Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit
0. Einführung:
Es ist notwendig zu handeln
Ohne Übertreibung können wir sagen, daß die Menschheit in eine neue Epoche ihrer Geschichte aufbricht. Völlig neuen Möglichkeiten von Wissenschaft und Technik, die der Menschheit ein nie zuvor gekanntes Maß an Wohlstand und Freiheit bescheren könnten, stehen ebenso neue Gefahren der Zerstörung unserer Welt und unseres Lebensraumes gegenüber. Obwohl es von Tag zu Tag offensichtlicher wird, daß die alten Rezepte weithin unbrauchbar geworden sind, haben heute nur wenige den Mut, sich gesellschaftlich auf neuen Wegen zu engagieren.
0.1. Ende der Arbeitsgesellschaft?
20 Millionen Arbeitslose 1985 in den europäischen OECD-Staaten, darunter ein Viertel Jugendliche, und bereits 40% Langzeitarbeitslose, die über ein Jahr auf einen Arbeitsplatz warten: Zeichen einer vorübergehenden Rezession oder Zeichen eines Strukturwandels? Der Prozeß zunehmender Einsparung menschlicher Arbeit durch Maschinen hat in den vergangenen Jahrzehnten in den Industriestaaten zu einem hohen Niveau der Versorgung mit Gütern bei immer kürzerer Arbeitszeit geführt. Während aber bis in die siebziger Jahre dem hohen Produktivitätszuwachs (das heißt dem raschen Anwachsen der in einer Arbeitsstunde erzeugten Werte) ein hohes Wirtschaftswachstum (Zunahme der insgesamt erzeugten Güter und Leistungen) entsprach, während die in der Landwirtschaft und in der Industrie "freigesetzten" Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich (Handel, Banken, öffentlicher Dienst, soziale Dienste . . .) Arbeit fanden, genügt dies heute nicht mehr. Dem durch die Konkurrenz zwischen den industrialisierten Ländern erzwungenen Rationalisierungswettlauf stehen ungleich geringere Möglichkeiten der Ausdehnung des Güter- und Dienstleistungsvolumens gegenüber. Einige fast wahllos herausgegriffene Fakten können dies verdeutlichen:
Nach jüngsten Befragungen beabsichtigen über 80% der österreichischen Firmen in den nächsten Jahren verstärkt oder neu Computer und Mikroprozessoren in ihren Betrieben einzusetzen. Verschiedene österreichische Studien (Akademie der Wissenschaften, Gewerkschaften) rechnen bis 1990 als Folge der Rationalisierung mit einem Verlust bis zu 380.000 Arbeitsplätzen, rund 13% des heutigen Arbeitskräftepotentials, je nachdem, ob die Mikroelektronik langsam oder rasch eingeführt wird, je nachdem, ob gleichzeitig Arbeitszeitverkürzungen durchgeführt werden, und je nach dem mehr oder weniger großen Anteil der neuen Technologien, der in Österreich erzeugt werden kann. Hier ergibt sich eine Art Gefangenen-Dilemma: Jeder Betrieb, jedes Land ist gezwungen, durch Rationalisierungsvorteile die eigene Wettbewerbssituation zu verbessern, um so Arbeitsplätze zu erhalten oder neue zu schaffen; die globale Situation kann dadurch nur schwieriger werden.
Der derzeitige "Wirtschaftsaufschwung" mit Wachstumsraten in Europa zwischen 2 und 3% reicht keineswegs hin, den Rationalisierungsfortschritt auszugleichen. Da aus demographischen Gründen - die in den sechziger Jahren geborenen Kinder haben ihre Ausbildung beendet und treten ins Erwerbsleben ein, die ins Rentenalter eintretende Nachkriegsgeneration des Ersten Weltkrieges ist dagegen wenig zahlreich - die Zahl der Arbeitsuchenden auch in den nächsten Jahren noch zunehmen wird, ist, wenn sich sonst nichts ändert, mit einer weiteren Zunahme der Arbeitslosigkeit zweifelsohne zu rechnen.
0.2. Ende des Sozialstaates?
Die Unfinanzierbarkeit des Sozialstaates ist zum Schlagwort geworden. In fast allen westeuropäischen Staaten wurden Kürzungen der Sozialbudgets vorgenommen oder zumindest, wie in Österreich, Maßnahmen gegen ein weiteres Anwachsen der Sozialbudgets gesetzt. Auch dies bedeutet Kürzung der Leistungen, wenn auch auf weniger sichtbare Art und Weise.
Während die österreichische Industrie darüber klagt, daß die Kapazitäten der Wirtschaft, je nach Branche und Unternehmen, nur zwischen 60 und 80% ausgelastet seien, während die Verwertung der Agrarüberschüsse immer größere Probleme und größere Kosten verursacht, wächst auch in unseren europäischen Ländern die Zahl jener Menschen, die am Notwendigen Mangel leiden, und die Gefahr, daß es mit zunehmender Arbeitslosigkeit immer mehr werden, ist sozusagen in das System eingebaut.
