von Juan Acratillo ‑ 1675
Auszug aus einem größeren Werke.
(Aus dem Spanischen übersetzt von Klaus Rosenfeld.)
Vorwort
Unter Kapitalismus ist der Zerfall der Völker in Klassen, die Scheidung der Menschen in Rentner und Arbeiter, Zehrer und Mehrer zu verstehen, die heute in der ganzen Welt durchgeführt ist. Wohin man sich auch wenden mag, nach Osten und Westen, nach Norden und Süden, nach autokratisch oder demokratisch geführten Staaten, allüberall findet man die gleichen Verhältnisse: Hunderttausende von Kapital-Rentnern, die kaum wissen, was sie aus Übermut treiben sollen, und Arbeiter, die trotz der durch die Wunder der modernen Technik ins Riesenhafte gesteigerten Produktionsfähigkeit oft nicht wissen, wie sie die elementarsten Bedürfnisse befriedigen können. Dabei die durch die Krisen geschaffene Unsicherheit.
Dieser Zerfall der Völker ist so alt, wie die Kultur. Er ist ihr unzertrennlicher Begleiter. Sobald ein Volk zur Geldwirtschaft übergeht, die die Arbeitsteilung ermöglicht und ausgestaltet, setzt auch der Zerfall des Volkes in Genießer und mühselig Beladene ein.
Worauf ist diese Erscheinung zurückzuführen? Auf diese Frage gibt es unzählige Antworten.
Die erste Antwort, von der uns die Geschichte erzählt, gab Moses, (1) indem er die Unveräußerlichkeit des Bodens erklärte, das Zinsverbot und das Jubeljahr einführte.
Merkwürdigerweise hat auch Lykurg (2) auf die Frage nach der Ursache des sozialen Zerfalles der Völker die gleiche Antwort wie Moses gegeben: Unveräußerlichkeit des Bodens und Ersatz des Goldes durch eisernes Geld waren Lykurgs Forderungen.
Beide große Gesetzgeber des Altertums, Moses und Lykurg - von einander durch sieben Jahrhunderte und ein Meer getrennt - gaben also auf die Frage nach der Ursache des sozialen Zerfalles der Völker übereinstimmend zur Antwort - das Gold und das Privateigentum am Boden.
Und jetzt nach dreieinhalb Jahrtausenden, nach einer entsetzlichen Leidensgeschichte der Menschheit kommen wir wieder auf die Fragen von Moses und Lykurg zurück und erklären -, Moses und Lykurg haben recht. Der soziale Zerfall der Völker ist auf die Goldwährung und das Bodenrecht zurückzuführen.
Wenn auch die Formulierung der Forderungen eine andere, dem Wesen des Übels genauer angepaßte ist, so bleibt doch die Tatsache hochinteressant, daß die Diagnose der sozialen Krankheit schon vor dreieinhalb Jahrtausenden von Moses und Lykurg gestellt worden war.
Zur Erklärung dieser eigentümlichen Tatsache ist wohl die Annahme berechtigt, daß die den sozialen Zerfall bedingenden Kräfte im herkömmlichen Geld und Bodenrecht sehr gut verborgen gewesen sein müssen, daß sie sich so lange der Entdeckung zu entziehen vermochten.
Und fürwahr, es muß wohl so sein, denn aus Erfahrung wissen wir, daß es in der Regel durchaus nicht genügt, mit dem Finger auf die Mängel des Geldes zu zeigen. Es geht hier zu wie bei den bekannten Vexierbildern, wo man das Gesuchte oft auch dann noch nicht sieht, wenn es einem gezeigt wird. Derart sind wir durch Nebendinge abgelenkt.
Beim Vexierbild sind es die Nebenfiguren, die uns das Finden erschweren, beim Geld die zahllosen Vorurteile und falschen volkswirtschaftlichen Begriffe, die im Laufe der Jahrtausende sich dem Gelde angepaßt haben. Das Geld war das Gegebene, die Tatsache, und diesen Tatsachen, so schief sie auch waren, haben sich unsere Ansichten angepaßt.
Die vorliegende Schrift ist ein neuer Beweis für das Gesagte. Sie wurde mir von Pedro Tramposo, einem spanischen Freunde zugesandt. Er fand das Manuskript, das aus dem Jahre 1675 stammt, in Granada beim Ordnen einer alten Privatbibliothek. Den Titel (3) wählte ich aus Gründen unserer Tagespolitik und weil die auf Marx schwörenden Sozialisten beim Lesen dieser Broschüre ob der neu gewonnenen Erkenntnisse mehr als einmal verblüfft dreinschauen werden.
Der Übersetzer.
Auf dem gleichen Breitengrad wie
Utopia und genau 360 Grad ostwestlich dieser Insel liegt die Insel Barataria.
So benannt, weil barato billig heißt und weil auf Barataria alles erstaunlich
billig war, und zwar nicht in dem wucherischen Sinne, daß man für wenig Geld
viel Ware bekam - was für den, der seine Ware für wenig Geld hergeben muß, ja
keinen Vorteil hat - sondern billig im sozialpolitischen Sinne, daß alle
Arbeiter, ohne Ausnahme, für wenig Arbeit viel Ware eintauschen konnten. Eine
rätselhafte Sache, die wir aber erlären werden.
Die Insel wurde 1612 mit 500
spanischen Familien kolonisiert. Auf der Heimreise gingen die Schiffe mit Mann
und Maus unter, und so kam es, daß man in Madrid glaubte, daß mit den Schiffen
auch die Kolonisten umgekommen seien und man in der Folge die Insel ganz
vergaß. So waren die Baratonen lange Zeit gänzlich von der Welt abgeschnitten.
Uns interessieren hier die
wirtschaftlichen Einrichtungen der Baratonen, und was hier folgt, ist ein
Auszug der Chronik, mit deren Führung der Pfarrer der Hauptstadt Villapanza
betraut worden war.
Anfänglich betrieben die
Baratonen ihre Wirtschaft kommunistisch. Jedoch nicht lange. Denn bereits 10
Jahre nach der Landung wurden die Kolonisten durch den Lehrer Diego Martinez
zusammengerufen, um die Einführung der Privatwirtschaft zu besprechen. Der
Aufruf lautete:
Der kommunistische
Wirtschaftsbetrieb, dem wir bis heute treu blieben, hat gewiß mehr geleistet,
als die Mehrheit von uns von ihm erwartete, doch leistet er nicht das, was wir
von der vollen persönlichen Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstverantwortung
erwarten dürfen. Wie das Hemd uns näher liegt als der Rock, so ist es auch mit
Egoismus und Altruismus, mit dem Selbsterhaltungstrieb und dem
Arterhaltungstrieb (4). Wir alle tragen die Verantwortung für alles Tun und
Lassen nicht unmittelbar genug. Vergißt einer das Handwerkszeug im Feld, wird
ein krankes Pferd unsachgemäß oder nachlässig gepflegt, wird mit dem Feuer
unvorsichtig umgegangen, wird ein Haus schlecht fundamentiert, schlecht geplant
usw., so hat nicht der Schuldige den Schaden, sondern die Allgemeinheit. So
gehen täglich durch Nachlässigkeit viele Güter verloren. Das Heu wird schlecht
geborgen und gestern erfroren noch die Erdbeerkulturen, weil niemand sich die
Mühe geben wollte, sie vor dem drohenden Nachtfrost zu schützen. Weil niemand
schneller arbeiten will als die anderen - schon allein um diese anderen nicht
zu beschämen - gibt der Langsamste das Tempo an. Wenn der dicke Gomez
Feierabend ruft, so werfen auch schon alle das Handwerkszeug in den Staub. Es
geht bei uns, wie es in zu engen Straßen geht, wo die Ochsenkarre allen anderen
Fahrzeugen die Fahrgeschwindigkeit vorschreibt . Vieles unterbleibt, was
geschehen würde, wenn jedem das Recht auf das eigene Arbeitsprodukt zugestanden
würde. Manches könnte anders und besser gemacht werden: wenn aber einer es
besser machen möchte, so muß er erst in langer und breiter Rede die
Einwilligung von den Genossen erwirken. Die beste Zeit geht meistens bei
solchen Reden verloren, wobei noch zu beachten ist, daß immer nur das
durchgesetzt werden kann, was dem Verstande der Mehrheit erreichbar ist; und
das ist nicht viel. Dinge, die vertieftes Studium zu ihrem Verständnis
erfordern, lassen sich demokratisch überhaupt nicht durchsetzen. Unsere
Erfinder legen die Hände in den Schoß, weil sie wissen, daß es ihnen doch nicht
gelingen wird, die Zustimmung zu den nötigen Versuchen auf dem Wege
wissenschaftlicher Erklärungen von Creti und Pieti zu erwirken. Der Mehrheit
ist alles Ungewohnte stets Utopie.
Der Erfolg ist, daß wir alle
trotz offenbarer Tüchtigkeit unserer Frauen und Männer, trotz der großen
Fruchtbarkeit unseres Bodens arm sind und arm bleiben. Und dazu diese
schreckliche Gebundenheit und gegenseitige Abhängigkeit und ewige
Rücksichtnehmerei!
Ich schlage folgendes vor: Wir
führen das Eigentum ein, die Eigenverantwortung, das Recht auf das eigene
Arbeitsprodukt. Wir vermessen den Boden und verpachten die einzelnen Teile
meistbietend, d. h. nach Selbsteinschätzung. Wer guten Boden haben will, wird
viel zahlen, und wer schlechten Boden pachtet, erhält ihn umsonst, so daß in
der Beziehung sich alle wirtschaftlich gleich stehen werden trotz der großen
Unterschiede in der Bodenbeschaffenheit. Das Pachtgeld verteilen wir dann
gleichmäßig unter alle, oder führen es der Landeskasse zu zur Bestreitung der
allgemeinen Ausgaben.
Freilich werden wir dann auch
Geld brauchen, denn nun werden wir Waren erzeugen, also Dinge, die man nicht
mehr persönlich unmittelbar brauchen kann, sondern die man zum Tausch oder
Verkauf erzeugt. Und zu diesem Tausch brauchen wir ein Tauschmittel, also Geld.
