Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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5.1. Wirtschaftliche Folgewirkungen

Die fünf vorgelegten Szenarien führen zurecht unterschiedlichen Ergebnissen; sie entsprechen sehr unterschiedlichen Zugängen zu einem Grundeinkommen. Im folgenden soll versucht werden, sie in ihren verschiedenen Auswirkungen zu charakterisieren, und zwar in einem ersten Schritt nach folgendem Raster:

(1) Auswirkungen auf die Budgets der privaten Haushalte;

(2) Folgen für die Betriebe im formellen Sektor;

(3) volkswirtschaftliche Auswirkungen, Finanzierung, Administration.

Szenarium A

(1) Der für dieses Szenarium angenommene Grundbetrag von 4000 Schilling für Erwachsene, 2000 Schilling für Kinder entspricht etwa der Hälfte des österreichischen Pro-Kopf-Einkommens. Würde dies für einen Alleinstehenden unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz für Pensionsempfänger liegen, so wäre die Summe für ein Ehepaar bereits wesentlich höher. Dasselbe gilt für alle nicht beitragsgebundenen und einen großen Teil der bestehenden beitragsgebundenen Sozialeinkommen. Die Einführung eines Grundeinkommens in dieser Höhe würde bedeuten, daß der Druck, um der Existenzsicherung willen jede Arbeit unter jeder Bedingung anzunehmen, wegfallen würde. Genützt würde dieser Freiraum vermutlich in erster Linie von Frauen und jungen Erwachsenen. Der Abstand zwischen einem Grundeinkommen dieser Höhe und den üblichen Einkommen männlicher Erwerbstätiger ist dagegen so groß, daß vermutlich nur wenige Männer bereit waren, auf ihren Arbeitsplatz freiwillig zu verzichten. Um zu vermeiden, daß als Folge eines solchen Grundeinkommens einseitig Frauen aus dem formellen Sektor hinausgedrängt würden (zumindest von Berufen und Positionen, die auch für Männer interessant sind), wäre wohl eine gleichzeitige allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit notwendig.

(2) Für Betriebe könnten Schwierigkeiten bei der Besetzung der traditionellen Frauen-Niedriglohn-Arbeitsplätze auftreten. Mögliche Folge: Rationalisierung einerseits, höhere Löhne oder aber attraktivere Arbeitsbedingungen andererseits. Durch das Grundeinkommen könnten unter Umständen Betriebe, die ein gutes Arbeitsklima und befriedigende Arbeit bieten, auch bei niedrigeren Löhnen Arbeiter finden. Die Kombination von höherer Motivation, niedrigerer Arbeitszeit und dadurch höherer Produktivität der Arbeitnehmer mit relativ oder absolut niedrigeren Lohnkosten könnte in manchen Branchen auch zu höherer Wettbewerbsfähigkeit und damit zu höherem Absatz führen. Auch insgesamt wäre mit einem gewissen wirtschaftlichen Wachstumsschub zu rechnen, allein aus der Tatsache, daß durch ein Grundeinkommen in dieser Höhe die niedrigen Haushaltseinkommen generell steigen würden. Die Wirtschaft könnte insgesamt an Flexibilität gewinnen: geringere soziale Folgen von Rationalisierung und Umstrukturierungen, freiere Vereinbarung von Löhnen und Arbeitszeiten, höhere Motivation der verbleibenden Arbeitskräfte.

(3) Der Finanzierungsbedarf für Szenarium A (rund 210 Milliarden Schilling) entspricht knapp einem Drittel der Masseneinkommen beziehungsweise einem Drittel der Ausgaben für privaten Konsum. Dies ist um vieles weniger als jene Summen, die heute von der öffentlichen Hand umverteilt werden. Im übrigen würde sich diese "Umverteilung" in den allermeisten Fällen auf eine andere Art der Besteuerung, ohne wesentliche Veränderungen in der Höhe, beschränken.

In diesem Szenarium ist eine Einkommensteuerreform vorgesehen, bei der neben den direkten Pauschalen sämtliche Steuerabsetz- und Freibeträge und sämtliche Steuerprivilegien wegfallen würden. Dazu käme eine mäßige Steuerprogression. Wie immer die genauen Details einer solchen Reform aussehen mögen, es würden sicherlich die niedrigsten Einkommen steigen und "Alleinverdiener" (das heißt Familien) gegenüber Alleinstehenden bei gleichem Erwerbseinkommen über mehr Geld verfügen können.

