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Es ist still wie in einer verschneiten Winternacht,
nur ein leiser, monotoner Tropfenfall.
Das sind die Zinsen, die fortlaufend hinabträufeln
in die Kapitalien, welche beständig anschwellen;
man hört ordentlich, wie sie wachsen,
die Reichtümer der Reichen.
Dazwischen das leise Schluchzen der Armut.
Manchmal klirrt etwas, wie ein Messer,
das gewetzt wird.
(Heinrich Heine, 1842)

Der Zins im Schatten des gesellschaftlichen Bewußtseins

Von Tristan Abromeit

Anmerkungen zu " Der Zins und sein moralischer Schatten " ein Artikel von Prof. Otmar Issing, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank

Man kann darüber spekulieren, was ein Mitglied des Bundesbankdirektoriums veranlaßt, sich öffentlich zum Thema Zins zu äußern. Wäre der Autor nur Professor, so könnte man vermuten, er wolle mit einer weiteren Veröffentlichung einen persönlichen Bedeutungszuwachs erstreben oder einfach einen Teil seiner beruflichen Leistung erbringen.

Aber diese Vermutung wäre wahrscheinlich eine Fehlspekulation, denn das Thema Zins - insbesondere mit den Aspekten Ursachen und Wirkungen - ist genauso wie das Thema Bodenrecht in einem kollektiven Verdrängungsprozeß tabuisiert worden. Das heißt nicht, daß über den Zins nicht gesprochen wird. Sondern es besagt, daß über den Zins nur so gesprochen wird, daß seine gesellschaftszersetzende Wirkung nicht erkennbar wird. Auch Professoren der Gesellschaftswissenschaften, besonders der Ökonomie, betätigen sich im allgemeinen im Themenzusammenhang nicht als Tabubrecher.

Gunnar Heinsohn spricht in einem Essay mit dem Titel "Zins, Hexen, Habermas Gesellschaftserklärung oder Wirklichkeitsverleugnung" gezielt dieses Tabu an. In der Auseinandersetzung mit dem zweibändigen Werk mit 1166 Seiten und dem Titel "Theorie des kommunikativen Handelns" von Jürgen Habermas, also ein soziologisches Werk, das das Wissen der speziellen Gesellschaftswissenschaften zusammentragen soll, kritisiert Heinsohn, daß der Begriff Zins nicht einmal vorkäme, obwohl er in der Realität eine dominierende Rolle hätte. Heinsohn schreibt wörtlich:

"Wenn also über die Gesellschaft dicke Bücher geschrieben, vom Zins aber geschwiegen wird, so läßt sich das nicht aus mangelnder Intelligenz der Beteiligten erklären. Im Gegenteil, es bedarf überdurchschnittlicher geistiger Kompetenz, um die Art von Soziologie zu betreiben, für die Jürgen Habermas zweifellos das brillanteste Beispiel gibt. Wir dürfen also vermuten, daß etwas anderes am Werke ist als mangelnde Gescheitheit, wenn das am deutlichsten sichtbare Phänomen dieser Gesellschaft nicht gesehen, sondern - man muß es so nennen - verdrängt wird."

Warum werden Gegenpositionen zum Zins bezogen?

Wenn bei Issing Professoreneitelkeit oder Tabubrechermut nicht ohne weiteres vermutet werden kann, was kann ihn dann veranlaßt haben, sich zum Thema Zins und Moral zu äußern? Immerhin gehört er einem Gremium an, dessen Mitglieder sich bestimmt nicht nach Lust und Laune zu ökonomischen Themen äußern dürfen. Und wenn ich richtig informiert bin, müssen Bundesbankmitarbeiter auf den nachfolgenden Rängen ihre zur Veröffentlichung vorgesehenen Texte, die die Themen Bundesbank und Währung auch nur tangieren, zur Genehmigung vorlegen. Auch auf der Direktionsebene ist eine gegenseitige kollektive "Kontrolle" zu vermuten. Insofern ist das Motiv der öffentlichen Äußerung eines Bundesbankers zum Thema Zins und Moral genauso von Interesse wie der Inhalt.

Mir fallen dazu noch drei Stichworte ein: Gewissen, Angst, Abwehr einer sich formierenden ethischen und sozialökonomischen Gegenposition. Gehen wir diese Möglichkeiten der Reihe nach durch.

a) Das Gewissen als Motiv

Nur ein böser Wille würde den Mitgliedern des Bundesbankdirektoriums und auch des Zentralbankrates ein Gewissen absprechen wollen. Aber nur ein Gewissenloser hat eigentlich im wörtlichen Sinne ein schlechtes Gewissen - eben weil es nicht funktioniert. Das im landläufigen Sinne gemeinte "schlechte Gewissen" ist aber eigentlich ein gutes Gewissen, weil es auf Fehlhaltungen und Fehlhandlungen reagiert. Das Gewissen ist aber nicht eine konstante Größe - so lehrte in den fünfziger Jahren der weitgereiste, aktive Pazifist und Gründer des Internationalen Freundschaftsheimes in Bückeburg, Pastor Wilhelm Mensching -, sondern es hängt in seiner Qualität von der Gewissenbildung ab. In die Gewissensbildung fließen fremde Gedanken und fremdes Handeln wie eigenes Denken und eigenes Handeln ein. Mensching hat in der NS-Zeit kleine Schriften produziert, in denen er die Quintessenz des Denkens und Tuns großer Vorbilder zusammengefaßt hatte. Er hatte die Hoffnung, daß er auch bei Verfolgung durch die NS-Schergen seinem Gewissen eine Orientierung geben könne.

