Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit
1.5. Die Logik des Kapitals durchbrechen
"Kapital", auf dessen Logik unser Wirtschaftssystem aufgebaut ist, ist ein ökonomisch vermitteltes Herrschaftsverhältnis, dessen Gesetzlichkeit alle unterworfen sind. Der unselbständig Erwerbstätige ist in diesem Herrschaftsverhältnis abhängig, weil er nur so seinen Lebensunterhalt sichern kann. Die überwiegende Zahl der unselbständig Erwerbstätigen bekommt durch ihre fremdbestimmte Arbeit zwar soviel Lebensmittel, daß sie ihr Leben erhalten können, aber nie so losgelöst vom Produktionsprozeß, daß sie wirklich frei = unabhängig sind. Sie müssen arbeiten, damit sie etwas zu essen haben, und haben im breiten Durchschnitt nur soviel zu essen, daß sie ihre Arbeitskraft herzustellen in der Lage sind, um weiter im Produktionsprozeß einsatzfähig und verbraucht zu werden. Ihre Existenz ist in der Notwendigkeit einer unauflöslichen Rückkoppelung in den Produktionsprozeß gefangen.
Die große Zahl der unselbständig Erwerbstätigen ist in diesem Herrschaftsverhältnis ohne Chance, sich daraus zu befreien, jeder ist in es eingebunden, allenfalls ist in ihm ein Ortswechsel möglich, aber niemals ein "Aussteigen".
Dieses Herrschaftsverhältnis vollzieht sich konkret in der Verfügung über die im Produktionsprozeß eingesetzten Mittel (= Kapital im engeren Sinn). Jene, die über Kapital als Produktionsmittel verfügen, sind ihrerseits auch nicht frei; aufgrund der herrschenden Wettbewerbsbedingungen und ihrer Gesetzlichkeit sind sie gezwungen, ihre Entscheidungen - tendenziell - bei Strafe des Untergangs ihres Unternehmens - unter dem Kalkül von Macht, Wachstum und Profit zu treffen. Menschen, die hierfür gebraucht werden, werden als Arbeitskräfte verzweckt. Ihren Wert sehen sie selbst in der Höhe des Lohnes ausgedrückt und betrachten umgekehrt ihre Mitmenschen, die über Kapital verfügen, reduziert auf deren "Privilegien".
Die interpersonale Anerkennung wird daher fortwährend durch die Strukturnotwendigkeiten der ökonomischen Sachprozesse niedergehalten beziehungsweise eliminiert. Das ökonomische System produziert Entfremdung.
"Kapital" ist in unserem Wirtschaftssystem also immer zuerst ein Verhältnis zwischen Menschen, und da das Kapital als Produktionsmittel aufgrund der Konkurrenzbedingungen zur Machtkonzentration tendiert, schafft "Kapital" Macht-Konkurrenz-Beziehungen zwischen den Menschen und Institutionen.
Karl Georg Zinn hat sehr eingehend und überzeugend die Allgegenwart der Angst beschrieben und analysiert, die durch die Macht-Konkurrenz-Beziehungen ausgelöst wird. Sie ergibt sich aus dem Funktionsmechanismus des kapitalistischen Wirtschaftssystems, in dem die ständige Bedrohung der ökonomischen Existenz des Individuums angelegt ist. "Die Gesamtwirtschaft mag prosperieren, das Sozialprodukt mehr oder weniger kontinuierlich wachsen und die Stabilität des Systems somit gewährleistet sein; dennoch sieht sich der Einzelne ständig vom ökonomischen Mißerfolg bedroht. Das Marktsystem zerschneidet im Prinzip die soziale Bindung des Individuums an die Gesellschaft. Schutz, Geborgenheit, Anerkennung werden nur über den ökonomischen Erfolg zugewiesen; und mit dem ökonomischen Fehlschlag wird auch die soziale Existenz vernichtet. Eine Gesellschaft, die des ökonomischen Wachstums wegen den Menschen sozialer Isolation preisgibt und ihn in seinen wesentlichen Lebensäußerungen auf die Verfolgung des ökonomischen Interesses drückt, zugleich aber den Erfolg der ökonomisch gerichteten Anstrengungen mit extremen Unsicherheiten belastet, wird zu einer Gesellschaft der Angst9."