Solches Geld können wir uns mit
der Gutenbergischen Erfindung herstellen. Zwar fehlt uns das Gold als Deckung,
aber ich wüßte nicht, warum man als Deckung gerade Gold brauchen soll. Als
Deckung ist m. E. jede Ware von allgemeiner Nützlichkeit brauchbar und darum
schlage ich vor, unsere Hauptfrucht, die Kartoffel als Deckung unserer
Banknoten zu gebrauchen. Wir bauen an verschiedenen Orten Kellerräume, wo man
gegen Hinterlegung von Kartoffeln entsprechende Mengen Banknoten erhalten wird,
und wo man umgekehrt dem Inhaber der Banknoten bei Sicht und ohne Legitimation
von den hinterlegten Kartoffeln das Gewünschte bar aushändigen wird. Und mit
diesen Banknoten, die dann mit 100 % gedeckt sein werden, wird man auf der
ganzen Insel herumreisen und alles kaufen können.
So werden wir uns der Geldwirtschaft
erfreuen und das allgemeine Verlangen nach Freiheit, Eigentum,
Selbstverantwortung und Selbständigkeit befriedigen. Kommt, Kameraden, morgen
vollzählig zur Besprechung der Sache!
*
* *
Wie die Chronik berichtet, wurde
der Vorschlag Diego Martinez eingehend besprochen und angenommen. Einer schlug
vor, statt der Kartoffeln den Stalldünger als Deckung der Banknoten zu nehmen,
da dieser seiner universellen Verwendung und gleichmäßigen Produktion wegen
sich besser als Deckung eignete. Es gäbe Jahre, wo man viele Kartoffeln
erntete, so daß es dann auch Jahre mit vielem Gelde geben wurde, während bei
einer Kartoffelmißernte es auch an Geld fehlen würde. Solche Schwankungen wären
bei der Mistdeckung ausgeschlossen. Der Mist wäre das eigentliche Protoplasma,
die wahre Unterlage unserer Existenz, der Urwert, das einzige Gut von wirklich
"innerem, von ewigem Wert", das von jedem Bauern in fast unbegrenzter
Menge verwendet werden kann, von dem es nie genug und noch weniger jemals zu
viel geben könne. Als Deckung der Banknoten könne nur ein Universalgut in Frage
kommen, und ein Universalgut sei nicht die Kartoffel, nicht das Gold, sondern
der Mist, der Urstoff, der Universalstoff.
Hierauf antwortete Martinez, er
habe die Kartoffeldeckung vorgeschlagen, um nicht auf die Theorie des Geldes
eingehen zu müssen. Nach seiner Überzeugung bedürfe das Geld überhaupt keine
Deckung. Da die Geldfunktion, d. h. die Nützlichkeit des Geldes als
Tauschmittel, aus dem Geldgegenstand ein Gut von universeller Verwendbarkeit mache,
universeller wenn möglich noch als der Stallmist, da es gerade da immer gesucht
und begehrt wird, wo man Ware zum Verkauf anbietet. Wo Ware liegt, da wäre
Nachfrage nach Geld; die Ware war also schon Deckung des Geldes - warum also
noch ein doppelte Deckung durch Kartoffeln, Gold oder Mist? Mit seiner Funktion
als Tauschmittel wäre das Geld gerade richtig und immer voll gedeckt.
Diese Ausführungen scheinen aber
nicht von der Mehrheit der Baratonen begriffen worden zu sein, denn die Chronik
sagt, daß bei der Abstimmung über diese Frage die Männer sich aus
währungstechnischen Erwägungen für die Deckung des Geldes durch Mist
entschieden, die Frauen aber aus ästhetischen Gründen den Kartoffeln den Vorzug
gaben.
So wurde also die Sache nach den
ursprünglichen Vorschlägen des Lehrers durchgeführt.
Man baute in jeder Stadt einen
Kartoffelkeller, wo jeder für Kartoffeln Zettel erhielt, die unsere heutigen
Banknoten ähnelten und die Inschrift trugen: Die baratonische Notenbank zahlt
dem Inhaber bei Sicht und ohne Legitimation 1 - 5 - 10 - 100 - 1000 Zentner
Kartoffeln.
Wie es scheint, bürgerten sich
diese Banknoten ohne Schwierigkeiten bei den Baratonen ein. Wer Geld brauchte,
lieferte in den Kellern der Notenbank Kartoffeln ab und erhielt dort stets für
einen Zentner Kartoffeln eine Note von einem Zentner Geld. Und wer umgekehrt
Kartoffeln brauchte, erhielt solche in den Kellern der Notenbank gegen
Vorzeigung der Noten. Und auf der ganzen Insel liefen die Noten als Geld um und
reihten sich in die allgemeine Preisskala nach dem Gesetz von Angebot und
Nachfrage ein. Jeder rechnete nach Kartoffelzentnern, alle Preise lauteten in
Kartoffelzentner, abgekürzt Zentner. Da die Kartoffel auf der ganzen Insel
gleichmäßig gut gedieh, so standen die Preise aller anderen Waren direkt unter
der Kontrolle der Kartoffel. Erschienen die Preise der sonstigen Waren teuer im
Vergleich mit den Kartoffeln, dann gingen wegen Mangel an Geld (Kartoffelnoten)
die Preise der übrigen Waren zurück, d. h. man erhielt für die Kartoffeln wieder
mehr von den anderen Waren, bis daß der Kartoffelbau wieder lohnend erschien.
So stand darum die Währung Baratarias viel unmittelbarer unter dem allgemeinen
Gesetz, wonach das Tauschverhältnis der Waren durch die Arbeit bestimmt wird -
wie es z. B. bei uns mit der Goldwährung der Fall ist. Denn das Gold läßt sich
nicht wie Kartoffeln willkürlich produzieren, weil es ja gefunden wird.
So weit wickelte sich also der
Handel ganz gut und zur allgemeinen Zufriedenheit ab. Doch hatte die Sache
einen Haken. Noch waren keine zwei Jahre verflossen, da berief Diego Martinez,
den man zum Verwalter der Notenbank ernannt hatte, die Baratonen wieder zu
einer Besprechung. Seine Bücher schlossen mit einem Fehlbetrag von über 20 %
ab, d. h. es waren 500.000 Zentner Kartoffelnoten ausgegeben, während die
Deckung nur 400.000 Zentner betrug. Der Fehlbetrag von 100.000 Zentner war auf
den natürlichen Schwund der Kartoffeln, auf Fäulnis, Rattenfraß usw., und auf
die Verwaltungskosten zurückzuführen. Martinez erklärte, daß dieser Verlust
nicht zu vermeiden sei, und daß, wenn nichts geschähe, der Fehlbetrag nächstes
Jahr auf 30 % steigen werde. Was sollte geschehen? Man schlug vor, durch Steuer
den Fehlbetrag zu decken. Man solle eine Steuer im Gesamtbetrag von 100.000
Zentner erheben und diesen Betrag einfach verbrennen. So wäre das Gleichgewicht
zwischen Noten und Deckung wieder hergestellt.
Martinez aber sagte: Diese
Steuer wäre ungerecht, denn sie würde Leute treffen, die keinen Gebrauch vom
Gelde machen, weil sie, was sie brauchen, selber erzeugen und nicht für den
Markt arbeiten. Ich komme aber auf das zurück, was ich in der ersten
Versammlung von der Überflüssigkeit der Deckung gesagt habe. Ihr könnt nun
sehen, wie recht ich damals hatte. Jetzt sind die Noten nur mehr mit 80 %
gedeckt, und trotzdem gelten sie draußen genau so viel, wie wenn sie voll
gedeckt wären. Dasselbe wäre auch zweifellos der Fall, wenn die Deckung noch
weiter abgenommen hätte. Wenn aber eine Deckung von 80 % und weniger als voll
gilt, warum soll das nicht auch bei 100 % so sein? In unseren Kartoffelkellern
werden nur äußerst selten Kartoffeln verlangt - kaum 10 % des Vorrates im
Monat. Wer Kartoffeln braucht, kauft sie lieber auf dem Markt. Würden wir in
der Inschrift der Noten die Lieferung von Kartoffeln streichen, so würde auch
das ganz ohne Einfluß bleiben. Je mehr die Noten zum allgemeinen Tauschmittel
werden, um so nebensächlicher wird die Deckung. Aber das sind theoretische
Erwägungen, deren Richtigkeit man nur nach vertieftem Studium anerkennt.
Hierauf antwortete Santiago,
derselbe der die Mistdeckung für das Geld vorgeschlagen hatte: Diego Martinez
hat vollkommen recht. Das Geld braucht gar keine Deckung; seine Verwendung,
seine Nützlichkeit als Tauschmittel muß vollkommen genügen, um Nachfrage nach
diesem Geld zu erzeugen, und mehr Deckung braucht keine Ware als Nachfrage. Und
für die Nachfrage nach unserem Geld wird schon die Natur unserer Produkte
sorgen, die wir ja nicht anders verkaufen können, als indem wir sie gegen Geld
anbieten. Und in diesem Angebot von Waren besteht doch gerade die Nachfrage
nach Geld, die infolgedessen immer gerade so groß sein wird - wie die durch
unsere Arbeit erzeugte Warenmenge, das Angebot von Waren. Von unserer
Zentralnotenbank hat der Inhaber des Geldes nichts zu fordern, draußen auf den
Märkten, in den Läden liegt die Deckung unseres Geldes. Wir brauchen keine
Einlösung der Noten, da wir ja das Geld sowieso immer brauchen werden, ja im
Grunde ist die Einlösbarkeit der Noten für uns eine ewige Bedrohung - denn nehmen
wir an, die Notenbank werde eines Tages die Noten wirklich sämtlich einlösen -
wozu sie nicht nur berechtigt, sondern eigentlich sogar verpflichtet ist, was
würde dann aus uns werden? Ist unsere Wirtschaft einmal auf das Geldwesen
eingestellt, so brauchen wir nur eins: Eine unbedingte Gewähr, daß die
Notenbank ihre Noten niemals einlösen wird. Diese Gewähr werden wir haben, wenn
das Einlösungsmittel die Kartoffeldeckung, ganz verfault sein wird, und bis das
geschieht, schlage ich vor, unserem Geld folgende Inschrift zu geben: Der
Notenbank ist es verboten, die Noten einzulösen. Die Notenbank hat das Geld
ewig in Umlauf zu erhalten. Sie darf keinen Stahlschrank besitzen. Oder noch
besser, wir schreiben: Dem Vorzeiger dieser Note wird Diego Martinez bei Sicht
und ohne Legitimation 100 Streiche mit dem Schulstock verabfolgen. So werden
wir dann auch von seiten der Geldinhaber vor der drohenden Einlösung der Noten
geschützt. Ich will damit ganz klar ausdrücken, daß die Deckung des Geldes
nicht in der Emissionsbank zu suchen ist, und daß eine zur Einlösung der Noten
bestimmte Deckung, wie sie unsere Kartoffeln bisher darstellten, keine
Sicherheit, sondern eine Unsicherheit, ja eine Bedrohung des Geldmarktes
darstellt. Ich stimmte früher für eine Mistdeckung, weil ich dieser
Gesellschaft lange theoretische Auseinandersetzungen ersparen wollte, in der
Überzeugung, daß die Praxis uns allen bald genug die völlige Überflüssigkeit
jeder Art Deckung entschleiern würde.
