Folgender Artikel wurde im März 2000 von Robert Mittelstaedt zur Verfügung gestellt.
Vom 22.-25. Juni 2000 findet in Passau der Kongress der Phantasie statt.
Nähere Informationen hierzu können Sie vom Veranstalter erfahren:
Erster Deutscher Fantasy Club e.V.
Postfach 1371
D-94003 Passau
Tel. 0851/58137 Q,
Fax: 0851/58138,
E-Mail: edfc@edfc.de
WebSite:
www.edfc.de
Auf der Homepage werden die
Informationen über den Kongress laufend aktualisiert.
Ab April kann auch ein Informationsblatt
über den Kongress angefordert werden.
Zum 5. Todesjahr von Michael Ende wird zu dieser Gelegenheit ein Sammelband herausgegeben, der den Untertitel haben wird: "Michael Ende - Gedächtnisband 2000" (Der Haupttitel steht derzeit noch nicht fest). Er erscheint voraussichtlich Mitte Juni und kann bei
edfc@edfc.de vorbestellt werden; der Preis beträgt DM 17,50 inkl. Porto.
Er wird eine Reihe Essays internationaler Autoren zu Michael Endes Leben und Werk enthalten. Wir freuen uns, Ihnen hier schon mal ein Essay von Yasuyuki Hirota aus Fukuoka, Japan, vorstellen zu können, der in diesem Band enthalten sein wird.
© 2000 Yasuyuki Hirota
Der Autor hat eine eigene Homepage mit weiterem Material über Michael Ende. Sie ist dreisprachig: Japanisch, Englisch und Spanisch
Seine eMail-Adresse ist: mig@lime.plala.or.jp
Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Franz Schröpf.
Yasuyuki Hirota
Michael
Endes Sicht der Ökonomie
Ein Essay auf der Basis der in Japan verfügbaren Werke Michael Endes
0. Einführung
Es wird niemand bezweifeln, dass Michael Ende einer der herausragendsten deutschen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts ist, dem der damalige Bundespräsident Roman Herzog in seinem Beileidstelegramm zu dessen Tod seine Anerkennung zollte und erklärte: "In der heutigen Generation gibt es keinen Deutschen, der sich nicht an die Bücher von Michael Ende erinnert, mit denen er aufgewachsen ist." [1]
Michael Ende, ein geborener Erzähler mit reicher Vorstellungskraft, verfasste eine Reihe von bewegenden Abenteuern wie Jim Knopf, Momo und Die unendliche Geschichte, in denen Helden und Heldinnen durch die Welt reisen. Seine Geschichten sind so mitreißend, dass Momo, eines seiner Meisterwerke, in mehr als dreißig Sprachen übersetzt wurde [2] und seinen Autor zu einem der geachtetsten Erzähler machte, vergleichbar nur mit Saint-Exupéry oder Lewis Carrol.
Seltsamerweise hat er jedoch auch eine Reihe von Büchern über die reale Welt verfasst, die im Gegensatz zu seinem Beruf als Kinderbuchautor zu stehen scheinen: Phantasie, Kultur, Politik (1982), Dialogue on Arts and Politics, Talk with Ende (nur in Japan veröffentlicht), Three Mirrors (ebenfalls nur in Japan veröffentlicht), und so weiter. Sein Werk als kritischer Beobachter der Zeit beschränkte sich jedoch nicht auf das literarische Gebiet, so dass beispielsweise NHK, ein gemeinnütziger japanischer Sender, zusammen mit ihm zwei Fernsehsendungen produzierte: Einstein Roman 6: Ende's Civilization Desert (1991) und Michael Ende's Last Words (1999, Originaltitel: Ende no Yuigon; die englische Version trägt den Titel Michael Ende on the Money-go-round und wurde von NHK in Zusammenarbeit mit NHK Enterprise 21, Inc. Group Gendai produziert, das einzige posthume Werk). Als Einwohner eines Landes, in dem so viele Informationen über Michael Endes Gedanken in einer Sprache vorliegen, die den Liebhabern von Michael Endes Werk so gut wie unzugänglich sind, möchte ich Ihnen in diesem Essay einen Überblick darüber geben.
1. Bibliographie
Wenn man daran geht, einen Essay über Michael Ende zu schreiben, liegt es nahe anzunehmen, die deutsche Sprache wäre dafür die beste Grundlage. Tatsächlich aber gibt es eine Reihe von Publikationen, die nur auf Japanisch erhältlich sind, da einige Bücher und Videofilme von japanischen Verlagen veröffentlicht wurden. Ich werde diese Bücher kurz vorstellen, bevor ich auf Michael Endes Ansichten über die Ökonomie eingehe. Ich hoffe, dass diese Zitate helfen werden, den Inhalt der Werke aufzuzeigen (selbst wenn sie mit Ökonomie nichts zu tun haben).
Talk
with Ende
Originaltitel:
Ende to kataru, Asahi Shimbunsha, 1986.
