Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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4.7. Die Zweideutigkeit eines Grundeinkommens

Diejenigen, die die Einführung eines Grundeinkommens vorschlagen, können damit ganz verschiedene gesellschaftspolitische Zielsetzungen verbinden.

Von diesen Zielsetzungen her sind gegensätzliche Erwartungen und Strategien möglich.

In einem Fall soll sich angesichts der Grenzen des Sozialstaats das Grundeinkommen eignen für eine billige generelle Basissicherung, um breite Schichten von unnützen Menschen kostengünstig stillzulegen. Grundeinkommen, Betonung der Leistung und marktbezogener Eigenvorsorge (wie das Setzen auf private Versicherung) sind Teil einer Wiederherstellung des vom Sozialstaat bedrohten und geschwächten Kapitalismus.

Im anderen Fall soll das Grundeinkommen den Weg zu einer kommunikativeren Gesellschaft eröffnen.

Das Grundeinkommen ist konzipiert als Offensive hin zum Ausbau des autonomen Sektors und von ihm ausgehend zum Wandel auch des formellen Sektors. Es geht in-eins mit dem Aufbau sozialer Netze, mit der Erneuerung und Wiederbelebung der Stadtkerne, vernachlässigter Regionen, Gemeinden, Vereins- und Nachbarschaftsaktivitäten. In dieser Perspektive ist die Einführung des Grundeinkommens Moment einer auf Fähigkeitsentwicklung und Solidarität orientierten Gesellschaft, in der die Entfaltung neuer Werte und Sinnziele einer Muße- und Tätigkeitskultur nicht Privileg einiger weniger, sondern das Lebensnotwendige aller darstellt. ("Offensiv" bezieht sich dabei auf all die Vorgänge, die sich mit der Einführung dieses Grundeinkommens verbinden.)

Was die Nutznießer eines Grundeinkommens für ihr Leben daraus machen, ist ihre Chance, ihr Risiko, ihre Verantwortung. Aber die Allgemeinheit kann diese Chance inhaltsleer lassen - leer wie die Lebenschance des Almosenempfängers -, sie kann aber auch diese Chance anreichern durch ein Angebot von positiven Gestaltungsmöglichkeiten, von Anreizen und Infrastruktur. Eine bislang einseitig abhängige chancenlose Frau, ein bislang in Schulen abgestellter arbeitsloser Jugendlicher - welche Infrastruktur, welche Gestaltungsmöglichkeiten werden sie für ihre Freiheit finden? Das - und nicht etwa Finanzierung und politische Durchsetzung - dürfte sich als die entscheidendere Frage bei der Einführung eines Grundeinkommens erweisen.

Eigeninitiativen, Produktion für die eigenen Bedürfnisse, Selbstfindung und Nächstenhilfe, Bürgerinitiativen und Technologieopposition - all das läßt sich nicht und soll nicht zentral geplant und kanalisiert werden. Aber ein Minimum an Hilfsmitteln und Beratung kann fast ohne finanziellen und administrativen Aufwand bereitgestellt werden.

Das Wichtigste für den Erfolg des Grundeinkommens, zugleich das Schwierigste, das überhaupt nichts kostet, ist: ein öffentliches Klima, das Selbsttätigkeit und Nächstenhilfe hoch, ein Mitlaufen im Tretrad der "Mangelproduktion" und Parasitentum aber gering schätzt.

Allerdings: nichts was zur Entwicklung des autonomes Sektors getan wird - auch nicht die Einführung eines Grundeinkommens -, ist für sich allein offensiv. Diesen Charakter nehmen solche Maßnahmen erst dann an, wenn zugleich auch im formellen Sektor all die Kräfte, die auf eine Apartheidgesellschaft hindrängen, daran gehindert und gezähmt werden. In dieser Perspektive wird die Einführung eines Grundeinkommens erst zu einer umfassenden Strategie, wenn Instrumente einer kommunikativen Rahmenplanung ebenfalls auf die Tagesordnung gesetzt werden.

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