Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit
5.2. Politische Voraussetzungen für einen gesellschaftlichen Wandel
Standen im vorangegangenen Abschnitt die Einflüsse eines Grundeinkommens auf Produktion und Arbeit im formellen Wirtschaftssektor im Vordergrund, so ist nun weiter zu fragen, wie sich ein Grundeinkommen auf die Gesellschaft insgesamt, auf die Entwicklung des informellen Sektors, den Freiheitsspielraum einzelner und kleiner Gruppen auswirken wird und welche politischen Voraussetzungen zu welchen Entwicklungen beitragen könnten.
5.2.1 Welche Chancen für welche Gesellschaft?
Die nordamerikanische Diskussion zeigte deutlich, daß mit einem garantierten Einkommen recht unterschiedliche Ziele angepeilt und wohl auch erreicht werden können. Daher die Frage: Welche gesellschaftlichen Veränderungen (in Richtung auf eine kommunikative Gesellschaft) werden durch welches Grundeinkommen erleichtert beziehungsweise erschwert?
Szenarium A:
Soll ein Grundeinkommen Freiräume schaffen, zur Initiative oder Innovation anregen, ist wohl Voraussetzung, daß man davon "normal" leben, das heißt am "normalen" Leben der Gesellschaft teilhaben kann (gesellschaftlicher Standard). Das ist im Prinzip mit 4000 Schilling (zirka 600 DM15 - Szenario A) der Fall: Pensionistenehepaare mit Ausgleichszulage und gar nicht wenige Familien müssen derzeit mit weniger auskommen; trotzdem stellt diese Summe wohl eher eine Untergrenze dar.
Wer also würde wohl von diesem Grundeinkommen "leben", sieht man einmal von jenen ab, die gar keine andere -Wahl haben: arbeitslose jugendliche, ob mit oder ohne Berufsausbildung, Studenten, 5ozialhilfeenlpfaflger. Für einige unter ihnen könnte ein Grundeinkommen durchaus eine Herausforderung darstellen, etwas Neues zu beginnen. Aber auch etwa Nebenerwerbsbauern in strukturschwachen Gebieten könnten, statt um jeden Preis pendeln zu müssen, ihren Hof intensiver bewirtschaften, die dörfliche Infrastruktur wiederherstellen und neue Gemeinschaftseinrichtungen schaffen; Eltern könnten sich für einige Jahre intensiv der Erziehung ihrer Kinder widmen; Studenten könnten es sich leisten, einen Blick über den Zaun der eigenen Disziplin zu werfen zugunsten einer umfassenderen Bildung, weil der Druck, ständig Erfolge nachweisen zu müssen und möglichst bald fertig zu werden, geringer würde. Mütter, die ausschließlich um des Geldes willen gezwungen waren, einen nervenaufreibenden und schlechtbezahlten Job am Fließband auszuüben, könnten sich zusammentun und gemeinsam einen Kindergarten oder einen Hilfsdienst für Alte und Kranke organisieren, oder auch ein Kommunikationszentrum eröffnen oder eine Zeitschrift gründen. Dem Betrieb würde dies andererseits ermöglichen, zu rationalisieren und damit konkurrenzfähiger zu werden. Wer einen selbstverwalteten Betrieb oder eine politische Partei gründen möchte, wen es drängt, eine Erfindung auszuarbeiten oder ein Buch zu schreiben, könnte dies mittels eines solchen Grundeinkommens wagen, ohne seine Existenz (und die seiner Familie) aufs Spiel zu setzen. Daß sein Lebensstandard damit zunächst einmal um die Hälfte niedriger ist als das, was einem Durchschnittsösterreicher zur Verfügung steht, scheint eine vertretbare Relation. Grundeinkommensbezieher sind ja weniger vom Markt abhängig und können sich vieles selber oder in Gemeinschaft mit anderen erarbeiten. Darüber hinaus ist es durchaus wünschenswert, daß ein Anreiz zur zeitweisen Übernahme einer Arbeit im formellen Sektor, sei es um zusätzlicher Einkünfte oder auch um zusätzlicher Sozialversicherungsansprüche willen bestehen bleibt: Gerade dadurch können die beiden Extreme vermieden werden, einerseits einer Apartheidgesellschaft, in der arme Grundeinkommensbezieher immer reicher werdenden Arbeitsplatzbesitzern gegenüberstehen, andererseits einer Zwangsarbeitsgesellschaft in der jeder von Gesetzes wegen zu einem gewissen Ausmaß an Arbeitsleistung - oder gar zu einer ganz bestimmten Arbeit -verpflichtet wird.