Der Nettozusatzfinanzierungsbedarf hängt von der konkreten Gestaltung der Einkommensteuer ebenso ab wie von den konkreten Regelungen für die ASVG-Pensionen. Soll das Grundeinkommen nur die Zuschüsse aus allgemeinen Budgetmitteln oder- nach Übergangsregelungen - auch den von den Arbeitgeberbeiträgen finanzierten Teil der Pensionen ersetzen, würden sich recht unterschiedliche Einsparungen ergeben. Ein weiterer Teil des Finanzierungsbedarfs könnte aus zusätzlichen Steuern aus dem zusätzlich zu erwartenden Wachstum finanziert werden. Die Einführung einer Art von Produktivitätssteuer, vorerst vermutlich auf niedrigem Niveau, wäre als Begleitmaßnahme vor allem im Hinblick auf die längerfristigen Entwicklungsmöglichkeiten notwendig.

Die Administration eines allgemeinen Grundeinkommens dieser Art könnte sich ohne Schwierigkeiten in den Rahmen der bestehenden Finanzadministration einfügen: Zur Auszahlung analog zur bestehenden Regelung für die Familienbeihilfen käme eine allgemeine Veranlagung. Da bereits heute rund 80% der Steuerpflichtigen veranlagt werden oder einen Jahresausgleich beantragen, bliebe der zusätzliche Verwaltungsaufwand wohl wesentlich unter den in der Sozialadministration dank Grundeinkommen möglichen Einsparungen.

Szenarium B

(1) Bei gleichen Grundeinkommensummen wie in Szenarium A würden hier nur rund eine Million Individuen begünstigt: zum größten Teil Familien mit Kindern und niedrigen Einkommen, zu einem geringeren Teil Personen, die bisher keine eigentlichen Ansprüche haben: Sozialhilfeempfänger, Langzeitarbeitslose, arbeitslose Jugendliche, Frauen. Die Einführung eines solchen Rechts auf ein Mindesteinkommen würde für diese benachteiligten Kategorien eine Möglichkeit zur besseren Planung und Meisterung ihres eigenen Lebens und dem ihrer Kinder bedeuten und damit ihre Menschenwürde stützen; es würde die Einkommensunterschiede zwischen Österreichern vermindern, und vor allem den Kindern aus solchen Familien mehr Chancengleichheit garantieren. Es wäre damit zu rechnen, daß vor allem alleinstehende Mütter mit kleinen Kindern, die um des Einkommens willen arbeiten müssen, auf ihre Erwerbsarbeit verzichten würden. Im Falle restriktiver BegIeitmaßnahmen mit Ruhensbestimmungen und behördlichen Kontrollen könnte dieses Grundeinkommen allerdings für die Bezieher zur "Armutsfalle" werden, anstatt Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten.

(2) Für die Betriebe würde sich aus dieser Art eines garantierten Mindesteinkommens keine wesentliche Veränderung ergeben; die wenigen Arbeitsplätze, die aufgrund der Einführung frei würden, könnten leicht durch Arbeitsuchende besetzt werden. Denkbar wäre allerdings, daß sehr niedrig bezahlte Frauenarbeitsplätze mit schlechten Arbeitsbedingungen aufgrund der Möglichkeit, ein Grundeinkommen zu beziehen, schwieriger zu besetzen wären.

(3) Einsparungen bei Frühpensionen, Krankenkosten und Resozialisierungskosten, zusammen mit der Mehrwertsteuer aus zusätzlichen Konsumausgaben, würden einen großen Teil des zur Finanzierung offenen Betrages abdecken. Das größte Problem bei dieser Form eines Grundeinkommens, das auf einige wenige Kategorien von möglichen Empfängern beschränkt ist, scheint die Gestaltung der Bedingungen und der Abgrenzung. Zusätzliche Tätigkeit und Initiativen jeder Art sollten ermutigt, nicht abgeschreckt werden, auch sollte kein Anreiz geboten sein, kleine Zusatzeinkommen zu verschleiern. Andererseits sollen Erwerbstätige im offiziellen Sektor mit niedrigen Einkommen auf keinen Fall schlechter gestellt sein als Grundeinkommensbezieher. Ein weiteres Problem stellt sich dadurch, daß Sozialhilfe heute Sache der Länder ist, während ein allgemeines Grundeinkommen, auch wenn es nur auf einige Bezieherkategorien beschränkt ist, wohl in die Kompetenz des Bundes fallen müßte.