Dieses Buch enthält das Interview mit Michael Ende, das Michiko Koyasu (eine japanische Germanistin, die die Lehren Rudolf Steiners, die Anthroposophie, gut kannte) mit der Unterstützung von Fumi (ihrer Tochter, die einige Jahre in München an einer Rudolf-Steiner-Schule verbracht hatte und damals an der Universität München Japanologie studierte) durchführte. Dieses Interview wurde am 22. Juli 1985 aufgezeichnet, gerade fünf Monate nach Ingeborg Hoffmans Tod (23. März 1985). Das Gespräch fand in München statt, wohin Michael Ende zurückgekehrt war, nachdem er fünfzehn Jahre in Genzano in der Nähe von Rom gelebt hatte. Michael Ende gibt darin neben dem Thema der Ökonomie noch folgende Kommentare ab:
„Momo ist eine Erklärung der Dankbarkeit an Italien und ebenso eine Liebeserklärung." (Kapitel 1)
„Die Psychoanalyse hat kein Ende... Das wahre Selbst ist jedoch außerhalb des Menschen." (Kapitel 2)
„Die heutige Welt beruht vollständig auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Die Technologie funktioniert nicht, wenn sie sich nicht auf eine solche Theorie stützen kann. Sie kann jedoch auf menschliche Wesen nicht angewandt werden. Wir besitzen Aspekte, die aus einem solchen Blickwinkel heraus unverständlich sind... Wenn wir uns selbst analysieren, dann können wir unsere Fähigkeit der Vorahnung nicht erfassen." (Kapitel 3)
„Die ganze Nachkriegsliteratur basiert auf der Annahme, dass der Autor die Leser belehren und unterweisen muss, also für den Leser als Lehrer dienen soll. Ich finde diese Vorstellung jedoch arrogant." (Kapitel 3)
„Seine (Steiners) Aussagen beruhen auf langwierigen Überlegungen. Es ist Unsinn, sie als unabänderliche Tatsachen festzuschreiben... Steiner zu lesen bedeutet, selbst zu beginnen, über die Welt nachzudenken." (Kapitel 4)
„Ich hoffe, dass der Osten und Europa eine wirkliche Kommunikation über künstlerische und kulturelle Gebiete beginnen... beide haben ihre eigenen großen Traditionen, wobei sich die europäische sehr stark von der östlichen unterscheidet, so dass ein solcher Dialog sehr fruchtbar wäre." (Kapitel 4)
„Ich versuche mit meinem Werk etwas, das dem der mittelalterlichen Alchemisten oder Erzähler sehr ähnlich ist, nämlich die Phänomene der äußeren Welt in die Zeichen der inneren zu übersetzen... Alle Kulturen zu allen Zeiten und in allen Ländern stellen nichts Anderes dar als die Darstellung der äußeren Welt mit den Kriterien der inneren." (Kapitel 5)
„Die wahre Moral gehorcht nicht den äußeren Kriterien, sondern entsteht als eigene, spontane Entscheidung." (Kapitel 5)
„Ich denke, die Menschen besitzen zwei wunderbare
Eigenschaften: Die eine ist die Erinnerung, die jedermann kennt... Die Andere
ist der Akt des Vergessens, und ich denke, dass er noch wichtiger ist als der
des Erinnerns... Wohin geht denn das, was man vergessen hat? Ins
Unterbewusstsein. Es wird zur Basis des ganzen Lebens. Früher oder später
wandert alle Erinnerung in die Tiefen des Unterbewusstseins, woraus schließlich
die Persönlichkeit geformt wird, die einen großen Teil unbewusster Erinnerungen
enthält... Je mehr man vergisst, desto reicher wird die Persönlichkeit... Je mehr
Vergangenheit der Geist enthält, desto größer wird die Zukunft. Nicht nur die
Vergangenheit, an die man sich bewusst erinnert, sondern auch diejenige, die
auf den Boden des Vergessens gesunken ist, wird in der Zukunft des Menschen
umgeformt und widergespiegelt." (Kapitel 7)
Three
Mirrors
Originaltitel:
Mittsuno Kagami, Asahi Shimbun, 1989.
Ende besuchte Japan im März 1989 und sprach mit drei japanischen Intellektuellen: Hisashi Inoue (Autor), Mitsumasa Yasuno (Künstler) und Hayao Kawai (Psychoanalytiker der Jung'schen Schule). Die Themen variierten von der Ökonomie über die Vorgänge in der Stadt Wörgl (Tirol, Österreich; das japanische Publikum hatte davon in einer Fernsehsendung von NHK 1989 erfahren) über den Stil des Malers Edgar Ende bis zu den Theorien von C. G. Jung. Einige wichtige Kommentare Michael Endes:
„Der Unterschied zwischen unserer modernen Kultur und allen früheren liegt darin: Die früheren erhielten ihre kulturellen Maßstäbe von den vorhergegangenen, während wir unsere Maßstäbe nicht von den älteren Kulturen erhalten können, so dass wir die Zukunft vorhersehen können müssten, um einen Maßstab für unsere Entscheidungen zu haben." (Kapitel 1)
„Mein Vater kümmerte sich nicht um die Techniken der Expressionisten und beachtete sie teilweise sogar bewusst nicht." (Kapitel 2, über den Stil des Malers Edgar Ende)
„Warum kann die Dunkelheit nicht ebenso heilig sein wie das Licht? Keine Farbe kann ohne diese beiden existieren. Eine Welt, die nur aus Licht besteht, ist ebenso unsichtbar und nicht wahrnehmbar, wie es eine vollkommen dunkle Welt wäre." (Kapitel 2)
„In der antiken Mathematik ist 1 die größte Zahl... Da die 1 alle folgenden Zahlen hervorbringt und in sich vereint, ist sie die Einheit, die alle sichtbaren und unsichtbaren Welten beinhaltet. Diese Einheit ist die 1, und wir nennen sie die Allmacht. Die Dualität selbst ist bereits vom Teufel... Der Teufel ist nicht gegen Gott gerichtet, seine Existenz ergibt sich allein schon aus der Dualität." (Kapitel 2)
„Japan musste seine eigene kulturelle Entwicklung aufgeben, um ins Industriezeitalter vorzustoßen. Wie beim Veredeln von Bäumen, so musste Japan seinen Stamm beschneiden und etwas völlig Neues aufpfropfen. Daher ist der innere kulturelle Widerspruch in Japan sehr viel schärfer als in Europa." (Kapitel 2)
„Wer ein drittes Auge besitzt, der erkennt, dass die Bäume nicht nur eine Zusammensetzung chemischer Elemente sind, sondern eine Lebensform, die sich die Erde mit uns teilt... Wenn man die ökologischen Probleme lösen will, muss man in einen Dialog mit der Natur treten." (Kapitel 3)
„Wer in der westlichen Welt den Respekt der Öffentlichkeit genießen will, muss seine sexuellen Bedürfnisse aufgeben... Wenn der Geschlechtsverkehr im Traum sehr viel mehr bedeutet als der im wirklichen Leben, dann verliert man das Interesse an Letzterem. Ich vermute, dass die Enthaltsamkeit ursprünglich auf diesem Prinzip beruhte." (Kapitel 3)
Einstein Roman 6: Ende's Civilization Desert
Originaltitel: Einstein Roman 6: Ende no Bunmei Sabaku, NHK shuppan, 1991.
Dieser Text wurde zuerst auf dem Fernsehsender NHK ausgestrahlt und danach als Buch veröffentlicht. Das Kapitel 2, das den Titel „Civilization Desert" trägt, ist in dem deutschen Buch Michael Endes Zettelkasten (Edition Weitbrecht, 1994) enthalten.
