Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit
4.4. Direkte ökonomische Effekte (Übersicht IV)
Als nächster Schritt sollen direkte Veränderungen des Wirtschaftssystems durch die Einführung eines Grundeinkommens untersucht werden.
Geht man davon aus, daß durch die Einführung eines Grundeinkommens manche Tätigkeiten, die heute von verschiedenen privaten und öffentlichen Betrieben (zum Beispiel kleine Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe, Altenbetreuung, Krankenpflege und manches andere) zumindest teilweise in den autonomen Bereich privater Initiative übergehen, so bedeutet dies unter anderem auch, daß wirtschaftliche Tätigkeiten, die bis dahin als Bestandteile des Bruttonationalprodukts statistisch erfaßt, das heißt "gemessen" wurden, nun nicht mehr statistisch erfaßt, nicht mehr gemessen und gezählt werden, und damit auch nicht mehr in -das Bruttonationalprodukt eingehen, obwohl die Leistungen nach wie vor erbracht werden. Sie teilen damit das Los der Hausfrauenarbeit und vieler anderer Tätigkeiten, die -schon bisher in Eigenleistung, Nachbarschaftshilfe oder auch im "Pfusch" erbracht wurden.
Theoretisch könnte es durch solche Veränderungen zu einem Sinken des nominalen Bruttonationalprodukts kommen, was zumindest die Verteilungsprobleme verschärfen würde. Da jedoch realistisch - und gerade dank der Einführung eines Grundeinkommens - mit einem langsamen Wandlungsprozeß gerechnet werden darf, kann man nach allen bisherigen Erfahrungen ebenso realistisch annehmen, daß gerade durch die Rationalisierung der "gemessene" Sektor der Wirtschaft genügend wachsen wird, um die Abwanderung in den informellen Sektor zumindest auszugleichen. Dabei stellt sich allerdings die Grundfrage nach der Qualität dieses Wachstums und nach der Fähigkeit des formellen Sektors der Wirtschaft, sich auf die Bedürfnisse eines wachsenden autonomen Sektors einzustellen.
(1) Wie verändert sich die Beschäftigung in der gemessenen Wirtschaft (im formellen Sektor)?
Bereits in der Einleitung wurden jene Gründe angeführt, die - auch unabhängig von der Einführung eines Grundeinkommens - auf einen starken Rückgang der Beschäftigung in den Industriestaaten schließen lassen. Wie viele, welche Arten von Arbeitskräften werden aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden? Wie viele werden dies, unter welchen Bedingungen, zum Anlaß eigener Initiativen im autonomen Sektor nehmen? Nach dem derzeitigen Stand der Entwicklung ist damit zu rechnen, daß in erster Linie wenig qualifizierte Arbeiter und Arbeiterinnen, darunter die meisten Ausländer, niedrig bis mittel qualifizierte Büroangestellte, großteils Frauen, von der Rationalisierung durch die bereits zur Verfügung stehenden Techniken und Systeme betroffen sind. Die Einführung eines Grundeinkommens (jedes Grundeinkommens, jedoch in sehr unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlicher Art und Weise) könnte diesen Prozeß erleichtern und beschleunigen. Welche neuen Formen von Arbeit und Initiativen dabei entstehen können, hängt wesentlich von der Höhe des Grundeinkommens und von den begleitenden politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen ab.
(2) Wie verändern sich Produktion und Nachfrage in der gemessenen Wirtschaft (Bruttoinlandsprodukt)? Wird die Wirtschaft von der ihr eigentlich wesensfremden Aufgabe der Zurverfügungstellung von Arbeitsplätzen um der Arbeitsplätze willen befreit, werden Strukturveränderungen und flexiblere Anpassung an die Nachfrage erleichtert. Da Österreich keine Insel ist, kommt dazu als wesentlicher Faktor die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Wirtschaft gegenüber dem Ausland; diese wird im allgemeinen durch Rationalisierung und Flexibilität erhöht.
