Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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2.5. Abhängigkeit und Manipulation

 

2.5.1. Einwand: "Brot und Spiele" auf modern?

Die Abhängigkeit vom Staat würde durch ein Grundeinkommen nicht abnehmen, sondern enorm wachsen. Wenn die privilegierten Gruppen, die sich des Staates bedienen, klug sind, lassen sie eine konkret-materielle Subventionierung der Bürger einführen. Das ist die List von "Brot und Spielen". Die Leute haben "Brot", sie werden nicht rebellisch. Sie haben ein Spectaculum: eine Vielfalt von Fernseh- und Videoangeboten; schauen ohne Anstrengung, ohne Arbeit, ohne Leistung (= freier Eintritt). Essen können ohne Schweiß, diese paradiesische Verheißung würde nun -garantiert durch den Staat - endlich Wirklichkeit werden.

Wenn es einem Demagogen gelingt, die Zukunftsangst des Menschen zu thematisieren und zu mobilisieren mit dem Versprechen, noch mehr Sicherheit bieten zu können als heute, dann wird ein Großteil der Bevölkerung einem solchen " Ruf" folgen. Für ein solches Programm der Zukunftssicherung eignet sich ein Grundeinkommen vorzüglich. Diktatur über Sozialleistungen!

 

Entgegnung: Je größer der Freiheitsspielraum, desto geringer die Gefahr der Manipulation

Aufgrund dieses Einwandes fragt man sich unwillkürlich, warum noch keiner der modernen autoritären oder totalitären Staaten auf den Gedanken kam, ein solches Grundeinkommen einzuführen. Eine Freisetzung der Menschen durch ein Grundeinkommen läßt eine "Free-floating-Gesellschaft" entstehen, die für die Stabilität eines autoritären Gesellschaftssystems ungeheuer gefährlich ist. Je weniger., Freiheitsspielraum gegeben ist, um so sicherer ist das System.

Ein autoritär-totalitäres Staatsgebilde wird weder ein Interesse haben an einem solchen Grundeinkommen, noch wird es sich auf eine solche Diskussion einlassen, weil auf weite Strecken sein Interesse darin besteht, die Menschen systemkonform zu integrieren und ihnen möglichst wenig Freiraum der kritischen Reflexion, des zwecklosen Sich-zurück-nehmens auf sich selbst, der Infragestellung ihrer Lebens- und Daseinsräume zu lassen. Die Arbeitslosen und die Verschlissenen hat der Staat bei der Stange; sie kommen nicht auf dumme Gedanken - sie sind durch die Abhängigkeit von der Sozialhilfe in gewisser Weise immer noch systemintegriert.

Menschen in ihre Freiheit zu rufen, sie in ihrer Freiheit zu aktivieren, kann nicht der Staat, sondern können nur konkrete Menschen als Freiheitssubjekte und die konkrete Gemeinschaft. Der Staat aber kann den Spielraum schaffen, der diese kommunikativen Prozesse ermöglicht und fördert. Ein Grundeinkommen eröffnet dafür die materiellen Voraussetzungen.

 

2.5.2. Einwand: Eine neue Klientel für die Verteilungseliten?

Die Politiker beurteilen Umverteilung nach der Wählerwirksamkeit. Es werden die Gruppen bevorzugt, die mehr Stimmen bringen; solche Gruppen behalten zugewachsene Vorteile länger und haben auch mehr Chancen, neue Vorteile zu bekommen.

Wenn Politiker vor der Wahl stehen, zwischen einer fälligen Erhöhung eines Grundeinkommens und zum Beispiel der Verbesserung der Drogenbekämpfung zu entscheiden, so würden sie eher die fällige Erhöhung vornehmen, als die nicht so stimmengewichtige Klientel der Drogenabhängigen zu versorgen.

Sollten diejenigen, die das Grundeinkommen in Anspruch nehmen, einen gewichtigen Umfang annehmen, so stellen sie eine nicht zu unterschätzende Macht im Staate dar, die die Politiker unter Druck setzen, beziehungsweise um deren Stimmen von den Politikern gebuhlt werden würde: die Grundeinkommensbezieher als Klientel für die Verteilungseliten. Alle schwächeren Gruppen würden zugunsten dieser Klientel vernachlässigt werden. Dies könnte sich zum Beispiel auch als Unrecht gegenüber den Arbeitslosen erweisen, die ja im Sinne der Erwerbsarbeit produktiv sein wollen.

