Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit
2.2. Negative Einkommensteuer
Das Hauptziel der Reformbestrebungen in den sechziger und siebziger Jahren war eine Rationalisierung der unübersichtlich gewordenen und kostenaufwendigen Wohlfahrtssystems. Staat Sozialhilfeempfänger zu zwingen, ihre Unfähigkeit zu arbeiten nachzuweisen, sollten Ihnen Anreize geboten werden, etwas hinzuzuverdienen. Statt ihnen bei eigenem Einkommen die Sozialhilfe zu proportional zu kürzen, was einer 100prozentigen Steuer gleichkommt, sollten sie die Möglichkeit haben, die ihnen auf dem Arbeitsmarkt gebotenen Chancen wahrzunehmen und auch entsprechenden Vorteil daraus zu ziehen. Dies würde die Sozialhilfeempfänger davor bewahren, in die "Armutsfalle" zu geraten (das heißt in eine Situation, aus der sie sich aufgrund der restriktiven Bedingungen selbst nicht mehr "herausarbeiten" können). Andererseits könnte so gesichert werden, daß dem Arbeitsmarkt die benötigten niedrig qualifizierten Arbeitskräfte in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sollte die negative Einkommensteuer die Verwaltung vereinfachen und - zumindest im Friedmanschen Entwurf - die Gesamtkosten der Sozialhilfe senken, bei besseren Leistungen für die Bedürftigen.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, daß auch die negative Einkommensteuer kein Zaubermittel für die Lösung aller Finanzierungsprobleme darstellt. Friedman geht von der Steuergerechtigkeit aus: man solle den Armen einen Teil der von ihnen nicht genutzten Steuerfrei in bar rückerstatten. Es handelt sich um jene Argumentation, die in Österreich dazu geführt hat, Kinderfreibeträge und Kinder-Absetzbeträge in Direktzahlungen umzuwandeln. Friedman geht dabei von jener Einkommenshöhe aus, ab der bei normalem Einkommen Steuer zu bezahlen wäre. Tatsächlich sehen alle Steuersysteme eine Einkommenshöhe vor, die in etwa den Lebenshaltungskosten entspricht und für die keine Steuer erhoben wird.
Nehmen wir der Einfachheit halber an, diese Höhe sei 60.000 Schilling jährlich, bei Einkommensteuersätzen von 21% für die ersten zu versteuernden 50.000 Schilling, 27% für die zweiten 50.000 Schilling Jahreseinkommen, usw. (Dieses Beispiel entspricht nur teilweise der Österreichischen Wirklichkeit, da im österreichischen Einkommensteuergesetz das Existenzminimum durch Steuerabsetzbeträge berücksichtigt wird). Ein Alleinstehender mit 70.000 Schilling Jahreseinkommen hätte dann dem Finanzamt 2100 Schilling abzuliefern: 21% von den sein Existenzminimum übersteigenden 10.000 Schilling. Wird nun eine negative Einkommensteuer einfach als Verlängerung des Systems nach hinten betrachtet, würde daraus folgen, daß jemand, der nur 50.000 Schilling versteuerbares Einkommen erzielt hat, vom Finanzamt 2100 Schilling bezahlt bekäme, hätte er nur 10.000 Schilling versteuerbares Einkommen,müßte er 5 x 2100 Schilling = 10.500 Schilling aufgrund seiner Steuererklärung vom Finanzamt ausbezahlt erhaIten. Da der positive Steuersatz für die nächste Stufe bereits 27% beträgt, würde jemand, der keinerlei Einkommen zu deklarieren hat, 10.500 Schilling plus 2700 Schilling = 13.200 Schilling als "negative Einkommensteuer" ausbezahlt erhalten.
Das Problem ist offensichtlich: diese Form der Negativsteuer wäre zwar leicht administrierbar und ohne besondere Schwierigkeiten zu finanzieren, sie würde jedoch niemandem helfen, da die auf solche Weise zustande kommenden Beträge bei einem Viertel des als gesellschaftlicher Mindestbedarf anerkannten Betrags liegen. Friedman selbe schlug deshalb ursprünglich einen negativen Steuersatz von 50% vor, der inzwischen für andere Modellrechnungen übernommen wurde.