In diesem Text kritisiert Michael Ende den Materialismus wie folgt:
„Mir scheint, dass das, was der so genannte Rationalismus und die wissenschaftliche Aufklärung in der Zivilisationswüste bisher produziert haben, exakt das Gegenteil von dem ist, was Menschen, die der Rationalität und Ehrlichkeit anhängen, fordern." (Kapitel 2)
„Was man heute Kinderliteratur nennt, geht bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurück. Zuvor hatte das Märchen bereits existiert, aber es war nicht nur für Kinder gedacht: Märchen waren sehr viel wichtiger als heute, und sowohl Kinder wie auch Erwachsene lebten in der Welt der Märchen. Aber der moderne Intellektualismus begann die gesamte traditionelle europäische Spiritualität auszuschließen und die persönliche Weltsicht mit ihrer wilden Leidenschaft abzuwürgen, wodurch die gesamte Welt buchstäblich inhuman wurde." (Kapitel 2)
„Ich denke, wir brauchen heute eine völlig andere Wissenschaft. Eine, die die Zivilisationswüste wieder bereichern kann..., eine, die den Intellektualismus überwindet, aber nicht durch Irrationalismus, sondern indem sie den Intellektualismus analysiert und seine Widersprüche aufzeigt, eine, die die Menschen durch realistisches, an der Wirklichkeit orientiertes Denken wieder zu den ursprünglichen Erfahrungen zurückbringt." (Kapitel 2)
„Die ganze Welt besteht aus Energie und Materie, und es gibt keinen Unterschied zwischen Menschen und Materie. Dinge wie Seelen existieren nicht, und Konzepte wie Freiheit, Würde, Schönheit und Humor sind nichts als Einbildung. Diese Vorstellung ist unser Untergang." (Kapitel 3)
„Die Idee des Rassismus und der Rassendiskriminierung entstand durch Weiterdenken von Darwins Theorien... Die Auslöschung lebensunwerten Lebens, und Konzentrationslager..." (Kapitel 4)
Ich denke, dieses Buch ist für alle, die Endes Ansichten über menschliche Werte kennen lernen wollen, von großer Bedeutung.
Michael
Ende on the Money-go-round
NHK, 1999.
Die japanische Version dieser Fernsehsendung wurde am 4. und 5. Mai sowie am 3. Juli 1999 von NHK-BS1 ausgestrahlt, unter dem Titel Ende no yuigon (Michael Ende's Last Words) und wird am 21. Dezember auf dem gleichen Kanal wiederholt werden. Sie wurde von NHK in Zusammenarbeit mit NHK Enterprise 21, Inc Group Gendai (Produzent: Junko Murayama) produziert. An einer englischen Version wird gearbeitet, aber bis zum heutigen Tag, dem 30. Oktober 1999, ist sie in Japan noch nicht ausgestrahlt worden und für die Öffentlichkeit noch nicht verfügbar (die japanische Version ist auf Kassette erhältlich). Im Jahr 2000 wird ein Buch über diese Sendung veröffentlicht werden, wodurch die Michael-Ende-Forschung neues Material erhält. In dieser Sendung werden unter anderem das Experiment in der Stadt Wörgl (Tirol, Österreich) 1932/33, die Ithaca Hour in Ithaca County, NY, USA, DöMak in Halle, Deutschland und Wirbank in der Schweiz vorgestellt.
2. Die Bedeutung, die
Utopie zu erlangen, und was uns davon abhält
Bevor ich auf Michael Endes Ansichten über die Ökonomie eingehe, möchte ich einige Sätze aus Phantasie, Kultur, Politik zitieren, in denen er betont, wie wichtig es für uns ist, unsere eigene Utopie zu errichten. Das Gespräch beginnt mit Michael Endes Erzählung über das Dudtweiler-Institut (der größten Kaufhauskette in der Schweiz). Er war von dem Konzern gebeten worden, einen Abschnitt aus Momo (die Rede des Friseurs) anlässlich eines Kongresses vor vielen Managern, Gewerkschaftsvertretern und Mitgliedern des Clubs of Rome vorzutragen. Er willigte ein, reiste in die Schweiz und trug den Abschnitt vor. Das Publikum war nicht in der Lage, auf den Inhalt des Vortrags einzugehen, sondern begann stattdessen, seinen literarischen Wert zu diskutieren. Nachdem Michael Ende dieser Diskussion eine Weile gefolgt war, sagte er Folgendes (ich kürze es ein wenig, weil das Original zu lang ist):
„Für mich ist die Tatsache, dass es in diesem Jahrhundert noch keine positive Utopie gegeben hat, sehr bedeutsam. Nachdem zwei Utopien, Jules Vernes wissenschaftliche und Karl Marx' sozialistische, erwiesenermaßen innere Widersprüche aufweisen, entstanden nur noch alptraumhafte Antiutopien wie H. G. Wells The Time Machine oder George Orwells 1984. Die Menschen dieses Jahrhunderts sind über ihre eigene Zukunft besorgt. Heutzutage haben wir nicht einmal mehr den Mut, von dem zu träumen, was wir uns wünschen würden. Daher möchte ich Ihnen das Folgende vorschlagen: Wir fliegen jetzt auf einem Teppich 100 Jahre in die Zukunft, und jeder erzählt seinem Nachbarn, wie er sich die Zukunft wünschen würde. Ist es nicht so, dass wir unsere Wünsche nicht mehr äußern können, wenn wir uns vom Zwang des Faktischen einschränken lassen? Wenn wir aber unsere Wünsche formulieren und festschreiben, dann werden sich auch Mittel und Wege finden lassen, sie zu verwirklichen. Alles, was wir wissen müssen, ist das, was wir ersehnen. Spielen wir also zusammen ein Spiel. Bei diesem Spiel können Sie alles Beliebige sagen, beispielsweise »Die Industriegesellschaft ist besser«, »Die nichtindustrielle Gesellschaft ist besser«, »Ich möchte mit dieser Technologie leben«, »Ich möchte lieber nicht mit ihr leben« oder jeden anderen Satz, wenn Sie nur die eine Regel beachten: Sie können nicht sagen »Das ist unmöglich.« Kurz, jeder von Ihnen wird sagen, wie er sich die Zukunft wünscht." [4]
Nach einigen Minuten Schweigen antwortete ein Mann: „Was bedeutet dieses Gerede? Das ist völliger Unsinn! Wir sollten uns an die Fakten halten, und die bedeuten, dass wir das Rennen nicht gewinnen können und ökonomisch ruiniert werden, wenn wir nicht wenigstens ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent pro Jahr haben." [5] Und Michael Ende musste sein Experiment aufgeben, weil ihm einige Leute Vorwürfe machten und ihn angriffen.
