Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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1.4. Lebensfreundliche Leistungen statt Leistungszwang

In unserer Leistungsgesellschaft zählt im Grunde nur, was gezählt werden, dem Kosten-Nutzen-Kalkül unterworfen werden kann. Die gesamte Wirklichkeit steht unter der Herrschaft des "Um-Zu": alles wird definiert und bestimmt durch seine Verzweckbarkeit und Brauchbarkeit. Die Wirtschaft für die Politik, die Politik für die Wirtschaft; das geistige Leben als Vehikel für öffentliche Anerkennung; die Ethik zur Systemstabilisierung; die Sinnfrage zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung.

Der Schüler wird bewertet nach seinen Noten, der Wissenschafter nach seinen Veröffentlichungen, der Arbeiter aufgrund seiner Funktion im Produktionsprozeß, der Manager aufgrund seiner Karriere und seines Geldes, der Sportler nach seiner Rekordleistung. Der Mensch schätzt sich selbst ein nach seiner Leistung, weil ihn auf dieser Ebene auch die gesellschaftliche Anerkennung trifft: Du bist nur wert, was du leistest. Mit anderen Worten: Alles ist Mittel, der Mensch selbst und die Gesellschaft als Ganze; einer ist des anderen Mittel.

Die Leistungsgesellschaft spaltet die Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen (Schule, Sport, Arbeit) in "Erfolgreiche" und "Versager"; sie führt - hervorgerufen durch die permanente Angst, das Leistungssoll nicht zu schaffen - zum Buhlen nach Anerkennung, zur Rivalität, zu Macht-Konkurrenz-Beziehungen, zu dem oft gnadenlosen gegenseitigen Richten, bis zur Grundhaltung der Unwahrhaftigkeit, ja der Lüge und Heuchelei, fühlt jeder sich doch "gezwungen", immer besser zu scheinen als zu sein.

Allzuoft "wehrt" sich die Existenz des Menschen gegen diese Verdinglichung, indem sie sich über den Umweg psychosomatischer Krankheiten (Schlaflosigkeit, Herzbeschwerden, Magengeschwüre) und neurotischer Symptome "öffentlich" Anerkennung zu schaffen versucht.

Die Tatsache, daß in unserer Gesellschaft einer den anderen ausnutzt, ist tabuisiert. Uns diese Wahrheit einzugestehen, erschüttert unser Einverständnis mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen.

Die positiv bejahende Gewährung eines Grundeinkommens für jeden Menschen könnte den Ausweg aus einer Gesellschaft bedeuten, die die Leistung zum Selbstzweck erklärt hat, die alles und jedes dem Prinzip des "do ut des" ("du mußt mir "etwas" geben, damit ich dir "etwas" gebe") unterwirft; sie würde mit zum Ausdruck bringen, daß der Mensch nicht erst durch die Gegenleistung für die Gesellschaft beginnt, Mensch zu werden.

Eine solch‘ gastfreundlichere Gesellschaft könnte dem Menschen die verkümmerte Erfahrung und das Bewußtsein zurückgeben, daß er um seiner selbst willen einen Wert darstellt. Dort, wo der Mensch aufgrund seiner Menschlichkeit und nicht aufgrund seiner Leistung als Mensch definiert wird, kann sich der Weg zu einer Gesellschaft eröffnen, in der Leistung und Erfüllung nicht mehr nur auseinanderklaffen, sondern mehr und mehr zusammenfallen, in der Menschen nicht mehr gespalten, sondern Mitgestalter einer gemeinsamen Welt sein können.

Eine Gesellschaft dagegen, die ihren Eigenwert nur in dem erfährt und bestätigt sieht, was sie selber zu produzieren fähig ist, dieser Welt eines reinen Machens muß eine solche Freigabe nicht nur unnütz, sondern unwürdig erscheinen

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