Unser Beispiel würde sich damit folgendermaßen verändern: Steuerfreies Einkommen 60.000 Schilling jährlich; 50% = 30.000 Schilling garantiertes Einkommen:
Das eigene Einkommen wird hier jeweils mit 50% des Differenzbetrages auf das steuerfreie Einkommen aufgefüllt. Wer selbst gar nichts verdient, bekommt die Hälfte des steuerfreien Einkommens. Niedrigere Einkommen werden jeweils um die Hälfte der Differenz aufgestockt, das Gesamt-Einkommen erhöht sich dadurch.
Die Probleme sind auch mit diesem Modell nicht gelöst: Obwohl das garantierte Einkommen nur die Hälfte des gesellschaftlichen Mindeststandards beträgt, wird jede eigene Anstrengung mit einem Abzug von 50% belegt. Dies entspricht einem Steuersatz, mit dem sonst erst Einkommensbezieher mit relativ hohen Einkommen (über 300.000 Schilling jährlich) konfrontiert werden - und auch dann nur als Grenzsteuersatz. Wollte man dagegen die negative Einkommensteuer so anlegen, daß das garantierte Einkommen dem gesellschaftlichen Mindeststandard entspricht, müßte der Punkt, ab dem normale Einkommensempfänger Lohn- beziehungsweise Einkommensteuer zu bezahlen haben, doppelt so hoch angesetzt sein. Dies würde eine sehr viel höhere Steuerprogression für alle über diesem Punkt liegenden Einkommen nötig machen, weshalb auch in manchen Modellrechnungen eine 50prozentige Einkommensteuer, analog den 50prozentigen Abzügen auf der unteren Stufe, vorgesehen ist. Die im Prinzip anzusteuernden Ziele: erstens einer hohen Einkommensgarantie, zweitens niedriger Gesamtsteuerraten und drittens eines Steuertarifs, der mit der Besteuerung relativ niedrig einsetzt, sind mit diesem Modell nicht gleichzeitig erreichbar.
Diesem Dilemma auszuweichen, entwickelt Molitor11 ein Modell mit abgestuften Sätzen, das sich - auf unser Beispiel angewandt - wie folgt auswirkt:
Eigenes Einkommen |
Abzugsrate |
Transfer |
Verfügbares Einkommen |
0 - 9.990 |
60% |
30.000 - 24.000 |
30.000 - 34.990 |
Dieses Modell bietet zwar den Vorteil einer relativ hohen Transferzahlung, dafür gehen diese Zahlungen bei zusätzlichem eigenen Einkommen sehr rasch zurück, was praktisch einer sehr hohen Besteuerung der eigenen Einkommen entspricht.
Es wird hier deutlich, weshalb auch eine negative Einkommensteuer im strengen Sinn bisher nirgends eingeführt wurde. All jene, die dafür eingetreten sind, hatten ja die Zielsetzung, ein undurchsichtiges, kompliziertes und mit vielen Kontrollen und Bedürftigkeitsprüfungen verbundenes System der sozialen Sicherheit zu ersetzen und nach Möglichkeit dabei Mittel einzusparen. Die Berechnungen zeigten sehr rasch, daß dies entweder mit einer Verschlechterung der Situation vieler Empfänger von Sozialleistungen oder aber mit erheblich höheren Kosten verbunden würde dies vor allem dann, wenn der Ausweg durch eine Negativsteuer, verbunden mit zusätzlichen, situations- und bedarftgebundenen Sozialleistungen, gesucht wird.
Bevor wir nach möglichen Ansätzen eines Grundeinkommens in der konkreten österreichischen Wirklichkeit von Einkommensverteilung, Steuern und sozialstaatlichen Transfers suchen, soll diese Wirklichkeit kurz dargestellt werden.