Wir wissen ja alle, daß gleiche Vorgänge oder Tatbestände aufgrund unterschiedlicher Prägung unterschiedlich bis konträr beurteilt werden können. (In manchen Bereichen - z. B. Militärdienst - gilt die Gewissensentscheidung daher ja auch als ein schützenswertes Gut. Gegenbeispiel: Schulzwang.) Oder: Ein durch freiwirtschaftliche Erkenntnisse mitgeprägtes Gewissen könnte die Politik der Bundesbank nicht mit tragen. (Was nicht bedeutet, daß es keine partielle Übereinstimmung zwischen der Notenbankpolitik und der Freiwirtschaft gibt.) Aber wer auch nur "herkömmliche" Ökonomie mit seinen Variationen verinnerlicht hat und die auf den Zins bezogene Weisheit der großen Religionen und die des Philosophen Aristoteles als Hokuspokus versteht, kann stark genug von seinem Gewissen geplagt werden. In einer solchen Situation kann man sein Gewissen schärfen, in dem man sich einer offenen Gewissensbildung aussetzt, sich auch auf Gedankengänge einläßt, die man bis dato als abwegig gehalten hat, oder man betreibt eine Gewissensberuhigung. Der Verstand bekommt sozusagen einen Auftrag, aus einer Riesenmenge von Informationen solche zu selektieren und zu kombinieren, die es ermöglichen, das eigene Tun in Übereinstimmung mit dem eigenen Gewissen erscheinen zu lassen. Dieser Auftrag ist dann wohl ein unbewußter, weil sonst der Selbstbetrug nicht funktionieren würde. Hiernach wäre der Artikel von Issing ein Versuch, sein und seiner Kollegen Gewissen zu beruhigen.

b) Die Angst als Motiv:

Ich halte die Mitglieder des Bundesbankzentralrates für intelligent genug, um die sich steigernden Spannungen in der Gesellschaft wahrzunehmen und zu erkennen, daß unsere Gesellschaft immer stärker auf eine abschüssige Bahn gerät. Die Radikalisierung und Polarisierung der Gesellschaft ist die Folge. Die Gefahr besteht darin, daß die Verbitterung und blinde Wut zunehmend personale Opfer sucht. Es wäre daher gar nicht so verkehrt, wenn Bundesbanker fürchten würden, sie könnte das Schicksal von Schleyer und Herrhausen ereilen, weil immer mehr Menschen erkennen, daß die Währungen und die Notenbanken in ihren heutigen Konstruktionen erstrangige Störfaktoren der Gesellschaften sind. Der Artikel über Zins und Moral wäre dann ein Teil einer Entlastungs- und Abwehrstrategie.

c) Abwehr als Motiv

Mit allen bisher genannten Motiven (wissenschaftliche Eitelkeit, Mut zum Brechen von Tabus, Gewissensbisse und Angst) kann ich danebenliegen. Vielleicht ist es einfach so, daß unsere politische Klasse, in der auch bald DIE GRÜNEN voll integriert sein werden, merkt, daß sich fast unmerklich aber stetig gegen die praktizierte Ökonomie, die in der Konsequenz genauso menschenfeindlich ist, wie die im Osten untergegangene Zentralverwaltungswirtschaft, Widerstand formiert und daß im Gegensatz zu vergangen Jahrzehnten bundesrepublikanischer Geschichte nicht das Eigentum, sondern der Zins als Störfaktor im Visier ist. Und da macht es sich doch gut, wenn ein als kompetent geltender Mensch ausgeguckt wird, der den Widerstandsleuten, die nicht mehr einfach für sich und andere die Opferrolle akzeptieren wollen, sagt, ihr seid auf dem falschen Pfad, die Dinge liegen doch ganz anders als ihr vermutet.

Der Idealist in mir wehrt sich gegen eine Unterstellung, dieses Motiv sei das wahrscheinlichste, weil er eine manipulierende Desinformation durch Inhaber hoher Ämter nicht wünscht und für nicht möglich hält. Der Realist in mir sagt aber, daß die politischen Verführer und die Machtsüchtigen, denen Moral nur dann etwas wert ist, wenn sie Zuwachs an Macht und Geld bringt, nicht mit dem Dritten Reich und dem SED-Regime untergeganen sind. Und ich denke dabei nicht so sehr an die am politisch rechten Rande angesiedelten brandschatzenden Barbaren, sondern eher an Herren in feinen Anzügen und Frauen, die "ihren Mann" stehen, die mit einem Glas Sekt oder Cognac am Mund und Mozart oder Bach auf dem Plattenteller die Menschen ins Verderben schicken. Es braucht nicht einmal Boshaftigkeit im Spiel zu sein, sondern nur eine böse wirkende "Realpolitik".

Kein persönlicher Angriff

Diese Auslassungen dürfen aber nicht als ein persönlicher Angriff auf den Menschen Otmar Issing mißverstanden werden, sondern eher eine an ihn gerichtete Aufforderung, sich in einer zweiten Diskussionsrunde zu erklären. So lästig es auch ist, wir müssen davon ausgehen, daß Mitglieder jeder Institution uns hinters Licht führen können. Zum Beispiel las ich am 19.1.1994 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, daß nach Auffassung eines Sonderermittlers der frühere us-amerikanische Präsident Ronald Reagan das Iran-Contra-Geschäft initiiert hat. Ein Staatspräsident bricht also geltendes Recht und hintergeht sein Parlament.

