Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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4.8. Die Urteilskraft der Privilegierten

Jede Änderung zu einer relativ-besseren Gesellschaft läuft über Risiko und Wagnis. Niemand kann tatsächlich voraussagen, wie sich die Motivation der Menschen und ihre Bereitschaft, die notwendigen Initiativkräfte zu einem positiven Wandel der Gesellschaft einzusetzen, durch die Einführung eines Grundeinkommens entwickeln werden; ob nicht statt des erhofften Wandels zu einer gerechteren Verteilung von Nutzen und Lasten umgekehrt die sich schon ab.‘ zeichnende Apartheidgesellschaft gefördert und damit noch größere Ungerechtigkeit und Unfrieden die Folge sein werden.

Dieselbe Ungewißheit trifft - unter umgekehrten Vorzeichen - aber auch für diejenige Position zu, die den Status quo zu bewahren trachtet. Das "Risiko" des herrschenden Normensystems besteht gerade darin, daß man die gegenwärtige, wachsende Ungerechtigkeit (bezüglich Verteilung von Arbeit, Einkommen, Lebenschancen) rechtfertigt und durch Untätigkeit verantwortlich wird für eine beschleunigte Zunahme von Ungerechtigkeit und Unfriede, und sich. untätig der negativen Eigengesetzlichkeit des Mittel-Systems ausliefert.

Alle großen Gesellschaftsreformen (wie Verbot der Sklaverei und der Kinderarbeit; allgemeines Wahlrecht; Koalition-[Gewerkschafts- und Streik-]recht; Sozialversicherung) wurden zunächst von den privilegierten Schichten mit "guten Gründen" als "utopisch" verworfen und galten als unrealisierbar.

Es ist hier nicht der Raum, die Argumente anzuführen, die gegen solche Reformen vorgebracht wurden. Sie decken sich - in der Substanz - mit den Gegenargumenten, wie wir sie als Einwände gegen ein Grundeinkommen anführten. Ein Beispiel sei jedoch erwähnt.

Der Geschichtswissenschaftler Heinrich von Treitschke (1834-1896) bekämpfte - unter dem Beifall des deutschen Großbürgertums - noch nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts dieses als ein "in seiner unbeschränkten Ausdehnung unsinniges Recht", das zu einer "Vergröberung und Verrohung des öffentlichen Lebens" geführt und den "Mächten der Dummheit, des Aberglaubens, der Bosheit und der Lüge, den Mächten der rohen selbstischen Interessen und den unklaren Wallungen des Gefühls einen unverhältnismäßigen Spielraum im Staatsleben" verschafft habe38. Dem müßten "die höheren Stände, die wirklich gebildeten Klassen" entgegentreten39. Er lehnt die "ebenso unvernünftige und zugleich unsittliche geheime Wahl" ab; durch sie wolle "man Leuten ohne Selbständigkeit geben, was sie nicht haben 40".

Alle Privilegierten suchten und suchen ihren Vorteil mit immer den gleichen Argumenten aufrecht zu erhalten und Veränderungen zu verhindern.

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