Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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1.1. Existenzsicherung unabhängig von Erwerbsarbeit

Computer, Roboter und Automaten und die mikroelektronische Revolution sorgen dafür, daß "intelligente" Maschinen den Menschen immer mehr die Arbeit abnehmen. Nach Schätzungen von Experten sind bislang nur fünf Prozent des vorhandenen und angebahnten und in die Praxis sinnvoll umzusetzenden technischen Rationalisierungswissens angewendet worden1. In Japan stehen bereits Fabriken, in denen Roboter Roboter bauen.

Der zunehmend forcierte Einsatz der Maschinen-Systeme hat seinen Grund nicht nur in der erhöhten Produktivität, sondern der Störfaktor "Mensch" soll dort, wo es möglich ist, ausgeschaltet werden: Maschinen werden nicht müde, sie haben kein Klassenbewußtsein, sie kritisieren und streiken nicht, sie sind der Unmoral unfähig: sie lügen, stehlen und betrügen nicht und sie "vermasseln" nichts2.

Wenn die durch den raschen technischen Fortschritt freigesetzte Arbeitskraft durch weiteres quantitatives Wachstum nicht mehr in den Arbeitsmarkt integriert werden kann, weil ein solches Wachstum an ökologische Grenzen und an Sättigungsgrenzen eines sinnvollen Konsums stößt, dann ist Dauerarbeitslosigkeit wachsender Schichten der Bevölkerung mit ihren katastrophalen psychischen und sozialen Folgen nur dann vermeidbar, wenn zweierlei geschieht: wenn die Arbeitszeit massiv gekürzt wird und durch die Einführung eines Grundeinkommens das Einkommen grundsätzlich von der Erwerbsarbeit abgekoppelt wird.

Einkommen wäre nicht mehr notwendig an eine Gegenleistung für Erwerbsarbeit beziehungsweise an die nachgewiesene Bereitschaft zur Erwerbsarbeit gebunden. Eine solche materielle Grundsicherung wäre "ein ernsthafter Schritt in die Richtung einer wirksamen Entlastung der Angebots-Seite des Arbeitsmarktes. Es würde dann für alle Schichten und Gruppen der (potentiell) Erwerbstätigen - und nicht nur für (Haus-)Frauen - im Ernst wählbar, ob Beschäftigung gesucht oder auf eine Teilnahme an Erwerbsarbeit verzichtet wird: denn auch letztere Option bliebe dann materiell zumutbar"3.

Die Automatisierung schafft Arbeitslosigkeit. Die Einkommen gehen zurück, die Nachfrage sinkt. So beseitigt Rationalisierung auch die Käufer der Produkte. Die Nachfrage nach dieser Produktion kann daher nur durch eine Verteilung von Kaufkraft gewährleistet werden, die außerhalb des "klassischen Wirtschaftskreislaufes" - zum Beispiel eben auch durch ein Grundeinkommen - sich vollzieht4. Durch ein Grundeinkommen ist eine Verstetigung der Konsumnachfrage gegeben.

Wählt man diesen Weg nicht, dann entsteht unvermeidlich eine neue Klassengesellschaft, die durch die Spaltung in eine Reichtums- und eine Armutszone gekennzeichnet ist. Die Tendenz zu einer solchen Apartheid-Gesellschaft -auch in den Ländern des industriellen Nordens - zeichnet sich heute schon deutlich ab.

In Zeiten der Prosperität haben wir fast völlig übersehen können, daß unser Wirtschafts- und auch unser Gesellschaftssystem wie ein Fließband funktioniert, bei dem Nachteile, Schäden, Vernichtungsdrohung von einem zum anderen weitergewälzt werden - am meisten hin zu den Menschen in fernen Ländern, von denen wir unseren Wohlstand mit-"finanzieren" ließen, bis hin zur Natur, von der wir glaubten, daß sie sich nicht wehren könne. Jetzt aber ladet das Fließband den Abfall und die Schäden immer mehr auch auf Gruppen im eigenen Land ab: auf diejenigen, die keine Arbeitsmöglichkeit finden, denen es nicht gelingt, sich auf den sinntötenden Leistungswettbewerb einzustellen, und auf so viele, die aus den verschiedensten Gründen an die Ränder der Gesellschaft abgedrängt werden.

Die einseitige Organisationsmacht der Erwerbsinteressen führt dazu, daß Nicht-Erwerbsinteressen wie Umwelt-, Gesundheits-, Jugend-, Alteninteressen, die Interessen von Arbeitslosen, das Interesse an Friede und Abrüstung systematisch unterprivilegiert werden; sie liegen außerhalb des Erwerbssektors5.

In gesellschaftlichen Verhältnissen, die Ungerechtigkeit, Elend und Not produzieren, genügt es nicht, durch Caritas diese Not zu lindern, es kommt darauf an, durch gerechte Gesetze dem Unrecht und dem Elend vorzubeugen, sie strukturell zu verhüten.

