Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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3.8. Grundeinkommen als Moment gesellschaftlicher Verläßlichkeit

Die staatlich geeinte Gesellschaft könnte durch ein Grundeinkommen das System der sozialen Sicherheit in dem Sinne erweitern, daß nicht nur Notstände beseitigt werden, sondern die Gesamtstruktur des gesellschaftlichen Gefüges zu einem größeren Spielraum befreit wird:

1. in einem individualethischen Sinne als Hilfe zur Selbsthilfe; Freiräume werden geöffnet, die Selbsthilfe im Sinne eines kommunikativen Einsatzes ermöglichen;

2. in einem sozialethischen Sinne als Entbindung und Verstärkung des sozialen Vertrauens.

Der Begriff der gesellschaftlichen Verläßlichkeit ist hier als Ziel und Wirkung eines solchen Grundeinkommens einzuführen: ein Klima der zugetrauten Verantwortung setzt soziale Verantwortung frei, die nur in dem Maße wachsen wird, wie die Sicherheit nicht nur technizistisch (als soziale Ruhigstellung der Menschen) durchgeführt wird, sondern als Fundament einer Umstrukturierung der gesellschaftlichen Verhältnisse - weil eben so nicht mehr jeder zuerst an sich selbst denken muß -, ein Strukturwandel also, der zugleich die Bedingung der Möglichkeit für humaneres Verhalten impliziert.

Sorge und Angst verengen den Blick, lassen die Menschen um sich selbst kreisen; sie zerstören das Verhältnis des Menschen zum Menschen und zur Welt. Die Befreiung von Angst und Sorge durch eine unmittelbare materielle Not gibt Raum frei für eine Weltgestaltung unter dem Vorzeichen der Fürsorge. Die gesellschaftliche Verläßlichkeit befreit von der permanenten Selbstreflexion auf sich selbst und gewährt so die Chance, über die primäre Daseinssicherung hinaus neue Initiativen in Angriff zu nehmen; insofern wäre - sozialethisch gesehen - die Sicherung durch ein Grundeinkommen gerade nicht Stabilisierung des Bestehenden (nach dem Motto "Rette sich wer kann"), sondern sie hätte eine befreiende, eine emanzipatorische Funktion. Aufgrund der Entlastung von entmündigender Abhängigkeit und Selbstschutz gegen Risikofaktoren materieller Art würden neue Formen des Wagnisses auf der sozialen Ebene ermöglicht werden.

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