Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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4.5. Wenn das Schreckbild des sozialen Absturzes entfällt. . .

Erich Fromm ist zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, daß es in der Geschichte der Menschheit vor allem zwei Faktoren waren, die die Wahl- und Handlungsfreiheit des Menschen einschränkten: die Gewalt der Herrscher Über Leben und Tod und (bedeutender noch) die Bedrohung durch den Hungertod für alle jene, die die Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht akzeptieren wollten, die ihnen von "oben" diktiert wurden. Diese Bedrohung zwang den Menschen nicht nur, in Anpassung an das vorgegebene Regelsystem zu handeln, sondern auch im Sinne dieses Wert- und Normensystems zu denken und zu fühlen. Die Menschen sollten so gegen jede Versuchung gefeit sein, autonom zu entscheiden und zu handeln 35.

Im Kontext der Debatte über die Einführung eines Grundeinkommens wird oft ein fundamentaler Einwand gespürt, zugleich aber maskiert und aus der Debatte herausgehalten. Dieser Einwand lautet: Unsere Gesellschaft - im Nordwesten wie im Nordosten - funktioniert nur als Wolfsgesellschaft", als eine Verdrängungsgesellschaft, die immer irgendwelche Gruppen braucht, deren Elend die übrigen Gruppen systemgerecht zusammenarbeiten läßt. Wie im Feudalismus die Leibeigenen, wie in der Plantagenökonomie die Sklaven, so geben in jedem Fall ideologisch definierte Randgruppen den als Schreckbild gegenwärtigen Hintergrund ab, vor dem Normalität und angestrebte Ideale sich abheben. So hat auch unsere Gesellschaft ihre nicht minder schreckenden Ränder zur Behauptung von Normalität nötig: "Schmutz" und Arbeitsverweigerung.

Weil das Grundeinkommen einen der beiden normsicherenden Schrecken abzubauen verspricht, nämlich das periodisch wiederhergestellte Elend von Arbeitsunfähigen und unfreiwillig Arbeitslosen, scheint es das Funktionieren unserer Gesellschaft fundamental zu bedrohen.

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