Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit
4.9. Der mißtrauische und der vertrauende Blick
Die Frage einer humaneren Zukunft wird sich letztlich daran entscheiden, ob wir mit einem mißtrauischen oder mit einem vertrauenden Blick an die Wirklichkeit herangehen.
Einem mißtrauischen, kritisch-zweifelnden Blick enthüllt sich die gesamte menschliche Wirklichkeit als eine Anhäufung von Gemeinheiten. Gegen den zersetzenden, entlarvenden Pessimismus gibt es im Grunde keine Gegeninstanz. Der mißtrauische Mensch fühlt sich immer bedroht, hintergangen und verraten; der Mitmensch ist nur Gegen-Mensch, die Welt nur Gegenwelt, gegen die er sich absichern muß. Da er im Grunde nichts Positives sehen will, vermag er jede Zukunft auch nur unter dem Vorzeichen des Negativen zu sehen.
Sein pessimistisches Weltbild vermittelt ihm eine scheinbare Überlegenheit, die er über seine Mitmenschen hinweg auch genießt, fehlt es ihm doch nie an "Wirklichkeit", durch die er sich bestätigt fühlt. Jede Selbstkritik erübrigt sich so von selbst 41.
Der Mitmensch wird notwendig zum Rivalen. "Alles ist gegen mich; ich habe das Recht, ja - die Pflicht, mißtrauisch zu sein; will ich selbst nicht untergehen, darf ich gar nicht vertrauen." Mißtrauen erzeugt eine intersubjektiv-gesellschaftliche Logik, die wieder nur Rivalität und Feindschaft produziert.
Wo dagegen Leben ist, ist Vertrauen. Vertrauen ist Treue zu sich selber und zum anderen im Wagnis des je-größeren Lebens. Vertrauen läßt den Mitmenschen sein positive. Vermögen entdecken, er wird sich seiner selbst ansichtig im Vertrauen anderer Menschen; er entdeckt seine eigene Freiheit; im Vertrauen wird ihm Freiheit zugemutet: du selbst kannst das, was auf dich zukommt. Vertrauen setzt immer auf Freiheit.
Vertrauen ist aber kein Freibrief für das, was ein Mensch immer auch tun mag. Vertrauen zielt auf Konsequenz, nicht auf einen freien Spielraum mit beliebigen Möglichkeiten. Wenn Vertrauen nicht Entschiedenheit bedeutete, wäre es Verführung zum Verrat der Freiheit, zum Verrat dessen, was in dieser Freiheit auf dem Spiel steht.
Im Vertrauen traue ich dem Menschen immer mehr zu als das, was ich faktisch sehe. Die Wirklichkeit ist reicher als die faktische Realität, reicher in ihrer Brüchigkeit, in ihren Grenzen und Schwächen. Das Vertrauen überspringt diese faktische Realität nicht, sondern nimmt sie ernst, ohne sich mit ihr abzufinden. Vertrauen ist nie Sicherheit, im vertrau- enden Wagnis erfahre ich Gewißheit: es ist gut so!
Vertrauen fördert die Eigenverantwortung, gegenseitiges Lernen, den Mut zur Delegation von Zuständigkeiten - kurzum: Vertrauen befreit die Menschen aus ihrer gegenseitigen Selbstsicherung und öffnet sie füreinander.
Wie können Menschen, die sich - aufgrund gesellschaftlicher Bedingungen - in dauernder Defensive befinden, frei und kreativ auf die Herausforderungen unserer Zeit antworten? Junge Menschen, die sich auf die Arbeitslosigkeit als "Berufsanfang" "vorbereiten"; das anwachsende Heer von Arbeitslosen, die wir in die Randzone abdrängen, denen wir Milliarden bezahlen, deren positiven Kräfte wir brach liegen lassen, obwohl viel sinnvolle Tätigkeit ungetan bleibt. Mit welchem Recht schließen wir einen Teil der Menschen aus, mit welchem Recht verweigern wir ihnen eine positiv. Integration in unsere Gesellschaft? Mit welchem Recht können wir eine ethische Motivierung und ein vertieftes Engagement für unsere gesellschaftlichen Anliegen von den Menschen erwarten, die jeden Tag um den Arbeitsplatz zittern und die sich einem ihnen von "oben" auferlegten Wert- und Normensystem anpassen müssen, um "überleben" zu Teil können?
Ein Grundeinkommen könnte uns alle freier atmen lassen und Chancen eröffnen zu einem positiven Wandel unserer Gesellschaft. Die Tatsache, daß so manche die Freiheit, die sich mit einem Grundeinkommen bietet, nicht nutzen werden, zählt zum Risiko und Wagnis der Freiheit. Wer darf sich schon das Recht herausnehmen zu entscheiden, welche unserer Mitbürgerinnen und welche unserer Mitbürger ein solches Grundeinkommen verdienen oder nicht?
Die Einführung eines Grundeinkommens würde ohne Frage einen bedeutenden Eingriff in unser Gesellschaftssystem bedeuten - möglicherweise mit vielfach nicht vorhersehbaren und nicht voraussagbaren Folgen. Deshalb müssen auch alle Probleme, die aus der Einführung eines Grundeinkommens erwachsen können, in aller Deutlichkeit und Klarheit als Fragen gestellt und erörtert werden.