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Urban Entertainment Center
Zur Bedeutung eines zentralen Ortstypus im Stadtraum

Autor: Lars Frers (1998)

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Inhalt

Einleitung

Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich mich mit zentral gelegenen städtischen Unterhaltungszentren bzw. Urban Entertainment Centers auseinandersetzen. Dabei stehen zwei Fragen im Mittelpunkt. Zum einen die Frage warum Unterhaltungszentren eine solche Bedeutung in der Stadt und ihrer Ökonomie erhalten haben, so daß sie sowohl physisch als auch symbolisch einen so wichtigen Platz einnehmen. Physisch werden sie in hervorragend erschlossenen wertvollen Gebieten angesiedelt, wie zum Beispiel am Potsdamer Platz in Berlin, und auf symbolischer Ebene erhalten sie zentrale Bedeutung für die Repräsentation der Stadt nach außen und nach innen. Zur Beantwortung dieser Frage werde ich vor allem Veränderungen in der politisch-ökonomischen Struktur nachgehen. Die zweite Frage stellt sich im Anschluß: wie wirkt sich dieser spezifische Ort Unterhaltungszentrum sozialräumlich aus? Hier steht die Verwobenheit des physischen Raums mit sozialen Repräsentationen und die daraus entspringende Möglichkeit zur Kontrolle über den Raum im Mittelpunkt meines Interesses. Vor diesem Hintergrund will ich abschließend den Einfluß des Ortstypus Unterhaltungszentrum auf Stadtentwicklung im allgemeinen skizzieren.

Im Verlauf des Textes werden viele Entwicklungen, die im Kontext ‚Stadt‘ von weitreichender Bedeutung sind, nur in Bezug auf die gestellten Fragen behandelt, wie beispielsweise der Prozeß der Globalisierung oder die Privatisierung öffentlichen Raums; solche Auslassungen sollen jedoch nicht zu der Annahme führen, daß diese Entwicklungen nicht auch noch andere, möglicherweise problematische(re) Konsequenzen hätten, die die Menschen und ihr Leben in der Stadt betreffen würden. Dies gilt insbesondere für Fragen der Sicherheits- und Kontrollpolitik und der Privatisierung öffentlichen Raums.

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Warum Unterhaltung?

Die industrielle Produktion kultureller Güter ist nicht erst in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren entstanden, aber ihr Charakter hat sich gewandelt und sie ist heute in eine andere Struktur der Profitproduktion eingebettet als früher. Welche Gründe gibt es für diesen Strukturwandel? Die Beantwortung dieser Frage ist von Bedeutung, denn aus dem Strukturwandel gehen zwei wichtige Veränderungen der kapitalistischen Wirtschaft und ihrer Regulation hervor, aus denen sich eine Erklärung für die zunehmende Bedeutung der Unterhaltungsbranche ableiten läßt. Die erste Veränderung ist die Überformung einer langfristig geplanten und gesteuerten Produktion von relativ gleichen massenhaft nachgefragten Industriegütern durch eine flexibel gestaltete Produktion vielfältiger und kurzlebiger Konsumgüter. Die zweite Veränderung ist die mit der Globalisierung und der Vereinfachung von Transport und Kommunikation einhergehende verschärfte Konkurrenz zwischen einzelnen Städten.

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Gründe für den Wandel

Die durch Überformung sich neu herausbildende Wirtschafts- und Regulationsweise wird mit verschiedenen Begriffen gekennzeichnet und umschrieben, eine weit verbreitete Bezeichnung ist die des Postfordismus. Mit diesem Begriff wird eine Abgrenzung gegen das in der Zeit nach dem New Deal bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg dominant gewordene Konzept der Regulation vorgenommen. In jener Zeit hat sich eine relativ homogene Art und Weise der Wirtschaftsregulation herausgebildet, in ihr sind Fordismus und Keynesianismus eng miteinander verknüpft. Der Begriff Fordismus bezeichnet das Modell der zentral bis ins Detail geplanten Massenproduktion, wie sie in den Automobilwerken von Ford eingeführt und zum Beispiel für industrielle Produktion per se wurde. Diese Unternehmenspolitik wurde ergänzt durch eine keynesianische Wirtschaftspolitik, die nachfrageorientiert war und den, vor allem weißen und männlichen, Arbeitern verschiedene Förderungen und soziale Absicherungen zukommen ließ. Eine relativ enge und fest eingespielte Kooperation zwischen Gewerkschaften, Unternehmern und dem Staat ist kennzeichnend für diese Phase kräftigen und stabilen Wachstums.