-Mit steigender Freisetzung von Arbeitskraft durch Rationalisierung würden sich aber auch Änderungen in anderen Sektoren der gemessenen Wirtschaft als notwendig erweisen: Die Nachfrage nach Werkzeugen und Materialien für Eigentätigkeit würde steigen, dagegen die Nachfrage nach manchen Dienstleistungen (Friseur, Malermeister, Krankenpflege) aus dem offiziellen Sektor sinken. Dies bedeutet: Strukturwandel mit höherer Arbeitsproduktivität und vermutlich steigender Produktion, jedoch weiter abnehmendem Arbeitsbedarf im gemessenen Sektor der Wirtschaft. Parallel dazu würde die Tätigkeit (und die Befriedigung von Bedürfnissen) im informellen Sektor zunehmen. Längerfristig könnte sich daraus die Notwendigkeit ergeben, das Grundeinkommen zu erhöhen und das Finanzierungsschwergewicht von der Lohn- und Einkommensteuer auf eine Wertschöpfungssteuer oder ähnliches zu verlagern.
Geschieht dies nicht, könnte auch ein Grundeinkommen dieser Größenordnung einen negativen Kreislauf in Bewegung setzen: weniger Arbeit im formellen Sektor - weniger Masseneinkommen - weniger Kaufkraft und geringere Nachfrage - weniger Produktion im formellen Sektor - geringere Möglichkeiten, Grundeinkommen in genügender Höhe zu zahlen - Verarmung.
Diese Gefahr ist zweifellos um so größer, je niedriger das Grundeinkommen von vornherein angesetzt wird. Scheint Szenarium A alles in allem seriöse Chancen für eine solide gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung zu erschließen, so ist dies nicht in gleichem Maße von den anderen durchgespielten Szenarien zu sagen.
Szenarium B:
Dieses unterscheidet sich nicht durch die Höhe des Grundeinkommens, wohl aber durch den Bezieherkreis von Szenarium A und könnte theoretisch dieselben Entwicklungen einleiten, vorausgesetzt, es gelingt eine Abgrenzung des Bezieherkreises ohne Diskriminierung. Zwar wird die Zahl derer, die nach Einführung eines Grundeinkommens auf einen Arbeitsplatz im offiziellen Sektor verzichten, bei Szenarium A kaum größer sein als bei Szenarium B. Trotzdem ist die Gefahr, daß "überflüssige" Arbeitskräfte in ein Arbeitslosenghetto ohne echte Entwicklungsmöglichkeiten geraten, bei einer Beschränkung des Bezieherkreises wesentlich größer. Würde dieses Grundeinkommen außerdem analog zu den ASMG-Pensionen gehandhabt, mit "Ruhensbstimmungen", die die Möglichkeiten zusätzlichen Verdienstes beschränken, würde der Bezug abhängig gemacht von Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit, so wäre soziale Stigmatisierung kaum zu vermeiden. Allerdings könnten auch positive Akzente gesetzt werden, indem die Chancen für Selbsthilfeinitiativen verschiedenster Art durch ein Grundeinkommen bewußt unterstützt würden.
Auch von der Finanzierungsseite bietet ein auf gewisse Bezieher eingeschränktes Grundeinkommen keineswegs so große Vorteile als Einstiegsmöglichkeit, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag. Ein auf einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung beschränktes Grundeinkommen bietet keinen Anlaß für eine Steuerreform, die auf längere Sicht - gerade im Hinblick auf abnehmende Arbeitsnotwendigkeit - entwicklungsfähig bleibt. Auch eine grundlegende Reform der Sozialversicherungssysteme, einschließlich ihrer Finanzierung, könnte dadurch kaum gerechtfertigt werden.