Hierauf ergriff wieder Diego
Martinez das Wort: So drastisch Genosse Santiago euch den Sachverhalt klar
gemacht hat, so treffend und wahr sind auch seine Ausführungen. Aber wir müssen
hier unsere demokratische Verfassung achten und keine Gesetze, keine
Einrichtungen einfuhren, die nicht restlos von der Majorität unseres Volkes
begriffen und durchschaut werden, so nützlich auch solche Einrichtungen sich
erweisen würden. Ich würde es als ein Verbrechen an der Demokratie ansehen, die
Annahme meiner Vorschläge von eurem bloßen Vertrauen, womit ihr mich beehrt, zu
erwirken. Alles muß auf dieser Weit bezahlt werden, warum nicht auch die
Demokratie. Nein, Genossen, Demokraten, echte Demokraten, wollen wir bleiben -
verweigert immer glattweg alles, was ihr nicht begreift und durchschaut. So ihr
nicht nach eigenem Urteil handelt und euch auf Vertrauensmänner verlaßt,
verliert ihr das Heft aus der Hand und verfallt dem aristokratischen Regiment.
Trefft keine staatlichen Einrichtungen, die euren geistigen Horizont
übersteigen. Euer Staat sei das geistige Spiegelbild der Majorität. Alles müßt
ihr durchschauen können, nichts darf euch zu hoch sein. Und schmückt euch nicht
mit fremden Federn. Ist das geistige Fassungsvermögen der Majorität nicht
größer als das der Hottentotten, so begnügt euch mit einem Hottentottenstaat.
Euer alter Lehrer weiß, daß
viele unter euch das Geld im Sinne Barabinos begreifen werden, aber bei weitem
nicht die hier ausschlaggebende Majorität. Fiat democratia et
pereat mundus. Ehe wir uns
eines Geldes bedienen, das unsere Majorität nicht geistig durchdringt,
verzichten wir auf solches Geldwesen - und wenn es noch so viele Vorteile böte.
Zum Glück nun kann ich euch ein Geldsystem vorschlagen, das jeder von euch
verstehen wird, und das, wenngleich es stark an das Muschelgeld der
Hottentotten erinnert, dennoch ganz gute Dienste leisten wird.
Wir haben hier auf unserer Insel
ein Exemplar, ein einziges, des "pinus moneta", des großen Baumes,
wie ihn unsere Kinder nennen, dessen Nüsse uns zu weiter nichts nütze sind. Die
Kinder spielen damit, und die Ratten fressen sie, wenn nichts anderes da ist.
Diese Nüsse erklären wir zu unserem Geld. Wir bauen um den Baum eine Mauer und
erklären Baum und Früchte für Eigentum des Volkes. Mit diesem Geld fällt die
ganze Deckungsfrage einfach weg. Das Geld trägt dann in sich selbst seine
"Deckung" und schleppt sie mit sich herum. Der Baum wird zu unserer
Zentralnotenbank und ersetzt unsere kostspieligen Kartoffelhallen. Mit den
Nüssen lösen wir die in Umlauf befindlichen Kartoffelnoten ein. Die noch
vorrätigen Kartoffeln verteilen wir unter uns und machen bekannt, daß von nun
an nur mehr allein die Nüsse unseres großen Baumes als Geld anzusehen seien.
Als Umtauschverhältnis für die Kartoffelnoten schlage ich 1 zu 100 vor - d. h.
ein Pfund Nüsse für eine Note von 100 Pfund Kartoffeln. Diese Nüsse unterliegen
zwar auch einem regelmäßig wachsenden Gewichtsschwund dadurch, daß sich das in
ihnen enthaltende Öl verflüchtigt, aber dieser Verlust trifft dann immer gleich
den, den es treffen soll, also den, der das Geld für den Tausch seiner Produkte
benutzt, nicht mehr die Allgemeinheit. Da weiter durch den ständigen
Gewichtsverlust der Nüsse unser Geldbestand ständig abnehmen wird, so werden
wir jährlich für Ersatz sorgen müssen, indem wir der jährlichen Ernte des
großen Baumes soviel Umlauf setzen, wie auf genannte Weise jährlich verloren
geht. So werden wir eine jährliche Einnahme haben, die ich auf 10 % unseres
Geldumlaufes schätze und für die wir gute Verwendung beim Ausbau unseres
Straßensystems haben werden. Auch das ist noch zu bemerken: Unsere Nußreserven
setzen uns in den Stand, stets genau so viel Nüsse (Geld) in Umlauf zu setzen,
daß ihr Preis sich nicht verändert, d. h. daß man für das gleiche Quantum Nüsse
immer das gleiche Quantum Waren, Durchschnittswaren, erhalten wird. Neigen die
Warenpreise abwärts, so werden wir von unseren Nußreserven so viel und so lange
neue Mengen auf den Markt werfen, bis daß die Warenpreise wieder anziehen.
Sollten umgekehrt die Warenpreise steigen, so vermindern wir den Geldumlauf,
was auf einfachste Weise dadurch geschieht, daß wir den Ersatz des natürlichen
Schwundes des Geldes eine Zeitlang aussetzen. So werden sich Angebot und
Nachfrage Waage halten.
Dieser Vorschlag gefiel den
Baratonen ganz außerordentlich. Dieses Nußgeld, wenn es auch nur aus den
unnützen Früchten eines Nadelbaumes bestand, von dem es in Madagascar ganze
Wälder gibt, verstanden sie, oder glaubten wenigstens es zu verstehen. Es war
ein Körper, massiv; man sah, fühlte es, konnte es wiegen. Es hatte
"inneren Wert". Es war hartes Geld, Stoff, man konnte da wieder
stofflich denken. Zudem eignete sich die Frucht, auch rein äußerlich
betrachtet, vorzüglich für die beabsichtigte Verwendung. Es waren kleine,
harte, glänzende Nüßchen in Erbsengröße, von angenehmem Getaste und Geruch, die
sich leicht in Beuteln tragen ließen. Der Ballast war klein; man konnte sowohl
die größte wie die kleinste Summe damit zahlen.
Der Pinus moneta, der große
Geldbaum, wurde nun eingefriedigt. Die Früchte wurden gesammelt und der nach
dem Umtausch der Kartoffelnoten verbleibende Rest dem Lehrer Diego Martinez als
Bankreserve übergeben mit der Vollmacht, damit nach seinen Vorschlägen die
Währung des Landes zu verwalten.
Auf Veranlassung des Bürgers
Carlos Marquez wurden die Kartoffeln, die als Deckung des früheren Geldes
gedient hatten, nicht aus den Hallen entfernt, denn, so sagte er, die
"wertlosen" Nüsse des Pinus moneta, deren Produktion keine
menschliche Arbeit gekostet hatte und keine "Arbeitsgallerte"
vorstellen, könnten nur durch den auf sie "übertragenen Wert" der
Kartoffeln als Geld funktionieren. Das Geld kann nur den Wert eintauschen, den
es selber hat, sagte er. Die Kartoffeln könnten ja da, wo sie lagen,
vollständig verfaulen, das schadet sonst nichts, ihr Wert würde doch nach
Beendigung des Fäulnisprozesses, d.h. nach Abstraktion aller körperlichen
Eigenschaften, verbleiben und auf die Nüsse des Pinus Moneta übergehen, - also
sozusagen nur eine Seelenwanderung durchmachen. (Marx sagt: Abstrahiert man
sämtliche körperlichen Eigenschaften der Waren, so bleibt doch noch eine
Eigenschaft, der Wert). Da die Baratonen kein Wörtchen von diesen Ausführungen
verstanden, so wurde der Vorschlag doch einstimmig angenomen.
Über diesen Schildbürgerstreich
machte sich Santiago Barabino nicht wenig lustig. Was seid ihr doch beschränkte
Köpfe, sagte er. Ist das nicht der reine Fetischismus? Freilich, wer sich einer
reinen Demokratie erfreuen will, der muß auch bereit sein, ihre Kosten zu
zahlen. Heute kostet uns er Spaß 400.000 Zentner Kartoffeln, die wir darum
verfaulen lassen, weil die Majorität es so will, weil sie geistig unfähig ist,
das Geld zu begreifen und nun einer Phrase zum Opfer gefallen ist. Fiat
democratia et pereant tubercula. Könnt ihr euch nicht über den Stoff erheben?
Könnt ihr das Geld nur stofflich, nicht als Kraft begreifen? Dabei erlaubt ihr
euch noch über den armen Kopernikus zu lachen, der wohl einsah, daß die Erde um
die Sonne kreiste, aber sich auch nicht vom Stoffe trennen konnte und darum die
Erde auf Achsen und einer festen Ebene kreisen ließ bis daß Galileo auch diesen
Rest stofflicher Vorstellungen beiseite warf und unsere Erde in den Raum
schleuderte, wo sie nun frei ihre Bahnen um die Sonne ziehen darf. So wie
Galileo die Erde betrachtete, so müßt ihr euch das Geld vorstellen. Frei, an
keine besondere Ware gebunden, weder an Gold, noch an Kartoffeln und Nüsse. Wie
die Erde ihre Schwerkraft von den umgehenden Himmelskörpern erhält, so zieht
das Geld aus den Warenvorräten des Marktes, denen es als Tauschmittel dient,
seine Lebensgeister. Nehmen wir die Sonne fort, so löst sich die Erde in Dunst
auf, den die Wüstenwinde hin und her wehen; nehmen wir die Waren fort, so
verwandeln sich die Samen des Pinus moneta wieder in das, was sie waren, in
Futter für die Ratten. Von dem Augenblick an aber, wo wir sagen: Wir verkaufen
unsere Arbeitsprodukte nur noch gegen die Nüsse des Pinus moneta, entsteht eine
kaufmännische Nachfrage, die genauso groß ist wie die auf den Tausch harrende
Warenmenge und mit dieser gemessen werden kann. Wie ihr aber wißt, genügt es,
wenn Nachfrage nach einer Sache besteht, um dieser den Charakter einer Ware zu
geben, für die man auf dem Markte etwas eintauschen kann. Wie viel, sagen dann
Angebot und Nachfrage. Vorher war die Nuß der Pinus moneta wirklich ein sehr nutzloser
Gegenstand, jetzt aber, da wir sie zu unserem Tauschmittel gemacht haben,
gehört sie zweifellos zu unseren nützlichsten Gütern, da wir es ihr verdanken,
wenn wir unsere Produkte schnell, sicher und billig austauschen können. Darum
war es ein toller Streich, die 400.000 Zentner Kartoffeln "zur Gerinnung
des Wertes" verfaulen zu lassen. Weder die Kartoffelnoten noch die Nüsse
des Pinus moneta brauchten zu ihrer Geldfunktion solche "Deckung".
