Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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4.2. Das Menschenbild der Anfänger

Das Ja oder Nein zur Einführung des Grundeinkommens wird sich nicht zuletzt am Menschenbild entscheiden, das ich vertrete.

Die Idee eines Grundeinkommens ist unvereinbar mit einem anthropologischen Pessimismus, nach dem der Mensch prinzipiell böse und korrupt ist, ein Mensch, der ständig der Kontrolle, des Zwangs und der Abhängigkeit bedarf und deshalb einer rigiden Ordnung unterworfen und durch festgefügte Strukturen diszipliniert werden muß.

Die Befürwortung eines Grundeinkommens kann sich aber auch nicht an einem unkritischen anthropologischen Optimismus orientieren, der meint, jede Entfremdung des Menschen auf seine strukturelle Entfremdung zurückführen und die Brüchigkeit, Verfallenheit, Verwundbarkeit, die Grenzen und Schwächen des Menschen ausblenden zu können: die "idealistische" Sicht der menschlichen Natur, die da meint, einmal das Grundeinkommen garantiert - und schon blühe allseitig Altruismus und Kreativität auf.

Beide Menschenbilder verunmöglichen eine positive Veränderung von Mensch und Gesellschaft: das pessimistische verfällt der Resignation, bleibt der Vergangenheit verhaftet und verschließt sich dem Neuen; das rein optimistische überspringt die Wirklichkeit, will dem Bestehendes entkommen und flieht so in eine leere Zukunft ohne Realitätsbezug.

Ein realistisches Menschenbild akzeptiert die Gebrochenheit der menschlichen Freiheit, rechnet auch mit den asozialen Kräften und Trieben des Menschen, ohne sich einfach mit ihnen abzufinden. Es sagt ja in unbestechlicher Nüchternheit zur erdrückenden Last und dunklen Not des Alltags. Es ist deshalb von innen her resistent gegen alle utopischen Harmonieideale.

Es weiß aber auch um eine tieferliegende Wirklichkeit des Menschen, eine lebendige Sehnsucht nach Solidarität, Gerechtigkeit, Liebe, Wahrheit und Geborgenheit. Es blickt daher - ohne aus dem Faktischen einfach auszubrechen - nicht gebannt-fatalistisch auf die "konkrete" Situation, sondern vollzieht in ihr mit ganzer Kraft ein "Dennoch". Im Glauben und Vertrauen, daß die Wirklichkeit als das Gute dem Menschen vorweg immer schon übereignet ist, rechnet es mit den positiven Initiativkräften des Menschen mitten in aller Entfremdung, rechnet es mit dem Menschen als Fähigkeits- und nicht nur als Mangelwesen.

Aus diesem Grunde kann eine Kritik am Grundeinkommen nicht akzeptiert werden, wenn sie von jenen kommt, die ihre Ablehnung allein mit dem pessimistischen Menschenbild begründen; und dies deshalb, weil mit diesem Menschenbild bestehende Zustände "von oben" nach "unten hin" gerechtfertigt beziehungsweise stabilisiert werden, Zustände, die an sich verändert beziehungsweise überwunden werden müssen.

"Dieser Gedanke (eines Grundeinkommens, d. Verf.) wird allen jenen undurchführbar oder gefährlich erscheinen, die überzeugt sind, daß "die Menschen von Natur aus faul" seien. Dieses Klischee hat jedoch keine faktischen Grundlagen; es ist einfach ein Schlagwort, das zur Rationalisierung der Weigerung dient, auf das Bewußtsein der Macht über die Schwachen und Hilflosen zu verzichten33. "

Eine Kritik am Grundeinkommen kann auch nicht akzeptiert werden, wenn sie von jenen kommt, die schon selbst "abgesichert" sind und das Risiko ihrer Existenz anderen aber nicht sich selbst auflasten. Sie verlangen Risiko für die anderen, obwohl sie auf ihre eigene Sicherheit nicht verzichten wollen. Nicht auszuschließen ist die Vermutung, daß sie auf Kosten der anderen in den Status der Sicherheit gelangt sind.

Es wird Kritiker eines Grundeinkommens geben, die denjenigen, die diese ökonomische Basissicherung in Anspruch nehmen, vorwerfen werden, sie seien Schmarotzer und nicht imstande, Eigeninitiative auch ohne diese Sicherheit zu entwickeln. Der Sozialstaat degradiere die Freiheit in ein passives Empfängertum entselbsteter Konsumenten hinein, untergrabe sich selbst durch den Abbau individueller und sozial organisierter Produktivkräfte und nehme sich Chancen, eine sozial- und leistungsgerechte Versorgung sicherzustellen.

"Eigenartigerweise" werden diejenigen, die diesen Vorwurf erheben werden, vor allem mit jenen identisch sein, welche energisch gegen mehr Selbst- und Mitbestimmung, also gegen eine Humanisierung der Machtverhältnisse in allen sozio-ökonomischen Bereichen auftreten und die sich gegen eine gerechte Aufteilung der Erwerbsarbeit auf alle Arbeitswilligen und gegen eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung zur Wehr setzen.

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