Die Einführung eines derart im Bezieherkreis eingeschränkten Grundeinkommens würde also letztlich auf eine zusätzliche Sozialleistung hinauslaufen, und dies um so mehr, als unter Umständen der zusätzliche Finanzierungsbedarf sich als ebenso hoch herausstellen könnte wie bei den "großen" Lösungen.
Szenarien C und D:
Zumindest unter der Rücksicht einer möglichen Weiterentwicklung und Anpassung scheint ein Grundeinkommen in der Art von Szenarium C, unter Umständen selbst von Szenarium D, günstigere Voraussetzungen zu bieten. Dabei verdient Szenarium D (2000 Schilling für alle) kaum den Namen "Grundeinkommen" und dürfte auch kaum die von einem Grundeinkommen erwarteten Wirkungen für die Entwicklung eines autonomen Sektors oder neuer Formen der Zusammenarbeit innerhalb der Gesellschaft erbringen. Sinnvoll könnte ein solches Grundeinkommen sein als Teil einer grundlegenden Steuerreform, die von vornherein so angelegt ist, daß der Transferbetrag mit steigender Produktivität der Volkswirtschaft und abnehmendem Bedarf an Arbeitskräften schrittweise bis zur Abdeckung des gesellschaftlichen Standardbedarfs wachsen kann. Bei einem Szenarium dieser Größenordnung müßten anfangs praktisch alle Sozialleistungen (ausgenommen Familienbeihilfe) aufrechterhalten werden, sie könnten dann schrittweise, in dem Maße, wie das Grundeinkommen wächst, abgebaut werden.
Nicht ganz so restriktiv wäre die Einführung eines Grundeinkommens in der Höhe des Mindeststandards (Szenarium C, 3000 Schilling = zirka 450 DM für Erwachsene) zu beurteilen. Von solchen Beträgen kann man nicht nur leben, wenn man dazu gezwungen ist (Sozialhilfeempfänger, Rentnerehepaare mit Ausgleichszulage), sondern auch dann, wenn man eine Idee verwirklichen, etwas Neues ausprobieren, etwas in eigener Verantwortung schaffen möchte. Die Frau, die um 5000 Schilling monatlich 40 Stunden in der Woche arbeiten gehen muß, könnte sich ausrechnen, daß sie die Differenz durch Eigenarbeit einbringen kann, wenn sie frei über ihre Zeit verfügt. Solche Arbeitsplätze mußten dann entweder wegrationalisiert oder attraktiver gestaltet werden. Auf der anderen Seite kann die Gefahr nicht übersehen werden, daß etwa Massenentlassungen bei Rationalisierungen mit dem Hinweis auf ein Grundeinkommen gerechtfertigt werden könnten, das in Wirklichkeit kaum zum Leben reicht, und so weitere Armutsinseln entstehen ließe.
Eine so prekäre Existenzgrundlage ist ja kaum dazu angetan, Menschen, die nicht von vornherein motiviert sind, zu eigener Initiative und Kreativität anzuregen; die Gefahr, daß sie sich nach außen abkapseln und auf den engsten Kreis und ein sehr eingeschränktes Leben zurückziehen, ist nicht auszuschließen.
Szenarium E:
Liegt die Problematik eines niedrigen oder auf einen kleinen Teil der Bevölkerung eingeschränkten Grundeinkommens in der sehr geringen Herausforderung zu neuen Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens sowie in der Gefahr der Herausbildung eines Armutssektors, so sind im Gegensatz dazu von Szenarium E völlig andere Einflüsse, aber keineswegs geringere Gefahren für eine positive gesellschaftliche Entwicklung zu erwarten. Soll nämlich praktisch das gesamte zur Verfügung stehende Einkommen gleichmäßig und ohne Bindung an Erwerbsarbeit verteilt werden, so muß auch die Arbeit als solche anders verteilt werden, was eine völlig andere Organisation wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Vorgänge erfordern würde. Die wegfallende finanzielle Verpflichtung zur Arbeit müßte ersetzt werden durch eine gesellschaftliche Verpflichtung. Manche Autoren sehen darin eine Stärkung der sozialen Beziehungen und des gesellschaftlichen Zusammenhalts (A. Gorz, G. Adler-Karlsson). Die Möglichkeit, daß nach kurzer Zeit einem dahinvegetierenden Grundbedarfssektor mit unwilligen Zwangsarbeitsverpflichteten ein blühender autonomer Sektor gegenüberstehen würde, ist sicher nicht unrealistisch. Da in diesem Falle auch die Finanzierungsmöglichkeit für das Grundeinkommen rasch verfallen würde, würde vermutlich auch bei dieser Lösung nicht das Paradies entstehen, sondern ein recht großer neuer Armutssektor, und demgegenüber ein "neuer" Wettbewerbssektor, in dem nicht Solidarität, sondern das Recht des Stärkeren den Ausschlag gibt.