Hier bricht die Chronik den
Gegenstand plötzlich ab. Erst zehn Jahre später ist von einer neuen Geldordnung
die Rede. So lange scheint man mit dem Nußgeld völlig zufrieden gewesen zu
sein. Die Chronik berichtet von dem unaufhaltsam wachsenden allgemeinen
Wohlstand, der sich in vielerlei Werken schönster Kultur äußerte. Auch der
Überraschung des Chronisten wird Ausdruck gegeben darüber, daß dieser
allgemeine Wohlstand allen Prophezeiungen zum Trotz nicht in Reichtum und Armut
zerfallen wollte. Arme Leute gab es während dieser langen Zeit offenbar
überhaupt nicht, denn im Staatshaushalt fehlt jede Andeutung über öffentliche
Armenpflege. Überraschend klein an Umfang ist auch die Verbrecherchronik. Immer
wieder spricht der Chronist seine Überraschung darüber aus, daß bei rein
geschäftsmäßigen Darlehen kein Zins ausbedungen werden kann. Daß das nicht aus
religiösen oder ethischen Gründen geschieht, erwähnt der Chronist ausdrücklich.
Er sagt, daß auf dem Darlehensmarkt das Angebot immer reichlich die Nachfrage
deckt, was ja dann allerdings die Erscheinung des zinslosen Darlehens erklärt.
Die Baratonen verkauften ihre Erzeugnisse nach kaufmännischen Grundsätzen, d.
h. sie nahmen immer so viel, wie sie erlangen konnten. Hätten also die
Baratonen nach Lage der Verhältnisse einen Zins bei Darlehen ausbedingen
können, so hätten sie den Zins ganz gewiß nicht verschmäht. Die Erscheinung,
daß in Barataria das Angebot auf dem Darlehensmarkt die Nachfrage deckte, sucht
der Chronist wie folgt zu erklären: Das Angebot bei Darlehen bestand aus Nüssen
des pinus moneta, die wie wir wissen, genau wie alle anderen Güter dem
ständigen Schwund unterworfen waren. Dieser Schwund übte auf das Angebot dieser
Nüsse einen ständigen Druck aus. Die Darlehensgeber, also die Besitzer der
Nüsse, konnten nicht, wie unsere heutigen Kapitalisten, den Zins zur
selbstverständlichen Bedingung des Darlehens stellen; sie konnten den
Geldschrank nicht dem Darlehensbegehrer vor der Nase zuschlagen und sagen:
"Wenn Sie keinen Zins bewilligen, so behalte ich mein Geld." Beim
Gold und bei den heutigen Banknoten ist das möglich, weil das Gold und seine
papiernen Vertreter unbegrenzt haltbar sind. Darin unterschied sich eben das
Geld der Baratonen von unserem heutigen Geldwesen. Gaben die Baratonen das Geld
zinsfrei her, so vermieden sie den Verlust, der ihnen sonst aus der
Aufbewahrung des Geldes erwachsen wäre. Sie gaben 100 Pfund Nüsse, und nach
Jahr und Tag bekamen sie 100 Pfund zurück. Hätten sie die 100 Pfund im
Geldschrank verwahrt, weil sie auf zinsfreie Darlehen nicht eingehen wollten,
so hätten sie nach Ablauf der gleichen Zeit nur mehr 90-80-70 Pfund
vorgefunden. Was sollen die Sparer tun? fragt der Chronist. Sparen sie ihre
eigenen Produkte, so haben sie Verluste und Kosten für die Wartung, legen sie
ihre Ersparnisse in Produkten anderer Bürger an, so stehen sie nicht besser,
und sparen sie Geld, so ist es wieder dasselbe, als ob sie ihre eigenen oder
die Erzeugnisse anderer sparten. So ist das zinsfreie Darlehen für die Sparer
tatsächlich die einfachste und nützlichste Sparanlage. Die Bürger aber, die das
Geld ja nur zum Ankauf von Waren für ihre Industrie oder den Handel benötigen,
legen das Geld nicht in den Kasten, sie wälzen den aus dem Schwund des Geldes
entstehenden Verlust durch den Kauf der von ihnen benötigten Waren wieder von
sich ab. So haben sie den Vorteil des Darlehens ohne Zinslasten.
Weil derart die Gelddarlehen
zinsfrei waren, konnten die Unternehmer auch von ihren Unternehmungen keinen
Zins verlangen. Sie konnten Fabriken, Mietshäuser, Schiffe, Kanäle bauen, ohne
dabei zur Bedingung zu stellen, daß ihnen das Haus Zins abwerfe. Bei uns muß
jedes Unternehmen wenigstens so viel Zins abwerfen, wie der Unternehmer den
Hypothekenbanken für das Geldkapital an Zins abtragen muß, sonst ist das
Unternehmen finanziell unmöglich. Es rentiert sich nicht, sagt man. Für unsere
Unternehmer ist der Zins ein Durchgangsposten, der sie weiter nicht
interessiert. Ob sie 3-4-5 % zahlen müssen, ist ihnen völlig gleichgültig. Sie
erheben den Zins vom Haus, vom Schiff, von der Fabrik, ihn an ihre Gläubiger
abzuliefern. Ihnen bleibt dann der ihrer persönlichen Arbeit entsprechende
reine Unternehmerlohn, der durch die Gesetz des allgemeinen Wettbewerbes
bestimmt wird. So war es auch in Barataria, nur mit dem Unterschied, daß die
Zinswirtschaft wegfiel. Die Mietshäuser in Barataria warfen in der Miete nur
die Kosten der Reparaturen, die etwaige Grundrente (die an die Staatskasse
abgeführt wurde) und die Abschreibungen ab. Mit dem in der Miete enthaltenen
Betrag der Abschreibungen wurde das Darlehen getilgt. Auch im Handel wurden die
Waren nicht mit Zins belastet an die Konsumenten abgegeben, denn von der
Grundlage des zinsfreien Gelddarlehens gingen die Preisberechnungen der
Konkurrenten aus.
Die Banken hatten in Barataria
trotz des lebhaften Verkehrs geringe Bedeutung. Hypothekenbanken fehlten schon
aus dem Grunde, weil in Barataria der Boden der Allgemeinheit gehörte, also so
zu sagen ein Fideikommiß des ganzen Volkes darstellte. Und Fideikommisse kann
man nicht verpfänden. Die baratonischen Sparer scheinen ihre Mittel direkt ohne
Vermittlung von Zwischenpersonen und Banken in den ihnen bekannten, meistens
als Aktiengesellschaften geführten Unternehmungen angelegt zu haben. Wechsel
und Schecks waren unbekannt. Die Barzahlung war fast ausnahmslose Sitte, was
der Chronist damit erklärte, daß die Natur des dortigen Geldes jeden direkt
zwang, sich des Geldes so schnell wie möglich zu entledigen. Kreditverkäufe
waren unbekannt. Wer aus besonderen Gründen nie über das nötige Geld verfügte,
der borgte bei seinen Bekannten und Verwandten und bezahlte dann bar. Der
Chronist erwähnt ferner die bei den Baratonen ganz allgemein gewesene Sitte der
privaten Vorratswirtschaft. In jedem Hause war eine Vorratskammer eingebaut -
gewöhnlich der Stolz der Hausfrau. Die Kammer füllte man mit den Dingen des
gewöhnlichen Bedarfes. Statt Geldreserven und Sparkassenbüchern hatte man
Vorräte. Da das Geld sich ohne Schaden nicht aufbewahren ließ, so war jeder
Hausfrau der Besitz von Vorräten ebenso lieb und bequem, wie der Besitz barer
Geldreserven. Geld und Vorräte waren gleich schlecht und gleich gut. Darum
pflegte man die Waren nicht so wie heute in Minimalmengen zu kaufen, sondern
faß-, sack- und ballenweise in der Originalpackung, und da es sich derart immer
um größere Sendungen handelte, so bezog man die Waren meistens unmittelbar vom
Erzeuger. Die Weihnachtsgeschenke kaufte man z. B. nicht gerade am
Weihnachtsabend, sondern während des ganzen Jahres, wenn man gerade Geld hatte,
und bewahrte sie dann in der Vorratskammer für die Zeit des Festes auf. Darum
trieben sich die Waren in Barataria gar nicht lange auf den Märkten und in den
Läden herum. Es waren überhaupt nur ganz wenige Läden vorhanden - eine
Apotheke, ein Sargmagazin, ein Sprengstofflager und ähnliche Geschäfte von
Gegenständen, die man nicht gerne auf Vorrat kaufen wollte.
Die Waren rollten auf dem Gelde
des pinus moneta unaufhaltsam von der Werkstätte, vom Acker unmittelbar den
Verbrauchern zu. Das hatte zur Folge, daß die Kaufleute ihre Geschäfte mehr
kommissionsweise, nach Art der Musterreiter betrieben. Ihre Profitsätze müssen
demgemäß auch nur sehr geringe gewesen sein, statt 40 % im Durchschnitt, wie
sie bei uns betragen, mochten die Waren in Barataria nur mit etwa 4 %
Handelsspesen belastet den Verbraucher erreichen.