Auf dem heutigen Produktions- und Verteilungsniveau der kapitalistischen Gesellschaft stellt sich die ökonomische Angst nicht mehr als Angst vor dem Hunger dar, "sondern hat die subtilere Form der Angst vor der "sozialen Armut", dem ökonomischen Abstieg und den damit verbundenen sozialen Beziehungsverlusten angenommen; ökonomische Schwäche stigmatisiert10.
Weil Angst allgegenwärtig ist, reagiert der Mensch um des psychischen Überlebens willen mit der Unterdrückung der Angst. Angst wird zum tabuisierten Phänomen; Angst einzugestehen, heißt, Schwäche zeigen; und dies ist tödlich in einem System der Leistungskonkurrenz.
Die logische Konsequenz angsterzeugender Verhältnisse ist bei der Masse der Bevölkerung die tägliche Sorge um Arbeit und Lohn, bei den Kapitalverfügen vor der Konkurrenz und der damit verbundene Zwang, die eigene Position zu stärken und auszubauen.
Durch ein Grundeinkommen, das in einem gewissen Maß die freiere Wahl des Arbeitsplatzes ermöglicht, würde das Kapitalverhältnis als ein gesamtgesellschaftliches Herrschaftsverhältnis wenn auch nicht gebrochen, so doch aufgebrochen, entschärft werden; der Zwang, kränkende und krankmachende Arbeiten anzunehmen, wäre aufgehoben. Es entstünde ein Druck auf die Kapitalverfüger, die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen zu verbessern. Viele negative Folgen einer massiven Arbeitslosigkeit würden wegen des verminderten Druckes auf den Arbeitsmarkt gemildert werden; der Zwang zu einer Beschäftigungspolitik (verbunden mit gewaltförmiger Durchsetzung von wirtschaftlicher Expansion) mit der Konsequenz schädlicher und sinnloser Produktion würde abnehmen.
"Jeder einzelne kann nur dann frei und verantwortlich handeln, wenn eine der Hauptursachen für die heutige Unfreiheit beseitigt ist: die wirtschaftliche Drohung, welche die Menschen zwingt, Arbeitsbedingungen anzunehmen, auf die sie sich sonst nicht einlassen würden. Es wird keine Freiheit geben, solange der Kapitalbesitzer dem Manne, der "nur" sein Leben besitzt, seinen Willen aufzwingen kann, weil der letztere als der Kapitallose keine Arbeit hat außer der, welche der Kapitalist ihm anbietet"11." "Wenn niemand mehr genötigt wäre, Arbeit zu übernehmen, um nicht zu verhungern, dann müßte die Arbeit interessant und anziehend genug sein, um zur Annahme zu reizen. Vertragsfreiheit ist nur vorhanden, wenn beide Parteien in der Lage sind, die Bedingungen anzunehmen oder zu verwerfen. Im gegenwärtigen kapitalistischen System ist das nicht der Fall. Doch wäre ein solches System nicht nur der Beginn echter Vertragsfreiheit zwischen Arbeitgeber und -nehmer, es würde auch die Sphäre der Freiheit des zwischenmenschlichen Verkehrs von Person zu Person im Alltagsleben ungemein erhöhen. Betrachten wir einige Beispiele. Jemand, der heute eine Arbeit hat, aber seine Tätigkeit nicht mag, ist häufig zum Ausharren gezwungen, weil er nicht die Mittel hat, Arbeitslosigkeit für vielleicht ein bis zwei Monate zu riskieren, und wenn er von sich aus den Arbeitsplatz verläßt, hat er keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Wahrheit gehen die psychologischen Wirkungen seiner Situation viel tiefer. Die bloße Tatsache, daß er nicht riskieren kann, entlassen zu werden, ist geeignet, ihn seinen Chef, oder von wem immer er abhängig ist, fürchten zu lassen. Er wird sich gehemmt fühlen, ihm entgegenzutreten, er wird ihm zu gefallen suchen und unterwürfig werden wegen der immer gegenwärtigen Furcht, der Chef könne ihn entlassen, wenn er sich zu behaupten suchte. Oder nehmen wir den Fall eines Mannes, der mit 40 Jahren beschließt, zu einer ganz anderen Arbeit überzugehen, die für die Ausbildung ein oder zwei Jahre erfordert. Während diese Entscheidung unter den mit der Garantie des Existenzminimums gegebenen -Umständen bedeuten würde, daß er während dieser Zeit mit großen Einschränkungen zu leben hätte, würde es eines großen Enthusiasmus für das erwählte neue Arbeitsfeld bedürfen, und nur wirklich begabte und ernsthaft Interessierte würden diese Wahl treffen12."