Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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2.7. Sinnkrise und Zukunftsangst

 

2.7.1. Einwand: Kann mit Geld die Sinnkrise bewältigt werden?

Die Krise unserer Gesellschaft ist nicht zuerst ökonomischer Art, nicht die materielle Armut, sondern die Sinnkrise und die Lebensverdrossenheit der Menschen ist das eigentliche Problem. Das Fehlen eines tragenden Sinnfundaments ist der Grund zur Flucht des Menschen in neue Abhängigkeiten - totalitäre Weltanschauungen, Ersatzreligionen, Sekten, die dem Menschen "Daseins-Sinn" zu versprechen scheinen.

Wie soll ein Grundeinkommen eine Hilfe zur Bewältigung dieses fundamentalen Sinn- und Orientierungsverlustes der Menschen sein können?

 

Entgegnung: Die Offensive gegen die Konkurrenzgesellschaft eröffnet Antworten in der Sinnkrise

Es wäre von vornherein grundverkehrt, dieses Grundeinkommen als den Dreh- und Angelpunkt, gleichsam als ein universell anwendbares und gültiges Rezept zur Lösung aller anstehenden Probleme und Fragen zu sehen und zu konzipieren.

Es eröffnet den Menschen aber durch die Erweiterung ihrer alltäglichen Lebensfreiheiten die Chance, eine Kultur neuer sozialer Verhaltensweisen mitaufzubauen, die - statt auf Konkurrenz und Über- und Unterordnung - auf gleichberechtigter Zusammenarbeit beruht und die dem Menschen jenen tragenden Grund seines Lebens und jenes Grundvertrauen vermittelt, von dem her er Orientierungssinn und Orientierungswissen gewinnen kann.

 

2.7.2. Einwand: Wird nicht die kollektive Lebensangst vergrößert?

Durch die Einführung eines Grundeinkommens wird die Angst der Menschen nicht abgebaut werden können. Die Zukunft ist Menschenwerk - und dieses Menschenwerk ist gefährdet: deshalb wird die Zukunft grundsätzlich auch als Krise empfunden. Die Erfahrung der Gewalt in der Welt fährt dem Menschen die Bedrohtheit der Zukunft vor Augen. Davon ist auch der Sozialstaat nicht ausgenommen: "Der Staat läßt mich vielleicht doch im Stich? Wenn er das Grundeinkommen einer ökonomischen oder politischen Krise wegen nicht mehr ausschütten kann, werde ich dann noch vital genug sein, um mein Leben meistern zu können?"

Der Sozialstaat mit seinem Angebot an Zukunftssicherung erhöht die Krisenanfälligkeit der gesellschaftlichen Systeme: An die Stelle der materiellen Existenzangst schiebt sich Überlebensangst. Deshalb wird durch ein Grundeinkommen das Angstsyndrom eher verschärft als abgebaut.

 

Entgegnung: Die Angst der Reichen nicht in die Angst der Armen hineinprojizieren

Die Grundangst, die der Mensch durch sein Ausgesetzt-sein in einer Welt erfährt, die durch die Todverfallenheit gekennzeichnet ist, kann dem Menschen durch ein Grundeinkommen selbstverständlich nicht genommen werden. Ein Grundeinkommen eröffnet aber Chancen, Angst in vielfacher Weise abzubauen: die Angst des Menschen vor einem ungelebten und verfehlten Leben; die Angst durch die Bedrohung eines Mitmenschen; die Angst, materiell ungesichert zu sein.

Es trifft zu, daß die aufgeblähten Apparate der staatlichen Daseinsfürsorge anfällig für Krisen sind und ihr drohender Einsturz mehr als alles andere uns alle bedroht. Aber die Einführung eines Grundeinkommens soll ja vielen Menschen Auswege aus den "Gehäusen der Hörigkeiten" öffnen. Wieso eine dadurch möglich werdende geschwisterlichere Gesellschaft krisenanfälliger sein soll als die jetzige Konkurrenz- und Verdrängungsgesellschaft, ist nicht einzusehen.

Die materielle Existenzangst kennzeichnet vor allem die Reichen. Die Angst, sie könnten verarmen, läßt sie um so zwanghafter danach streben, Geld anzuhäufen und ihr Vermögen zu sichern - in der "Schweiz", in Gold, in Grundstücken. Der Wiener Soziologe A. Girtler weist in seinem Buch "Vagabunden in der Großstadt" darauf hin, daß die Obdachlosen (die "Sandler") weniger unter der Zukunftsangst leiden als die normalen Bürger23.

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