[ Homepage: www.geldreform.de ] [ Gäste- / Notizbuch: www.geldreform.de ]

Helmut Creutz zum neuen Buch von Gerhard Niederegger:

Das Freigeldsyndrom

Für und Wider
ein alternatives Geldsystem
 
Eine kritische Bestandsaufnahme

Unter diesem Titel ist in Österreich ein Buch erschienen, das sich mit der Geldreformbewegung und hier speziell mit der Freiwirtschaft auseinandersetzt. (1) Dabei werden u. a. die Fragen behandelt, ob ein zinsloses Geldsystem in der Lage ist

Außerdem wird, bezogen auf die Krankheit unserer Gesellschaft, eine kritische Bestandsaufnahme versprochen „für alle, die sich im Dschungel gegensätzlicher Meinungen einen Überblick verschaffen wollen."


Der Autor des Buches, Gerhard Niederegger, ist diesem Versprechen auf seinem 100seitigen Anteil weitgehend objektiv und konstruktiv nachgekommen. Auf den 30seitigen Anhang des Herausgebers trifft das leider weniger zu. Gerhard Niederegger, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Innsbruck und praxiserfahren, beschreibt in einem ersten Abschnitt mit überraschender Kenntnis die Geschichte der Freiwirtschaftsbewegung. Im zweiten umfassendsten Teil gibt er ihre Hauptanliegen und -themen wieder, um sie anschließend jeweils kritisch zu hinterfragen. Den dritten Teil räumt er den Kritikern der Freigeldtheorie ein und im vierten Teil stellt er andere Geldreform-Theorien vor. Dabei greift er auf pragmatische Weise auch strittige Themen auf, wie beispielsweise das der Geldschöpfung durch Banken.

Grundsätzlich ist es mehr als erfreulich, daß sich ein Fachökonom unserer Tage auf diese eingehende Weise mit der Freiwirtschaft auseinandersetzt. Denn damit bietet das Buch vielfältige Möglichkeiten, die Ansichten und Kritiken Niedereggers konstruktiv aufzugreifen und in einer offenen Diskussion weiterzuführen.

Diese Diskussion möchte ich mit einer Stellungnahme zu dem Kapitel „Die soziale Krise (Der Zins in den Preisen)" aufnehmen. Darin schreibt er auf Seite 55:

„Die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung ist - dem muß man ohne Einschränkung zustimmen - ein Skandal unseres modernen marktwirtschaftlich-kapitalistischen Systems, und dies darf von niemandem, der sich Gedanken über die Wirtschaft macht, übersehen werden. Wenn über Jahrzehnte hin nur Leistung und verfügbare Kapitalbasis über den Erfolg der Wirtschafter entscheiden, bilden sich zwangsläufig recht krasse Unterschiede zwischen ihnen aus. Unbestreitbar ist auch, daß die Zinseinkommen diesbezüglich verstärkend mitwirken, nur eben bei weitem nicht in dem Ausmaß, wie es die Freigeldanhänger so dramatisch vorführen."

Anknüpfend an diesen Vorbehalt bezweifelt er meine aus den 80er Jahren stammenden Zinsanteilsberechnungen, die von Margrit Kennedy in ihrem Buch übernommen und in meinem letzten Buch weitergeführt wurden.(2)

Während sich aus meinen Einzelbeispielen und Auswertungen statistischer Unterlagen ein durchschnittlicher Zinsanteil in den Endpreisen von etwa 30 bis 40 Prozent ergibt, sieht Niederegger allenfalls einen Anteil von etwa, zehn Prozent als realistisch an. Dabei wäre bereits ein Indiz geeignet, diesen niedrigen Satz in Frage zu stellen, nämlich der Umfang des Zinsanteils in den Mieten bzw. Wohnungskosten, die - bekanntlich und leicht nachprüfbar - überwiegend aus Zinsen bestehen. Setzt man für diesen Zinsanteil nur einen Satz von 60 Prozent an und berücksichtigt, daß die Mietkosten etwa ein Viertel aller Haushaltsausgaben ausmachen, dann beanspruchen alleine die darin enthaltenen Zinsen bereits 15 Prozent der Haushaltsausgaben.

Außerdem berücksichtigt Niederegger in seinen Gegenrechnungen einige wesentliche Gegebenheiten nicht oder unzureichend, so z. B.,

Außerdem zieht er bei der Berechnung der Zinsanteile in den Preisen durchweg die Zinseinkommensgrößen heran, obwohl dafür die Zinslastgrößen maßgebend sind.