Sie wundern sich vielleicht, wieso es so wichtig ist, dass jeder seine eigene Utopie hat, aber durch die Planung einer solchen Utopie können wir erkennen, was getan werden muss, um sie zu erreichten, während im Fall dieses Kongresses die Teilnehmer nicht einmal die Spielregeln ändern wollten, weil sie nicht glaubten, das zu können, wie uns Michael Endes folgende Worte zeigen: „Ich glaube, das Utopia der Werte war schon immer die Essenz aller Kulturen. In anderen Worten, zuerst wird ein Zukunftsbild entworfen, und dann setzen wir uns daran, es zu verwirklichen." [6]
Wir haben gerade gesehen, dass solche Leute viel zu beschäftigt sind, die gerade eben drohenden Gefahren abzuwenden, als dass sie sich den künftigen Kollaps vorstellen könnten, der sie bedroht. Jedermann weiß, dass dieses Spiel (das gegenwärtige ökonomische System, das die Leute zwingt, mindestens drei Prozent Rendite zu zahlen) nicht ewig dauern kann. Trotzdem versuchen sie das zu erreichen, was erwiesenermaßen unerreichbar ist; sie wollen weiter Profite scheffeln, haben aber nicht die mindeste Ahnung, wie sie die Regeln des ökonomischen Spiels ändern könnten, so dass sie aus dem Wirtschaftswettbewerb befreit werden. Michael Ende gibt uns ein sprechendes Beispiel dafür, wie sehr sie von ihren Vorstellungen gefangen sind.
„Ich sah eine Fernsehsendung über die Verschmutzung der Meere, (...) die mit den Worten des Produzenten endete, die ungefähr so lauteten: »Daher sollten die Chemiefabriken aufhören, Abwässer in das Meer zu leiten.« Die Gedankengänge des Produzenten enden hier, ohne dass er sie weiterentwickelt hätte. Das Problem ist das Folgende: Wenn sie aufhören, Abwässer ins Meer zu leiten, dann müssen sie die Preise ihrer Produkte erhöhen, wodurch sie ihren Marktanteil verlieren. Folglich wird es Millionen von Arbeitslosen geben, die auf der Straße stehen. In kürzester Zeit werden Nationen oder Konzerne, die Umweltsünden begehen (die also billige, auf Kosten der Umwelt produzierte Artikel herstellen), von dieser Situation profitieren. Und das ist der Grund, warum Europa, die USA und Japan gezwungen sind, eine konsumorientierte Politik zu verfolgen." [7]
Es gibt keinen Zweifel darüber, dass die Konsumenten am liebsten die billigsten Güter kaufen, da sie ja beim Einkauf nicht wissen können, wie diese produziert worden sind. Das Einzige, was sie im Geschäft klar erkennen können, ist das Preisschild, und jeder wird zwangsläufig das billigere Produkt nehmen, wenn es sich sonst vom teureren nicht unterscheidet. Die Hersteller kennen die Psyche der Konsumenten genau und versuchen daher, diejenigen Produktionskosten zu verringern, die mit der Qualität des Produktes nicht zu tun haben (beispielsweise Umweltschutzmaßnahmen oder die Löhne der Arbeiter). So kommt es, dass die Hersteller die Umwelt schädigen, weil die Konsumenten nicht wissen können, welcher Schaden bei der Anfertigung des Produktes angerichtet wurde. Da die Hersteller keinen direkten Kontakt mit den Konsumenten haben, können sie ihnen auch nicht erklären, wieso sich die Preise ihrer Produkte erhöht haben, und sobald sie ebendiese Preise erhöhen, laufen sie Gefahr, dass die Konsumenten den Grund der Erhöhung nicht verstehen werden.
Aber warum ist das so? Können wir ein solches ökonomisches Schema nicht vermeiden? Michael Ende schlägt uns in Phantasie, Kultur, Politik die folgende Lösung vor:
„In der heutigen Zeit mag es naiv oder sogar lächerlich klingen, was ich zu sagen habe, aber Brüderlichkeit ist die Regel, die der modernen Ökonomie innewohnen muss. Wir können das freie Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage nicht auf das Gebiet der Ökonomie anwenden. Wenn wir es doch tun, dann setzt der Kampf aller gegen alle ein, und der Schwächste wird unterliegen." [8]
Das heißt, die Produzenten können keinen zusätzlichen Aufwand zum Schutz der Umwelt betreiben, weil die zusätzlichen Kosten den Verkauf ihrer Produkte behindern werden. Aber der Grund, warum die Produzenten gezwungen sind, Umweltschutzmaßnahmen zu ignorieren, ist, dass wir uns inmitten eines ökonomischen Darwinismus befinden, und der einzige Weg, ihn zu beseitigen, ist eine grundlegende Änderung des ökonomischen Systems. Die brüderliche Ökonomie, die von Michael Ende als Alternative vorgeschlagen wird, versucht die tödlichen Fehler der gegenwärtigen Ökonomie zu ändern; diesem Gebiet werde ich mich in Kapitel 4 widmen. Jetzt wollen wir unsere Aufmerksamkeit Michael Endes zweiter Bemerkung über das ökonomische System in Kapitel 1 von Three Mirrors schenken:
„In unserer Lage haben wir nur zwei Möglichkeiten: So weitermachen wie bisher und immer in der Furcht leben, die ganze Welt zu ruinieren, oder es zu stoppen und dadurch eine Massenarbeitslosigkeit und einen Zusammenbruch der Wirtschaft auszulösen. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma liegt meiner Ansicht nach darin, dass die Wirtschaftskapitäne, die ja doch Intelligenz besitzen müssen, einsehen, dass das monetäre System selbst geändert werden muss." [9]
Eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Kukanias Rebellion", die dieses Thema behandelt, ist in Michael Endes Zettelkasten enthalten. In dieser Geschichte führt ein charismatischer Mann namens Franz eine Kampagne durch, dass jedermann nur noch das Notwendigste kaufen solle. Der Umsatz geht zurück, und in Deutschland allein werden zwanzig Millionen arbeitslos. Die Politiker und Unternehmer, die von dieser ökonomischen Rezession betroffen sind, lassen ihn ermorden, um die Wirtschaft wiederzubeleben. In dieser Geschichte findet sich eine interessante Beobachtung:
„Der Tod eines Mannes ist besser als der Zusammenbruch des ganzen Systems. Die Ermordung wurde von einem Mafiakiller durchgeführt. (Kriminelle sind für die Wirtschaft gar nicht so schlecht. Brandstifter, Taschendiebe, Diebe, ja selbst Killer kurbeln die Wirtschaft an und schaffen neue Arbeitsplätze. Ganz zu schweigen von den Umweltverbrechern.)" [10]
Das bedeutet, dass gewisse Handlungen zwar gegen die Moral verstoßen, aber für das gegenwärtige ökonomische System durchaus förderlich sein können, so dass die Unternehmer keine Skrupel haben, solange sie sich einen Profit erhoffen. Unsere Wirtschaft ist so sehr darauf ausgerichtet, Profit zu erzielen, dass die Unternehmer es sich nicht leisten können, ihren moralischen Kodex zu beachten.