Issing verdient Dank

Welche Motive Issing auch immer gehabt haben mag, um seinen Artikel zu schreiben und zu veröffentlichen, Dank hat er dafür verdient, daß er ein dringendes Problem ein wenig weiter in das Licht der Öffentlichkeit gerückt hat. (Auch wenn er das Gegenteil vielleicht beabsichtigte. Er wird dafür von Kritikern aus seinen eigenen Reihen "Prügel" beziehen, denn das Totschweigen von Fakten, Problemen oder auch Personen ist immer noch eine praktizierte Strategie in allen politischen Lagern.)

Mut muß Issing aber dafür zugesprochen werden, daß er eine Nachdruckerlaubnis seines FAZ-Artikels einer freiwirtchaftlichen Zeitschrift erteilt, in der die Bundesbank sozusagen ein Abonnement auf kompetenter und manchmal emotionaler Kritik hat. Übersehen werden darf dabei aber nicht, daß die Diskussion des Thema eigentlich in den Lehrveranstaltungen der Hochschulen und in den angeblich liberalen Zeitungen und Magazinen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, Der Spiegel usw. und in den Fernsehprogrammen, in denen man angeblich in der ersten Reihe sitzt, geführt werden müßte.

Zum Thema im engeren Sinne halte ich mich hier zurück, weil ja dieser Diskussionsbeitrag einer von mehreren im Sonderheft des DRITTEN WEGES ist und vermutet werden darf, daß die Autoren mit unterschiedlichen Neigungen und Hintergründen auch ohne Absprache die verschiedenen Aspekte des Issing-Artikels ausleuchten werden.

Problematischer Argumentationsstil

Aber bevor ich dazu meine Randbemerkungen mache, möchte ich auf den Aufbau des Issing-Artikels eingehen, der eben nicht ein großes Problem analysiert und die Leser auffordert den eigenen Kopf zum Finden von Lösungen zu gebrauchen, sondern, die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind und das Thema ruhen zu lassen, damit er, der Leser und Zinskritiker nicht ungewollt ein Feind der Juden wird.

Ich hoffe für Issing und uns, daß dies nicht seine Absicht war. Wie komme ich zu dem Urteil? Issing zitiert im ersten Satz aus einer Frankfurter Chronik zur Judenverfolgung: "Propter usuras vexabantur" - Wegen des Wuchers wurden sie gequält. " Er schildert korrekt, daß durch das christliche Zinsnahmeverbot (bei den Juden bestand es nur gegenüber den eigenen Glaubensgenossen) die Juden in das Geldgeschäft hineingedrängt worden seien. Abgesehen davon, daß es ja eine problematische Moral der Juden ist, die es verbietet, die Mitglieder des eigenen Volkes oder der eigenen Glaubensgemeinschaft zu bestehlen (und Zinsnehmen und Stehlen setze ich an dieser Stelle gleich), es aber gegenüber Andersgläubigen erlaubt, fehlt der Hinweis, daß primär die Flucht der Juden ins Geldgeschäft durch Verbote andere Berufe auszuüben, ausgelöst wurde. Lea Rosh geht darauf ein in ihrer Rede auf dem Weimarer Kongreß "Verfassung mit Volksentscheid" im September 1990. Sie sagte, daß die seit dem Mittelalter für die Juden geltenden beruflichen Beschränkungen mit dem Emanzipationsedikt von 1812 aufgehoben wurden. Es war eine von den aufgeklärten Staatsmännern Stein und Hardenberg verordnete Emanzipation, die nicht von unten erkämpft und nicht vom Volk getragen wurde.

Issing greift zwar die Zinsgegnerschaft der Kirche in der Vergangenheit auf, aber offensichtlich nur um den Zinsgegnern von heute einen Rückgriff auf Haltungen, Einsichten und Normen zum Zins von gestern zu verbauen. Die Frage, ob hinter dem biblischen aristotelischen Zinsnahmeverbot, vielleicht mehr empirische Einsichten stehen, als hinter mancher volkswirtschaftlichen Theorie von heute, läßt er nicht aufkommen. Richtig ist sicher, daß das Zinsnahmeverbot letztlich Elend und Tod für unzählige Menschen gebracht hat. Aber die moralische und gesetzliche Duldung der Zinsnahme steht in seiner Negativbilanz dem Verbot doch nicht nach.

Zum Schluß zitiert Issing einen mir nicht bekannten Jeremy Bentham

"der unter den Vorurteilen gegenüber dem Zinsnehmen beziehungsweise Wucher unter anderem auch den Horror vor allem Jüdischen nennt... -

Liest man dieses im Kontext mit der Einleitung und beachtet man dabei den Hinweis auf den Programmpunkt "Brechung der Zinsknechtschaft" der NSDAP - der zwischendurch erfolgt -, so heißt das doch: Ihr Frauen und Männer in Deutschland, die ihr den Juden in der Vergangenheit so viel Leid zugefügt habt, laßt das Thema Zins auf sich beruhen, sonst könnte es sein, daß man euch für Antisemiten hält oder daß ihr Euch der Gefahr aussetzt, solche zu werden.

