom Bundesverfassungsgericht am 22.2.94 formulierten Urteil über den öffentlich-rechtlichen Auftrag.

Ein Experiment ist dieser multikulturelle Radioversuch auch in anderer Hinsicht: Wie kann Integration geleistet werden? Integration ist keine meßbare Größe. Wie kann verhindert werden, daß diese Welle zum Ghetto wird und ihre gesellschaftspolitisch wichtigen Themen aus den Mainstream-Programmen gestrichen werden, weil sie bei SFB4 - MultiKulti vorkommen? Eine berechtigte Frage.

SFB4 hat eine klar umrissene Aufgabe, die andere öffentlich-rechtliche Programme nicht erfüllen können. Darüber hinaus hat es sich die Welle zur Pflicht gemacht, Nachwuchsjournalisten zu professionalisieren und für einen bestimmten Themenkomplex zu sensibilisieren - Qualifikationen, die sie später in die Mainstream-Programme hineintragen können. Auch hat sich gezeigt, daß mittlerweile SFB4-Themen sogar übernommen werden, von Ghetto also keine Rede sein kann.

Vielleicht werden für heute noch offene Fragen am Ende des Modellversuchs Antworten gefunden. Wie gehen die Hörer mit dem Spagat Tagesbegleit- und Zielgruppenprogramm um? (Erfreulich ist immerhin die Tatsache, daß die Welle nach jüngsten Erhebungen eine sehr gute Hörerbindung hat: MultiKulti-Hörer hören lange zu.) Welche Fremdsprachen treffen die Interessen der Hörer? Welche Sprachen fehlen, welche werden nicht ausreichend angenommen? Repräsentative Umfragen werden nicht genügen. Nur präzise und qualitative Untersuchungen können hier Aufschluß geben. Gedulden wir uns.

Mit Genugtuung können wir schon heute feststellen, daß das nationale und internationale Interesse (Europarat, Europäische Union, UNESCO u.s.w.) an dem Berliner Modellversuch über die Maßen groß ist.

Doch auch die positive Medienbegleitung motiviert die Radiomacher zum Durchhalten.

Friedrich Voß


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