Ein weiterer Text zu diesem Thema findet sich im selben Buch in „Geld und Wachstum". Michael Ende sagt darin, dass das gegenwärtige ökonomische und monetäre System „genau die Eigenschaften einer Krebsgeschwulst haben", oder „es ist für ein solches Wirtschaftssystem notwendig, immer weiter zu wachsen und zu vervielfältigen" [11], wodurch er den Finger auf das Problem der gegenwärtigen Geldwirtschaft legt. Nachdem er aufgezeigt hat, dass „wir wissen müssen, dass es heutzutage keinen einzigen Fall einer nichtkapitalistischen Wirtschaft gibt, die die Wünsche der Menschen befriedigen kann, ohne sich dem Wachstum zu verpflichten." [12] Michael Ende weist nach, dass das gegenwärtige System immer mehr Energie verbrauchen muss, da „dieses »wunderbare« Wachstum ja nicht von selbst entsteht. Die ungeheuren Kosten dieses Wachstums werden von der Dritten Welt bezahlt beziehungsweise von der weltweiten extremen Ausbeutung und Zerstörung der Natur. Und wenn die Natur dazu nicht in der Lage ist, dann muss dieser wachsende Energiebedarf auf »un-natürliche« Weise erzeugt werden." [13] In früheren Zeiten war die Energie, die die Menschen verbrauchten, abgesehen von der Nahrung auf Feuerholz zum Kochen oder Heizen beschränkt, aber nach der industriellen Revolution hat der Mensch den wachsenden Energiebedarf mit Kohle, Öl und Kerntechnik gedeckt, worüber Michael Ende sagt, so könne es nicht weitergehen. Seine Warnungen werden jedoch ungehört verhallen, denn die Konzerne wollen Wachstum um jeden Preis, und die Gewerkschaften fordern Vollbeschäftigung. Michael Ende lässt seine Kurzgeschichte mit dem satirischen Satz ausklingen: „Man kann nicht sehr weit gehen auf einem Schiff, das sich in die falsche Richtung bewegt." [14]
3. Was ist Kapitalismus
und was ist Kommunismus?
Vielleicht ist man versucht, aufgrund des Vorangegangenen zu dem Schluss zu gelangen, dass Michael Ende mit dem Kommunismus sympathisierte. Er war jedoch als klarer Antikommunist bekannt, und diese seine Einstellung macht er auch in Momo klar. Guide erzählt einer Touristin mittleren Alters eine seiner Geschichten über die grausamen Tyrannen Marxentius Communis [15], in der Michael Ende seine Einstellung gegenüber dem Kommunismus verdeutlicht. In einigen kommunistischen Ländern wurde diese Erzählung aus dem Buch entfernt, unter anderem auch in der ehemaligen DDR. [16]
Aber was war falsch am Kommunismus? Ende hat dieses Problem des Öfteren kommentiert, aber seine klarste Aussage findet sich in Michael Ende on the Money-go-round:
„Marx glaubte wirklich, dass die Probleme des Kapitalismus dadurch gelöst werden könnten, dass die vielen kleinen Unternehmer durch einen einzigen, nämlich den Staat, ersetzt würden. Das Hauptproblem war, dass Marx es gar nicht wollte, dass sich der Kapitalismus änderte, sondern ihn nur dem Staat übergeben wollte. Die beiden großen Staatssysteme, die in den letzten fünfzig oder siebzig Jahren miteinander wetteiferten, waren in Wirklichkeit Zwillinge: privater Kapitalismus und Staatskapitalismus. Ein echtes nichtkapitalistisches Wirtschaftssystem haben wir noch nicht kennen gelernt. Ich denke, das eigentliche Verdienst von Marx liegt darin, dass er viele Konzepte entwickelt hat, die erst eine Kritik am Wirtschaftssystem ermöglicht haben." [17]
Wir neigen zu der Ansicht, der Kommunismus wäre das dem Kapitalismus entgegengesetzte Wirtschaftssystem, aber in Wirklichkeit haben die beiden Systeme viel gemeinsam: Beide besitzen Firmen, die von Individuen oder vom Staat kontrolliert werden; nur wenige Leute profitieren vom Mehrwert, der von dem ökonomischen System erwirtschaftet wird; die einfachen Leute müssen die Rolle spielen, die für sie von den Wirtschaftsführern vorgesehen ist; und so weiter... Das meint Michael Ende, wenn er davon spricht, dass Kapitalismus und Kommunismus Zwillinge sind. Für uns ist wichtig, uns sowohl vom privaten als auch vom staatlichen Kapitalismus zu befreien.
In Phantasie, Kultur, Politik kritisiert Michael Ende den Kommunismus ein weiteres Mal sehr scharf: Im Gespräch mit Erhard Eppler greift er zwei Gedanken aus seinem Buch auf, nämlich „Wertkonservativismus" und „Strukturkonservatismus", wobei er sagt: „Diejenigen, welche die Werte hochhalten, versuchen die Struktur zu ändern, um die Werte zu retten, während die anderen sie zerstören." [18] Wenn Michael Ende vom Strukturkonservativismus sprach, dann meinte er offenbar, auch ohne es offen auszusprechen, die kommunistischen Länder. Wer Momo gelesen hat, muss seine ironischen Bemerkungen über den Kommunisten in der Geschichte von Marxentius Communis kennen. Die wichtigste Aufgabe ist für die kommunistischen Länder, alle Dissidenten zu töten, wie das Stalin, Pol Pot und Mao Tse Tung getan haben, wobei der Letztere noch eines ganz besonderen Vandalismus, der Proletarischen Kulturrevolution, schuld ist, die von 1966 bis 1976 Tausende von historischen Kulturschätzen vernichtet hat. Auf diese Tatsachen beruft sich Michael Endes Antikommunismus, denn in diesem System wird nicht nur die Politik, sondern es werden auch die Wirtschaft und die Kultur manipuliert von einer zentralen und allmächtigen Regierung.
