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Alain Locke,
der sich selbst gern in der Rolle des intellektuellen Vaters der jungen
Garde von Künstlern in Harlem sah, hebt die Wichtigkeit der Schaffung
einer eigenen, genuin schwarzen Kunst hervor. Sein Ziel ist es, durch
Produktion einer solchen, zum einen ein neues, vitales Selbstwertgefühl
der schwarzen Amerikaner zu schaffen und zum anderen, dem weißen Amerika
zu zeigen, daß die Schwarzen nicht mehr auf ihre aus Mitleid entspringende
Vormundschaft angewiesen sind, sondern im Gegenteil dazu in der Lage sind
eine wertvolle Bereicherung der amerikanischen Kulturlandschaft zu verkörpern.
Anfangs sollte allerdings angemerkt werden, daß die im folgenden
beschriebenen Kulturstrategien im extrem seperatistischen Klima der USA
der 20er Jahre entstanden sind und somit auch die konzeptionelle Auffassung
über Ethnien- und Rassenzugehörigkeit stark widerspiegeln.
Seine 1925 erschienene Anthologie The New Negro sollte den Beweis antreten,
daß Afroamerikaner ebenso wie ihre weißen Mitbürger in der Lage waren,
Kunst und Literatur zu produzieren. Sein Werk räumt radikal mit dem Vorurteil
auf, die schwarze Rasse sei unfähig eine ästhetische Hochkultur zu schaffen,
welche annähernd mit dem westlichen Kulturgut zu vergleichen wäre oder
dieses gar bereichern könnte.
In seinem einleitendem Aufsatz zur Anthologie, mit dem gleichen Titel
The New Negro, der auch schon als leitender Aufsatz in der Harlem-Ausgabe
des soziologischen Magazins
erschien, beschreibt Locke die Entwicklung, die die afroamerikanische
Kultur seiner Meinung nach zu durchlaufen hat, um von dem verhaßten Stereotyp
des Unterwürfigen und Primitiven loszukommen und wie am Ende ein neues
Bild von ihr entsteht. Dieses beschreibt er folgendermaßen: "[...];and
finally the rise from social disillusionment to race pride, from the sense
of social debt to responsibilitys of social contribution, and offsetting
the necessary working and commonsense acceptance of restricted conditions,the
belief in ultimate esteem and recognition."
Die Zuversicht in seine Strategie, durch Schaffung einer eigenen Ästhetik,
das Ansehen und das Selbstvertrauen seiner Rasse/ethnischen Gruppe zu
fördern und damit gleichfalls einen wertvollen Beitrag zum amerikanischen
Kulturkanon zu leisten, entspringt der tiefen Überzeugung, soziale Realitäten
ließen sich durch intellektuelle und künstlerische Anerkennung verändern.
Dem liegt zuallererst die Intention zugrunde, das Selbstverständnis und
den kulturhistorischen Hintergrund der Schwarzen, welcher im allgemeinen
als kollektives Erfahrungs- und Erkenntnisobjekt einer jeden ethnischen
Gruppe der Selbstdefinition dient, zu verändern. Als Ursprung der afroamerikanischen
Kultur- und Entwicklungsgeschichte galt bis dato immer der erniedrigende
Hintergrund psychischer und physischer Versklavung und das von den Weißen
aufgedrängte Selbstverständnis sozialer, kultureller und geistiger Inferiorität.
Diese von den Schwarzen untereinander geteilte Erfahrung beschreibt er
als:
"The chief bond between them has been that of a common condition rather
than a common consciousness; a problem in common rather than a life in
common."
Dieser
kollektive Erfahrungshorizont sollte durch Lockes Ansatz radikal korrigiert
werden.
Er wendet sich deshalb der altertümlichen, afrikanischen Kunst zu, die
als Vorbild und als Beispiel für die Möglichkeit der Schaffung einer genuin
schwarzen Ästhetik dienen soll. In seinem Aufsatz The Legacy of the
Ancestral Arts, welcher ebenfalls in der von ihm herausgegebenen Anthologie
erschien, beschreibt er den Effekt, den die von ihm ersonnene Konzentration
auf die afrikanische Kunst für den Afroamerikaner haben soll: "The legacy
is there at least,with prospects of a rich yield. In the first place,there
is in the mere knowledge of the skill and unique mastery of the arts of
ancestors the valuable and stimulating realization that the Negro is not
a cultural foundling without his own inheritance. Our timid and apologetic
imitativeness and overburdening sense of cultural indebtness have, let
us hope, their natural end in such knowledge and realization." Kultur
soll hier als eine Art kollektives Gedächtnis dienen, welches nicht mehr
die jahrhundertelange Schmach und Zurückstufung der Rasse durch die Sklaverei
zum Objekt der Identitätsbildung macht, sondern afrikanische Kunst als
exemplarischen Beweis für schwarze Ästhetik anführt, um somit ein gestärktes
Selbstvertrauen der Rasse zu bedingen.