Nach der relativ langen Zeit des Aufschwungs gerät das etablierte Weltwirtschaftssystem im Verlauf der späten sechziger und frühen siebziger Jahre ins Wanken. In Anschluß an Karl Marx gibt David Harvey Überakkumulation als maßgeblichen Grund für diese Krise an: wie auch schon in früheren Wirtschaftskrisen des Kapitalismus ist eine profitable Verwertung des Kapitals in solchen Zeiten nur schwer möglich, Gründe hierfür sind, unter anderem, gesättigte Märkte und eine zu geringe Mehrwertabschöpfung. (Siehe hierzu und zum folgenden MEW 26: 221-277 und Harvey 1990: 179-188.) Um zu funktionieren, ist kapitalistische Produktion auf Wachstum, Verkürzung der Umschlagszeit[1], die Vergabe langfristiger Kredite, das Erschließen neuer Märkte, Externalisierung von Kosten und die Ausnutzung geographischer Vorteile angewiesen (wie z.B. bei der Nutzung von Arbeitskraft in Ländern mit geringerem Lohnniveau). Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kommt es zur Krise. Kapital und Arbeitskraft bleiben ungenutzt, da die gegenwärtigen Verwertungsbedingungen des Kapitals schlecht sind und die potentiellen Investoren dementsprechend auf bessere Zeiten warten. Eine solche Situation entstand im Übergang von den sechziger in siebziger Jahre und wird von Harvey folgendermaßen charakterisiert:

Temporal displacement [≈ the granting of long-term credit] was piling debt upon debt to the point where the only viable government strategy was to monetize it away. This was done, in effect, by printing so much money as to trigger an inflationary surge, which radically reduced the real value of past debts. Turnover time could not easily be accelerated without destroying the value of fixed capital assets. New geographical centres of accumulation – the US South and West, Western Europe and Japan, and then the range of newly industrialising countries – were created. […] Spatial competition intensified […] as the capacity to resolve the overaccumulation problem through geographical displacement ran out. (Harvey 1990: 185f.)

Bis zu dieser Krise konnte die fordistisch-keynesianische Organisationsstruktur auftretende Überakkumulation bewältigen, da dies nun nicht mehr gelang wurden neue Wege eingeschlagen und das alte Akkumulationsregime allmählich aufgelöst.

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Flexibilisierung und Postfordismus

Um den Ansprüchen an die Kapitalverwertung nachzukommen wurde die Produktion flexibler gestaltet, neue Unternehmenszweige gegründet und große Konzerne mit sehr unterschiedlichem Profil fusionierten. Im Rahmen der Umgestaltungen sind auch die Verbindungen zwischen Gewerkschaften, Unternehmen und Staat gelockert worden, so daß wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen heute umstrittener sind als zuvor. Flexibilität ist ein Grundpfeiler des neu etablierten Akkumulationsregimes.[2]

It rests on flexibility with respect to labour processes, labour markets, products and patterns of consumption. It is characterised by the emergence of entirely new sectors of production, new ways of providing financial services, new markets, and, above all, greatly intensified rates of commercial, technological and organisational innovation. (Harvey 1990: 147.)

