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Seit Januar 2001 findet sich unter http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/kritik/replik.htm eine Replik auf den nachfolgenden Text.


Das Brakteaten-Märchen der Freiwirte

Geschrieben von Dr. Paul C. Martin am 04. Juni 2000 10:12:14; im Diskussionsforum http://f7.parsimony.net/forum8520/index.htm

Liebe Pro- und Contra-Freunde!

Zu den Glaubenssätzen der Freiwirte zählt auch die Geschichte der Brakteaten, einem Schwundgeld aus dem Mittelalter (MA). Sie ist sozusagen ein vorweggenommenes Wörgl und geht kurz gefaßt so:

Es gab im MA weitsichtige Herrscher, die ihre Münzen für deren Ausgabe sie das Monopol hatten, in dem Sinne, dass sie diese Münzen als einzig zulässiges Zahlungsmittel erklären konnten, in regelmäßigen Abständen "verriefen", also für ungültig erklärten. Dabei geschah dann in etwa folgendes: In bestimmten Zeiträumen mussten die alten Münzen gegen neue umgetauscht werden. Die neuen Münzen hatten zwar das selbe Gewicht und Feingehalt, aber unterschieden sich im Münzbild wesentlich von den vorangegangenen. Hinfort "galten" nur die neuen Münzen, die alten durften für den Zahlungsverkehr nicht mehr verwendet werden.

Der Clou der Sache war der Umtausch der alten gegen die neuen Münzen. Gegen eine bestimmte Anzahl alter gab es erheblich weniger neue Münzen. Damit wurden die Menschen gezwungen, die alten Münzen möglichst rasch auszugeben, was auf eine "Umlaufsicherung" des Geldes hinausläuft. Denn jeder versuchte, möglichst schnell noch die alten Münzen auszugeben, um eine entsprechende Minderung seines Barvermögens zu vermeiden. Mit diesen System wurde die Umlaufgeschwindigkeit der Münzen natürlich gewaltig gesteigert und das Geld floss schneller von einer Hand in die andere. Mit Hilfe dieses Tricks soll es möglich gewesen sein, die großartigen kulturellen Leistungen des MA zu "finanzieren", z.B. den uns bis heute in Erstaunen versetzenden Sakralbau.

Als wichtigste Quelle für dieses System gilt die Magdeburger Schöppenchronik (hg. von Karl Jänicke, Leipzig 1869). Die Schöppenchronik soll zur Zeit des Magdeburger Erzbischofs Wichmann (1152-1192) entstanden sein und wir lesen darin (S. 118): "He (Wichmann) leit ok erst twie in dem jare pennige slan, des vore nue was: man sloch to voren penninge to eines bischopes live" (Er ließ auch als erster zwei Pfennige im Jahr schlagen, was ganz neu war: Man schlug vorher einen Pfennig im Leben eines Bischofs).

Bei Wichmann sollen die Bürger bei seinen Münzverrufstagen jeweils 12 alte gegen 9 neue Münzen getauscht haben, was eine 25prozentige Abwertung bedeutete.

Die Münzen heißen Brakteaten, ein Wort das allerdings erst 1368 in einer Glosse zu einer Urkunde erscheint ("einen holen Pfennig bracteati"). Thüringer Gelehrte übernahmen gegen Ende des 17. Jh.s diesen Ausdruck, den Schrötter in seinem Wöterbuch der Münzkunde 1930 "ein mißbräuchlich angewandtes Gelehrtenwort" nennt (S. 83). Das Wort "Brakteat" selbst kommt vermutlich aus dem Griechischen (brachein = knittern) und im Lateinischen ist ein "bracteator" ein Goldschläger. Die Numismatik kennt drei verschiedene Formen der Brakteaten: 1. altgriechische (4.- 2. Jh.), goldene, dünne, einseitige Abdrücke, die offenbar anstelle von Münzen den Toten mitgegeben wurden; 2. germanische Schmuckbrakteaten und 3. die hier interessierenden deutschen Brakteaten des Mittelalters, die besser als "Hohlpfennige" bezeichnet werden.

Diese Hohlpfennige sind aus ganz dünnem Silberblech und wurden mit nur einem Stempel auf einer weichen Unterlage, vermutlich Wildleder geschlagen. In den Urkunden werden sie als "denarii" bezeichnet wie alle anderen normalen kleinen Silbermünzen der vorangegangenen und späteren Zeit, ab dem 14. Jh. heißen sie in deutschen Urkunden "hole penninghe".

Der Charme der Brakteaten alias Hohlmünzen ist ihr Aussehen. Es handelt sich dabei um ganze feine Silberplättchen mit einem Durchmesser von bis zu 5 cm (!!), siehe dazu die Stücke aus der grandiosen Sammlung Cahn (alte Münzhändler-Familie), die 1998 in Basel versteigert wurde (Auktion 87 der Münzen und Medaillen AG). Dabei wiegen die Stücke grundsätzlich weniger als 1 g, einige gehen sogar bis 0,5 g herunter. Sie sind also federleicht (können mit ein wenig Pusten sofort in die Luft befördert werden) und extrem zerbrechlich. Vollständige Brakteaten ohne Randausbruch sind sehr selten und erreichen Preise von um die 5000 Mark und mehr. Bei ihrer immensen Zerbrechlichkeit und Zartheit bestechen die Brakteaten durch ihre z.T. sensationellen Bildnisse: man sieht Porträts von Münzherren (Könige, Herzöge, Bischöfe), Stadttore, Löwen (bei Prägungen des Welfen Heinrichs des Löwen), Ritter mit gezogenem Schwert; die Porträts sind grundsätzlich en face.

Aus dem Vorwort zum Cahn-Katalog sei zitiert: "Brakteaten, jene ungewöhnlichen Gepräge, die in zwei Generationen in den Münzstätten zwischen Elbe, Main und Weser geschaffen wurden. Diese Kunstwerke sind in ihrer Vielfalt und Fülle oft gerühmt worden. Aber mir scheint, dass für die Forschung noch viel zu tun ist: Die meisten Prägungen sind nie in Corpora (= historisch-kritische Gesamtkataloge, PCM) erfasst worden. Vieles am geschichtlichen Hintergrund, am geistigen und künstlerischen Ambiente dieser Blüte bleibt zu klären und die Frage nach den Künstlern ist nie gestellt worden..."

So weit, so gut.

Nun zu den ökonomischen Aspekten.

1. Wie schon bei Cahn steht, sind die Brakteaten nur einem sehr kleinen Wirtschaftsraum zuzurechnen. Schwerpunkte Thüringen, Niedersachsen, Magdeburg, Halle, Halberstadt, Lausitz, Meißen usw. Im süddeutschen Raum gibt es nur einen Bereich im Viereck Augsburg, Ulm,. Basel, Bern. Die dortigen Stücke sind erheblich kleiner als etwa die Magdeburger (Wichmann). Im späteren MA bleiben sie noch als eine Art Scheidemünze erhalten, auch im Rheinland, der Pfalz und dem Elsaß.

Damit ist natürlich nur etwa höchstens ein Zehntel des Gebietes abgedeckt, in dem sich die mittelalterliche Kultur und Wirtschaft abgespielt hat. Völlig fehlen die mit nicht minder grandioser Sakralbaukunst aufwartenden Gebiete Italien, Nordspanien, Frankreich und vor allem England, wo es ca. zwei Millionen Einwohner innerhalb kürzester Zeit fertig brachten, mehr als 40 der großartigsten Bauwerke zu "stemmen" (vgl. aus der zahllosen Literatur u.a. bloß Toman/Bednorz, Die Kunst der Romanik, 1996 mit den Karten S. 463 ff.; Kubach, Architektur der Romanik, 1974 ("Im alten Europa sind uns Zehntausende von romanischen Bauwerken erhalten"); Platt/Kersting, The Architecture of Medieval Britain, 1990). In diesen Bereichen kann also kein "umlaufgesichertes" Geld in der bei Wichmann angenommenen Art existiert und seine segensreiche Wirkung erzielt haben.

Die Geschichte der Brakteaten als eines "flächendeckenden" Geldsystem des MA ist nicht zu halten.

2. Der Zeitraum, in dem die Brakteaten in ihren unstreitigen Kerngebieten existiert haben, umfasste gerade mal 70 Jahrem (1130-1200), nicht die "300 Jahre", von denen in Freiwirte-Kreisen immer gefaselt wird. Nehmen wir das Wichmann-Modell, dann sind wir gerade mal bei 40 Jahren. Nehmen wir nun - laut obiger Quelle, die hier nicht näher untersucht werden soll - die zweimal im Jahr erfolgte Münzumstellung, so kommen wir zu bis zu 80 solcher "Umlaufsicherungen". Da jedesmal 25 Prozent Abschlag erfolgt, kann folgendes überschlägig berechnet werden: Nach drei Umstellungen (18 Monaten) war das Geld nur noch die Hälfte wert. Nach weiteren drei nur noch ein Viertel, nach weiteren drei noch 12,5 %, nach weiteren drei nur noch 6,75 %, dann 3,3 %, dann 1,7 %, dann 0,8 %. Also war Wichmanns Umlaufssicherung so gewaltig, dass den Bürgern das bei Wichmanns Amtsantritt zu 100 notierende Geld bereits nach zehn Jahren seiner Amtszeit auf ca. 1 % geschrumpft war.

Damit - sofern die Geschichte mit den Münzverrufungen tatsächlich stimmt - handelt es sich bei Wichmann um eine klassische Hyperinflation und nicht etwa um eine Optimierung bzw. Verstetigung des Geldumlaufs.