Diese Art von Grundeinkommen würde durch Verringerung der Einkommensunterschiede etwas mehr soziale Gerechtigkeit bedeuten. Größere Veränderungen wären nur dann zu erwarten, wenn bei steigender Arbeitslosigkeit der Kreis der Bezieher wesentlich erweitert würde. Dies würde dann allerdings auch andere Überlegungen zur Finanzierung erfordern.

Szenarium C

(1) Hier handelt es sich um einen ähnlichen Ansatz wie bei Szenarium A, jedoch mit einem Betrag, der für Erwachsene nur rund ein Drittel des österreichischen Pro-Kopf-Einkommens beträgt. Für zwei Erwachsene ergibt sich dabei ein Einkommen in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für ein Pensionistenehepaar. Auch dieses niedrige Grundeinkommen könnte die Einkommensituation von Familien mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen spürbar heben. Ähnlich wie bei Szenarium A könnte sich dadurch der Druck auf Frauen, sich ganz der Familie zu widmen und auf Erwerbseinkommen zu verzichten, wesentlich verstärken. Darüber hinaus würde das Leben für Studenten oder arbeitslose Jugendliche erleichtert.

(2) Auch diese Art von Grundeinkommen würde vermutlich eine erhöhte Flexibilität des Arbeitsmarktes mit sich bringen, bei geringfügig geringerem Arbeitsandrang und vermutlich höheren Ansprüchen an die Arbeitssituation. Rationalisierungen und Umstrukturierungen von Betrieben könnten unter geringerem sozialem Druck stattfinden, auch wenn all diese zu erwartenden Auswirkungen geringer einzuschätzen sind als bei Szenarium A.

(3) Bei Szenarium C würde etwa ein Drittel der Masseneinkommen anders verteilt; auch hier wäre, wie bei Szenarium A, eine große Steuerreform Voraussetzung. Auch hier müßten wohl alle Absetzbeträge und Steuerprivilegien wegfallen. Im übrigen gilt alles zu Szenarium A Gesagte, mit dem Unterschied, daß ein wesentlich geringerer Teil der bestehenden Sozialleistungen und Transfereinkommen weggefallen könnte und auch die Einsparungen bei der Sozialadministration geringer anzusetzen sind.

Szenarium D

 

(1) Der Vorschlag einer negativen Einkommensteuer in gleicher Höhe für alle Österreicher (damals 1000 Schilling monatlich pro Person) wurde bereits 1979 von Christian Seidl als Beitrag zur Steuerreformdiskussion in Österreich unterbreitet, ein allgemeines Grundeinkommen heute von 2000 Schilling unterscheidet sich von diesem Vorschlag nicht sehr wesentlich. Der Vorschlag Seidls war Teil einer grundlegenden Einkommensteuerreform mit relativ niedrigen fixen Einkommensteuersätzen zwischen 15% (Einkommen aus unselbständiger Arbeit) und 25% (Einkommen aus Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen). Dafür sollten alle Frei- und Absetzbeträge und alle sonstigen Steuerprivilegien gestrichen werden. Für hohe Einkommen war eine Zusatzsteuer von 25% vorgesehen. Das Hauptziel Seidls war eine Vereinfachung und Rationalisierung der Steuern, darüber hinaus auch eine Unterstützung der Unternehmen. Durch Abschaffung der Gewinnsteuer wären zwar Einkommen aus Unternehmen besteuert worden, nicht jedoch jene Gewinne, die im Unternehmen bleiben und investiert werden. Dies kann ein Hinweis darauf sein, daß diese Art einer negativen Einkommensteuer unter Umständen auch zur Umverteilung von unten nach oben werden könnte. Dies wird im wesentlichen von der konkreten Ausgestaltung der Einkommensteuer und ihrer Progressionsstufen sowie der Ausnahmebestimmungen, aber auch von der Gesamtfinanzierung abhängen.