Die Flexibilisierung von Unternehmen, Produktion und gesetzlichen Regelungen ermöglicht und fördert Innovationen und beschleunigt damit den Verfall bestehender Technologien und verkürzt die wirtschaftliche Lebensdauer von Waren. Wenn die Waren schneller konsumiert werden, bedeutet das für die Produzenten schnelleren Verkauf wieder neuer Produkte und eine beschleunigte Verwertung des investierten Kapitals. Sieht man diese allgemeine Tendenz der Beschleunigung und bringt sie mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Gewicht des tertiären Sektors, den Dienstleistungen, in Zusammenhang, so deutet sich jener Zusammenhang an, der der Unterhaltungsbranche einen solchen Auftrieb verleiht: Dienstleistungen und unter ihnen auch solche wie Kinofilme, Musicals und Festivals werden gleichzeitig mit dem Erwerb konsumiert. Außerdem muß praktisch kein Warentransport stattfinden und die Lagerkosten entfallen. Die Umschlags- bzw. Verwertungszeit von solchen Dienstleistungsprodukten ist damit sehr kurz und Investitionen können schnell wieder eingefahren werden (sofern das Produkt nicht ‚floppt‘). Im Rahmen der Tertiarisierung in den westlichen ‚Industrienationen‘ wächst also auch die Bedeutung der Unterhaltungsbranche gegenüber den traditionell wichtigen Sektoren wie der Industrieproduktion. Kinos und Musicaltheater sind notwendig, damit die Produkte dieser wachsenden Branche konsumiert werden können – sie werden an zentralen Orten der großen Agglomerationszentren gebaut.

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Globalisierung und Konkurrenz der Stadträume

Eine weitere Entwicklung, die eine Ansiedlung von großen Unterhaltungszentren in zentralen Bereichen der Städte befördert, läßt sich aus der im Rahmen des Globalisierungsprozesses zunehmenden Verkürzung der Distanzen zwischen den Ballungsräumen erklären. Um brachliegendem Kapital neue Investitionssphären zu eröffnen, wurde es in den letzten Jahrzehnten immer nötiger, neue Räume zu erschließen, in denen Kapital gewinnbringend angelegt werden kann. Da sich die Größe räumlicher Distanz aus wirtschaftlicher Sicht vor allem durch die zu ihrer Überwindung notwendigen Kosten definiert, ist die Weiterentwicklung der Transport- und Kommunikationsmittel und damit auch die Vergünstigung von Transport und Kommunikation effektives Mittel zur Erschließung neuer Räume. Eben solche technischen Weiterentwicklungen wie neue Flugzeuge, Hochgeschwindigkeitszüge und Computer und Internet dienen diesem Zweck. Die durch diese Techniken ermöglichte Kostenreduzierung bei der Überwindung großer Entfernungen läßt die im globalen Verkehrsnetz miteinander verknüpften Orte dichter zusammenrücken. Einer der vielen Effekte dieses Phänomens ist die zunehmende räumliche Flexibilität auf Seiten potentieller Investoren.[3] Diese Flexibilität wurde durch den Abbau internationaler Handels- und Investitionsschranken noch weiter erhöht, so daß Investoren weniger an bereits vorhandene Standorte gebunden sind. Sie können dadurch ihre Entscheidungen, an einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Stadt zu investieren, von relativ geringen Unterschieden zwischen den zur Wahl stehenden Orten abhängig machen. Wäre es früher nahezu unmöglich gewesen, die Kundendaten einer Firma an einem weiter als nur wenige Kilometer entfernten Ort zu verarbeiten, so könnte heute beispielsweise eine europäische Firma ihre Kundendateien in Asien verwalten lassen, weil geringere Lohnkosten zusätzliche Transportkosten wettmachen. Ebenso können Investoren verschiedenen Städten bzw. deren Verwaltungen anbieten, bei ihnen einen Unternehmenszweig zu gründen und dann Angebote dieser Städte (z.B. in Bezug auf Steuervergünstigungen) relativ frei von räumlichen Zwängen gegeneinander abwägen. Transaktionskosten und erhöhte organisatorischer Aufwand (z.B. bei der Kontrolle der Filialunternehmen und der entfernten Mitarbeiter) sind jedoch nicht zu unterschätzende Hemmnisse für eine ‚freie‘ Standortwahl.