 

Entgegnung: Ein stabiles Grundeinkommen verringert die Manipulationsgefahr

Dieser Einwand gewinnt dann an Gewicht, wenn die bisherigen Methoden des Ausbaus des Sozialstaates kritiklos auch auf die Bezieher des Grundeinkommens angewandt werden. In dem Maße, wie dies der Fall ist, werden die Grundeinkommensbezieher in diesen Prozeß nicht als Menschen einbezogen, die man als Partner für Reformvorhaben gewinnen will und die zu ihrer Existenz- und Entfaltungsmöglichkeit auch Geldzuweisungen benötigen, sondern sie würden als eine neue und für Manipulationen besonders anziehende Klasse von Anspruchsberechtigten erscheinen, die zwecks Stimmenmaximierung hinausfiltert oder zwecks Durchsetzung eines harten Kurses benachteiligt werden würden.

Ein möglichst generelles, das heißt möglichst allen Menschen gewährtes und ein über die Zeit stabiles Grundeinkommen würde den Anreiz für derartige Manipulationen verringern und daher auch die Ansprüchlichkeit weniger leicht entstehen lassen.

 

2.5.3. Einwand: Demontage des Sozialstaates oder noch mehr Bürokratie?

Daß ein Grundeinkommen der Entbürokratisierung diene, leuchtet nicht ein, denn viele Zuwendungen wie die Arbeitslosen-, Familien- und Invalidenunterstützung, die Kranken- und Pflegeversicherung usw. können nicht aufgehoben werden. Hat die Einführung des Grundeinkommens zwecks Entbürokratisierung aber zum Ziel, soweit wie nur möglich alle wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen zu ersetzen, dann ist damit die Gefahr verbunden, daß der arbeitslose Arbeiter, der Alkoholiker, der Strafentlassene eine geringere Sozialleistung erhält. Ungewollt könnte am Ende der Sozialstaat im Hinblick auf diejenigen geschwächt werden, die seine Unterstützung am nötigsten haben.

 

Entgegnung: Ein zweites Sicherheitsnetz anstatt Kostenexplosion

Dieser Einwand wird dadurch entkräftet, daß ja durch ein Grundeinkommen ein doppeltes Netz sozialer Sicherheit geschaffen werden soll. Zum einen das soziale Netz des herkömmlichen Sozialstaates, zum anderen das soziale Netz, das durch neue soziale Hilfs- und Lebensgemeinschaften entstehen würde. Die Nachteile beider Systeme könnten dadurch vermieden werden: einerseits könnten durch die Selbstversorgung in den neuen sozialen Netzen die kostspieligen und isolierenden Momente des Sozialstaates eingedämmt werden, zum anderen sind die sozialen Einrichtungen des Sozialstaates zur Sicherung derjenigen notwendig, die nicht auf eigenen Beinen stehen, beziehungsweise die nicht in den Genuß dieser zwischenmenschlichen Hilfe gelangen können.

Das Grundeinkommen ist auch zu sehen als Alternative zu dem Vorhaben, den Sozialstaat auf weitere Gruppen von Bedürftigen auszuweiten, dadurch aber auch die sozialstaatliche Bürokratie mit ihrer Kostenkrankheit und ihrer typischen Kontraproduktivität auszudehnen.

In der Logik des Sozialstaates zum Beispiel läge es, für die berufsbehinderten Hausfrauen und Mütter eine spezielle Versorgung (Hausfrauengehalt) aufzubauen. Die Nachteile waren die Ausdehnung der Waren-Geld-Beziehung auf einen weiteren Lebensbereich und übermäßige Kosten. Die Alternative wäre nur zu wählen zwischen diesen Nachteilen des ausgedehnteren Sozialstaates oder der Beibehaltung eines ungerechten und für die betroffenen Frauen und Kinder schädlichen Zustandes.

Vor diesem Hintergrund wäre dann das Grundeinkommen zu sehen. Erstens würde es in einem Bereich, dessen Stigmatisierung pervers wäre (Kindererziehung - Beziehungsarbeit), die Benachteiligung der Kinder und Frauen aufheben, sie müßten nicht zu dieser Stigmatisierung Zuflucht nehmen; zweitens wäre ein geringerer Ansatz für eine Kostenexplosion gegeben.

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