4. Michael Endes
ökonomische Utopie
Worin besteht nun Michael Endes ökonomische Utopie? Schauen wir zurück zu Michael Endes Kommentar in Phantasie, Kultur, Politik:
„In der heutigen Zeit mag es naiv oder sogar lächerlich klingen, was ich zu sagen habe, aber Brüderlichkeit ist die Regel, die der modernen Ökonomie innewohnen muss. Wir können das freie Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage nicht auf das Gebiet der Ökonomie anwenden. Wenn wir es doch tun, dann setzt der Kampf aller gegen alle ein, und der Schwächste wird unterliegen."
Wie wir schon oft gesehen haben, bevorzugt in der modernen Gesellschaft der Neoliberalismus (die gegenwärtige Form des Kapitalismus) die Tüchtigsten wie Bill Gates, aber wir dürfen die Tatsache nicht übersehen, dass immer mehr nicht so tüchtige Menschen ihre Jobs und ihr Heim verlieren. Infolge des ökonomischen Wettrennens sind die Firmen gezwungen, ihre Arbeitskräfte zu reduzieren; ein Teil der Beschäftigen verliert ihre Arbeitsplätze, während der Rest immer mehr arbeiten muss – aber warum müssen wir ein so hartes Leben führen? Wer wird von diesem mühseligen Leben profitieren? Nur Kapitalisten mit riesigen Vermögen werden davon glücklich, wenn sie die gegenwärtige Ökonomie auf Kosten der meisten Bewohner dieser Erde ausbeuten können. Daher versuchte Michael Ende, ein anderes Wirtschaftssystem vorzuschlagen, wo wir von Brüderlichkeit regiert werden, anstatt vom gnadenlosen ökonomischen Wettkampf.
Aber was ist nun diese Brüderlichkeit der Ökonomie? Für mich war diese Frage lange Zeit unbeantwortet, Michael Ende selbst zitiert nur Silvio Gesell [19] auf der Seite 15 von Three Mirrors. Erst die NHK-BS Fernsehsendung gab mir die Antwort. Diese Sendung, Michael Ende on the Money-go-round (Ende no yuigon auf Japanisch) betitelt, stellte mehrere Fakten über Wörgls „Arbeitsbestätigungsschein" (Tirol, Österreich) vor, aber in diesem Essay werde ich mich auf den Ersten beschränken, den Michael Ende 1989 gegenüber Hisashi Inoue vorgetragen hatte, wie es in Three Mirrors wiedergegeben wird:
„Bevor eine Zweitwährung eingeführt wurde, waren die Hälfte der Einwohner arbeitslos, und der Stadtsäckel war leer. Nachdem diese Zweitwährung eingeführt worden war und neben der offiziellen österreichischen Währung galt, geschah ein Wunder; innerhalb eines Jahres hatte jeder Arbeit, die Stadt wurde reich und das offizielle Geld verschwand! Als die österreichische Regierung davon erfuhr, verbot sie diese Zweitwährung jedoch sofort, da die Kapitalisten verhindern wollten, dass diese Idee um sich griff." [20]
Was war in Wörgl geschehen? Diese alternative lokale Währung in der österreichischen Stadt wurde zusammen mit einigen von Silvio Gesells epochalen Ideen eingeführt. In dieser Fernsehsendung stellt Michael Ende Silvio Gesell (1862–1930) wie folgt vor:
„Ich weiß nur, dass der Erste, der sich über dieses Problem Gedanken machte, Silvio Gesell war; das war zur Zeit der Räterepublik in Bayern, kurz nach dem ersten Weltkrieg. Er kam auf den Gedanken, dass Geld altern können müsste. Er sagte, man müsse dafür sorgen, dass das Geld am Ende des ökonomischen Prozesses wieder verschwindet. In einer Metapher: Das Blut, das im Knochenmark erzeugt wird, um den ganzen Körper mit Nährstoffen zu versorgen, altert am Ende des Prozesses und wird absorbiert."
Nachdem er im Alter von 24 Jahren nach Argentinien ausgewandert war und dort Erfolg als Unternehmer hatte, beobachtete Gesell die südamerikanische Wirtschaft mit ihren Zyklen aus Inflation und Deflation genau. Da er erkannte, dass die Situation auf die miserable Geldpolitik zurückzuführen war, die die Nationalökonomie an den Rand des Zusammenbruchs brachte, sah er auch, dass das Geldsystem viel mit der sozialen Ordnung zu tun hatte, und schlug ein alternatives Währungssystem namens „Freigeld" vor, das er in seinem Buch Die natürliche Wirtschaftsordnung (1916) vorstellte. Gesells Ideen wurden von Keynes sehr gewürdigt. Er schrieb dazu: „Ich glaube, dass die Zukunft mehr von dem Geist Gesells lernen kann als von dem von Marx" [22]
Die große Depression, die 1929 begann, verbreitete sich sehr schnell über die ganze Welt, trieb eine große Zahl von Firmen und Gesellschaften in den Ruin und machte Millionen von Menschen arbeitslos. Die Stadt Wörgl, die viel ihrer Eigenschaft als Eisenbahnterminal verdankte, konnte der Wirtschaftskrise nicht entrinnen, und 1932, als sich der damalige Bürgermeister Michael Unterguggenberger entschloss, eine lokale Währung einzuführen, war die Situation verzweifelt: 400 von 4200 Bürgern waren arbeitslos [23], und es gab keine Aussicht, dass sich die Lage verbessern würde. Er dachte, dass es die Geldwirtschaft war, die das Problem verursachte, und prägte daher im Juli 1932 eine lokale Währung [24]. Die Stadt selbst wurde Unternehmer, stellte die Arbeitslosen ein und bezahlte sie mit dem „Arbeitsbestätigungsschein". Auf der Rückseite trug er folgende Aufschrift:
„An Alle! Langsam umlaufendes Geld hat die Welt in eine unerhörte Wirtschaftskrise und Millionen schaffender Menschen in unsägliche Not gestürzt… Der Leistungsaustausch muss daher wieder gehoben und der Lebensraum für alle bereits Ausgestoßenen wieder zurückgewonnen werden. Diesem Ziel dient der Arbeitsbestätigungsschein der Marktgemeinde Wörgl: Er lindert die Not, gibt Arbeit und Brot!" [25]
Dieser Arbeitsbestätigungsschein wurde sehr schnell als Zahlungsmittel akzeptiert und das Einkommen der Stadt stieg. In der Fernsehsendung wird ein sehr wichtiger Punkt aufgezeigt: „Indem das Geld zirkuliert, kann es seine ökonomische Aufgabe mehrfach erfüllen." [26] Aber wieso zirkulierte das Geld so schnell? Weil der Schein wertlos war, wenn man nicht an jedem Ersten eines Monats eine Marke aufklebte, die ein Prozent ihres Wertes darstellte. Mit anderen Worten, der Arbeitsbestätigungsschein verlor mit jedem neuen Monat ein Prozent seines Wertes. Daher war es unklug, den Schein aufzubewahren, und daher beeilte sich jedermann, dieses alternde Geld so schnell wie möglich auszugeben; dadurch wurde der Konsum angeregt und die Wirtschaft angekurbelt. Der Arbeitsbestätigungsschein wurde auch zur Bezahlung der Gehälter der Beamten und zur Begleichung von Bankschulden benutzt. Nachbarstädte von Wörgl versuchten das Wunder zu wiederholen, indem sie dasselbe System einführen wollten, aber die österreichische Regierung beendete das Experiment 1933, da sie fürchtete, es würde den Reichtum der Kapitalisten bedrohen.