3. Der Grund, eine Hyperinflation zu veranstalten, vorausgesetzt, sie wird von der Bevölkerung überhaupt akzeptiert, kann nur in einer ex ante bestehenden Überschuldung der das monetäre System bedienenden Autorität haben. Und siehe da wir lesen: "Der außerordentliche Geldbedarf Wichmanns, hervorgerufen durch die Ostsiedlung, seine Beteiligung an der Italienpolitik Friedrichs I. und, namentlich 1179-1181, durch die Kämpfe gegen Heinrich den Löwen, zwang ihn zu einer Ausschöpfung aller Möglichkeiten in der Geldbeschaffung und zu Bestrebungen, die Finanzkraft des Erzbistums zu stärken" (Claude, Geschichte des Erzbistums Magdeburg, II, 1975, S. 135).

4. Die Wichmann'schen Münzverrufungen haben natürlich niemals funktioniert, jedenfalls nicht, was den normalen Zahlungsverkehr betraf. Zwar konnte Wichmann wohl anordnen, dass Abgaben, die an ihn zu leisten waren, in den immer gerade neu geschlagenen (und gestalteten, um sie untereinander zu unterscheiden) Münzen zu erfolgen hatten, aber das kann den Bürger nicht weiter gejuckt haben. Da die Münzen ununterbrochen künstlich abgewertet wurden, dabei aber in jeder Neuausprägung mit gleichem Gewicht und gleicher Feinheit operiert wurde, war es ein Leichtes, die alten Münzen vor ihrer Außerkurssetzung einzusammeln und einzuschmelzen. Dann hat man eben das Silber in Barrenform kursieren lassen bzw. diente es der Münzstätte an. Aus einem (angenommen) 900-g-Barren wurden ja immer gleich viele 0,9 g schwere Brakteaten geprägt, nämlich ca. 1000 Stück.

Auf die Einbeziehung der Barrenwährung in den Geldverkehr hatte übrigens schon Erich Born 1924 hingewiesen (Das Zeitalter des Denars). Hier S. 160: "Der Handel gebrauchte für seine Zahlungen vornehmlich die Silberbarren. Die Barrenform fand schon im 12. Jahrhundert in wachsendem Umfange Verwendung, da hierdurch allein dem Kaufmann ein gutes Geldumsatzmittel geboten war, das Ersatz für die fehlende geeignete Münze bot. Sie besaß den Vorzug der größeren Wertbeständigkeit... die das gemünzte Geld bei seinem sinkenden Gehalt und seiner örtlichen Verschiedenheit nicht bieten konnte."

Wenn wir die Prägekosten mal beiseite lassen, erhielt der Barren-Lieferant also immer ca. 1000 Stück Münzen zurück, egal, welches Gepräge gerade "aktuell" war. Suhle (Das Münzwesen Magdeburgs unter Erzbischof Wichmann, 1950) weist auch darauf hin, das bei Münzfunden mit Wichmann-Münzen aktuelle und längst verrufene Münzen aufgetaucht sind, als nebeneinander kursiert haben müssen.

5. In dem Constitutionum Imperialium, das aus der Zeit Friedrichs II. (1212-50) erhalten ist, steht im Kapitel XIV "Von Montze" ausdrücklich "Wir gebieten, daß man die alten Montze halt nach ihrem Recht, und verbieten daby allen falsche." Und im "Schwabenspiegel" steht im Kapitel CLXXXVI "Von pfennig slahen". "Alle pfennige sol man nit verslahen, vvann so ain niuuuer herre kumpt... Stirbet aber der herre ... die pfennig suln doch stan, untz driu iar furkoment". Im Sachsenspiegel steht unter § 71: "Phennige sol men virnyen (erneuern), alse nye herren coment."

Beides sind klare Hinweise auf die übliche Münz-Praxis, wonach "fresh money" bestenfalls nach dem Tod eines Herrschers erscheinen darf, was sich aber als die normalste Sache der Welt herausstellt: Ein neuer Herrscher gibt neue Münzen (mit seinem Bild bzw. Titel) heraus, die sich aber bestenfalls minimal von den vorangegangenen unterschieden haben, um etwas mehr am Schlagschatz zu verdienen (dazu ausführlichste Münz-Literatur).

Summa: Die Story mit den umlaufgesicherten Brakteaten, die von ahnungslosen Freiwirten immer wieder aufgetischt wird, ist ein monetäres Märchen, das einer numismatischen Überprüfung nicht standhält. Das Brakteaten-"System" war der Versuch einiger überschuldeter Souveräne, sich zusätzliche Geldquellen zu erschließen. Davon, dass wir es da mit einem nachahmenswerten Modell zu tun haben, kann keine Rede sein.

Besten Gruß

Dr. Paul C. Martin

(der sich sehr auf eine Debatte zum Thema freut)


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