Portweinmousse für Experimentalphysiker

Von einem Restaurant-Kenner getestet: die Mensa am Kiebitzweg


Doch, das macht was her. Einfach in die Vorhalle gehen, den Blick zur Decke heben und auf den TV-Monitoren lesen, was Appetit macht. Der Speiseplan, direkt nach draußen übertragen - von diesem Trick der FU-Mensa am Kiebitzweg können auch Luxushotels noch was lernen. Allerdings ist das System noch nicht ganz ausgereift. Nach dem Vorbild der Flughafen-Anzeigetafel wären noch aktuellere Informationen denkbar: Kalbsbraten gegenwärtig ausverkauft, wird in zehn Minuten frisch nachgeliefert oder Letzter Aufruf für die Tofurolle !

Man wird mir die Verwirrung nachsehen. Vor - sagen wir - 15 Jahren holten wir uns an einer Kasse Papierbons ab, die Essensangebote hießen "Stamm 1" oder "Stamm 2". Heute stehen die hungrigen Studenten mit einer Art Kreditkarte vor Automaten, die "Aufwertung" versprechen und größere Geldscheine schlucken. Das alles ist dem Zufallsbesucher so einsichtig wie eine Vorlesung über Spezialfragen der Linearen Algebra und erfordert Studienberatung. Gäbe es nicht noch eine Bargeld-Kasse, dieser Bericht wäre nie erschienen.

Erste Überraschung: Die Studentenschaft zerfällt offenbar, von keinem Soziologen gewürdigt, je zur Hälfte in Vegetarier und Hardcore-Fleischesser. Seltsam, daß es nicht zu Handgemengen kommt zwischen jenen, die hart links Blut- und Leberwurst abschleppen wie die Touristen bei Hardtke, und jenen, die weiter rechts auf den Joghurtauflauf lauern. Ein Hauch von Koexistenz ist allenfalls dort auszumachen, wo die Beilagen, von Sauerkraut bis Hirserisotto, nicht mehr gar so festgelegt sind. Aber Angebote für die Dazwischen-Esser wie mich? Fisch, zum Beispiel? An diesem Tag nicht. Wahrscheinlich, nach alter Väter Sitte, am Freitag.

Klar ist: Wenn ich ein Vöglein wär und einen Studentenausweis hätt, flög ich hierher. Was diese Küche an Körnern täglich in alle nur denkbaren Nahrungsmittel mischt, könnte den Bedarf des Zoos bis zur nächsten Sintflut decken. Gipfel im Wortsinn ist der Hirse-Kilimandscharo, den sie als Beilage in solchen Mengen auf die Teller batzen, daß hier wohl die Ursache der hohen Studienabbrecher-Quote zu suchen ist - voller Bauch, Sie wissen schon. Dieses "Hirse-Risotto", aufgemöbelt mit ein paar grünen Erbsen, spielte die Rolle der ernährungspolitisch korrekten Beilage zu einer "Tofu-Mehrkornrolleââ, über die ich als Tofu-Verächter nur sagen mag, daß sie mich nicht bekehrt hat, als Trägersystem für die nett angeschärfte "Teufelssauceââ aber durchaus funktionierte.

Mir schmeckt Vegetarisches ohne die Vogelfutter-Aufmöbelung besser. Hit des Tages war eindeutig die schlichte, geschmackstypische Estragon-Bohnensuppe zum Sensationspreis von 45 Pfennig (Nicht-Studenten zahlen 60 Pfennig). Fast ebenso gut das teuerste Gericht des Tages, ein leichter Joghurt-Gemüse-Auflauf für DM 5,70 aus der Sonderrubrik "Der Küchenchef empfiehltâ". Dem kann man sich hier offenbar bedenkenlos anvertrauen, wenn nur klar wäre: Wer ist der Chef? Unentwegt flitzen würdige Herren in voller Montur mit rotem Halstüchlein durch die Gegend und alle sehen so aus, als sollten sie in der nächsten Minute im Fernsehen den Witzigmann-Nachfolger geben.

Dritter Gang im Hit-Menü: der nur sanft gesüßte Holunderbeer-Quark, der in entsprechender Aufmachung in jedem besseren Restaurant durchgegangen wäre. Für Vielesser könnte ich als weiteren Gang, volles Korn, den "Grünkernsalat Caprese mit Mozzarella und Basilikum"â empfehlen, der all diese Zutaten sowie ein hüfthohes, wäßriges Fußbad enthielt. Auch der recht mampfige Hirsesalat mit Birnen und Rosinen ging noch an, zumal er ein nostalgisches Wiedersehen mit den dosigen Mandarin-Orangen seligen Andenkens bescherte. Zum Dessert mit dem akzentuierten Namen "PortweinmoussŽ"â (sic!) möchte ich aber allenfalls Experimentalphysikern raten: Wie hier irrsinnig viel Zucker mit noch mehr Luft zu einem homogenen, leicht fuselnden Nichts verbunden wird, das hat Einsteinsche Dimension.

Ach ja. Dann habe ich auch Blut- und Leberwurst probiert (nicht schlecht), und die Erstbesteigung der FU-Mensa ohne Studentenausweis war glücklich beendet. Glücklich? Dochdoch, jaja. Ich glaube nicht, daß es irgendwo sonst in Berlin für so schlanke Preise so viel Gegenwert gibt. Bohnensuppe, Gemüseauflauf, Holunderquark: Mein Menü des Jahres, was die Preis-Qualitäts-Relation angeht.

Bernd Matthies


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