Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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3.9. Zur Theorie einer kommunikativen Gesellschaft

Eine kommunikativere Gesellschaft bedarf eines gemeinsamen Handelns. Ein gemeinsames Handeln bedarf der gemeinsamen Freiheit. Diese gemeinsame Freiheit wird nur in dem Maße Wirklichkeit, wie jeder den anderen in sein Eigenes freigibt, wie jeder die Chance erhält, aus einem Spektrum von Alternativen frei wählen zu können. Jeder nimmt für sich selbst das unbedingte Recht auf Anerkennung in Anspruch und genügt einer unbedingten Pflicht zur Anerkennung des anderen. Wobei jeder das Anderssein des anderen ernst nimmt im Einräumen dieses Rechts: die Unvergleichlichkeit des Rechts der Freiheit eines jeden.

Wenn ich also will, daß der Mitmensch mir zum Partner wird, muß ich damit einverstanden sein, daß der andere frei wählen kann, daß wir beide frei uns gemeinsam über die Bedingungen unseres gemeinsamen Handelns einigen. Ein Grundeinkommen ist die materielle Voraussetzung für eine Freiheit zu gegenseitiger Bindung, für ein gleichwertiges Partnersein, für wechselseitige Verbundenheit und Verantwortung des Menschen und damit eine der Bedingungen der Möglichkeit für eine Beziehungswirklichkeit, in der nicht einer den anderen für sich selbst verbraucht.

Die interpersonale Freiheit beruht auf der Möglichkeit zur "Trennung" - als ein Freigeben des Menschen an ihn selbst: den anderen auf seinen Weg entlassen, ihn seine wesenhaften Möglichkeiten entdecken lassen, ihn zu ermutigen zu den vielfältigen Spielräumen seiner Freiheit.

Um seine Vermögen zu verwirklichen - sein sinnliches (Sehen, Hören, Schmecken usw.) Vermögen, sein brüderlich-schwesterliches Vermögen, sein kulturelles Vermögen - bedarf der Mensch eines Möglichkeitsfeldes, bedarf der Mensch auch eines menschengerechten Minimums an materiellen "Grundermöglichungen". "Wir", das heißt die gesellschaftlich verfaßten Menschen, helfen dem einzelnen Menschen nur dort, seine Vermögen zu entfalten, wo wir ihm die materiell-ökonomischen Mittel nicht bloß in einem entmündigenden caritativen Sinn oder auf der Basis von Stigmata gewähren, sondern frei zur Verfügung stellen, um ihm zu einem sehenden und hörenden, offeneren und einsatzfreudigerem, mit seiner Welt vertrauterem Mensch-sein zu verhelfen.

Nur in einem gesellschaftlichen Freiraum entstehen gesellschaftlich relevante sozial-innovatorische Impulse. Das Ethos sozialer Verantwortung auf der Basis von Selbstbestimmung und Mitbestimmung kann sich am ehesten im autonomen Sektor herausbilden. In ihm können jene Initiativen reifen, die die Bereitschaft zu sozialer Verantwortung im gesellschaftlichen Gesamtsystem wachsen lassen.

Selbstbestimmung als Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips: die Freigabe der Freiheit durch die Freiheit, da kein gesellschaftliches Teilsubjekt (der Mensch, die Familie, das Netzwerk, das Unternehmen, die Gemeinde, der Staat) in seinem Tun egoistisch vorwegnimmt, was ein anderes Gesellschaftssubjekt kraft seines Freiheitsvermögens selbst vollbringen kann.

Mitbestimmung als Verwirklichung des Solidaritätsprinzips: die Gegenwart der einzelnen Gesellschaftssubjekte untereinander, Dienstfunktion in der Freigabe: das freigegebene, in das eigene Können entlassene Gesellschaftssubjekt ist nicht bloß isoliert-getrennt gegen andere, sondern aufgrund seiner Trennung von den anderen und der Einheit mit den anderen zu immer neuen Spielformen der Verwirklichung von Kommunikation und Kooperation ermächtigt.

Der Akt der ökonomischen Grundsicherung bedarf notwendig angemessener Selbst- und Mitbestimmungsraume, die ihrerseits wieder auf der Voraussetzung der um ihrer selbst willen und insofern frei für den anderen daseienden Freiheit basieren. Nur wenn diese Freiheit an ihr selbst ernst genommen wird, kann die staatlich geeinte Gesellschaft im Akt der ökonomischen Sicherung durch ein Grundeinkommen so handeln, daß die Eigeninitiative nicht verdeckt und die immer notwendigen sozialen Leistungen nicht eliminiert, sondern freigesetzt werden.

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