Jetzt werden wir auch verstehen,
warum in Barataria alles so billig war, wie anfangs erwähnt wurde. Die Güter
waren nicht billig, weil man dort niedrige Löhne zahlte, sondern einfach darum,
weil der Warenaustausch und die Warenproduktion nicht mit Zinsen und unerhörten
Handelsprofiten belastet waren. Bedenkt man, daß z. B. bei den Eisenbahnen der
Preis der Fahrkarten und die Frachtsätze zu mehr als 500 % aus Zinsen des im
Bahnbau angelegten Geldkapitals besteht, daß durch eine Beseitigung des Zinses
der Tarif der Bahnen um 50 % ermäßigt werden könnte, daß ferner bei 5 % Zins
das ganze Reich mit allem Land und allem, was darauf gebaut ist, Häuser,
Eisenbahn, Fabriken, Kuhställe, Gärten, Wälder, Äcker, Wasserkräfte usw. alle
20 Jahre über die Zahltische der Rentner wandert, so wird man verstehen, warum
unsere Insel den anheimelnden Namen Barataria erhielt.
Leider muß ich es mir versagen,
auch von den sozialen Zuständen, die sich auf diesen wirtschaftlichen
Verhältnissen der Baratonen entwickelten, näheres mitzuteilen. Es genügt hier
zu erwähnen, daß in Barataria jeder nach christlicher Lehre leben und handeln
konnte, ohne dadurch in Bedrängnis zu geraten. Die Zahl der Hilfsbedürftigen
war gegenüber der Zahl der Hilfskräftigen derart geringfügig, daß es überhaupt
nicht möglich war, durch werktätiges Christentum sich selbst in den Zustand der
Hilfsbereitschaft zu bringen. Ohne zu erröten, konnte jeder von sich sagen: Ich
lebe nach Christi Lehre, wenigstens so weit es mein Verhältnis zu meinem
Nächsten, zu meinen Brüdern betrifft.
So standen die Sachen, als die
Baratonen eines Tages von einem Aufruf überrascht wurden, den Carlos Marquez an
die Bürger Baratarias richtete. Bürger! Unser Geld hat sich entschieden als
Tauschmittel bewährt. Der Wert der verfaulten Kartoffeln hat sich als
"kristallisierte Arbeitsgallerte" auf die sonst wertlosen Samenkörner
des Pinus moneta übertragen und haftet diesen an, wie der Schweiß der
Goldgräber König Salomos noch heute dem aus damaliger Zeit auf uns überkommenen
Ophirgolde anhaftet. Der Tausch der Produkte geht dank diesem übertragenen Wert
der Kartoffeln reibungslos vonstatten, sogar besser, wie ich zugebe, als es mit
dem Gelde Salomos zu gehen pflegte. Wir haben noch keinen Krach, keine
Arbeitslosigkeit gehabt. Merkwürdigerweise ist auch der dem Privateigentum als
Eigenschaft anhaltende Zins oder Mehrwert ausgeblieben auch habe ich bis jetzt
keine Entwicklungskeime des Mehrwertes wahrnehmen können. Die Theorie des
Mehrwertes versagt hier offenbar. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir
mit dem jetzigen Geld eine der Haupteigenschaften guten Geldes entbehren müssen
- nämlich die Eigenschaft eines Wertbewahrers, einer Wertkonserve, eines
Wertspeichers. Wie viele Verluste erwachsen unseren Hausfrauen allein aus dem
Besitze der Vorratskammern, wie viel Arbeit verursacht deren Wartung! Es geht
hier in die Millionen. Alle diese Kosten würden wir sparen können, wenn unser
Geld nicht ausschließlich Tauschmittel, sondern auch Sparmittel, Wertbewahrer,
Wertspeicher und Wertkonserve wäre. Der Grund, warum unser Geld nicht auch
Sparmittel ist, liegt darin, daß wir die Nüsse des Pinus moneta nach Gewicht
tauschen und daß dieses Gewicht ständig schwindet. Wenn wir nun die Nüsse statt
nach Gewicht nach Hohlmaßen gelten ließen, so bliebe der Wert unseres Geldes
unverändert, denn wie ich festgestellt habe, überträgt sich der Schwund des
Gewichtes der Nüsse nicht auch auf ihren Rauminhalt. Dieser ist so gut wie
unveränderlich. Ein Maß Nüsse bleibt noch nach zehn Jahren ein Maß Nüsse. Nun
gibt ein Pfund frischer Nüsse des Pinus moneta genau ein Zehntel Maß. Wir
brauchen also nur ein Gesetz, wonach von jetzt ab das zehntel Maß an die Stelle
des Pfundes tritt - und dann haben wir, was wir brauchen - die Wertkonserve,
den Wertbewahrer, verbunden mit den allgemein anerkannten Vorzügen unseres
Geldes. Kommt, Bürger, stimmt alle für diese Währungsreform, die uns viele
Millionen ersparen wird.
In dieser Versammlung ergriff
nun der Lehrer Diego Martinez das Wort. Liebe Mitbürger, sagte er, lehnt den
Vorschlag Marques ab. Unsere Wirtschaft ist, wie er selber zugibt, in bester
Ordnung. Am Geld soll man nicht viel herumpfuschen. Wir wissen gar nicht welche
Rückwirkungen eine solche eingreifende Änderung auslösen wird. Nervus rerum
nennt man das Geld nicht umsonst. Durch den Vorschlag Marquez schaffen wir zwar
das, was er bezweckt, aber auf wessen Kosten wir die Vorteile des sogenannten
Wertspeichers genießen werden, das hat uns Marquez nicht gesagt. Er sagt nur,
daß die Hausfrauen die Unkosten sparen werden, die ihnen die Aufbewahrung der
Vorräte verursacht. Wer aber soll von nun an diese Vorräte aufbewahren und wer
soll die Kosten tragen? Das hätte Marquez untersuchen müssen. Auf alle Fälle
stelle ich hier eine Diskrepanz fest zwischen der Natur des Markquez’schen
Geldes und der Natur der Waren, denen das Geld als Tauschmittel zu dienen hat,
eine Diskrepanz, von der wir in Übereinstimmurig mit dem Satz, daß das Geld als
nervus rerum zu betrachten ist, die folgenschwersten Ereignisse erwarten
müssen. Welcher Art die Ereignisse sind, vermag ich zur Stunde nicht zu
übersehen. Unsere Wirtschaft läuft in so gut geölten Bahnen, daß kaum einer
unter uns die Gesetze dieser Wirtschaft zu untersuchen für nötig gehalten hat.
Sonst würde wohl einer im Stande sein, den theoretischen Nachweis zu erbringen,
daß, wie ich ahne, die Eigenschaft des Wertbewahrers, die wir unserem Gelde
geben sollen, im Grunde die Ursache des Zinses ist, dem wir bisher mit unserem
Gelde zum Glück entgangen sind - eine Erscheinung, die Marquez, wie er zugibt, nicht
erklären kann. Mitbürger - mißtraut der vorgeschlagenen Neuerung, lehnt sie ab,
oder fordert wenigstens von Carlos Marquez, daß er auch eine Erklärung abgibt
darüber, wer von nun an die Kosten der Aufbewahrung der Waren tragen wird (5)
und ob mit dem Wertbewahrer noch zinsfreie Darlehen, auf die der blühende
Zustand unserer gesunden sozialen Verhältnisse zurückzuführen ist, möglich sein
werden. Ich leugne das, denn von dem Augenblick an, wo der Sparer sein Geld
einfach ohne Schaden seinem Geldschrank anvertrauen kann - fehlt auch der
Druck, der den Darlehensgeber für zinsfreie Darlehen mürbe machte.
Diese kritischen Bemerkungen
scheinen die Baratonen, (die, wie es ihnen Martinez schon gesagt hatte, in
wirtschaftlicher Beziehung vollkommen unwissend waren) nicht verstanden zu
haben. (Vielleicht war es der Umstand, daß sich Martinez so unbestimmt
ausdrückte, vielleicht auch nur Neugierde, die die Mehrheit veranlaßte, dem
Vorschlag Marquez zuzustimmen. Wenn es dem Esel zu gut geht, dann geht er aufs
Eis. Und es ging ihnen allen gut. Wollten es aber noch besser haben. Es wurde
also ein Gesetz erlassen wonach das Geld nach Hohlmaßen und nicht mehr nach
Gewicht gelten sollte.
Wenn irgendwo das Wort
"kleine Ursache große Wirkungen" am Platze ist, so ist es wohl hier.
So heißt es in der Chronik: "Großer Gott, was haben wir da in unserem
Leichtsinn für grenzenloses Unheil angerichtet. Kein Erdbeben, keine Sintflut,
kein Krieg, keine Seuche hätte uns schwerer heimsuchen können, als jene
anscheinend so harmlose Neuerung, die unser Theoretiker Carlos Marquez
vorschlug. Von Grund auf hat er unsere Volkswirtschaft, unsere sozialen
Zustände aufgewühlt und zerstört, nichts als Trümmer sind übriggeblieben. Das
Volk ist verhetzt, verlogen, verarmt, dem Laster verfallen, von Christentum ist
nichts übriggeblieben als der Name. Es kam, wie es Santiago Barabino in einem
Artikel der baratonischen Rundschau prophezeit hatte. Ihr werdet schon sehen,
hatte es am Schlusse dieses Artikels geheißen, was aus einer Demokratie wird,
wenn die Majorität, wie es bei uns der Fall ist, sich von Phrasenhelden in
Staatsangelegenheiten leiten läßt. Die Demokratie ist kein billiger
Bazarartikel, sie kann nur dann ein Staatswesen zur Blüte bringen, wenn sich
das ganze Volk der Mühe unterzieht, die Staatsangelegenheiten gründlich zu
studieren. Und diese Arbeit wollen sich die Baratonen sparen. Sie sitzen lieber
im Wirtshaus und ziehen lieber die alkoholische Lösung jeder gründlichen
Analyse vor. Sie werden aber wohl noch rechtzeitig erfahren, ehe es zu spät ist
- was es heißt, das Geld zum 'Wertbewahrer' zu machen.
Gleich am ersten Tag, da die
Baratonen mit dem Wertbewahrer beglückt wurden, war es, als ob die gesamte
Bevölkerung wahnsinnig geworden wäre. Es geschah, was man eigentlich sofort vom
Vorschlage Marquez und seiner Begründung hätte ableiten können.
Vom Wunsche beseelt, den Inhalt
ihrer Vorratskammern durch den "Wertbewahrer" zu ersetzen,
beschlossen die Baratonen nämlich, ihre Vorräte zu verkaufen, und da jeder
ahnte, daß viele, wenn nicht alle auf den gleichen geistreichen Gedanken kommen
würden, und daß infolgedessen das Angebot größer sein würde, bei gleichzeitig
fehlender Nachfrage, so hatte es jeder eilig. Jeder wollte der erste auf dem
Markte sein. So kam es, daß am gleichen Tage, wo das Geld zum
"Wertbewahrer" gemacht wurde, sämtliche Vorratskammern des Landes
geleert, auf Wagen verladen und den Märkten zugerollt wurden. Noch ehe der Hahn
zu Ende gekräht hatte, setzte sich das ganze Volk in Bewegung. Alle
Zufuhrstraßen des Marktes waren mit Wagen besetzt.
Tausende von Fuhrwerken,
hochbeladen, wankten, in Staubwolken gehüllt, dem Markte zu. Der Markt füllte
sich, die Straßen sind voll, bis weit vor den Toren der Stadt steht dicht
gedrängt Wagen an Wagen. Wer sollte diese Güter kaufen? Niemand will jetzt
noch, da das Land mit dem Wertbewahrer beglückt wurde, Vorräte, Waren,
allgemeine Arbeitsprodukte, die die Motten fressen. Den Universalvorrat, das
bare Geld, den Wertbewahrer wollen sie haben, ohne Ausnahme. Die nutzlose Pinus
moneta, die bis dahin niemand rührte, wird zum Ziel aller. Der gesamte Reichtum
des Volkes soll sich plötzlich in diesen elenden kleinen Samenkörnern
konzentrieren! Welcher Wahn. (Völker, höret die Signale!).
An dem Tage aber wurde nicht für
ein einziges Samenkorn Ware umgesetzt. Sie wollten ja alle nur verkaufen. Wie
dumme Gänse stierten sich die guten Insulaner gegenseitig an. Alle wollten ja
nur Geld, den Wertbewahrer, die Samenkörner des Pinus moneta. So luden denn die
guten Baratonen ihren Kram wieder auf und fuhren mißvergnügt nach Hause.
Die Chronik erzählt nun, wie
sich das Schauspiel acht Tage lang wiederholte, ehe die Baraton dahinter kamen,
daß das, was sie wollten, etwas Unmögliches war. Im Tagblatt von Villapanza
erschien ein Artikel von Carlos Marquez, worin er die Bürger zur Geduld mahnte.
Die Ereignisse hätten gezeigt, daß Barataria an einer kolossalen Überproduktion
litt. Ehe nicht diese in Überfluß vorhandenen Waren verschwunden seien, konnte
der Wertbewahrer nicht das leisten, was an von ihm erwarte. Weniger
produzieren, verkürzte Arbeitszeit, auch mehr verbrauchen, dann würde das
Gleichgewicht bald hergestellt sein.
Um diese Zeit lief bei den
Behörden ein Gesuch der Firma Barabino & Co. ein, worin um ein
Lombarddarlehen in der Höhe des Gesamtbetrags der Bankreserven (also der
überschüssigen Nüsse des Pinus moneta) nachgesucht wurde. Begründet wurde das
Gesuch damit, daß es dem Gemeinwohl dienen würde, wenn jetzt bei der zutage
getretenen gewaltigen Überproduktion die Nachfrage gehoben würde. Mit dem Geld
würde die Firma den Warenmarkt entlasten, und so die Bürger in den ermahnten
Genuß des Wertbewahrers setzen.
Gutartig wie die Baratonen
waren, vermutete niemand Harm hinter diesem Vorschlag, und nur Diego Martinez
erhob Einspruch. Er las der Versammlung aus dem 1. Buch Moses, Kap. 47 vor, wo
steht:
14. Und Joseph brachte alles
Geld zusammen, das in Ägypten und Kanaan gefunden ward, um das Getreide, das
sie kauften, und Joseph tat alles Geld in das Haus Pharao.
15. Da nun Geld gebrach im Lande
Ägypten und Kanaan, kamen alle Ägypter zu Joseph und sprachen: Schaffe uns
Brot, warum lässest du uns vor dir sterben, darum, daß wir ohne Geld sind?
16. Joseph sprach: Schafft euer
Vieh her, so will ich euch um das Vieh geben, weil ihr ohne Geld seid.
17. Da brachten sie Joseph ihr
Vieh, und er gab ihnen Brot um ihre Pferde, Schafe, Rinder und Esel. Also
ernährte er sie mit Brot das Jahr um alles ihr Vieh.
18. Da das Jahr um war, kamen
sie zu ihm im anderen Jahr und sprachen zu ihm: Wir wollen unserem Herrn nicht
verbergen, daß nicht allein das Geld, sondern auch alles Vieh dahin ist zu
unserem Herrn und ist nichts mehr übrig vor unserem Herrn, denn nur unsere
Leiber und unser Feld.
19. Warum lässest du uns vor dir
sterben, und unser Feld? Kaufe uns und unser Land ums Brot, daß wir und unser
Land leibeigen seien dem Pharao. Gib uns Samen, daß wir leben und nicht
sterben, und das Feld nicht verwüste.
20. Also kaufte Joseph dem
Pharao das ganze Ägypten. Denn die Ägypter verkauften ein jeglicher seinen
Acker, denn die Teuerung war zu stark über sie. Und ward also das Land Pharao
eigen.
Mit den Worten: Wer Ohren hat zu
hören ... schloß Martinez seine Rede. Doch hatte man dazu nur gelacht. Was
konnten einem die alten Juden auch in dieser rein geschäftlichen Angelegenheit
raten?
Der Firma Barabino & Co.
wurden also die Bankreserven ausgeliefert, und sofort begann auch der Einkauf
der von den Baratonen angebotenen Vorräte. Die Firma kaufte jedoch nur ganz
bestimmte Waren, unentbehrliche Dinge, namentlich auf die Sämereien hatte sie
es abgesehen und darauf, daß sie auch möglichst alles in ihre Hand bekam. Die
arglosen Baratonen verkauften alles und freuten sich, wenn es ihnen gelang,
durch ermäßigte Forderungen den Gehalt ihrer Vorratskammern durch den
"Wertbewahrer“, den "Wertspeicher" zu ersetzen, durch den
nutzlosen Samen des Pinus moneta (von dem es in Madagascar ganze Wälder gab und
der bis dahin nur den Ratten als Futter gedient hatte, wenn sie nichts besseres
fanden). Das war im Herbste gewesen.
Die Chronik schildert nun die
Aufregung, die sich im folgenden Frühjahr der Baratonen bemächtigte, als es
ruchbar wurde, daß der gesamte Vorrat an Sämereien im Besitze der Firma
Barabino & Co. war, und daß dort die Preise willkürlich auf fabelhafte Höhe
gesetzt worden seien, so daß viele die gekauften Sämereien nicht voll bezahlen
konnten und der Firma Barabino & Co. Wechsel ausstellen mußten. An Stelle
des ersehnten Wertbewahrers hatten sie nun Schulden und eine leere
Vorratskammer. Santiago Barabino, der Chef der Firma hielt einen öffentlichen
Vortrag über das Thema Bürgerpflichten in der "Demokratie", worin er
den Baratonen wegen ihrer Bequemlichkeit und Völlerei ordentlich die Wahrheit
sagte. Wer nicht hören will, der soll fühlen. Durch Beelzebub werde ich den
Philister aus euch heraustreiben! Ich habe euch vor Carlos Marquez und seinem
Wertbewahrer gewarnt. Ihr aber lachtet mich aus. Jetzt aber lache ich- und
dabei schlug er auf seine Taschen.
Die Chronik gibt eine wunderbar
klare Darstellung von allen Veränderungen, die sich in den Handelsbräuchen
vollzogen, wie alles vom Geiste des "Wertbewahrers" angesteckt und
verdorben wurde. Die Barbezahlung war gleich in den ersten Tagen durch das
Kredit- und Abzahlungssystem ersetzt worden. Die Waren, die niemand mehr auf Vorrat
kaufen wollte, wurden nun in kleinen und kleinsten Packungen gekauft. Alle
lebten von der Hand in den Mund, und eine Unzahl von Kaufleuten wurde nötig, um
diesen Detailverkauf zu bewältigen. Laden reihte sich an Laden, ganze Straßen
mußten neu für die Läden gebaut werden, die als Ware das aufnahmen, was früher
als Vorratsgut in den Häusern der Baratonen verteilt war. Dabei waren die
Käufer hochmütig den Verkäufern gegenüber. Sie pochten auf die Eigenschaften
ihres "Wertbewahrers", sie sagten, daß wenn sich die Verkäufer nicht
höflich, nachgiebig, unterwürfig benähmen, sie mit ihrem Wertbewahrer einfach
nach Hause gehen und die Verkäufer den Schaden haben würden, der ihnen aus der
Vergänglichkeit, aus der Wartung und Bergung der Waren erwachsen würde.
Eines Tages erschien im
Villapanzaer Tageblatt folgende Anzeige:
Barabino & Co. - Deposite
Bank -
Wir machen das geehrte Publikum
darauf aufmerksam, daß wir eine Depositenkasse eröffnet haben und bis auf
weiteres Depositen zu folgenden Bedingungen annehmen:
für Depots auf Abruf 1 %
Zinsvergütung
für Depots auf 2 Monate fest 2 %
Zinsvergütung
für Depots auf 1 Jahr fest 3 %
Zinsvergütung.
Diese Anzeige gab Carlos Marquez
Anlaß zu einem triumphierenden Artikel im Villapanzaer Tageblatt. Endlich käme
der dem Privateigentum immanente Charakter einer Mehrwert gebärenden Maschine
zum Ausdruck. Es habe zwar lange gedauert, bis die Entwicklungskeime des
Kapitalismus zur vollen Entfaltung gekommen seien, aber nun gäbe es auch keinen
Halt mehr. Wer das Privateigentum will, muß auch mit den Folgen rechnen. Jetzt
werde sich der Kapitalismus in seiner ganzen Herrlichkeit zeigen. Bluten und
schwitzen müsse nun das Volk, um den Moloch Kapital zu sättigen. Und das würde
so lange gehen, bis sich der Kapitalismus selber wieder zu Tode entwickelt
habe, ähnlich wie der Spaltpilz des Zuckers von seiner eigenen Jauche vergiftet
wird. Es lebe der Kommunismus, fort mit dem Privateigentum! So schloß Carlos
Marquez. Sofort sandte Diego Martinez eine Erwiderung, worin die Ausführungen
Marquez widerlegt und in einfacher Weise die Erscheinung des Zinses auf
Barataria in ursächlichen Zusammenhang mit der Währungsreform gebracht wurde.