Auch wenn das Experiment in Wörgl eingestellt worden war, so gab es doch in den letzten Jahren Tausende von Lokalwährungen wie die Ithaca Hour, DöMak in Halle und Wirbank. Ich werde hier nicht auf die Details eingehen, weil die Organisation dieser Lokalwährungen Michael Endes ökonomische Ansichten nicht berührt, aber ich bin sicher, dass es sich für diejenigen, die sich für das Thema interessieren, lohnt, es weiterzuverfolgen.
Ich möchte diesen Teil des Essays mit einem interessanten Zitat von Guido Gesell beenden. Als Fremdenführer erzählte er nicht wenige erfundene Geschichten, die seiner lebhaften Phantasie entsprungen waren. Als man ihn der Lüge bezichtigte, verteidigte er sich wie folgt:
„Das machen doch alle Dichter. Und haben die Leute vielleicht nichts bekommen für ihr Geld? Ich sage euch, sie haben genau das bekommen, was sie wollten! Und was macht es für einen Unterschied, ob das alles in einem gelehrten Buch steht oder nicht? Wer sagt euch denn, dass die Geschichten in den gelehrten Büchern nicht auch bloß erfunden sind, nur weiß es vielleicht Keiner mehr? Ach, was heißt überhaupt wahr oder nicht wahr? Wer kann schon wissen, was hier vor tausend oder zweitausend Jahren passiert ist? Wisst ihr es vielleicht?
Na also! Wieso könnt ihr dann einfach behaupten, dass meine Geschichten nicht wahr sind? Es kann doch zufällig genau so passiert sein. Dann habe ich die pure Wahrheit gesagt!" [27]
Natürlich findet das, was Guido den Touristen erzählt hat, nicht die Billigung der Wissenschaft, aber es stimmt auch, dass seine Geschichten gut ankamen und es insofern auch seine Berechtigung hat, dass er dafür bezahlt wurde.
5. Zusammenfassung
Wenn wir das Wort Wirtschaft hören, dann denken wir an den Wettbewerb, der zusehends schärfer wird und die Firmen zwingt, Tausende von Angestellten auszustellen und auf die Straße zu setzen. Aber der Grund, warum sich der Wettbewerb so verschärft hat, ist der, dass das Kapital, das wir einsetzen, Rendite fordert und dass jeder, der sich Geld leiht, gezwungen ist, Profit zu machen. Ökonomische Prinzipien lassen sich jedoch verändern, und wir könnten ein ruhigeres und sichereres Leben führen, wenn wir eine Währung einführen würden, die auf einem anderen Prinzip basiert. Ich möchte diesen Essay mit Michael Endes letzten Worten in Michael Ende on Money-go-round beenden:
„Die Opfer unseres Systems sind jetzt die Länder der Dritten Welt ebenso wie die Natur, die erbarmungslos ausgebeutet werden, um unser Wirtschaftssystem zu stützen. Wer Geld nur investiert, um den höchstmöglichen Profit zu erzielen und zu expandieren, wird eines Tages den Preis dafür bezahlen müssen, und es wird ein sehr hoher Preis sein, den das Wirtschaftswachstum fordern wird. Wenn es nicht die Vernunft ist, die die Menschheit zur Umkehr bewegt, dann werden es die Fakten sein. Meine Möglichkeiten als Autor sind begrenzt, aber ich betrachte sie unter dem Aspekt, dass ich Ideen und Gedanken entwickeln kann, die vielleicht der Menschheit helfen können, alte Fehler nicht zu wiederholen und stattdessen eine völlig andere Gesellschaftsordnung zu schaffen. Ich glaube, dass die Menschheit einen Rückschlag erleben wird, der sie jahrhundertelang erschüttern wird. Die Menschen glauben immer: »So ist das eben mit dem Geld. Das kann man nicht ändern. « Das ist nicht wahr. Wir können es ändern. Wir haben das Geld geschaffen und wir können es auch anders machen." [28]
Anmerkungen
1 Am Anfang
der Fernsehsendung Michael Ende on the Money-go-round, produziert von
NHK in Zusammenarbeit mit NHK Enterprise 21, Inc Group Gendai. Mein besonderer
Dank gilt Mr. Eiichi Morino, von der Gesell Research Society in Japan für die
Überlassung der englischen Version dieses Textes.
2 Momo (1993,
Thienemann) wurde in die folgenden Sprachen übersetzt: Italienisch (Michael
Ende sagte selbst, dass Momo eine Dankbarkeitsbezeugung und eine
Liebeserklärung an Italien sein soll), Englisch, Afrikaans, Baskisch,
Bulgarisch, Katalanisch, Chinesisch, Dänisch, Niederländisch, Finnisch,
Französisch, Griechisch, Hebräisch, Isländisch, Koreanisch, Japanisch,
Lettisch, Litauisch, Norwegisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch,
Serbokroatisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch (Spanisch and Argentinisch),
Schwedisch, Thailändisch, Tschechisch, Türkisch Ukrainisch und Ungarisch (es
gab jedoch in den Ausgaben für die ehemaligen Länder des Ostblocks eine
Änderung, wie Michael Ende auf Seite 19–21 des Talk with Ende
(Asahi-shimbunsha, 1986. Siehe „1. Bibliographie" für weitere
Informationen) erläutert)
3 Originaltitel:
Michael Endes Zettelkasten: Skizzen & Notizen, 1994, Weitbrecht
Verlag in K. Thienemanns Verlag. Die japanische Übersetzung ist bei Iwanami
shoten unter dem Titel Ende zenshu (Ende Complete Works), Buch 18 and
19, erhältlich.