Der Grund der Gerechtigkeit ist die Anerkennung der Würde jedes Menschen und seiner Freiheit. Gerechtigkeit konkretisiert sich vor allem in der Verwirklichung der Menschenrechte. Sie sind zentral im Wesen menschlicher Freiheit und ihrer sozialen Natur begründet. Dementsprechend lassen sie sich in persönliche Freiheitsrechte (Recht auf freie Meinungsäußerung, Schutz der Intimsphäre, freie Glaubens- und Bekenntniswahl, Versammlungsfreiheit usw.), in politische Mitwirkungsrechte (als Teilhaberecht an den öffentlichen Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen) und in soziale Grundrechte (Recht auf menschengerechte Arbeit, Wohnung und Einkommen usw.) ausfalten. Die Inanspruchnahme dieser Rechte durch den Menschen nimmt jeden Menschen zugleich in die Pflicht, die Rechte seiner Mitmenschen anzuerkennen.

Von grundlegender Bedeutung ist die Einsicht, daß Freiheits- und Mitwirkungsrechte ohne die Verwirklichung der sozialen Grundrechte für das konkrete Leben der Menschen weithin leer und unverbindlich bleiben. "Liberale" Freiheit bei materieller Armut, wirtschaftlicher Abhängigkeit und Ausbeutung kommt der faktischen Unfreiheit gleich. Freiheits- und Mitwirkungsrechte, die nicht nur formal-abstrakt gelten sollen, bleiben unauflöslich eingewurzelt in die sozialen Grundrechte. Ein gewisses Bildungsniveau, der Zugang zu den Informationen, das Wissen, wie man sich Informationen verschafft, die Fähigkeit und Unabhängigkeit zur Meinungsbildung und Meinungsäußerung usw. sind Vorbedingungen einer realen Demokratie. Die sozialen Grundrechte haben so über die persönliche Freiheitsfunktion hinaus eine grundlegende demokratiefunktionale Bedeutung6.

Die Aufgabe des Staates ist es, die politische Verwirklichung dieser Grundrechte zu sichern. Dies gilt im Prinzip auch für die sozialen Grundrechte. Der Staat hat als Sozialstaat die Pflicht, bestmögliche Bedingungen zu schaffen, damit möglichst viele Arbeitswillige auch eine menschengerechte Arbeit finden. Will er jedoch nicht zu einem totalitären Versorgungsstaat werden, so kann er die Verwirklichung dieser Grundrechte den einzelnen Menschen und gesellschaftlichen Gruppen nicht völlig abnehmen. Das Recht auf eine menschengerechte Arbeit ist unauflösbar an die Eigenverantwortung und Initiative der Freiheit gekoppelt, die der Staat nicht ersetzen kann und die auch nicht an ihn delegiert werden dürfen. Deshalb läßt sich dieses soziale Grundrecht auf menschengerechte Arbeit auch nicht verfassungsmäßig verankern.

Gerade in einer Epoche, in der der Gesellschaft zunehmend die Erwerbsarbeit ausgeht und die Existenzgrundlage vieler Menschen nicht mehr auf der Erwerbsarbeit beruht, könnte ein Grundeinkommen in gewisser Weise jedem Menschen sein Existenzrecht garantieren. Oder anders gesagt: in einer Zeit, in der die Güter und Dienstleistungen immer mehr von Computern, Robotern und Automaten und immer weniger durch menschliche Arbeitskraft erstellt werden, wird es zunehmend fragwürdig, ja sinnlos, Güterversorgung und Güterverteilung vom Einsatz menschlicher Arbeitsleistung abhängig zu machen. Ein Grundeinkommen könnte eine solche erwerbsarbeitsunabhängige Güterverteilung möglich machen7.

Ein Grundeinkommen eröffnet darüber hinaus auch die Chance, daß das Fließband, das die Schäden und Nachteile immer mehr an die Ärmsten und Schwächsten weiterwälzt, abgestellt wird, und zwar dadurch, daß durch die materielle Grundsicherung Freiräume für gerechtere Initiativen offengehalten werden; die Menschen im Schatten, die Menschen an den Rändern könnten so ihre Fähigkeiten entwickeln, an der Produktion unserer Lebenswelt in dem bis jetzt vernachlässigten, autonomen, arbeitsmarktexternen Lebensbereich teilzunehmen.

Ein solches Grundeinkommen könnte als soziales Grundrecht in Fortentwicklung des Eigentumsrechts und des Rechts auf Arbeit nicht nur in den Menschenrechtskatalog aufgenommen‘ sondern auch in der Verfassung festgeschrieben werden.

Nicht einer Vollbeschäftigungspolitik alten Stils - auf der Basis einer bestmöglichen Realisierung des "magischen Dreiecks" (das heißt des Gleichgewichts zwischen Geldwertstabilität, möglichst niedriger Arbeitslosenrate und ausgeglichener Handelsbilanz) - hat darum unsere Aufmerksamkeit zu gelten, sondern unser Bemühen muß darauf gerichtet sein, eine neue soziale Grundordnung (siehe dazu den Abschnitt IV) aufzubauen, die es uns ermöglicht, die Vorteile der durch Computersysteme und Mikroelektronik hervorgerufenen erhöhten Produktivität für ein sinnvolleres Leben aller Menschen unter Schonung der Natur zu nutzen.

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