Dies ist eine Botschaft von Issing, die nicht aufklärt, sondern letzlich neue Opfer produziert. Die heutige Zinsgegnerschaft ist ja nur zu einem Teil in einer emotional verankerten Gerechtigkeitsvorstellung begründet und somit Ausdruck einer Sehnsucht nach Gerechtigkeit, sondern sie gründet in der Erkenntnis über strukturelle Schwächen der Währungsverfassung.

Wenn wir also Vorurteile und Feindschaft gegenüber Menschen abbauen und verhindern wollen, dann dürfen wir gegenüber den von Menschen selbst produzierten strukturellen Schwächen unserer Ökonomie nicht länger blind sein.

Schon in "Louis Rothschilds Taschenbuch für Kaufleute" aus dem Jahr 1900 ist zu lesen:

"Unser Geldwesen wird, kurz gesagt, so behandelt, als wenn nicht das Geld da wäre umwillen der Produktion, der Wohlfahrt und der Menschen, sondern als wenn die Produktion, die Wohlfahrt und die Menschen nur ein Mittel im Dienste des Geldes wären. Das Geld wird also zum Zweck und Herrscher, ja zum Götzen Moloch erhoben, dem Menschenopfer, Menschenwohl in unübersehbarer großer Menge täglich dadurch gebracht werden, daß wir die Produktion als ein Verfahren betrachten, aus je 100 Thaler Wert mehr als je 100 Thaler zu machen und den Unternehmungen die Pflicht auflegen, nicht etwa möglichst viel, möglichst gute Sachen oder Dienste zu erzeugen, sondem vorausbestimmte feste Kapital- und Zinssummen abzuliefern. In unserm Geschäftsleben dreht sich alles um bestimmte Geldzahlungen und um die Möglichkeit, für Geld mehr Geld zu liefern, aus Geld mehr Geld zu machen, hingegen kommen Arbeit, Produktion, Wohlfahrt usw. nur soweit in Betracht, als sie dazu taugen, aus je 100 Thaler mehr als 100 Thaler zu machen."

Aus bitterer Erfahrung: die Marktwirtschaft festigen

Wir wissen heute nach Erfahrungen, die viel Tränen und Blut gekostet haben, daß die Marktwirtschaft oder Verkehrswirtschaft die mit Grundrechten ausgestatteten Menschen mehr fördert als die Zentralverwaltungswirtschaft oder Kommandowirtschaft (Eucken). Wir wissen aber auch, daß der Kapitalismus mit seiner systemimmanenten Destruktivität, der die Marktwirtschaft überlagert und alle gesellschaftlichen Bereiche wie ein giftiger Pilz durchdrungen hat, keine Zukunft haben kann, wenn es der Menschheit besser gehen soll.

Wenn wir die Marktwirtschaft - die in sich sozial und befreiend wirkt - in der Zukunft realisieren wollen, dann müssen wir doch nach allem forschen, was diesem Modell im Wege steht. Wenn wir die Zinsnahme so belassen wie sie praktiziert wird, dann lassen wir es mit dem zerstörerischen Kapitalismus so laufen wie bisher.

Der Zins ist die Ausbeutungsrate der Arbeit im Kapitalismus, er ist als leistungsloses Einkommen der Feind der Leistungsgesellschaft. Der Zins ist aber auch ein Preis und somit ein Systembestandteil der Marktwirtschaft. Ein Zinsnahmeverbot wäre folglich eine teilweise Aufhebung des marktwirtschaftlichen Prinzips. Die Preisfunktion (5) übt der Zins aber auch dann aus, wenn er um Null Prozent pendelt, z. B. zwischen minus 1 % und plus 1 % (real). Die Leistung der Freiwirtschaftsschule besteht nun eben darin, zu zeigen, wie man dahin kommt. Es ist durchaus berechtigt von "dem" Zins zu sprechen. Wir sprechen ja auch vom Preis der Äpfel, des Weines, usw., und wir sprechen von der Miete und Pacht, obwohl hier bei genauerer Betrachtung immer Differenzierungen vorgenommen werden müssen. Weder die Vereinfachungen noch die Differenzierungen hindern uns, die jeweiligen Sachverhalte, die dahinter stehen, analytisch zu durchdringen.

Argumente der Zinsbefürworter

Eins wird von den Zinsbefürwortern immer übersehen. Es wird argumentiert, der Gläubiger leiste einen Verzicht auf Gegenwartsgüter zugunsten von Zukunftsgütern und er ginge als Kreditgeber ein Risiko ein, weil der Schuldner ja im Laufe des Schuldverhältnisses ein säumiger werden könne oder gar ein zahlungsunfähiger.

Umgekehrt ist die Argumentation stimmiger: Der Kreditnehmer transportiert Ansprüche des Gläubigers an den Markt, die dieser in der Gegenwart nicht abrufen will, in die Zukunft. Da dieser Vorgang aus der Sicht des Schuldners eine Leistung ist und mit einem erheblichen Risiko verbunden ist (er kann sich nicht nur in seinen Fähigkeiten und der Marktsituation verschätzen, sondern er kann vor allem nicht das Maß jener Störungen vorherbestimmen, die von Regierung und Notenbank ausgehen), müßte er die Tilgung mit einem Abschlag, einem Negativzins vornehmen können. Wenn das Aufnehmen eines Kredites vorteilhafter ist als das Einräumen eines Kredites und der Kreditnehmer diesen Vorteil dem Kreditgeber durch den Zins entgelten muß, warum müssen dann die Leute zum Schuldenmachen verführt werden? Im Kreditgeschäft kann der Gläubiger sein Vermögen, aber der Schuldner sein Vermögen und seine Freiheit je nach Haftungssituation) verlieren. Denn in der Regel muß der Schuldner für den Kredit, den er erhält, Sicherheiten stellen. Tritt die Situation ein, daß die Pfänder verwertet werden müssen, erleidet das als Sicherheit verpfändete Vermögen in der Zwangsversteigerung einen rapiden Wertverfall. Der Schuldner ist sein Vermögen los und ist meistens weiterhin mit einem erheblichen Teil seiner Schulden belastet. Er ist dann nicht mehr Herr seiner selbst, sondern ein Sklave, der von Schuldeneintreibern getrieben wird. Da die Zinsen weiterhin bezahlt werden müssen, wachsen im Regelfall auch seine Schulden.

Zinsführerschaft der Bundesbunk

Wenn Issing die Vorstellung zurückweist, die Bundesbank könne das Zinsniveau in der BRD bestimmen, so tut er dieses sicher zu recht, weil die von der Bundesbank den Geschäftsbanken gewährten Kredite im Umfang zu dem ganzen Kreditvolumen in unserer Volkswirtschaft zu klein ist. Eine Zinsführerschaft der Bundesbank würde ich aber trotzdem sehen. Dadurch, daß sie die letzte Quelle für Kredite (Refinanzierungen der Geschäftsbanken) ist, setzt sie mit der Höhe vor allem des Diskont- und Lombardsatzes einen Standard, an dem sich der Kreditmarkt ausrichtet. Im Grunde müßte die Notenbank mit ihren Zinssätzen über den vergleichbaren Zinssätzen der Geschäftsbanken liegen, damit erst einmal alle vorhandenen Gelder über den Kreditweg in den Umlauf kommen, bevor die Notenbank neues Geld zusätzlich in den Umlauf gibt. Eine solche Zinspolitik der Notenbank läßt sich aber nur mit einer Geldumlaufsicherung durchsetzen, wie sie die Freiwirtschaftsschule vorschlägt.

Der Zins und die Verfassung

Der Zins hat aber nicht nur ökonomische Dimensionen, sondern auch rechtliche. Da der Zins Eigentumsteile vom Schuldner auf den Gläubiger überträgt, ist die Frage, ob der Zins nicht im Widerspruch zur Eigentumsgarantie des Grundgesetzes steht. Diese Frage war ein Gegenstand des Forschens des 1990 auf Kreta verunglückten Dieter Suhr, der in Augsburg eine Professur für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsinformatik hatte. Wenn ich mich recht erinnere, war Suhrs Arbeit von 1982 mit dem Titel Die Geldordnung aus verfassungsrechtlicher Sicht, seine erste Veröffentlichung zu diesem Themenkomplex. (6) In dieser Arbeit finden sich Sätze wie:

. . . "Gleichwohl zeigen 'Hochzinsen' besonders deutlich - und darauf kommt es hier im Hinblick auf die ,ordnende Ratio' an: daß sich die Zinsen auf Freiheit, Eigentum und Gleichheit sehr nachhaltig auswirken können." ...

. . . "Was hat das alles mit Verfassungsrecht zu tun? Der Titel eines Buches liefert das Stichwort: 'Entstehungssicherung und Bestandsschutz von Grundrechten'. Auch § 950 BGB konkretisiert rechtstechnisch die Entstehung von zivilrechtlichem und damit von verfassungsrechtlichem Eigentum 'aus Herstellung'. Die herkömmliche Auslegung dieser Vorschrift bewirkt die Entstehung von Eigentum in der Hand des Kapitaleigners des Unternehmens und sie verhindert zunächst die Entstehung von Eigentum aus Arbeit und Leistung in der Hand deren, die persönlich im Unternehmen arbeiten und disponieren: Entstehung des Eigentums aus Arbeit in der Hand des 'Nichtarbeiters'. Unsere Verfassung jedoch schützt dasjenige Eigentum ganz besonders, das aus persönlicher Arbeit und Leistung stammt. Daher ist die herrschende Auslegung des § 950 BGB nicht mehr ohne weiteres 'verfassungskonform'. Sie kehrt die Schutzprioritäten geradezu um."...

..."Für die grundrechtliche Perspektive ist entscheidend, daß man sich das Geld dabei aus der Sicht der Vertragspartner vorstellt, denen Vertragsfreiheit garantiert ist. Es erscheint als fast unentbehrliches Medium für den Abschluß ökonomischer Verträge. Gäbe es kein Geld, es müßte um der verfassungsrechtlich garantierten Vertragsfreiheit willen erfunden werden.

Geld als Tauschmittel gewährt dem Bürger die Freiheit, Gegenstände oder Leistungen zunächst in ein Tauschmittel zu verwandeln, das er dann verwendet, um andere Gegenstände oder Leistungen einzutauschen."...

. . . "Es macht jedoch unter dem ordnungspolitischen Aspekt der Verteilung und Lenkung von Geld- und Warenströmen einen ganz erheblichen Unterschied, ob der Geldbesitzer durch seine Geldanlage nur eine Bestandserhaltung seines Vermögens erwirtschaften kann oder eine Bestandsvermehrung, - und das hängt davon ab, welche Kosten Geld als solches verursacht. Deshalb ist es, nicht nur gerechtfertigt, sondern auch entscheidend wichtig festzuhalten, daß das Geld als solches kostenlos zur Verfügung steht. ". . .

. . ."Wer ökonomische Verträge abschließen will, jedoch nur über wertvolle Güter, Waren oder persönliche Leistungsfähigkeit verfügt, ist abhängig vom Tauschmittelbesitzer. Der Häusle-Bauer-Fall hat gezeigt, daß diese Abhängigkeit 'erdrosselnd' wirken kann wie prohibitive Steuern. Diese Abhängigkeit der Willensverwirklichung des einen von Willensentscheidungen des anderen, ist, grundrechtlich gesehen, eine spezifische Erscheinungsform von Unfreiheit." ...

..."Will man mithin den Markt und die Funktion des Geldes als eines Mediums zu ökonomischer Freiheit nicht wieder in Frage stellen, kann es hier nicht darum gehen, den Zins als Knappheitsregulativ und die damit verbundene Abhängigkeit des Kreditsuchers vom Kreditgeber als solche in Frage zu stellen, sondern nur um etwas anderes: Ob es nämlich gerechtfertigt ist, daß der Staat durch seine Geldordnung die Bestandhaltekosten von Geldbesitz so steuert, daß der Geldbesitzer eine nachhaltige Vermögensvermehrung herauswirtschaften kann ohne eine andere Leistung als die, auf den Gebrauch des Geldes als Liquiditätsmittel, der für ihn ohnehin kostenlos ist, zu verzichten. Und genau für diese geldordnungsbedingte, staatliche Steuerung der Bestandhattekosten des Geldes derart, daß der Kreditgeber die Abhängigkeit des Kreditsuchers zur Vermögensvermehrung ausnutzen kann, gibt es keine plausible Rechtfertigung vor den Freiheits- und Gleichheitsrechten der Verfassung. ". . .

. . . Der Unvermögende aber muß sich Liquidität erst von anderen im Tausch gegen existentielle eigene zukünftige Arbeitsleistungen verschaffen. So gerät er in Abhängigkeit von ihnen. Die ohnehin große ökonomische Vertragsfreiheit von Vermögenden wird vergrößert und die ohnehin geringe der Unvermögenden verringert. Das wurde bislang schicksalhaft hingenommen. Es wird jedoch verfassungsrechtlich in dem Maße unerträglich, wie die überlieferte Geldordnung in diesem Punkt als realistischerweise rekonstruierbar und der Staat damit für sie verantwortlich werden sollte."...

Der Umfang dieser Suhr-Zitate ist nicht nur dadurch gerechtfertigt, weil Dieter Suhr sich nicht mehr durch eine eigene Wortmeldung in die aktuelle Diskussion einschalten kann, sondern weil die politichen Zielgrößen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durch die praktizierte Ökonomie mehr als in Frage gestellt werden, und das nicht nur bei uns.

Exkurs: Auch an dem problematischen Verhältnis vom Zins zum Eigentum zeigt sich, daß eine offene Verfassungsdiskussion zur Klärung notwendig wäre. Aber unsere herrschende politische Klasse (von grün bis christlich-sozial) will den Menschen im Lande weismachen, daß unsere Demokratie durch links- oder rechtsextreme politische Gruppierungen gefährdet sei und nicht durch den großen politischen Block der zwischen den Extremen liegt. Aber die Mitglieder dieses Großen Blockes sind es - die staatlich finanziert, in Parteien, Parlamenten und Regierungen tätig, sich gegenseitig Orden umhängend oder in den Hintern tretend (und doch bedauernswert) - die Reformen, die die Verfassung und die Verfassungswirklichkeit mehr zur Deckung bringen könnten, durch ihre Uneinsichtigkeit verhindern und somit die politischen Extremen und Gewalttätigkeit fördern. Es sind jene politischen Mitbürger, die das Attribut demokratisch für sich beschlagnahmt haben, die aber obendrein eine offene Verfassungsdiskussion durch Desinformation und parteipolitischen Egoismus verhindern und auf diesem Wege dem Volk das urdemokratische Recht auf die Formulierung und Beschließung einer neuen Verfassung vorenthält. Es handelt sich um jene Verfassungsfeinde, gegenüber denen der organisierte Verfassungsschutz wirkungslos ist, weil er nicht seine Auftraggeber abservieren kann.

Noch einmal zurück zu Dieter Suhr: Er hat, um als Wissenschaftler glaubwürdig zu bleiben, den Rahmen seiner Fachwissenschaft verlassen und ist in die Ökonomie eingetaucht, weil er sich nicht fatalistisch mit den Ungereimtheiten in der Lehre und der gesellschaftlichen Wirklichkeit zufrieden geben wollte. Der oben erwähnten Arbeit, aus der ich zitiert habe, folgten Titel wie: Auf Arbeitslosigkei tprogrammierte Wirtschaft, Diagnose und rechtstechnische Behandlung des Mehrwertsyndroms, Geld ohne Mehrwert - Entlastung der Marktwirtschaft von monetären Transaktionskosten; Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus - Monetäre Studien zur sozialen, ökonomischen und ökologischen Vernunft und Gleiche Freiheit - Allgemeine Grundlagen und Reziprozitätsdefizite in der Geldwirtschaft. Im Vorwort zum letztgenannten Buch heißt es:

,Im Namen der Gleichheit aller Menschen wurden einst überlieferte Pfründe beseitigt und althergebrachte Privilegien in Trümmer gelegt. Doch die revolutionäre Kraft des Gleichheitsgedankens überdauerte die Revolutionen nicht. Die Gleichheit wurde juristisch domestiziert.'...

