Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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2.2. Verantwortlicher Gebrauch der Freiheit

 

2.2.1. Einwand: Wer wählt schon sinnvolle Alternativen?

Dem Menschen werden durch ein Grundeinkommen mehr "Alternativen" eröffnet, so wird gesagt! Welche? Die der bestehenden Gesellschaft? In die Diskothek oder ins "McDonald" zu gehen? Sich den Mini-Luxus leisten zu können, für den die Industrie sorgt? Die Möglichkeiten, die von unserer Gesellschaft bereitgestellt werden, sind weithin Pseudoangebote von Menschlichkeit, die von der Industriegesellschaft als Ware abgepackt angeboten werden. Unter solchen Bedingungen würde ein Grundeinkommen nur die Qual der Wahl vergrößern; sie macht aber den Menschen nicht freier!

Oder der Mensch wählt als Alternative die riskante Vitalität (Autoroulette: Überholen in unübersichtlichen Kurven; waghalsige Wetten und Wettkämpfe) oder das Glücksspiel als Aufstand gegen den gesellschaftlichen Determinismus.

 

Entgegnung: Bevormundung ersetzt nicht das Erlernen der Freiheit

Das Grundeinkommen ist von uns konzipiert als eine gesellschaftliche Tat, die Freiheit und Eigenverantwortung freigibt. Die schlechte Bevormundung durch andere Menschen - "ich weiß, was gut für dich ist" - soll ja gerade abgebaut werden. Und übrigens: welchem Menschen kommt das moralische Recht zu, sich Sorgen zu machen über den sinnvollen Gebrauch der Freiheit seiner Mitmenschen? Sicher nicht jenen, die ihre Einflußmöglichkeiten in Wirtschaft und Gesellschaft nicht nützen, durch gerechtere Lebens- und Arbeitsbedingungen größere Freiheitsräume zu schaffen.

 

2.2.2. Einwand: Sozial garantierter Hedonismus?

Die verbreitete Unfähigkeit, Freiheit verantwortlich zu gebrauchen, verstärkt auch die Versuchung - besonders unterer Schichten - Geld für sinnlose, schädliche, ja unmoralische Zwecke (Spielautomaten, Dirnen, Alkohol) auszugeben. Eltern kaufen sich unnütze Dinge auf Kosten zum Beispiel von Bildungsausgaben für die Kinder. Die Gefahr eines Grundeinkommens ist also der sozial garantierte Hedonismus.

Um solchen Schäden vorzubeugen, bedarf es zusätzlicher Kontrolleinrichtungen; die durch sie nicht zu verhindernden Schäden müßten "repariert" werden. Beide Maßnahmen führen zu einer zusätzlichen Belastung des staatlichen Budgets.

 

Entgegnung: Hedonismus ist eine Versuchung für alle Einkommensgruppen

Diese Argumente treffen auch auf die Reallohnsicherung und Reallohnsteigerung zu. Mit dem Grundeinkommen als solchem haben sie nichts zu tun, außer man unterstellt, daß Bezieher niedriger Einkommen eher solche moralischen Schwächen haben. Dieser Einwand gilt allgemein: in allen Kreisen gehen die Menschen mit Geld schlecht um. Wenn man sieht, wie die Jeunesse Dorée mit den Surrogaten eines skandalösen Wohllebens ausgestattet wird - vom Sportwagen bis zum Monatsscheck, dessen Höhe weit über dem liegt, wovon ganze Familien leben müssen-, dann bedarf es ausgeprägter Parteilichkeit, wenn wir dem Alkoholiker vorwerfen, daß er sich vielleicht mit Hilfe eines bescheidenen Grundeinkommens weiter vergiftet.

 

2.2.3. Einwand: Ist nicht Müßiggang aller Laster Anfang?

Der Mensch benötigt die Mühsal und auch die Härte der Arbeit zur Selbstdisziplinierung; insofern hat die Arbeit einen emanzipatorischen Charakter: Arbeit macht frei! Um seine Selbstzentriertheit zu überwinden, um seine immer (auch) destruktiven Triebe in Schach zu halten, zu kanalisieren beziehungsweise zu transformieren, bedarf der Mensch auch externer Antriebe und Zwänge. In der Drogenüberwindung erzielt man mit der Arbeitstherapie die besten Ergebnisse. Heute sucht ein junger Mann eine Lehrstelle zwar mühselig, nach der Einführung des Grundeinkommens würde er sich sagen: ich pfeife drauf! Dieser junge Mann würde keinen Beruf mehr erlernen und sich gerade so jede sinnvolle Zukunft verbauen.

Wenn die Disziplinierung durch Arbeit aber nicht mehr gegeben ist, dann fallen auch die Regeln und Normen weg, nach denen das menschliche Leben geordnet wird. Eine Gesellschaft bedarf gewisser Stigmata als Mittel der sozialen Kontrolle, um sich gegen die zerstörerischen Folgen des Egoismus der Menschen zu schützen.

 

Entgegnung: Nicht der Arbeitszwang, sondern die Chance sinnvoller Tätigkeit macht Sinn

Heute macht der Arbeitszwang den Menschen weithin krank. Es ist zu fragen, ob die Tretmühle fremdbestimmter Arbeit für die Zwecke der Selbstdisziplinierung besser geeignet ist als selbstgewählte Tätigkeit, die ja nicht unbedingt identisch sein muß mit einer bezahlten und fremdgesteuerten Arbeitsverrichtung. Damit kommt die entscheidende Alternative in den Blick: einerseits der Zwang, arbeiten zu müssen, ohne zu wissen, wozu es gut ist; andererseits: die Herausforderung durch eine sinnvolle Tätigkeit.

Ethische Verbindlichkeit ist ja nicht nur durch das Kommando dessen möglich, der über meine Arbeitskraft verfügt; sie könnte ebenso aufgrund der Ansprüche einer freigewählten Gruppe erfolgen, mit der zusammen ich sinnvolle Tätigkeiten unternehme (Sozialdienste, Eigenarbeit, die unmittelbare Gebrauchsgüter wie Kleider, Keramik herstellt).

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