Eine Gesellschaft, in der kein Zusammenhang besteht zwischen der Arbeit, die einer leistet, und dem Einkommen, von dem er lebt, ist allerdings durchaus denkbar, und zwar im Zusammenhang mit einer vollautomatisierten Wirtschaft, in der die Großsektoren (Industrie, Geldsektor und Handel, Administration) fast automatisch, fast ohne menschliche Arbeit funktionieren, die arbeitsintensiven Bedürfnisse dagegen in einem autonomen Sektor befriedigt werden. Dies wäre aber wohl das Resultat einer langfristigen Entwicklung, in der sich neue gesellschaftliche Strukturen und Organisationsformen herausbilden können.
5.2.2. Politik für ein Grundeinkommen
Die Einführung eines Grundeinkommens ist eine politische Entscheidung, sie setzt ein nicht geringes Maß an politischem Handlungswillen und politischer Handlungsfähigkeit voraus.
Was man dabei als Chance betrachten mag: Die beiden wichtigsten Voraussetzungen, eine große Steuerreform und eine Reform der sozialstaatlichen Einrichtungen, stehen auf jeden Fall auf dem Programm; daß diese Arbeit geleistet werden muß, darüber sind sich alle Parteien einig. Gescheitert ist die "große" Steuerreform bisher allerdings an den unterschiedlichen Zielsetzungen der damit befaßten Parteien und Interessenvertretungen; vielleicht noch mehr an der Angst aller, die jeweils eigenen Privilegien aufgeben zu müssen und damit zu den "Verlierern" der Reform zu gehören. Eine "ganz große" Steuerreform hätte zumindest den Vorteil, daß die Abgeltung verlorener Privilegien in Form des Grundeinkommens klar ersichtlich ist, vielleicht könnte der notwendige Konsens in dieser Form sogar leichter erreichbar sein.
Wie die Idee einer Garantie des Lebensnotwendigen von Anfang an von Vertretern sehr verschiedener politischer Richtungen unterstützt wurde, so könnten auch heute unsere demokratischen Parteien mit verschiedenen Zielen für ein Grundeinkommen eintreten:
- Für die einen wäre ein Grundeinkommen anzustreben, das mehr soziale Gerechtigkeit bringt und dabei die Arbeitsmarktlage entspannt;
- die anderen würden ein Grundeinkommen akzeptieren, wenn es den Betrieben mehr Freiheit für Rationalisierung und Strukturverbesserungen bringt;
- Liberale könnten durch das Grundeinkommen mehr persönliche Freiheit und mehr Markt zu erreichen suchen;
- an alternativer Politik Interessierte (in allen Parteien) könnten von einem Grundeinkommen Anreize zu schonenderem Umgang mit unersetzlichen Ressourcen, Befreiung von gesellschaftlich unnötiger und schädlicher Arbeit, neue Formen des Wirtschaftens und Zusammenlebens erwarten.
Während einige dieser Ziele durchaus quer durch die Parteien Anhänger haben, sind andere widersprüchlich. Könnten Kritiker unseres heutigen Sozialstaates in der Einführung eines Grundeinkommens ein probates Mittel sehen, Sozialleistungen auf ein Minimum einzuschränken und alles übrige der sogenannten "Eigenvorsorge" zu überlassen, so wäre für die Reformer ein Grundeinkommen der Weg, ein den heutigen Umständen nicht mehr voll entsprechendes System auf eine neue Basis zu stellen. Während die ersteren mit Versicherungsmathematik argumentieren (und dabei vergessen, daß auch freiwillig bezahlte Beiträge und gespartes Geld nur aus der jeweiligen volkswirtschaftlichen Gesamtleistung "zurückgezahlt" werden können), gehen die anderen davon aus, daß auch bei sinkendem Bedarf an menschlicher Arbeit in unserer Gesellschaft es nicht an den lebensnotwendigen Gütern für alle fehlt, und es daher immer weniger sinnvoll ist, das Recht auf Leben direkt von der ,Arbeitsleistung abhängig zu machen.