4 Ein Auszug
aus S. 16 bis 18 der japanischen Version von Phantasie, Kultur, Politik. Protokoll eines Gesprächs,
Erhard Eppler, Michael Ende & Hanne Tächl, 1982, Weitbrecht Verlag in K.
Thienemanns Verlag (japanischer Titel: Olive-no mori de katariau,
Iwanami shoten, 1994, as Ende zenshu Book 15)
5 Ebd., S.
18~19.
6 Ebd., S. 35.
7 Three Mirrors, S. 13
8 Phantasie, Kultur, Politik, S. 61,
9 Three Mirrors, S. 14
10 „Kukanias
Rebellion", Michael Endes Zettelkasten
11 „Money and Growth", ebd.
12 Ebd.
13 Ebd.
14 Ebd.
15 S. 44–45,
Kapitel 5 (nach der Ausgabe von Puffin Books, ins Englische übertragen von J. Maxwell
Brownjohn, 1985, Penguin Books Ltd, UK), oder S. 47–48, fünftes Kapitel of Momo
(Thienemann, 1993)
16 S. 19–21,
aus Kapitel 2 von Talk with Ende (Ende to kataru in Japanese,
Asahi shimbunsha, 1986)
17 Aus Money-go-round (NHK-TV, 1999)
18 Phantasie,
Kultur, Politik, S. 95–96.
19 Ein
deutscher Unternehmer und Ökonom, der von einem deutschen Vater und einer
wallonischen Mutter abstammte. Er wuchs zweisprachig auf und leistete seinen
Militärdienst. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Málaga, Spanien, wanderte
er im Alter von 24 Jahren (1886) nach Argentinien aus, wo er zwei Pamphlete mit
den Titeln La esencia de las cosas (Das Wesen der Dinge) and La
nacionalización de la moneda (Die Nationalisierung der Währung) auf
Spanisch veröffentlichte, gefolgt von dem Buch La aplicación y el Control de
la Moneda que responden a la Demanda del Comercio Moderno (Die Anpassung des Geldes an die Bedürfnisse
des modernen Verkehrs, 1897) und dem Pamphlet Argentina's Monetary Question
(La cuestión monetaria argentina, in Spanish), um der Deflationspolitik
der Regierung entgegenzutreten. Da seine Schriften von der Politik ignoriert
wurden, erfasste eben jenes ökonomische Chaos, das Gesell vorhergesagt hatte,
dieses südamerikanische Land. Im Jahr 1900 kaufte er sich einen Bauernhof in
Les Hauts-Genéveys, Schweiz, den er sechs Jahre lang bewirtschaftete. Nach dem
Tod seines Bruders, der ebenfalls nach Argentinien ausgewandert war, kehrte er
in dieses Land zurück und veröffentlichte dort The Monetary Surplus in
Argentina und kündigte Positive Money Policy in Frankfurt. 1911 ging
er nach Deutschland zurück, um dort The Natural Economy Order (Die
natürliche Wirtschaftsordnung) zu verfassen, das er 1916 vollendete. Mit
diesem Buch errang er großen Ruhm als Ökonom, und er veranstaltete drei
bedeutende Konferenzen: „Money and Peace" in Berlin 1916, „Freeland: The
Element for the Peace" in Zürich 1917 und „The Simplification of the
Governmental Organization after the Democratization" 1919 in Berlin. Am 7.
April 1919 schloss er sich der Landauer Regierung an, die eine Woche später von
den Kommunisten gestürzt wurde, die Landauer töteten. Nach der Niederschlagung
der kommunistischen Machtergreifung wurde Gesell selbst angeklagt, für die
Kommunisten gearbeitet zu haben, aber dank seiner Eloquenz erreichte er einen
Freispruch. Danach widmete er sich Büchern wie The Politic, Economic and
Financial Condition to Found the Monetary Bureau of Germany und International
Volta Association (1920), The Re-Formation of the United League and the
Proposal to Alter the Versaille Treaty und A Proclamation to the German
People (1921), Practice Memorandum for the Labor Unions und Dictatorship
in Emergency – An Appeal to the German Politicians (1922), Proletarians'
Armament und The Appearance of the Western World (1923) und The
Desolution of the State (1927).
20 Three Mirrors, S. 16
21 Michael Ende on the Money-go-round,
NHK-BS TV, 1999
22 S. 355, „Notes on Mercantilism, etc.",
aus The General Theory of Employment, Interest and Money (1936) von
Keynes
23 Kapitel 3.2
„Die Nothilfe-Aktion der Gemeinde Wörgl und ihre internationale
Ausstrahlung..." aus Modellversuche mit sozialpflichtigem Boden und
Geld. Lütjenburg: Fachverlag für Sozialökonomie (Werner Onken, 1997)
24 NHK-TV Fernsehsendung Michael Ende on the
Money-go-round
25 Auch bei
der Fernsehsendung wurde ein Teil dieser Botschaft wegen Mangel an Sendezeit
ausgelassen; man kann den ganzen Text auf Deutsch unter
http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/schmitt/text6.htm
lesen.
26 Michael Ende on Money-go-round
(NHK-TV, 1999)
27 S. 38,
Kapitel 4 (nach der Puffin Books Version, ins Englische übersetzt von J.
Maxwell Brownjohn, 1985, Penguin Books Ltd, UK), oder S. 39–40, Viertes Kapitel
von Momo (Thienemann, 1993).
28 NHK-TV Fernsehsendung Michael Ende on the
Money-Go-Around
Weitere
Informationen im Internet
Auf meiner Homepage
(
http://www3.plala.or.jp/mig/talk-uk.html)
finden Sie weitere Informationen über die in diesem Essay erwähnten Bücher und
Fernsehsendungen.
Wörgl: besuchen Sie
http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/woergl/
für weitere Informationen auf
Deutsch. Ithaca Hour, Ithaca County, NY, USA, 1991–,
http://www.lightlink.com/hours/ithacahours/home.html
für weitere Informationen in English und anderen Sprachen. DöMAK Halle,
Germany, besuchen Sie
http://www.anhalt.net/doemak/ für weitere Informationen
auf Deutsch. WIRBANK Schweiz, besuchen Sie
http://www.wirbank.ch/ für weitere
Informationen auf Deutsch, Französisch und Italienisch.
Silvio Gesell (1862–1930) Die Natürliche Wirtschaftsordnung auf Deutsch, besuchen Sie http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/gesell/nwo/ wo Sie den ganzen Text auf Deutsch finden.