Die Zinsanteile in der Kalkulation

In meinen früheren Veröffentlichungen wie auch in meinem letzten Buch, habe ich bekanntlich eine Reihe öffentlicher Kalkulationsbeispiele wiedergegeben, in denen Zinsanteile zwischen 12 und 77 Prozent ausgewiesen wurden. Diese aufgreifend schreibt Niederegger auf Seite 56:

„Die genannten Werte sind aber für die Gesamtheit der Preise in keiner Weise repräsentativ; Lebensmittel, Textilien usw. wie auch die vielen Hunderte von sonstigen Waren und Gebrauchsgegenständen fehlen, ebenso wie die gesamten Dienstleistungen. Schaut man sich Gewinn- und Verlustrechnungen von Industriebetrieben an, so bewegen sich die Zinsen meist auf einem erstaunlich niedrigen Niveau: etwa 3% bis 6%; umgerechnet auf die Wertschöpfung resultieren daraus etwa 5% bis 15%. Bei den verschiedenen Dienstleistungen, darunter dem Handel, liegt der Anteil naturgemäß noch viel niedriger. Schon von daher können also die angegebenen 30-50% Zinsanteile nicht zutreffen."

Dem ersten Satz ist selbstverständlich zuzustimmen. Das Problem mangelnder Einsicht in private Kalkulationen zwingt deswegen auch zu anderen Versuchen, die Zinsanteile einzukreisen.

Der Vergleich jener von Niederegger angeführten 5% bis 15% der Wertschöpfung (woraus er offensichtlich den von ihm angenommenen zehnprozentigen Anteil in den Preisen ableitet) mit den von mir angegebenen Preisanteil von 30-50%, ist jedoch irreführend:

Einmal betreffen die 5-15% nur die Fremdkapitalzinsen, so daß die Verzinsung des Eigenkapitals noch hinzukommt. Zum zweiten gehen nicht nur die Zinslasten der Unternehmen in die Preise ein, sondern auch die des Staates und der öffentlichen Einrichtungen. Zum dritten muß man diese Zinslasten nicht mit der Wertschöpfung bzw. dem Volkseinkommen vergleichen, sondern letztlich mit den um rund 30 Prozent geringeren Haushaltsausgaben.

Gehen wir von den bei 12-13% der Wertschöpfung liegenden Fremdkapitalzinsen der deutschen Unternehmen aus (3) sowie einer etwa gleichhohen Eigenkapitalverzinsung, sind wir schon bei rund 25 Prozent des Volkseinkommens und 36 Prozent der Haushaltsausgaben, und zwar ohne Einbeziehung des zu verzinsenden öffentlichen Fremd- und Eigenkapitals! Bereits diese überschlägliche Berechnung zeigt, daß die von mir angesetzten und von Niederegger angezweifelten Zinsanteile in den Preisen von 30-50% kaum abwegig sein können.

Aber auch im Handel sind die Zinsen oft ein entscheidender Kostenfaktor. Dies ergibt sich nicht nur aus den durchweg großen zu verzinsenden Lagerbeständen, sondern auch wieder aus den Gebäudekosten bzw. Mieten. Selbst unverschuldete Einzelhändler werden durch deren Höhe oft zur Geschäftsaufgabe gezwungen, vor allem in Citylagen, wo schon für kleinste Läden monatliche Mieten von mehreren tausend Mark an der Tagesordnung sind. Bedingt sind diese hohen Mieten wiederum vor allem durch die oft horrenden Grundstückskosten, deren Verzinsung über die Mieten bedient werden muß.

Wären im übrigen die Zinsanteile in den Kosten nur so gering wie Niederegger vermutet, könnten in Hochzinsphasen nicht zehntausende verschuldete Unternehmen so rasch in die Zahlungsunfähigkeit gelangen.

Die Eigenkapitalverzinsung in der Kalkulation

Bei öffentlichen Preis- und Gebührenberechnungen werden im allgemeinen die Zinsen für das gesamte eingesetzte Kapital in Ansatz gebracht, unabhängig ob verschuldet oder nicht. Dabei wird meist von Zinssätzen zwischen 7 und 7,5% ausgegangen. Bei den Unternehmenskalkulationen geht jedoch - wie Niederegger bestätigt - die Verzinsung des Eigenkapitals überwiegend in die kalkulatorisch angesetzten Gewinn- oder Überschußmargen ein.

Nun ist zweifellos die Bedienung des Eigenkapitals - im Gegensatz zu jener der Kredite - eine flexible und damit leichter zu verkraftende Größe. Niederegger überzeichnet jedoch die Wirklichkeit, wenn er auf Seite 57 schreibt:

„Erklärend dazu ist festzustellen, daß...die tatsächliche Erzielung einer vollen Eigenkapitalverzinsung eine wirklichkeitsfremde Annahme bedeutet. Der von Creutz dafür angesetzte Satz von 7% dürfte nur von einigen wenigen, besonders profitablen Unternehmen erzielt werden, zumal auf Dauer! Vielfach werden Sätze um 7% natürlich in den Kalkulationen, soweit diese sich nicht ohnehin am Markt orientieren, vorgegeben, aber letztlich nicht realisiert. In seiner langjährigen Tätigkeit als Kostenrechner in verschiedenen Unternehmen mußte der Verfasser jedenfalls immer wieder die Erfahrung machen, daß bei Vorgabe von Eigenkapitalzinsen die Betriebsergebnisse sehr häufig negativ ausfielen, d. h. daß die erwirtschaftete Verzinsung des Eigenkapitals sehr gering war."