Schon eher könnten sich die Parteien finden um des Wachstums- und Rationalisierungsschubs willen, der ohne Zweifel mit der Einführung eines Grundeinkommens verbunden wäre.
Trotzdem, um ein Grundeinkommen zu verwirklichen, muß ein gewisser Druck von unten, von den betroffenen Gruppen selbst, kommen. Die zahlenmäßig stärkste dieser Gruppen sind Frauen und Jugendliche.
Frauen, quer durch die Parteien, müßten sich für ein Grundeinkommen einsetzen, weil sie bei der derzeitigen Regelung der Einkommensverteilung fast immer die Benachteiligten sind: sie haben die niedrigsten Erwerbseinkommen und den größten Teil an der gesellschaftlich notwendigen, aber unbezahlten Arbeit von Haushalt und Kindererziehung; sie haben bei gleicher Ausbildung die geringsten Berufschancen und im Alter die niedrigsten Pensionen. Ein Grundeinkommen würde für unzählige Frauen mehr persönliche Freiheit und Selbstbestimmung bedeuten, und der so oft beschworenen Freiheit, zwischen Beruf, Haushalt und sonstigem Engagement zu wählen, ein Minimum an materiellem Hintergrund verleihen.
Frauen müßten sich also einsetzen für ein Grundeinkommen, von dem man leben kann; sie müßten gleichzeitig darüber wachen, daß die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, daß nicht einseitig Frauen aus beruflichen Positionen und Karrieren, die auch für Männer interessant sind, und die sie sich in langer Mühe erobert haben, hinausgedrängt werden. Um zu vermeiden, daß der offizielle Sektor zur Domäne der Männer und der autonome Sektor zur Domäne der Frauen wird - was eine andere Art von Apartheidgesellschaft bedeuten würde - müssen Frauen mehr als alle anderen Gruppen sich von vornherein auch für Rahmenbedingungen einsetzen, die ihnen möglichst gleiche Chancen auch im offiziellen Sektor garantieren.
Jugendliche sind nicht nur die von der Arbeitslosigkeit am stärksten betroffene Gruppe, sie bleiben auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen, in einem Alter, da es sie drängt, sich auf eigene Füße zu stellen und ihre Fähigkeit zur Selbständigkeit und Lebensbewältigung zu beweisen. Jugendliche sind es aber auch in erster Linie, die neue Formen des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens erproben wollen, die sich einsetzen für Umweltschutz, Frieden, und für Formen des Wirtschaftens, die auch Anliegen der Dritten Welt mit einbeziehen. Vieles davon wäre durch ein Grundeinkommen zumindestens erleichtert; es könnte darum erwartet werden, daß Jugendverbände und Organisationen sich in besonderer Weise für die Einführung eines Grundeinkommens einsetzen.
Für Familien würde ein Grundeinkommen mehr materielle Absicherung bedeuten als alle bisherigen Einrichtungen und Vorschläge. Die damit verbundene größere Gestaltungsmöglichkeit und Freiheit des Miteinander in der Familie müßte die verschiedenen Familienorganisationen zu Befürwortern eines Grundeinkommens prädestinieren. Bauern, insbesondere Klein- und Nebenerwerbsbetriebe, könnten sich mit Hilfe eines Grundeinkommens überlegen, auf eine intensivere, biologische Wirtschaftsweise überzugehen und damit nicht nur Städter mit den gewünschten gesunden Nahrungsmitteln zu versorgen, sondern durch Abbau notwendiger Exportstützungen für die Ausfuhr von Überschüssen wirtschaftliche Trends zu setzen. Für Kirchen und Wohlfahrtseinrichtungen schließlich würden sich durch das Grundeinkommen ganz neue Möglichkeiten erschließen.