Wichtig für das Thema Stadt bzw. Stadtentwicklung bleibt diese Entwicklung trotzdem. Stadtverwaltungen und Planer versuchen Investoren und damit theoretisch auch Arbeitsplätze heranzuschaffen und sehen einen entscheidenden Bestandteil ihrer Aufgabe darin, bestimmte Standortfaktoren, die Investitionsentscheidungen positiv beeinflussen sollen, auszumachen und die Stadt dementsprechend zu gestalten. Zu den sogenannten harten Standortfaktoren gehören beispielsweise Flughafen und Autobahnanbindungen, die Gruppe der weichen Standortfaktoren ist hingegen schon etwas diffuser – Urbanität und ‚Fühlungsvorteile‘ sind zwei in diesem Kontext bedeutsame Faktoren. Städte werden im Rahmen der Tertiarisierung zunehmend als Dienstleistungszentralen gesehen, zu Arbeitskräften auf dem polarisierten Dienstleistungsmarkt gehören neben Reinigungs- und Wachschutzkräften auch hochbezahlte und -qualifizierte Gruppen wie Anbieter produktionsorientierter Dienstleistungen, Werbefachleute, Medienschaffende und andere. Diese hochbezahlten Gruppen sind untereinander stark vernetzt, verfolgen einen ähnlichen Lebensstil und haben dementsprechend bestimmte Ansprüche an ihre Umwelt. Sie sollen in die Stadt gelockt werden und dafür gelte es Urbanität herzustellen, d.h. Kultureinrichtungen zu schaffen, die Stadt frei von Zeichen der Verwahrlosung zu halten und attraktive Festivitäten und andere Unterhaltungen anzubieten.[4] Mehr oder weniger spektakuläre Neubauten oder stark beworbene Neueröffnungen älterer Einrichtungen zu diesen Zwecken, sollen eine Ausstrahlung von Prosperität und Dynamik erzeugen und junge erfolgreiche Geschäftsleute anlocken. Ein eben solcher Effekt wird sich auch von der Eröffnung eines großen Unterhaltungskomplexes versprochen, insbesondere wenn diese Eröffnung in einem Umfeld wie beispielsweise dem Potsdamer Platz erfolgt.

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Zusammenfassung

Es gibt also zwei Entwicklungen die die Entstehung von städtischen Unterhaltungszentren befördern, in denen Musicals, Multiplexkinos, Bars, Kasinos und ähnliches zueinander gebracht werden. Einerseits ist es die Verlagerung wirtschaftlicher Tätigkeit weg von der traditionellen Industrie hin zur Produktion von Erlebnissen und kurzfristig konsumierbaren Dienstleistungen. Eine solche Verlagerung verkürzt die Zeit in der Kapital gebunden ist und nicht neu investiert und damit vermehrt werden kann; der Umschlag in der Unterhaltungsbranche ist schnell und die Umsätze sind hoch, weshalb Investitionen in diesen Sektor und damit auch die Errichtung eines Unterhaltungskomplexes attraktiv erscheinen. Andererseits hat sich durch die Globalisierung die Konkurrenz um die Ansiedlung potentieller Investoren in den Städten erhöht, weshalb nach Mitteln gesucht wird, die Attraktivität der ‚eigenen‘ Stadt für diese Investoren zu erhöhen. Dies wird durch die Schaffung von Symbolen der Dynamik und Prosperität versucht. Ein großes, von bekannten Architekten gestaltetes und mit publikumswirksamen Einrichtungen versehenes Unterhaltungszentrum scheint hier ein probates Mittel zu sein.

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Die Herstellung von Kontrolle

In diesem Kapitel wird aus theoretischer Sicht betrachtet, wie der Unterhaltungskomplex als Ort soziale Interaktionen beeinflußt. Welche Auswirkungen haben die dort gegenwärtigen physischen Gegebenheiten und was wird über die für diesen Ort spezifischen Symbole repräsentiert? Die Ausübung von Kontrolle durch direkte Überwachung, sei es über Videokameras, sei es durch privates Sicherheitspersonal oder die Polizei, wird von mir aus Platzgründen nicht berücksichtigt, in diesem Rahmen sollen die Wechselwirkungen zwischen dem Ort als solchem und den NutzerInnen des Ortes im Mittelpunkt stehen. Soweit es der begrenzte Rahmen der Hausarbeit zuläßt, will ich diese theoretische Argumentation mit einigen Verweisen auf die Entwicklung am Potsdamer Platz in Berlin untermauern.