Es ist anzunehmen, daß sich die Nachfragestruktur durch die Einführung eines Grundeinkommens um so stärker ändern wird, je höher das Grundeinkommen und je zahlreicher die Initiativen im autonomen Sektor sind. Der damit verbundene Wandel in den Bedürfnissen, Vorstellungen, Wünschen, in der Lebensweise und den Konsumgewohnheiten der Bevölkerung würde auch eine weitere Veränderung der Nachfragestruktur mit sich bringen. Solche Veränderungen der Lebensvorstellungen in Richtung auf einen eigenen, einfacheren Lebensstil und mehr Autonomie sowie mehr eigene, selbstbestimmte Tätigkeiten sind, vor allem unter den Jüngeren, bereits heute vorhanden und spürbar; sie würden durch die Einführung eines Grundeinkommens wesentlich verstärkt.
(3) Wie verändern sich Beschäftigung und Produktion im nicht gemessenen (autonomen) Sektor der Wirtschaft? In Arbeitsstunden gemessen, wird bereits heute in der nicht gemessenen Wirtschaft wesentlich mehr gearbei1tet als im offiziellen Sektor. Nicht nur Hausfrauen mit Kindern haben eine Arbeitswoche, die weit über die kollektivvertragliche Dauer hinausgeht; auch im Zeitaufwand aller Österreicher zusammengenommen nimmt die Hausarbeit mit allem, was dazu gehört, einschließlich der Kinderbetreuung durch die Eltern, mehr Zeit in Anspruch als die Berufsarbeit samt Nebenbeschäftigung (Mikrozensus 1981). Geht man davon aus, daß zumindest ein Teil der Nebenbeschäftigungen im autonomen Sektor (Nachbarschaftshilfe, "Pfusch") angesiedelt sind, zählt man die Arbeit im eigenen Garten, Verbesserungs- und Verschönerungsarbeiten für den eigenen Haushalt hinzu, wird die manchmal aufgestellte Schätzung, der zufolge im Bereich der nicht gemessenen Wirtschaft doppelt so viele Arbeitsstunden geleistet werden wie im offiziellen Bereich, durchaus plausibel. Viele Einfamilienhäuser in Österreich wären nie gebaut worden, Vereine hätten nie bestehen können, vieles an caritativer Hilfe wäre nicht geschehen ohne die unzähligen Arbeitsstunden, die auf freiwilliger Basis geleistet werden, ganz zu schweigen vom wenig quantifizierbaren, für die Lebensqualität um so wichtigeren Bereich der Beziehungen, des menschlichen Zusammenlebens.
Wie weit sich diese Bewegung ausweitet, ob letztlich ganze Gewerbezweige in den autonomen Sektor abwandern, hängt wesentlich von der Höhe des Grundeinkommens, von der Anzahl der Bezieher, aber auch von der Belastung der Unternehmen durch Steuer- und Sozialabgaben und vom Arbeitsangebot im offiziellen Sektor ab.
Denkbar ist allerdings nicht nur, daß arbeitsintensive Gewerbezweige (etwa Friseure, Restaurateure.. .) in den autonomen Sektor abwandern, sondern auch umgekehrt, daß neue Betriebe, vielleicht in ganz neuen Bereichen, die im autonomen Sektor entstehen, infolge ihres wirtschaftlichen Erfolgs in den offiziellen Sektor "hineinwachsen". Daß darüber hinaus ein Wachstum im autonomen Sektor auch Wachstum in der gemessenen Wirtschaft verursachen kann, zeigt sich an den in den letzten Jahren überall neu gegründeten und florierenden Baumärkten, die Hobbybastler (und "Pfuscher") mit Materialien versorgen.
Die Güter und Leistungen, die so in Eigentätigkeit und im autonomen Sektor geschaffen werden, wirken sich also nicht automatisch in einer Verringerung der Beschäftigung und der Nachfrage im Bereich der gemessenen Wirtschaft aus. Ohne in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einzugehen, erhöht sich durch diese Tätigkeiten die Summe der tatsächlich verfügbaren Güter und Dienstleistungen und die Lebensqualität. Kann für die meisten Formen der Einführung eines Grundeinkommens mit einem Zuwachs an Quantität von Gütern und Dienstleistungen ebenso wie an Qualität der Lebensbereiche gerechnet werden, so ist das Ausmaß dieser Entwicklungen schwer in Ziffern auszudrücken.
Dies gilt in verstärktem Maße für den Versuch, einige indirekte ökonomische Veränderungen, die durch das Grundeinkommen ausgelöst werden, in ihren Folgen einzuordnen: