Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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2.6. Finanzierung und Verteilungsgerechtigkeit

 

2.6.1. Einwand: Mit Geld abspeisen anstatt mit Brot?

Das Grundeinkommen verführt dazu, Freiheit mit materiellem Vermögen zu verwechseln und den Mangel an liebender Menschennähe nicht zu sehen, an dem die Menschen heute vor allem leiden.

Soll persönliche Freiheit und Zuwendung nicht mit einem abstrakten Geldvermögen vertauscht werden, dann ist als Rahmenbedingung des Grundeinkommens eine kommunikative Gesellschaft die Voraussetzung.

Wenn schon an Existenzsicherung durch ein Grundeinkommen gedacht wird, dann wäre es vielleicht besser, Lebensmittel auszugeben zusätzlich eines bestimmten Taschengeldes. Denn es gibt kaum etwas Verletzenderes als zu sagen, kauf dir eine Limonade, anstelle etwa dem anderen unmittelbar ein Glas Wasser zu reichen. Die Lebensmittel haben eine größere Nähe zur personalen Beziehung als das Geld. Der Mensch soll dem Menschen "Nahrung" reichen, das heißt gegenwärtig sein.

 

Entgegnung: Nur solange Geld regiert, braucht jeder Mensch Geld

Diese Entgegnung bezieht ihre Logik aus einer Gesellschaftskonzeption, wie sie in einer gut funktionierenden Ordensgemeinschaft verwirklicht ist. Zwei Grundelemente des sozialen Lebens, die in unserer Leistungsgesellschaft streng verknüpft sind, sind in einer solchen Gemeinschaft strikt entkoppelt: eine Arbeit leisten und ein Einkommen beziehen. Von jedem Mitglied erwartet man zwar einen Beitrag für das Wohl und das Ziel der Gemeinschaft, jedem Mitglied wird aber - unabhängig von seiner Leistung - gewährt, was es benötigt - an Nahrung, Kleidung, Geld.

Die Beziehungen unter den Mitgliedern stehen nicht unter dem Vorzeichen eines Waren – Geld - Charakters sondern vollziehen sich in der Gestalt des personalen und sozialen Mitseins. In einer solchen Gesellschaft erübrigt sich die Einführung eines Grundeinkommens

In einer Gesellschaft in der die Beziehungen der Menschen weithin warengeldförmig sind, das heißt, in der etwas produziert beziehungsweise geleistet wird - nicht zuvor um deiner und meiner selbst willen, nicht unter den Vorzeichen eines sich gegenseitig freigebenden Dienstes -, sondern um des Geldes wegen, sind jedwede Ansprüche, Bedürfnisse, Rechte immer verwiesen auch auf Geld. In einer Gesellschaft, die waren- = geldintensiv ist, heißt Menschen-(= Existenz)recht auch Recht auf Einkommen In einer warenförmigen Gesellschaft heißt Menschsein Zugang zu Waren, das heißt Geld haben. In einer Gesellschaft wie der unseren ist der Mensch ohne Einkommen zum Sterben verurteilt Menschsein ist durch Geld vermittelt.

Zudem ist ein menschengerechtes personales Teilen in einer Geldgesellschaft nur sehr beschränkt möglich, weil die Lebensmittel zweiter Ordnung (Maschinen, Instrumente) nur in einem geldförmigen Austausch erworben werden können.

In einer Großgesellschaft ist es schon aus rein organisatorischen Gründen unmöglich, dem Menschen Nahrung zu reichen anstelle von Geld, wenn man einmal annehmen will, daß Lebensmittel eine größere Nähe zur personalen Beziehung haben als Geld. Abgesehen davon entstünde dann auch die Gefahr eines den Menschen seiner Würde, das heißt seiner Freiheit und Verantwortung beraubendes Füttern im Sinne: tu den Mund auf, du wirst gestopft.

Das Grundeinkommen soll die Chance eröffnen, Menschen als Partner anzusprechen, die bereit sind, eine wenigstens ansatzweise nichtwaren (=geld)förmige Gesellschaft mit aufzubauen. Ja, das Grundeinkommen -- In diesem Geist eingeführt - wäre bereits ein solcher Ansatz!

 

2.6.2. Einwand: Zu wenig oder nicht finanzierbar?

Ein Grundeinkommen - wenn es seinem ihm zugeschriebenen freiheitsstiftenden Charakter überhaupt entsprechen soll - darf nicht so gering sein, daß der Mensch gerade sein Leben fristen kann. Zum Existieren selbst braucht man ganz wenig; aber Leben ist mehr! Der Mensch soll auch die Möglichkeit haben, ein Buch zu lesen, eine Reise zu machen; ein Mann soll seiner Frau auch einmal Blumen kaufen können usw. Soll mit dem Grundeinkommen ein kulturelles Existenzminimum sichergestellt sein, dann müßte es in einer Höhe ausbezahlt werden, die seine Finanzierung unmöglich machen würde, da es von zu vielen Menschen in Anspruch genommen würde.

 

Entgegnung: Die zweckmäßigste Höhe des Grundeinkommens ist eine politische Aufgabe

Die Höhe des Grundeinkommens wird von der Reife der Gesellschaft und ihrem Reichtum abhängen. Liegt es dem Existenzminimum nahe oder darunter, werden viele der erwarteten positiven Effekte ausbleiben. Liegt es wesentlich über dem Existenzminimum, werden ein zu rascher Verfall der Bereitschaft zu fremdbestimmter Arbeit und damit politische Destabilisierungsprozesse die Folge sein (siehe dazu im einzelnen Teil II).

 

2.6.3. Einwand: Noch mehr Steuerprogression oder noch mehr Armutskontrolle?

Wird ein Grundeinkommen ohne " Ansehung der Person" an jeden Bürger (gleichsam auf der Basis eines Bürgerrechts) ausbezahlt, dann müßten zu seiner Bezahlung -schon aus Gründen der Einkommensgerechtigkeit - die Bezieher höherer Einkommen (angefangen von den oberen Mittelschichten) verstärkt zur Ader gelassen werden. Dies hätte nicht nur negative Auswirkungen auf das Leistungsethos, sondern würde auch die politische Durchsetzung eines solchen Grundeinkommens blockieren.

Wird das Grundeinkommen im Sinne des Verfahrens einer "negativen Einkommensteuer" nur an solche ausbezahlt, die weder über eine bestimmte Höhe des Einkommens noch des Vermögens verfügen, dann könnte aufgrund der notwendigen Ausnahmebestimmungen und Kontrolleinrichtungen die Administrierbarkeit so kompliziert werden, daß eine Realisierung schon aus technisch-administrativen Gründen sich als nicht sinnvoll erweist.

 

Entgegnung: Mehr Einkommensgerechtigkeit tut not

Den Kern der Antwort auf diesen Einwand gibt der zweite Teil dieser Studie. Zwei Antworten seien hier vorweggenommen.

Erstens: Das Geld zur Bezahlung des Grundeinkommens soll nicht von den Investitionen kommen, es muß auch nicht zur Gänze von den personalen Einkommen bezahlt werden, sondern ein Teil kann durch die Senkung des Staatsverbrauches bestritten werden, weil ja ein Teil der Reibungskosten, der Kosten zur sozialen Beruhigung, aufgrund des ausgleichenden Effekts des Grundeinkommens wegfallen kann.

Zweitens: Durch die Einführung eines Grundeinkommens besteht die Chance einer gerechteren Einkommensverteilung, die unbedingt genützt werden sollte. Dabei ist nicht in erster Linie an eine Anhebung der Steuerlast, an eine noch steilere Progressionskurve und noch höhere Spitzensteuersätze zu denken. Abgesehen vom Widerstand gegen solche Maßnahmen ist auch die Verflechtung mit der Weltwirtschaft zu bedenken, die alle diese Maßnahmen leicht wieder unwirksam machen könnte (Privilegierte lassen ihr Einkommen im Ausland entstehen oder wandern sogar ab). Soweit Einkommensteuern überhaupt als Steuerungsmittel noch funktionsfähig gemacht werden können, wird vor allem die Durchforstung der vielen Ausnahmebestimmungen - die für viele Großverdiener den Spitzensteuersatz zu einer Farce werden lassen -, für mehr Steuergerechtigkeit und für höhere Staatseinnahmen genutzt werden können. Nicht die nachträgliche Umverteilung (Steuern), sondern das Neu-Teilen der Einkommen an der Quelle, also dort, wo die Einkommen entstehen und ausbezahlt werden, wird der Weg zu einer gerechteren Einkommensverteilung sein. Statt dem Klinikchef eine Million Schilling auszubezahlen und davon S 600.000,- wegzusteuern, würde ein Monatsbezug von, sagen wir S 200.000,-, von dem nur mehr S 100.000,- abzuführen wären, die Grundlage für ein Neuaushandeln der Einkommensverteilung sein.

Es ist daran zu erinnern, daß es wenig Leistungen von Menschen gibt, die nicht abhängig sind von den Leistungen anderer Menschen. Auf welche Leistungen und Vorleistungen anderer Menschen ist zum Beispiel ein Chirurg angewiesen, damit er seinen Beruf überhaupt ausüben kann? Zudenken ist auch an die gesamte Infrastruktur, die ihm von der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt wird. Die Vorleistung ist zudem nicht nur sachlich (Apparate, Institutionen) und von ihren gesellschaftlichen Bedingtheiten her (andere sorgen dafür), sondern auch auf die Vorleistung der Natur im Verhältnis zum und zwischen Menschen zu sehen. Für unser Beispiel heißt dies: Medicus curat, natura sanat. Viele Mediziner verfallen heute aufgrund der verindustrialisierten medizinischen Technik der Illusion, daß sie die Heiler sind. Die Technik suggeriert die Machbarkeit und Herstellbarkeit von Gesundheit.

Es gibt auch keinen objektiven Maßstab, um Leistung zu bewerten. Die Maßstäbe für die derzeitige Einkommensverteilung entsprechen politisch-kulturellen Normen, zum Beispiel das Faktum, daß "geistige" Tätigkeiten höher als "körperliche" bewertet und bezahlt werden.

Eine ungerechte Einkommens- und Vermögensverteilung hat für eine Gesellschaft zerstörerische Folgen: Sie führt zur Stärkung der Machtkonzentration, zu Klassenbildung, zu Verteilungskonflikten, zu Statushierarchien; zur Steigerung der Leistungsbereitschaft nur einer gewissen Schicht; der Arbeiter ist desinteressiert an der Kapital- und Investitionsentwicklung, das reine Konsum- und Lohndenken wird dadurch verstärkt. Mit dem hohen Einkommen sind Vorteile verbunden wie größere Gesundheits-, Bildungs-, Freizeit- und Kulturchancen. Und vor allem wird der Nachahmungskonflikt angeheizt: was du hast, muß ich auch haben; der Ausweg ist dann das Anheizen der technisch-wissenschaftlichen Expansion, uni neues Material für den Nachahmungskonflikt bereitzustellen.

So sehr die Einkommensverteilung auch die Leistungsbereitschaft (aber aller Menschen!) und Bedürfnisunterschiede zu berücksichtigen hat, so dürfen die Einkommensunterschiede ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, sollen sie nicht zu den eben aufgezeigten desintegrierenden Folgen für die Gesellschaft führen.

 

2.6.4. Einwand: Sollen die Armen der armen Länder unsere Armen finanzieren?

Wenn es zutrifft, daß die sogenannten Schwellenländer und die Staaten der Vierten Welt aufgrund der ungerechten Weltwirtschaftsordnung für unseren Reichtum zumindest mitaufkommen, ist es dann nicht zynisch, bei uns ein Grundeinkommen durch den Hunger und das Elend der Menschen in der Vierten Welt mitfinanzieren zu lassen? Wäre zur Linderung der Not in der Vierten Welt nicht ein ganz anderer Weg einzuschlagen, nämlich der, mehr zu arbeiten, um mit dieser Mehrarbeit die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Teils der Weltbevölkerung sicherzustellen, der in Hunger und Elend verkommt?

 

Entgegnung: Ein Wandel bei uns kann den armen Ländern am meisten helfen

Eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung ist ohne den wesentlichen Wandel der Wirtschaftsstrukturen in den Metropolen der Länder des industriellen Nordens nicht denkbar. Ein Grundeinkommen soll ja gerade einen solchen Wandel (siehe dazu den Abschnitt 3) mitermöglichen.

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