Sobald das Geld zum "Wertbewahrer" gemacht wird und das Geld als Ware
besser ist als die übrigen Waren, wird es als Sparmittel verwendet, und diese
Sparmittel können nur durch den Zins wieder in den Verkehr gelockt werden. Der
Zins mußte kommen, sobald wir das Geld nach Hohlmaßen rechneten statt nach
Gewicht!
Das Villapanzaer Tageblatt
sandte aber den Artikel zurück mit der Bemerkung, es könne doch seinen
aufgeklärten Lesern nicht zumuten, solche grauen Theorien zu studieren. Kein
Mensch würde jemals glauben, daß eine so gewaltige Erscheinung wie der
Kapitalismus darauf zurückzuführen sei, daß man die gänzlich nutzlosen Früchte
des pinus moneta nach Hohlmaßen statt nach Gewicht verkaufe.
Die Firma Barabino & Co.
hatte mit ihrem neuen Unternehmen einen vollen Erfolg. Die Baratonen hatten
sich nämlich bald an ihrem Wertbewahrer satt gesehen und, vom Zins angelockt,
brachten sie ihre Ersparnisse, den Wertbewahrer, in das Bankhaus.
So waren nun in ganz Barataria
die Vorratskammern völlig geleert. An Stelle von Speck, von Mehl, Zucker, Tuch,
Öl usw. war ein dünnes Heftchen Papier, das Sparkassenbuch des Bankhauses
Barabino & Co., getreten. Die Güter aber, die vordem die Vorratskammern
gefüllt hatten, lagen draußen in Hunderten von Läden zu jedermanns Verfügung -
d. h. zur Verfügung derjenigen, der das Geld hatte, und Geld hatte in Barataria
niemand denn das Bankhaus Barabino & Co.
Der Chronist drückt hier sein
Erstaunen aus über die unglaubliche Einfalt der Baratonen, die nichts von der
vorjährigen Samenspekulation gelernt hatten. Zwar hatten sich diesmal alle
gehütet, sich der Sämereien zu entäußern, weil sie eine Wiederholung der
Spekulation fürchteten, dagegen aber hatte niemand an die Ernte gedacht und an
die Säcke, deren man dazu bedarf. So wurden sie also diesmal bei der Ernte
statt bei der Aussaat geplündert, denn Barabino & Co. hatten sämtliche Säcke
Baratarias gekauft und stellten sie nun den Baratonen zu Phantasiepreisen zur
Verfügung.
Und weil es ihm Spaß machte, und
weil er seine Mitbürger belehren wollte, hielt Santiago Barabino wieder einen
öffentlichen Vortrag, worin er seine Spekulation genau beschrieb und den
verblüfften Baratonen vorrechnete, daß seine Firma mit einem Schlage reichlich
eine Million verdient hatte.
Solche Beutezüge müßten die
Baratonen sich jetzt wohl immer gefallen lassen, denn mit Einführung des
"Wertbewahrers", der in Wirklichkeit nichts als ein Warenvernichter
sei, hatten sie ja selbst alles für das Gelingen solcher Spekulationen aufs
beste vorbereitet. Jetzt läge ja der gesamte Warenvorrat immer auf den Märkten
zu jedermanns Verfügung, also auch zur Verfügung der Spekulation, während die
früheren Vorratskammern nun nicht für 24 Stunden versorgt seien. Der
Wertbewahrer, den sie nun kennen gelernt hätten, wäre zwar etwas
Ausgezeichnetes - doch nur für Spekulanten.
Sein Vortrag hatte einen ganz
unerwarteten Erfolg. Die Vorsichtigen nämlich unter den Baratonen, die bis
dahin noch gezögert hatten, ihre Geldbestände bei Barabino & Co. zu
deponieren, ließen alle Bedenken fallen und brachten ihr Geld zur Bank. Sie
sagten sich: Wenn Barabino & Co. an diesen Spekulationen eine Million
Verdienst haben, dann sind sie sicher. So verfügte also jetzt die Firma
Barabino & Co. über den gesamten Geldbestand des Landes.
Aber Santiago Barabino starb,
noch ehe er seine Baratonen von der Unsinnigkeit der Währungsreform durch
Beelzebub hatte überzeugen können. Testamentarisch hatte er angeordnet, daß die
gestohlenen Gelder wieder an das geprellte Volk zurückerstattet werden sollten.
Es waren über 3 Millionen Pfund. Die Firma ging nun auf den Compagnon Sanson
Carrazco über, der sich die Rezepte Santiagos kläglich gemerkt hatte, von
dessen pedantischer Gewissenhaftigkeit er aber nichts angenommen hatte.
Carrazco beschloß, die Dummen zu schröpfen und durch die Presse, durch den
Parteistreit, durch Schule, Kirche, Universitäten dafür zu sorgen, daß die Dummen
dumm blieben.
Da Sanson Carrazco für die
Reserven der Geldverwaltung, die, wie wir wissen, der Firma überlassen worden
waren, Zins an die öffentliche Kasse bezahlte, so hatten die Baratonen nichts
dagegen, ihm diese Reserven dauernd zu überlassen, und da ferner infolge des
Zinses, den Sanson für Depositen zahlte, die Sitte sich bei allen Baratonen
schnell eingebürgert hatte, restlos alle Geldbestände bei der Bank zu
deponieren, so war das Bankhaus Sanson Carrazco absoluter Herr des Geldmarktes.
Der einzige Wettbewerb, der noch zu berücksichtigen war, kam von der jährlichen
Ernte des Pinus moneta. So war es nicht zu verwundern, daß Sanson Carrazcos
Vermögen unheimlich anschwoll, daß ihm bald das ganze Volk verschuldet war. Man
schuldete ihm Geld in Wechseln, Geld in Stadtanleihen und Geld in
Staatsanleihen. Alle größeren Werke waren ihm verpfändet. Aber er war damit
nicht zufrieden - er wollte auch das Land in seinen Besitz bringen und sich die
Krone aufsetzen. Er wollte Joseph und Pharao übertrumpfen. Dazu mußte er
unbedingt seinen einzigen Wettbewerber, den Pinus moneta - die Geldtanne - zur
Strecke bringen. Der Chronist erzählt nun, wie eines Tages um die Zeit, wo die
Geldtanne in voller Blüte stand auf einem Grundstück, das Sanson Carrazco kurz
vorher gepachtet hatte, Feuer ausbrach und wie der Wind die erhitzte Luft
gerade gegen die Geldtanne trieb. In diesem Jahr war also kein Geld von dort zu
erwarten, und Sanson Carrazco konnte in voller Gemütsruhe die ausgestellten
Schlingen zuziehen. Joseph verlangte als Lösegeld von den Ägyptern die
Auslieferung des Landes und die Leibeigenschaft des ganzen Volkes zugunsten
Pharaos. Sanson Carrazco begnügte sich mit dem Land und der Königswürde.
Von hier ab bestehen die
Aufzeichnungen der Chronik nur noch aus einer einzigen Jeremiade. So lehrreich
so manches daraus auch ist, so muß ich mich doch auf die Schlußsätze der
Chronik beschränken.
Heute, am 28. April des Jahres
1670, erschienen von Osten kommend, Schiffe, Engländer. Ungeheurer Jubel.
Den 10. Mai. Die Engländer
sprechen sich sehr anerkennend über unsere wirtschaftlichen Zustände aus. Es
wäre erstaunlich, wie sich hier alles fast genau so entwickelt habe wie bei
ihnen zu Hause. Auch in den sozialen Zuständen wäre kein Unterschied
wahrnehmbar. Die Klasseneinteilung, das Proletariat, die Grundeigentümer, die
Rentner, die Hypothekenbanken, die Prostitution. Die Bettler wären hier fast so
zahlreich wie in London. Die politischen Kämpfe drehten sich um dieselben
Dinge. Streiks, Kollisionen der Arbeiter mit der Polizei, die hier an der
Tagesordnung seien, wären auch drüben so zahlreich. Das wäre weiter nicht
schlimm. Man gewöhne sich daran. Nur eins fanden sie an unseren Einrichtungen
zu tadeln, das sei das Geld. Es wäre doch eines auf so hoher Stufe stehenden Volkes
unwürdig, als Geld die unnütze Frucht einer gemeinen Tanne, von der es in
Madagaskar ganze Wälder gäbe, zu benutzen. Gold sollten wir haben. Herrlich
wäre ein solcher in der Sonne funkelnder Dukaten. Kurz, wir sollten sobald wie
möglich einen Vertreter des Königs Sanson nach London schicken, um dort eine
Goldanleihe zu machen, die wir zu 5 % gut unterbringen könnten.
Und das ist alles, was uns die
Europäer zu raten haben, um aus unseren trostlosen Verhältnissen herauszukommen
- fügt der Chronist bei. Die Engländer sehen offenbar das Elend gar nicht, weil
sie schon länger an den Anblick gewöhnt sind - ich aber habe die ganze
Entwicklung durchgemacht.
Den 31. Januar. Heute morgen
trat Diego Martinez plötzlich in mein Büro. Mit offenen Armen lief er mir
entgegen. Ich hab's gefunden, rief er, ich hab's gefunden, das Rätsel, das
Carlos Marquez nicht lösen konnte, die Frage, warum der Zins nicht aufkommen
konnte, solange wir unser Geld nach Gewicht gelten ließen. Ich habe die Frage
gelöst, ich habe es gefunden, und jetzt wird alles wieder gut. Hier in diesem
dicken Manuskript liegt meine Arbeit. Morgen schon müssen wir die Baratonen zu
einer Versammlung berufen.