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Repräsentationen

Architektur und räumliche Gestaltung wird immer von und für bestimmte Gruppen vorgenommen und ist nach dementsprechenden ästhetischen und funktionalen Kriterien gestaltet. Bestimmte Menschen haben also einen privilegierten Zugang zu diesen Orten, denn sie verfügen über die Bildung, die Erfahrung und natürlich die materiellen Mittel (d.h. das Geld) um sich ungezwungen in diesen Räumen bewegen zu können. Anderen wiederum ist der Zugang zu diesen Orten erschwert. Gehören sie einer unerwünschten Gruppe an, können sie notwendige materielle Mittel (z.B. Eintrittsgeld, angemessene Kleidung) nicht aufbringen oder verfügen sie nicht über das entsprechende Wissen, um sich in dem jeweiligen Raum zu bewegen, ohne dabei die Aufmerksamkeit der zur Anwesenheit an diesem Ort legitimierten Personen zu erregen, dann werden sie Sanktionen ausgesetzt. Wird einmal die Aufmerksamkeit der Wächter über die Legitimität (d.h. von Sicherheitspersonal oder der Polizei) auf sich gezogen, so sind peinliche Kontrollen, Platzverweise oder sogar Verbringungen nicht fern. Menschen, die nicht über das entsprechende finanzielle, kulturelle oder soziale Kapital verfügen, sind also an bestimmten Orten potentiell verdächtig und weisen sich als illegitim aus (Pierre Bourdieu beschreibt dies am Beispiel des Wohnortes, siehe Bourdieu 1997: 165). Konkrete Barrieren wie z.B. ein hohes Eintrittsgeld oder sogar Zäune und Mauern können auf diese Art und Weise überflüssig werden – die soziale Hegemonie über einen Ort läßt sich auch auf subtilere und weniger Anstoß erregende Weise herstellen – auch wenn physische Macht nahezu immer im Hintergrund vorhanden und angedeutet bleibt.

Durch im Raum vorhandene symbolische Repräsentationen bestimmter Gruppen wird anderen der Zugang zu diesem Raum erschwert, eine soziale Hierarchie bildet sich räumlich ab und reproduziert sich so auch über den Raum.

So bringt sich die Struktur des Sozialraums in den verschiedensten Kontexten in Gestalt räumlicher Oppositionen zum Ausdruck, wobei der bewohnte (bzw. angeeignete) Raum wie eine Art spontane Symbolisierung des Sozialraums funktioniert. In einer hierarchisierten Gesellschaft gibt es keinen Raum, der nicht hierarchisiert wäre und nicht Hierarchien und soziale Abstände zum Ausdruck brächte. (Bourdieu 1997: 160.)

Ein in spektakulärer Architektur errichteter Unterhaltungskomplex mit Musicaltheater, Kinos und ähnlichen Einrichtungen, wie beispielsweise am Potsdamer Platz zu finden, dominiert einen großen und zentral gelegenen Raum mit seiner Symbolik. Legitimiert sich hier aufzuhalten sind offensichtlich diejenigen, die sich hier vergnügen wollen und eine der entsprechenden Einrichtungen aufsuchen wollen, oder Touristen, die nicht von einem Spektakel in einem der Kinos angezogen werden, sondern vom Gesamteindruck des Ortes, der an sich ein Spektakel sein soll. Die Dimensionen der Gebäude und die architektonischen und technischen Spielereien (wie beispielsweise die bewegten Lichteranlagen am Sony Hochhaus) bestimmen den spezifischen Charakter des Ortes Potsdamer Platz – er ist ein großes Schauspiel, ähnlich wie der Times Square in New York. Am Marlene-Dietrich-Platz und in den umgebenden Straßen finden sich dementsprechend vor allem Leute, die Unterhaltung suchen, als Abwechslung vom Alltag, als Zerstreuung nach Feierabend. Sie sind ‚normal‘ und gehen ‚normalen‘ Beschäftigungen nach. Diese Normalität prägt den Charakter des Ortes. Menschen, die nicht diesem Standard von Normalität genügen und nicht normalen Beschäftigungen nachgehen, werden ausgegrenzt. Obdachlose und andere Personen die sich dort nicht zu einer der legitimen Arten des Vergnügens aufhalten, wie beispielsweise herumlungernde Jugendliche, sind offensichtlich fehl am Platz. Sofern sie diese (explizit) nicht für sie geschaffenen Orte für ihre Zwecke nutzen, werden sie sofort als Abweichende auffällig, und könnten, insbesondere wenn der betroffene Ort im privaten Besitz ist, des Platzes verwiesen werden oder sie geraten auf andere Weise mit der vorhandenen Kontrollmacht in Konflikt.