Tatsächlich ist kaum denkbar, daß von einem solchen Grundeinkommen wesentliche Impulse zu einer Änderung der eigenen Lebensgestaltung ausgingen, allenfalls kann darin so etwas wie eine (wesentlich) verbesserte Familienbeihilfe gesehen werden. Für Nur-Hausfrauen könnten 2000 Schilling "eigenes" Geld immerhin eine Verringerung des Abhängigkeitsgefühls bedeuten.

(2) Auf die Betriebe würde dieses Grundeinkommen keine Auswirkungen haben, es sei denn in Form von administrativen Änderungen im Gefolge einer Steuerreform, die jedoch direkt mit dem Grundeinkommen nichts zu tun haben.

(3) Die in Szenarium D letztlich als Finanzierungsbedarf verbleibende Summe sagt wenig aus über den tatsächlichen Finanzierungsbedarf. Dieser hängt im wesentlichen von der Art der mit der Einführung verbundenen Steuerreform ab. So war etwa der von Seidl vorgelegte Vorschlag aufkommensneutral (das heißt, daß die Steuereinnahmen vor und nach einer Reform gleich bleiben). Auch ein Grundeinkommen von 2000 Schilling könnte wohl allein im Rahmen der Einkommensteuer aufkommensneutral gestaltet werden. Eindeutige Umverteilungswirkungen hätte dieses Modell, würde es allein nach dem Beispiel des Familienlastenausgleichs finanziert: Umverteilungswirkungen zugunsten der Familien, die aber doch in erster Linie Familien -mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen zugute kämen. Dies würde allerdings auch um ein Mehrfaches erhöhte Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds voraussetzen.

Wird dagegen ein Grundeinkommen - selbst in dieser niedrigen Höhe - als Beginn einer teilweisen Abkoppelung zwischen Erwerbsarbeit und Einkommen, das heißt als Beginn einer allgemeinen Garantie des Lebensnotwendigen betrachtet, dann müßte auch bei Szenarium D eine große Steuerreform die Einführung des Grundeinkommens begleiten. Die Finanzierung dürfte auch hier nicht allein auf der Einkommensteuer basieren, sondern müßte ansatzweise aus einer Art Produktivitätssteuer kommen, um die Weiterentwicklung (bei wachsender Produktivität und Rückgang der Erwerbsarbeit) zu ermöglichen.

Szenarium E

(1) Dieser Ansatz - ein Grundeinkommen etwa in der Höhe des derzeitigen österreichischen Pro-Kopf-Einkommens - würde eine weitgehende Abkoppelung zwischen Arbeit und Einkommen bedeuten. Da damit eine Summe in der gesamten Höhe der derzeitigen Masseneinkommen oder, anders betrachtet, der gesamten privaten Konsumausgaben umverteilt würde, müßten alle persönlichen Einkommen sehr hoch besteuert werden. Geld als Arbeitsmotivation würde damit fast völlig entfallen. Die Frage, wie unter solchen Umständen die gesellschaftlich notwendige Arbeit verteilt werden soll, ist, will man Zwang ausschließen, nicht leicht zu lösen. Autoren, die derartige Umverteilungen vorschlagen, koppeln sie im allgemeinen an eine zeitlich begrenzte Arbeitsverpflichtung.

(2) Die Auswirkungen einer so fundamentalen Änderung auf die Wirtschaft sind schwer abzuschätzen. Denkbar wäre ein Nebeneinander einer (vermutlich vergesellschafteten) Grundbedarfswirtschaft, in der die Arbeitsverpflichtung abgeleistet wird, und eines sich frei entwickelnden privaten Sektors, der keiner Beschränkung unterliegt und nach den Prinzipien der freien Marktwirtschaft arbeitet.

(3) Damit verbunden wäre eine totale Umstrukturierung des gesellschaftlichen Verteilungssystems Löhne und Gehälter, Einkommen aus selbständiger Arbeit, Steuern, Sozialeinkommen und soziales Netz. Dies würde eine fundamentale Umstrukturierung der Administration und des gesamten Staatsapparates notwendig machen.

Gesellschaftlicher Wandel, wenn auch in weniger radikaler Form, ist jedoch als Folge auch mit allen anderen Szenarien eines Grundeinkommens angelegt. Abschließend soll deshalb versucht werden, wenigstens in großen Zügen die Richtung solcher Transformationen und die dafür notwendigen politischen Impulse und Aktionen in den Blick zu bekommen.

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