Ich antwortete ihm, daß ich
persönlich volles Vertrauen zu ihm hätte, daß aber die Durchführung einer
Währungsreform in einem Klassenstaat keine so einfache Sache mehr sei. Die
Zeiten wären vorbei, wo man eine Währungsreform vom volkswirtschaftlichen
Standpunkt aus beurteile. Es handele sich jetzt um eine politische Frage
allerersten Ranges, und in der Politik käme man mit der Theorie nicht weit. Er
würde jetzt all diejenigen Kreise, die durch das bisherige System begünstigt
wurden, zu erbitterten Gegnern haben. Das Kapital und die von ihm beherrschte
Presse würden ihn mit allen Mitteln bekämpfen - und was schlimmer sei, auch mit
der Gegnerschaft Carlos Marquez, dem das Proletariat blindlings ergeben sei,
hätte er zu rechnen. Die einen strebten nach Befestigung ihrer heutigen
Stellung; die anderen, die Ausgebeuteten, strebten nach einem vollkommenen Umsturz,
nach Abschaffung des Privateigentums, von dem, wie sie behaupten, der Zins
untrennbar sei. Und wunderbar, obschon beide Parteien das Entgegengesetzte
erstrebten, vertrugen sie sich vortrefflich. Die Kapitalisten unterstützen
sogar heimlich die Propagierung der kommunistischen Ideen, weil sie diese für
ungefährlich, für undurchführbar hielten, und weil allen kommunistischen
Versuchen gegenüber der Kapitalismus sich immer sieghaft erwiesen habe. So
hindern die Kapitalisten das Proletariat daran, ernsthaft die Zinserscheinung
zu studieren und die wirksamen Gegenmittel zu entdecken, mit dem Erfolg, daß
sich der Kapitalismus verewigt.
Doch ließ sich Martinez nicht
beirren. Jetzt werde ich meine Pflicht tun, sagte er.
Der Landtag wurde einberufen.
Ich bin von meinem Berg herabgestiegen, sagte Martinez, um Ihnen eine frohe
Botschaft zu bringen. Ich habe die Frage gelöst, wie wir diesen unter unseren
Augen entstandenen Klassenstaat wieder zertreten und den Greuel in den Staub
werfen können! (Zischen und Lärm rechts, Todesstille in der Mitte, Bravo
links.) Glocke des Präsidenten: Herr Diego Martinez. Sie dürfen hier keine
staatsfeindlichen Reden halten, und unsere verfassungsmäßigen Zustände zu
zertreten versprechen. Ich rufe Sie zur Ordnung.
Diego Martinez: Ich habe die
Ursache des sozialen Zerfalles unseres Volkes gefunden. Ich weiß, wie es
gekommen ist, daß wir jetzt hier Rentner und Proletarier, Grundbesitzer und
Prostituierte haben, und weiß auch, wie wir wieder einen Kulturstaat aus dieser
Räuberhöhle machen werden. (Lärm rechts, raus mit dem Anarchisten! Eisige Kälte
in der Mitte, frenetischer Beifall links.) Glocke des Präsidenten: Herr
Martinez, ich muß Sie zum zweiten Male zur Ordnung rufen.
Diego fortfahrend: Die Ursache
des sozialen Zerfalles ist der Zins (lebhafte Zustimmung links) und die Ursache
des Zinses liegt in unserem Geldwesen begründet. (Oho links und Lachen). Weil
wir das Geld nicht mehr nach Gewicht, sondern nach Hohlmaßen zählen, darum ist
unser Volk diesem Elend verfallen, darum haben wir Sanson Carrazco die Krone
aufgesetzt.
Hier erhob sich von allen
Seiten, von links, von rechts und aus der Mitte schallendes Gelächter. Carlos
Martinez rief: Habt ihr alle gehört, weil wir die elenden, gänzlich nutzlosen
Samen der Geldtanne, nach Hohlmaßen statt nach Gewicht verkaufen, darum sind
wir dem Kapitalismus verfallen, darum muß das gewaltige Meer von Kapital, das
in unseren Städten, Fabriken, Bergwerken angelegt ist, Zins abwerfen, darum der
soziale Zerfall. Habt ihr's gehört, Genossen? Nicht "die dem
Privateigentum an den Produktionsmitteln immanente Eigenschaft einer Mehrwert
gebärenden Maschine" führt zur Proletarisierung des Volkes, zum sozialen
Zerfall, sondern der Umstand, daß wir das Geld nach Hohlmaßen statt nach
Gewicht zählen! (Allgemeine Heiterkeit.) Was doch augenscheinlich von ebenso
tragischer Bedeutung sein muß, wie wenn wir zur Sitte übergingen, das Geld mit
der linken statt mit der rechten Hand zu zählen (Heiterkeit links, rechts und
im Zentrum).
Martinez: Meine Behauptung klingt
Laien gewiß recht spaßhaft, wie es ihnen ja auch recht drollig erscheint, wenn
ernsthafte Männer behaupten, sie könnten mit einem Stützpunkt und einem
genügend langen Spinnenfaden unsere Erde aus den Angeln heben. Ist es nicht
auch spaßhaft, daß eine Fliege einen Elefanten töten kann? Marquez selbst
nannte einmal das Geld das Blut der Volkswirtschaft. Warum soll nun diese
Volkswirtschaft nicht ebenso an Blutvergiftung verenden können, wie der Elefant
durch den Mückenstich? Marquez weiß, daß man den Untergang des Römerreiches
damit erklärt, daß die spanischen Silberminen, die den Stoff zu den römischen
Münzen lieferten, nichts mehr hergaben. Warum lacht Marquez nicht auch zu
solcher Behauptung? Ist denn etwa zwischen Silber und dem Stoffe unseres Geldes
ein so wesentlicher Unterschied? Ist nicht das Silber einer der
unwesentlichsten Stoffe? Würde man nicht mit Recht lachen können, wenn jemand
behaupten wollte, das Römerreich wäre daran zugrunde gegangen, weil die Römer
ihre Suppen nicht mehr mit silbernen Eßlöffeln essen konnten? Aber das Silber
war das Geld der Römer, wie der Samen der Pinus moneta hier unser Geld
darstellt. Das Römerreich ging darum nicht wegen Mangel an Silber zugrunde,
sondern wegen Mangel an Geld. Das Römerreich ging an Blutarmut zugrunde, wie
Barataria jetzt an Blutvergiftung zugrunde geht.
Mit der Bestimmung, daß unser
Geld nach Hohlmaßen statt nach Gewicht gezählt werden sollte, haben wir unser
Geld, unser Blut vergiftet. Mit der Annahme dieses Vorschlages wurde das
Tauschmittel mit dem Sparmittel verkuppelt. Eine Mesalliance schlimmster Art.
Kuppeln wir einen Krebs und eine Maus zusammen, so bleiben sie Stehen, weil die
Maus vorwärts, der Krebs rückwärts will. Und so ist es mit der Verkuppelung von
Tausch- und Sparmitteln, beide ziehen nach entgegengesetzten Richtungen. Als
Tauschmittel will und soll das Geld rastlos von Hand zu Hand gehen, als
Sparmittel will es rasten. Marquez erhob also einen Widerspruch zum allgemeinen
Tauschmittel, und diesem Widerspruch verdanken wir es, wenn Barataria, das Land
allgemeiner Billigkeit, sich in ein Cararia, in ein Land der Teuerung und Not
verwandelt hat.
Sobald das Geld zum allgemeinen
Sparmittel gemacht wird, muß die Volkswirtschaft sich im Zeichen des Krebses
entwickeln, bei der die Wucherer und Spekulanten die allgemeine Not ausbeuten.
Es wäre ja recht schön, wenn man das, was Marquez in seinem Wertbewahrer
wähnte, erfinden könnte, nämlich ein Mittel, womit sich alle Waren konservieren
und kostenlos aufbewahren ließen. Aber mit dem Wertbewahrer wurde in
Wirklichkeit nichts bewahrt, nichts konserviert - nur das wurde erreicht, daß
die Kosten der Warenaufbewahrung vom Geldbesitzer auf die Arbeiter abgewälzt
wurden!
Marquez hat
privatwirtschaftlichen mit volkswirtschaftlichem Nutzen verwechselt, und der
privatwirtschaftliche Wertbewahrer verwandelte sich in einen
volkswirtschaftlichen Wertvernichter. Womit zahlen wir diese großartige
Erfindung? Mit dem Zins und dem Kapitalismus. Da das Tauschmittel zum
Sparmittel wurde, verschwindet es jetzt restlos alle drei Wochen in den
Sparbüchsen, aus denen es immer nur durch Anbietung eines Sondervorteils
hervorgelockt werden kann.
Und wie nennt sich dieser
Sondervorteil, Carlos Marquez? Zins nennt er sich - und dieser Zins ist nun zur
universellen selbstverständlichen Forderung geworden, die an jeden Handel, jede
Industrie, jedes Unternehmen gestellt wird. Alles muß sich rentieren, d. h. es
muß Zins abwerfen, um die Geldsparer zur Hergabe des Geldes veranlassen zu
können. Und darum sage ich: Nicht das Privateigentum an den Produktionsmitteln,
sondern unser jetziges Geld ist die Mehrwert gebärende Maschine. Dem
Wertbewahrer verdanken wir es, daß unsere Arbeiter bei einem Zinsfuß von 5 %
unser Land mit allem, was wir darauf errichtet haben, alle 20 Jahre einmal über
die Zahltische der Rentner schicken müssen.
Marquez: Genossen, ich muß
bekennen, daß die Ausführungen Diego Martinez mich unsicher gemacht, ja, auch
verblüfft haben. Wir müssen die Sache gründlich studieren. Sollte sich ergeben,
daß es ein Fehltritt war, das Tauschmittel mit dem Sparmittel zu verkoppeln, so
werde ich, der diese Verbindung vorschlug, auch der erste sein, der diese
Verbindung wieder zerhauen wird.
Martinez: Das war brav
gesprochen und macht Dir und Deinen Genossen Ehr.
Präsident: Diego Martinez, ich
muß Sie hier zum dritten Mal zur Ordnung rufen und entziehe Ihnen das Wort. Wir
sind hier versammelt, um laut Tagesordnung Währungsfragen zu behandeln, nicht
aber um proletarische Einigungsaktionen zu erleichtern. Da niemand sonst sich zum
Wort gemeldet hat, erkläre ich hiermit Schluß der Debatte.
(1) Moses lebte um 1500 v. Chr.
(2) Lykurg lebte um 800 v. Chr.
(3) Der Übersetzer gab der Erstveröffentlichung des »Berichtes« über die »Wunderinsel Barataria« (= Billigland) 1922, den provisorischen Titel »Der verblüffte Marxist«
(4) Arterhaltungstrieb = Trieb,
der uns veranlaßt, im Interesse der Art Opfer zu bringen der Familie, Gemeinde,
dem Volk und der Menschheit.