Durch das Entwerfen einer bestimmten eng eingegrenzten Normalität für einen bestimmten Raum wird dieser zu einem exklusiven und für die erwünschte Gruppe sicheren Raum, in dem die als Bedrohung empfundene Abweichung eindeutig stigmatisiert und verbannt wird. Sharon Zukin weist dies am Beispiel der Umgestaltung des Bryant Parks in New York nach, der vom Aufenthaltsort für Obdachlose zu einem für Brunch und Entspannung geeigneten Platz für die vor Ort (Midtown Manhattan) beschäftigten hochqualifizierten DienstleisterInnen transformiert wurde.

[The] basic idea is that public spaces are made safe by attracting lots of ‘normal’ users. The more normal users there are, the less space there will be for vagrants and criminals to maneuver. (Zukin 1995: 28.)

Allerdings betont Sharon Zukin auch an mehreren Stellen, daß die Normalität, die einen bestimmten öffentlichen Raum durchzieht, nicht das Ergebnis einseitiger Vorgaben durch Planer und Entwickler ist. Normalität entsteht durch das Aufeinandertreffen verschiedener Praktiken, und selbst eine starre und autokratisch vorgegebene Form der Normalität, wie sie sich im Umfeld eines Unterhaltungskomplexes vorfindet, wird in gewissem Maße durch alltägliche oder überraschende Handlungen oder Ereignisse unterhöhlt und verändert und entspricht so nie genau den Vorstellungen derjenigen die sie bewußt gestalten wollen. Welche Kultur wo repräsentiert wird bleibt ein konfliktbeladener Prozeß, und ist in der Regel nicht ein abgeschlossener Zustand – wenn man von extrem überwachten und kontrollierten Räumen absieht (wie Gefängnissen, Botschaften und eventuell auch Luxushotels, obwohl diese bereits einen Grenzfall darstellen). Selbstverständlich finden diese Bewegungen und Kämpfe in einem gewissen Rahmen statt, der sich langfristig allerdings auch wandeln kann (vgl. Zukin 1995: 45). So wird die klare, auf Konsum hin ausgelegte Struktur des Potsdamer Platzes nur gelegentlich und relativ marginal verändert, sei es durch eine johlende Schulklasse oder andere sich abweichend verhaltende Personen oder Gruppen. An diesem Ort stehen der Umdefinition der Nutzung weg vom Konsum hin zum ziellosen Aufenthalt allerdings körperliche Barrieren im Weg – einige dieser Barrieren sollen im folgenden thematisiert werden.

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Physischer Raum

Der physische Raum mit seinen Gebäuden und der vorhandenen Infrastruktur läßt sich aus Sicht der darin lebenden und handelnden Menschen als verdinglichter Sozialraum begreifen. Das bedeutet, daß sich soziale Beziehungen und Hierarchien in Form einer bestimmten Architektur wiederfinden. Die Macht dieser verdinglichten Hierarchien wirkt über den Körper, dringt in ihn ein und zwingt ihn in bestimmte Bahnen. Die räumlichen Dimensionen eines Ortes setzen sich zu den Dimensionen des Körpers in ein Verhältnis, dieses Verhältnis kann durch den erforderlichen (Zeit-) Aufwand zur Überbrückung einer Distanz wiedergegeben werden oder auch durch die schieren Dimensionen eines Raumes, die Höhe eines Gebäudes, die Enge einer Weges und anderes.

Distanzen und der zu ihrer Überbrückung notwendige Aufwand regulieren den Zugang zu einem Ort. Der Potsdamer Platz als Gesamtanlage beispielsweise ist für Fußgänger aus der Umgebung relativ schwer zu erreichen, da er auf allen Seiten von ‚natürlichen‘ Hindernissen umgeben ist: auf der Südseite ein Kanal, im Norden eine Hauptverkehrsstraße, im Westen die Staatsbibliothek und das Kulturforum und im Osten (zur Zeit noch eine Baustelle) eine Bahntrasse. Für die Wohnbevölkerung aus der Umgebung ist der Zugang nur über einige wenige Wege möglich. Der ‚einfachste‘ Zugang findet über die U- und S-Bahn Stationen statt. So wird dieser Ort nicht zu einem in das alltägliche Umfeld der Stadt eingebetteten Ort, er wird vielmehr zu einem aus dem gewöhnlichen Stadtraum hervorgehoben und von ihm distanzierten Ort, den man in der Regel nur aufsucht um dort etwas zu ‚erledigen‘, sei es einzukaufen, ins Kino zu gehen oder um dort zu arbeiten.