Unsere soziale Sicherheit, angefangen von der Krankenversicherung über die Arbeitslosenversicherung bis zur Pensionsversicherung und (zumindest in Österreich) dem Familienlastenausgleich, ist entstanden aus der Solidarität der Arbeitnehmer; die Einnahmen der verschiedenen Sozialversicherungen und Fonds sind auch heute noch zum größten Teil an Löhne und Lohnsummen gebunden, teils durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, teils durch Lohnsummenbezogene Beiträge (vgl. Kapitel II, 3). Diese Einrichtungen arbeiten im Umlageverfahren: Was heute von den Aktiven eingenommen wird, wird auch in diesem Jahr für die Finanzierung von Krankenkosten und Pensionen der heute Kranken und Alten ausgegeben. Dies bedeutet: je weniger Arbeitende, desto weniger Beitragsleistungen und desto weniger Mittel; je mehr Arbeitslosigkeit und (durch Arbeitslosigkeit bedingte) Frühpensionierungen, desto höhere Ausgaben. Der Sozialstaat wird unfinanzierbar, obwohl sich an der Leistungsfähigkeit und der tatsächlichen Leistung der Wirtschaft nichts geändert hat.
Finanzierungsschwierigkeiten des Sozialsystems - und dies gilt für alle westlichen Industriestaaten - bleiben bestehen, solange die Finanzierung mehr oder weniger direkt an die Arbeitseinkommen und die Zahl der Beschäftigten gebunden ist. Sie sind systemimmanent, jedoch keineswegs durch Mangel an verfügbaren Gütern und Dienstleistungen gerechtfertigt. Soll unser soziales Netz nicht zerreißen, muß entweder die Arbeit oder die Einkommen - oder beides -anders verteilt werden.
0.3. Von der Quantität zur Qualität
Verteilungsprobleme wurden in der Vergangenheit -während der fast ungebrochenen Aufschwungphase seit dem Zweiten Weltkrieg - hauptsächlich durch Wachstum gelöst. Mit Wirtschaftswachstum im dafür notwendigen Ausmaß kann jedoch hinkünftig nicht gerechnet werden:
Die in den letzten Jahren - Stichwort Waldsterben - rasch gestiegene Bewußtseinsbildung hat den bereits vorher spürbaren Wertewandel in weiten Kreisen der Bevölkerung verstärkt: Immer größer wird die Zahl jener, die nicht mehr Wohlstand, Verdienst und Lebensstandard als die wichtigsten Ziele ihres Lebens betrachten, sondern Selbstentfaltung und Kooperation, Kreativität und Partizipation in den Vordergrund stellen.
Wachstum und Vollbeschäftigung als vorrangige Ziele der Wirtschafts- und Sozialpolitik gehören einer vergangenen Epoche an, auch wenn sie, wie magische Formeln, noch immer wiederholt werden. Genau betrachtet handelte es sich dabei nie um Ziele, sondern um Wege zu einem anderen Ziel: Ein ausreichendes Maß an Wohlstand zu schaffen und so zu verteilen, daß alle daran teilhaben könnten. Dieses Ziel bleibt weiterhin bestehen; um es zu erreichen, sind heute andere Wege einzuschlagen.
Das Konzept eines Grundeinkommens kann heute nicht mehr als utopischer Unsinn abgetan werden. Ein Recht auf Einkommen wurde in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten von so unterschiedlichen weltanschaulichen Parteien wie dem Ökonomen Milton Friedman und kirchlichen Kreisen (darunter den Katholischen Bischöfen), dem Menschenrechtskämpfer Martin Luther King und auch Erich Fromm vertreten; heute sind es Europäer wie Gunnar Adler-Karlsson, Andre Gorz oder Ralf Dahrendorf, die in einem von Erwerbsarbeit unabhängigen Einkommen ein wesentliches Element einer Strategie zur Lösung der auf uns zukommenden ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme sehen.
Im ersten Teil dieses Bandes wird der Grundfrage nachgegangen: Ist es ethisch verantwortbar - und wenn ja, unter welchen Bedingungen- jemandem ein Einkommen zur Verfügung zu stellen, ohne Gegenleistung in Form von Erwerbsarbeit zu fordern ? Für diesen Teil zeichnet H. Büchele verantwortlich.
Im zweiten Teil werden verschiedene Modelle von Grundeinkommen vorgestellt. Es wird gefragt, welche Konzepte welche politischen und ökonomischen Folgen haben könnten. Die dabei verwendeten Grob-Szenarien dürfen nicht als Vorwegnahme der Zukunft (miß-)verstanden werden, wohl aber als Versuch, mögliche Entwicklungen und damit verbundene notwendige Entscheidungen in den Blick zu bekommen (L. Wohlgenannt).