"If the forefathers could so adroitly master these mediums,why not we?",
lautet Lockes rhetorische Frage mit der er den Ausweg aus dem Rassendilemma
beschreibt, daß sich nach seiner eigenen Auffassung nur durch eine höchst
reaktionäre Haltung beider Seiten, der des weißen Amerikas gegenüber den
Schwarzen und umgekehrt, so hartnäckig halten konnte. Locke stellte also
fest:
"If on the one hand the white man has erred in making the Negro appear
to be that which would excuse or extenuate his treatment of him,the Negro,in
turn, has too often unnecessarily excused himself because of the way he
has been treated."
Dieser Reaktionismus wird durch Lockes Ansatz aufgeweicht und durch einen
originär demokratischen Grundgedanken ersetzt. Seine Idee ist, nicht durch
einfachen politischen Kampf die weiße Superiorität anzugreifen, sondern
durch Schaffung einer nicht zu leugnenden, künstlerischen Realität, die
rassistischen Stereotypen und Vorurteile ad absurdum zu führen. Dieses
Vorgehen weißt bei näherer Betrachtung Vor- und Nachteile auf.
Ein wichtiger Vorteil gegenüber den Verfechtern eines politisch ausgerichteten
Verfahrens, dürfte der unterschwellige Effekt der Argumentation durch
die Kunst sein. Wenn beim politischen Kampf Mißstände oft direkt oder
durch soziologische Studien empirisch erfaßt und angeprangert werden,
wird der oben schon angesprochene Reaktionismus oft nur verstärkt. Ein
Text oder eine Rede, die die rassistischen Verhaltensweisen der weißen
Gesellschaft unterstreicht, erreicht ihn in seiner superioren Position
kaum. Warum sollte er sich durch respektlose Agitation zum Nachdenken
über die Aufgabe seiner so bequemen Stellung in der Gesellschaft bringen
lassen? Es gäbe keinerlei rationalen Grund oder emotionalen Anreiz dafür.
Im Gegenteil. Die logische Reaktion auf unkoordinierte politische Agitation
ist eine Verhärtung der Fronten, ein gegenseitiges Entfernen der Positionen
und keine Annäherung. Allerdings bestärken Schriften, die die vorherrschende
Rasseninferiorität beschreiben und hervorheben, jenes ohnehin schon vorhandene
Gefühl der Minderwertigkeit der Schwarzen und erreichen damit den entgegengesetzten
Effekt ihrer ursprünglichen Intention.
Lockes Idee allerdings, hat das theoretische Potential, den Schwarzen
die Anerkennung und den Respekt die ihnen gebührt, durch das multikulturelle
Hintertürchen einzubringen. Er verweist diesbezüglich auf das beeinflussende
Element in der damals zeitgenössischen europäischen Modernismusbewegung.
Er zeigt auf, inwiefern europäische Künstler von afrikanischen Skulpturen
und Malereien profitierten und damit eine klaffende Lücke in der Kulturlandschaft
Europas zu schließen vermochten.
Außerdem brachte die afrikanische Kunst vollkommen neue Aspekte der Ästhetik
mit sich, welchen die europäischen Künstler in ihren Werken Ausdruck verliehen.
Der sogenannte "Primitivism in Modernism" läßt sich nach Lockes Aussagen
bei europäischen Küntlern wie Matisse, Picasso, Epstein, Max Pechstein
und vielen anderen wiederfinden. Locke visioniert eine ähnliche Entwicklung
für die amerikanische Kultur, in der sich letztendlich eine multikulturelle
Gesellschaft, basierend auf Demokratie und Gleichberechtigung, widerspiegeln
soll. Impulse zu dieser durchwachsenen Kultur können von schwarzer als
auch von weißer Seite stammen, wobei die von Locke geforderte schwarze
Kunst ihre Wurzeln und ihre Inspiration von den Werken der afrikanischen
Vorfahren beziehen sollte.
Eine sich gegenseitig ergänzende Kulturlandschaft würde auch dem fundamentalen
Geist Amerikas, dem des Schmelztiegels von Nationen, am nächsten kommen.
Die Probleme der Methodik Alain Lockes können an vielen Teilaspekten aufgezeigt
werden. Beispielsweise wurde ihm, oftmals nicht unbegründet, ein extremer
Elitismus unterstellt. Desweiteren wurde die Relevanz, welche Locke der
Kunst und der Kultur in Amerika beimaß oft Zielscheibe für Kritik. Sie
wurde als ein für die Massen nur sehr schwer zugängliches Medium angesehen
und galt deshalb als unzureichendes Mittel zur Veränderung sozialer Mißstände.
Außerdem ergab sich ein zentraler Konfliktpunkt mit der Umsetzung seiner
Theorie. Die von ihm zum Teil betreuten jüngeren Künstler der Harlem Renaissance,
fühlten sich durch die Formulierung von Lockes Theorie in ihrer künstlerischen
Freiheit eingeschränkt und wehrten sich zusehends gegen eine Instrumentalisierung
ihrer Kunst in jeglicher Form. Diese Tatsache fand vor allen Dingen Ausdruck
in der Schaffung des Magazins Fire, daß
von den jüngeren Künstlern ins Leben gerufen wurde, um eine Plattform
für mehr schöpferische Freiheit in der Bewegung zu etablieren. Fire
scheiterte allerdings schon nach der ersten Ausgabe aufgrund mangelnder
Aufmerksamkeit, beißender Kritik und finanzieller Schwindsucht.
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