Das Problem: Zwar umfassen diese Gruppen zusammengenommen weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung, die Mächtigen und die Entscheidungsträger sind in ihnen jedoch kaum vertreten. Von dieser Seite der Mächtigen und Einflußreichen sind die größten Widerstände gegen ein Grundeinkommen zu erwarten:
- die Vertreter von Industrie und Wirtschaft, die fürchten könnten (ob zu Recht oder zu Unrecht, ist eine andere Frage), mit zusätzlichen Steuern belastet zu werden und dazu womöglich mit anspruchsvolleren, weil unabhängigeren, Arbeitskräften rechnen zu müssen;
- Freiberufler mit sehr hohen Einkommen, die damit rechnen müssen, einen Teil ihrer Privilegien zu verlieren (auch wenn sie dafür an der allgemeinen Verbesserung der Lebensqualität teilhaben werden);
- Gewerkschaften, die bei weniger Arbeit einen Teil ihrer Macht zu verlieren fürchten müssen (was ihnen auch ohne Grundeinkommen nicht erspart bleibt - vielleicht sollten sie in eine Offensivstrategie mit Arbeitslosengewerkschaften eintreten); im Übrigen wäre es gerade Aufgabe der Gewerkschaften, darüber zu wachen, daß eine mögliche höhere Flexibilität sich nicht einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer auswirkt und daß die durch ein Grundeinkommen neu entstehenden Verteilungsspielräume allen zugute kommen;
- Vertreter jener Institutionen, die teils abgebaut, teils umgewandelt würden: der Sozialämter und Sozialversicherungen. Diese Institutionen werden nicht nur um ihren Einfluß, sondern auch um ihre Arbeitsplätze fürchten.
Ein Grundeinkommen einzuführen, wird also keinesfalls ohne politische Kontroversen abgehen, nicht ohne Medienstreit und nicht ohne massive Druckausübung der verschiedenen Interessengruppen. So sehr es legitim und notwendig ist, daß die Interessen aller Gruppen in die Entscheidung mit eingehen, so wichtig ist es doch, daß auch Interessen, die sich weniger durchsetzen können oben: Frauen, Jugendliche, Arbeitslose usw.) das notwendige Gewicht erhalten.
Ist die politische Entscheidung für ein Grundeinkommen gefallen, sind die notwendigen Gesetze für Steuer- und Sozialreform einmal beschlossen, die Übergangsbestimmungen festgelegt, dann ist damit noch immer nicht die Garantie für jene qualitative Entwicklung gegeben, die das Leben in unserer Gesellschaft lebenswerter und sinnvoller machen soll.
Damit die durch das Grundeinkommen ermöglichte Freiheit zu einer wirklichen und genützten Freiheit wird, damit sich kleine soziale Netze, ein autonomer Wirtschaftssektor und neue Formen des Zusammenlebens entwickeln können, bedarf es einer Reihe offensiver Strategien. Es braucht Lernprozesse verschiedenster Art, die durch entsprechende Einrichtungen gefördert und begleitet werden; Mitbestimmungsprozesse in den verschiedensten Bereichen müßten erprobt oder eingeübt, bestehende Einrichtungen und Initiativen im Bereich der Arbeiterselbstverwaltung, der Selbsthilfe und der Nachbarschaftshilfe als Beispiel bekannt gemacht werden. Lernen aus dem Beispiel der anderen, r durch eigenes Tun und eigene Erfahrung wird ein wesentliches Element dieser Entwicklung sein.
Ein von jeder sonstigen Bedingung unabhängiges Recht auf Einkommen, als Konkretisierung des Rechts auf Leben, wird politisch nicht leicht durchzusetzen sein. Alle grundsätzlichen gesellschaftlichen Reformen, von der Einführung des allgemeinen Wahlrechts über das Recht, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen bis hin zum Ausbau der modernen Sozialversicherungssysteme, wurden zuerst lächerlich gemacht und als zerstörerisch bekämpft. So wie uns diese Einrichtungen heute selbstverständlich sind, könnte auch ein vom Leistungseinkommen unabhängiges, die gesellschaftlichen Lebensbedürfnisse sicherndes Grundeinkommen einst zu den Selbstverständlichkeiten unserer Gesellschaft gehören.