. . .,im übrigen gründet die Freiheit selbst in der Gleichheit: so wie die Befreiung des Sklaven im wesentlichen die Verwirklichung seiner menschenrechtlichen Gleichheit ist. Diese Art von Gleichheit, die das wahre Fundament der Freiheit ist, hatte bislang kaum eine Chance, ihre grundrechtliche Fruchtbarkeit zu Gunsten der Freiheit zu beweisen. ". . .

Meine Aufzählung von Suhrs Arbeiten zum Komplex Geld - Ökonomie - Ökologie - Recht ist nicht vollständig. Anzumerken bleibt: Die Ökonomen und die Rechtsgelehrten haben sich Dieter Suhrs Herausforderung nicht gestellt; sie tun so, als existierten seine Veröffentlichungen nicht oder seien ein Produkt der Beliebigkeit. Sie beanspruchen für sich aber trotzdem, Wissenschaftler zu sein.

Die Haltung der Kirche

Bevor ich zum Ende komme, möchte ich noch auf einen Satz von Issing eingehen, der ziemlich am Anfang seines Artikels steht:

"In der innerlichen Ablehnung, der die moralische Ächtung leicht folgt, liegt wohl auch die Wurzel dafür, daß die Sehnsucht nach der zinslosen Wirtschaft zum Beispiel am Rande von Kirchentagen immer wieder ihre Anhänger versammelt."

Wenn Werte und Normen ohne die wir Menschen nicht auskommen, sich aufgrund von Einsichten in die Natur des Menschen bilden, lebensbejahende sind und friedfertige Sozialgebilde ermöglichen wollen, dann ist nicht die innerliche Ablehnung und moralische Ächtung in Frage zu stellen, sondern die Fakten und Zustände, die diese aktivieren. Daß es bei der Überwindung des Zinssystems, des Kapitalismus, nicht so sehr um eine Sehnsucht geht, als vielmehr um eine Notwendigkeit, wird - wenn es hier nicht deutlich geworden ist - in anderen Beiträgen zum Thema sicher besser herausgearbeitet.

Ich habe diesen Satz besonders wegen des Hinweises auf die Kirchentage herausgegriffen, weil er die Möglichkeit gibt, die Haltung der heutigen Kirche zum Zins bzw. zur alternativen Ökonomie im Sinne einer marktwirtschaftlichen Vervollkommnung kurz zu beleuchten.

Ich selber habe als Konfessionsloser die Informationsarbeit zur Überwindung des Kapitalismus auf den Evangelischen Kirchentagen 1985 in Düsseldorf, 1987 in Frankfurt, 1989 in Berlin und 1991 in Essen unterstützt. Um die Kritik an die Kirchentagsplaner und -Leitung, die ich hier anbringen will, richtig einschätzen zu können, will ich vorweg sagen, daß derjenige, der vom Kirchentag - unabhängig davon, was er glaubt oder nicht glaubt - ohne geistige oder seelische Bereicherung nach Hause fährt, ein armer Tropf ist.

Neben den Hauptveranstaltungen unterschiedlichster Art und dem Büchermarkt ist wohl der "Markt der Möglichkeiten" jener Veranstaltungsblock, der dem jeweiligen Kirchentag den Eindruck der Offenheit und Vielfalt gibt. Hier können Gruppen die unterschiedlichsten Probleme und auch Problemlösungen vorstellen. Z. B. kann dort für und gegen Chemie in der Landwirtschaft gestritten werden. Der "Markt der Möglichkeiten" ist aber auch ein Ort, wo sich große Themen von morgen, die von der Öffentlichkeit und speziell von den Kirchentagsplanern als solche noch gar nicht wahrgenommen werden, bereits heute im kleinen Rahmen ihre Bedeutung offenbaren und damit ihren Weg in die große Öffentlichkeit bahnen können.

Der "Markt der Möglichkeiten" ist aber auch der Gefahr ausgesetzt, daß er ein Ort der Scheinliberalität, des Dampfablassens, des vorgetäuschten Ernstnehmens von Menschen und Gruppen mit ihren Anliegen wird. Dies ist dann der Fall, wenn bewußt oder aus mangelndem Beurteilungsvermögen Themen aus dem "Markt der Möglichkeiten" trotz ihrer Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Relevanz, nicht nur für unserer Gesellschaft - nicht in die Hauptveranstaltungen übernommen werden. Es spielt dabei eine nur untergeordnete Rolle, ob die Kirche sich einmal wieder mit der herrschen Macht zum Wohl der eigenen Organisation arrangiert oder ob die Leute, die in der Kirche das Sagen haben, sich ausschließlich mit Beratern aus der herrschenden Ökonomie umgeben. Die Wirkung wäre für die Kirche selbstzerstörerisch und verbrecherisch.

Im "Markt der Möglichkeiten" konnte ich folgende Gruppen beobachten, die das Thema Geld oder Zins thematisiert haben: Einmal jene Gruppen, die eine ethische Geldanlage propagierten oder für privat subventionierte Kredite für Entwicklungsprojekte warben und die freiwirtschaftlichen Gruppen, die ein gesamtökonomisches Konzept anbieten.