Die Hervorgehobenheit und der ‚Rang‘ des Potsdamer Platzes und seines Unterhaltungskomplexes drücken sich auch in der für Berlin außerordentlichen Architektur aus. Die Traufhöhe ist hier kein Maßstab für die Dimensionen der Gebäude, sie haben hohe Fassaden aus ungewöhnlichen und wertvollen Materialien. Die Qualität der Gebäude und der verwendeten Materialien machen deutlich, daß dieser Ort nicht für die Armut gebaut wurde, und das Armut dort fehl am Platze und illegitim ist.

Das Musical- und Kasinogebäude ist im Zusammenhang mit dem Marlene-Dietrich-Platz so gestaltet, daß man von dem Platz in das Gebäude ‚hineinrutscht‘. Dieser Platz ist nicht für sich ausruhende und sitzende Körper gestaltet. Er fällt in Treppenstufen hin ab zum gläsernen Eingangsportal des Musical- und Kasinogebäudes und ist von künstlichen Fließgewässern eingegrenzt. Der Treppenabsatz ist nur wenige Zentimeter hoch, so daß ein bequemes Sitzen in einer dem Ort adäquaten Haltung dort nicht möglich ist. Wer sich setzt wird sofort als abweichend stigmatisiert. Eine andere Treppe auf der gegenüberliegenden Seite ist zwischen zwei hohen Gebäuden mit glatten Fassaden eingefügt und im Verhältnis zu diesen Gebäuden sehr schmal, so daß man dort praktisch ‚eingezwängt‘ wird. Dieses und die Abwesenheit von Bänken sorgen dafür, daß zwar kurz angehalten und zu den Gebäuden aufgeschaut werden kann, ein längerer Aufenthalt oder ein Verweilen jedoch erschwert wird, er entspräche nicht der vorgesehenen Nutzung und würde als andersartige und damit stigmatisierte Tätigkeit ausgrenzen.

Die Ästhetik als im weiteren Sinne körperliches Merkmal eines Ortes spielt auch am Potsdamer Platz eine Rolle. Hier wie an vielen anderen zentralen öffentlichen Orten wird eine bestimmte Art von Ästhetik eingesetzt, um über den Raum Kontrolle auszuüben (vgl. Wagner 1993). Wer nicht über das entsprechende kulturelle Kapital verfügt, um Zugang zu abstrakten und nach formalen Kriterien entworfenen Kunstwerken zu haben, wird sich einen Ort, an dem sich ein solches unverständliches Kunstwerk befindet nur schwer aneignen können, bzw. wird unangenehm darauf hingewiesen, nicht über eine angemessene Bildung zu verfügen.

Im Zusammenhang mit dem physischen Raum ist abschließend noch darauf hinzuweisen, daß dieser soziale Ungleichheiten nicht nur langfristig in Form körperlicher Ungleichheiten festschreibt, sondern daß diese Verdinglichungen sozialer Beziehungen sich auch der Kritik entziehen, indem sie als natürlich erscheinen. Dadurch daß vorhandene räumliche Strukturen, wie zum Beispiel die Art der Gebäude, der Plätze und der Straßen als normal oder natürlich betrachtet werden, weil sie nun mal so sind, wird die Tatsache verdeckt, daß diese Strukturen geschaffen wurden und das Ergebnis bestimmter Absichten und Planungen sind (vgl. Bourdieu 1997: 160). Es fällt nicht weiter auf, daß neu angelegte Parks und öffentliche Plätze, wie auch der Potsdamer Platz, in der Regel keine versteckten und schwer einsehbaren Orte haben, in denen sich Obdachlose oder andere von der Normalität Abweichende aufhalten könnten ohne direkter Beobachtung ausgesetzt zu sein (vgl. Zukin 1995: 24-38). Diese verdeckte Ausübung von Macht über den Raum hat für die die Macht ausübende Gruppe den Vorteil, daß Widerstand gegen eine solche räumliche Hierarchisierung erschwert wird. Nicht soziale Werturteile scheinen eine solche Architektur zu begründen, vielmehr sind es ästhetische oder bauliche Urteile, welche der ‚sozialen‘ Kritik nicht unmittelbar offenstehen. Pierre Bourdieu geht darüber noch hinaus und schreibt:

Dadurch, daß der Sozialraum nicht nur den räumlichen Strukturen, sondern auch den Denkstrukturen, welche ja selbst zu einem guten Teil die Einverleibung dieser Strukturen darstellen, eingeschrieben ist, ist der Raum auch der Ort, wo Macht sich behauptet und manifestiert, wobei sie in ihren subtilsten Formen als symbolische Gewalt zweifellos unbemerkt bleibt. Die architektonischen Räume, deren stumme Gebote sich direkt an den Körper wenden, fordern von ihm ebenso zwingend wie im Falle der Etikette der höfischen Gesellschaft die aus der Entfernung oder, besser, aus dem Fernsein bzw. der respektvollen Distanz erwachsende Ehrerbietung ein. Dank ihrer weitgehenden Unsichtbarkeit sind sie die zweifellos wichtigsten Komponenten der Machtsymbolik und der ganz und gar realen Wirkungen symbolischer Macht […]. (Bourdieu 1997: 163.)

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Fazit

Das Unterhaltungszentrum ist ein Ortstypus, der im Verlauf der letzten Jahrzehnte an Bedeutung gewonnen hat. Einerseits ist das neue, durch flexible Akkumulation geprägte Wirtschaftsleben auf Stätten des Konsums von Ereignissen, von Unterhaltung angewiesen, andererseits sucht die Stadtentwicklungspolitik nach besonderen Merkmalen, mit denen sie ihre Stadt in der angenommen globalen Standortkonkurrenz attraktiv machen kann. Diese Ansprüche ermöglichen die Errichtung eines so großen und teuren Unterhaltungskomplexes, wie er am Potsdamer Platz entstanden ist.

Entscheidend ist neben der räumlichen Ausdehnung dieses Ortstypus vor allem die zentrale Stellung, die er in der Stadt einnimmt. Die Gesellschaft bzw. die Gruppen die an einem solchen Ort repräsentiert werden, bekunden damit ihre Macht auch über diesen einzelnen Raum hinaus. Indem dieser beispielhafte Ort von Symbolen des Konsums und der Exklusivität durchdrungen wird, wird auch dem Rest der Stadt die hegemoniale Kontrolle der Herrschenden über den Raum auf subtile Weise signalisiert. Exklusion und Verdrängung von Abweichenden, Obdachlosen und Armen, dem beschriebenen Unterhaltungskomplex immanente Merkmale, sind hier legitim und ermöglichen die Abschiebung der Opfer dieser Prozesse in vernachlässigte und weniger wertvolle Gebiete. Tourismus und das Ansehen von Schauspielen (beim Potsdamer Platz ist sogar der Bau als Schauspiel inszeniert worden, inklusive eines ‚Balletts der Kräne‘) besetzen bedeutsame Orte, eine eigenständige und lokale verankerte Kultur kann sich an einem Ort nur schwer bilden oder wird womöglich sogar verdrängt – wobei eine ‚eigenständige Kultur‘ an sich nicht unbedingt gleich Harmonie und Zufriedenheit ist, aber eine im weitesten Sinne demokratische Kultur wird von einem Unterhaltungszentrum als zentralem Ort nicht befördert. Hegemoniale Macht und Exklusion sind vielmehr die Kennzeichen, die sich hier finden lassen. Inwieweit sich andere, weniger durch ausgrenzende Konsumbezogenheit und Stigmatisierung des Anderen geprägte Kulturen an diesem Ortstypus erhalten oder durchsetzen können, bleibt abzuwarten.


(Diese Frage wird – zumindest vorläufig – in meiner Diplomarbeit beantwortet.)

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Literatur

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Endnoten