Nach dem Kirchentag in Berlin habe ich am 20. Juli 1989, am Tage des Gedenkens an den Widerstand gegen das Nazi-Regime, an den damaligen Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchentages Herrn Dr. Dr. h. c. Helmut Simon und seinen Generalsekretär Christian Krause u. a. geschrieben:

"Laut der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 12. Juni 1989 haben Sie, Herr Dr. Simon, gesagt: 'Der Kirchentag verstehe sich auch als selbstbewußte protestantische Bürgerrechtsbewegung. Zu den ungelösten Aufgaben der Zeit zählte die Verschwendung von natürlichen Ressourcen, die Zerstörung der Umwelt, das Fehlen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, die Beendigung des wahnwitzigen Rüstungswettlaufs und die Ausländerfeindlichkeit. 'Ich denke das diese Probleme eng miteinander verflochten sind, und daß die von Silvio Gesell begründete Freiwirtschaftsschule (Hauptwerk. Die Natürliche Wirtschaftsordnung) Wesentliches zur Problemlösung beitragen kann. Es ist aber auch wahr, daß diese Ökonomieschule sowohl im Hochschulbereich als auch in der Politik ein Schattendasein führt und dies nicht nur mit negativen Folgen für die Menschen hier in der BRD. Besonders die sich wandelnden Gesellschaften im Osten, wie auch die Entwicklungsländer unterschiedlicher Prägung im Süden könnten davon 'profitieren.' Ich glaube das beurteilen zu können, denn ich bin u. a. Bankkaufmann und Volkswirt und über 20 Jahre in der Politik engagiert u. a. in der FDP und bei den GRÜNEN: Die ökonomisch bedingten Probleme werden sich weiter vermehren und die Politik bei uns glaubt immer noch, Glasnost und Perestroika sei nichts für die die BRD, sondem nur für die Ostblockländer erforderlich. In einer solchen Situation, in der wesentliche ökonomische Erkenntnisse tabuisiert oder auch nur ignoriert werden, genügt es nicht mehr, daß Altbischof Dr. Kurt Scharf freundliche Worte für Gesell und sein Werk findet (u. a. auf dem Kirchentag in Düsseldorf), und daß das Wissen an Hand von Darstellung aktueller ökonomischer Probleme von kleinen Außenseitergruppen im "Markt der Möglichkeiten" einem interessierten und zunehmenden Publikum angeboten wird. Angesichts der Bedeutung der Freiwirtschaftsschule für die Wohlfahrt und das Überleben einzelner und Massen von Menschen, der subtilen Unterdrückung und offenen Verleumdung dieser Ökonomieschule, wäre es angebracht und gerechtfertigt, daß die Inhalte der Natürlichen Wirtschaftsordnung auf dem nächsten Kirchentag in voller Breite (Kultur, Staat und Wirtschaft) in einer gesonderten Veranstaltung im Hauptprogramm dargestellt würden."...

Dies ist in den auf Berlin folgenden Kirchentagen nicht geschehen.

Der Widerspruch zwischen Moral und Gesetz ist aufhebbar

Zum Schluß: Am Zins kann exemplarisch der Unterschied von Moral (Ethik) und Legalität demonstriert werden. Moralisch ist die Zinsnahme verwerflich, gesetzlich ist sie erlaubt. Es kann auf die Dauer nicht gutgehen, wenn ethische und gesetzliche Normen so im Widerspruch stehen, wie bei der Zinsnahme. Die Moral - auf die wir als Normenkorsett nicht verzichten können, weil sie viel feinmaschiger, subtiler ist als das Raster gesetzlicher Normen -, wird vom Gesetz entwertet, wenn es bedenkenlos das erlaubt, was nach religiösen, philosophischen und auch ökonomischen Kriterien moralich verwerflich ist. Es ist der Verdienst der Freiwirtschaftsschule, daß sie zeigt, wie beim Zins die Moral und das Gesetz auf einen Nenner gebracht werden können.

Literatur

1) Das Heine-Zitat habe ich im September 1991 auf der Tagung "Gerechtes Geld - Gerechte Welt" der "internationalen Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung" vor dem Konzilsgebäude in Konstanz von einem Transparent abgeschrieben.

2) Gunnar Heinsohn, Zins, Hexen, Habermas, NP - Neue Praxis - Zeitschrift für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, 2/84

3) Lea Rosh in: Verfassung mit Volksentscheid, Hrsg. Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder, S. 22

4) Louis Rothschilds Taschenbuch für Kaufleute, Verlag G. A. Gloeckner, Leipzig 1900, S. 196, hier zitiert nach Auszügen von Hugo Kierdorf, Köln

5) Es darf nicht übersehen werden, wenn wir von der Preisfunktion des Zinses (Preis für die zeitweise Überlassung von Ansprüchen an den Markt - von Liquidität) sprechen, daß ein Großteil der Wirtschaftspolitik darin besteht, für bestimmte Objekte oder Personen den Zinssatz mit planwirtschaftlichen Mitteln herunterzusubventioriieren. Bund und Länder einerseits und die Bundesbank andererseits konterkariert dabei häufig ihre jeweiligen Ziele.

6) Ich zitiere hier aus einem Skript von Suhr. Laut einem Vermerk von Suhr war beabsichtigt, sein Beitrag in einem Sammelband mit dem Titel Geldordnung und Geldpolitik in einer freiheitlichen Gesellschaft des Walter Eucken Instituts (Hrsg. Joachim Starbatty) zu veröffentlichen. Ob dies geschehen ist, habe ich nicht kontrolliert.


Tristan Abromeit, Jahrgang 1934, Bankkaufmann, Absolvent der Akademie für Wirtschaft und Politik in Hamburg, grad. Volkswirt, sammelte vielfältige Erfahrungen in der Politik und der Arbeitswelt.