Unzureichende Verzinsungen des Eigenkapitals kommen zweifellos häufig vor, besonders in Krisenzeiten. Das aber zu verallgemeinern bzw. als längerfristigen Zustand anzusehen, dürfte den Realitäten kaum entsprechen. Denn bekanntlich wird nur dann jemand Geld von der Bank abheben und investieren, wenn er zumindest von einer banküblichen Investitionsverzinsung ausgehen kann. In allgemeinen werden sogar für Sachinvestitionen - vor allem im Hinblick auf das Risiko - um ein bis zwei Prozentpunkte höhere Verzinsungen erwartet.

Mittelfristig kann also - das wird Niederegger kaum bestreiten können - die Sachkapitalrendite nicht unter die des Geldkapitals fallen, ohne daß es zu einem Kapitalentzug oder -streik käme. Berücksichtigt man die derzeitige Shareholder-value-Debatte, dürfte zukünftig sogar die Durchsetzung noch höherer Gewinne und damit Eigenkapitalrenditen zu befürchten sein.

Doch gehen wir von den nachprüfbaren Fakten aus:

Daß bei öffentlichen Kalkulationen das Eigenkapital üblicherweise mit mindestens 7% verzinst wird, wurde bereits erwähnt. Für den Unternehmenssektor weist das dem Deutschen Unternehmensverband nahestehenden „Institut der Deutschen Wirtschaft" in Köln - fußend auf Angaben der Bundesbank - für die 70er und 80er Jahre sogar durchschnittliche Eigenkapitalrenditen mit mehr als 18% aus.(4) Dabei wird diese Eigenkapitalrendite als „Jahresüberschuß nach Unternehmenssteuern in Prozent des Eigenkapitals" definiert. Und für die Netto-Eigenkapitalrenditen, die praktisch der Verzinsung des Eigenkapitals entsprechen, werden für den gleichen Zeitraum Sätze von 7,5 bis 8,5% genannt. Diese Werte bestätigen, daß die Eigenkapitalverzinsungen über den Zinserträgen langfristiger Bankanlagen liegen, die im Durchschnitt dieser Jahrzehnte 7,1% erbrachten.

Den unteren der genannten Werte für das Eigenkapital - also 7,5% - habe ich beim Schreiben meines Buches Anfang der 90er Jahre für meine Überschlagsrechnungen zugrundegelegt. Mit dem 1992 gültigen Durchschnitts-Schuldenzins von 6,4% zusammengefaßt, ergab sich der von mir verwandte Mittelsatz von 7%. Da dieser Satz der damaligen Realität entsprach, können auch die damit errechneten Belastungsgrößen grundsätzlich kaum falsch sein.

Was ist mit der Akkumulation der Zinsen?

Sieht man von Abschreibungen, Steuern, Versicherungen u. ä. ab, werden Kalkulationen im wesentlichen von den Personal-, Material- und Kapitalkosten bestimmt. Während die Personal- und Kapitalkosten auf jeder Kalkulationsebene neu entstehen und berechnet werden, gehen die bezogenen Materialien mit ihren Einkaufspreisen in die Kostenberechnungen ein. Bei der Produktion dieser bezogenen Materialien und allen vorhergehenden Stufen sind jedoch ebenfalls Personal- und Kapitalkosten angefallen, die - nicht mehr erkennbar - in den Einkaufspreisen enthalten sind.

Das heißt, schlüsselt man die Preise der Güter und Dienstleistungen rückwärts auf, bestehen sie alle letztlich immer nur aus sich akkumulierenden Personal- und Kapitalkosten.

Bis zu welchem Umfang sich die Zinsanteile in den Endverkaufspreisen ansammeln, hängt - neben den Zinsanteilshöhen auf den einzelnen Stufen - von der Anzahl dieser Stufen wie auch den jeweiligen gesamten Kostenausweitungen ab.

Diese hier beschriebene Akkumulation der Zinsen in den Preisen geht als Schema aus der Darstellung 1 hervor, die meinem Buch entnommen ist.

Darstellung 1

Vordergründig könnte man diese Zinskostenweitergabe von Stufe zu Stufe mit der Mehrwertsteuer vergleichen, die ebenfalls über alle Stationen weitergegeben und am Ende der Kette vom Endverbraucher bezahlt werden muß. In Wirklichkeit besteht jedoch ein gravierender Unterschied zur Zinsakkumulation. Denn bei der Mehrwertsteuer können auf jeder Kalkulationsstufe die in den Vorleistungen enthaltenen Steueranteile jeweils abgezogen werden, so daß auf allen Produktions- und Handelsstufen der festgelegte gleiche Mehrwertsteuer-Prozentsatz beibehalten wird. Bei den Zinsen, bei denen es keine Vorzins-Abzugsmöglichkeiten gibt, kommt es dagegen zu jener hier beschriebenen Akkumulation.

Selbst wenn wir einmal - dem Ansatz Niedereggers folgend - auf jeder der Produktions- und Handelsstufen nur einen Zinsanteil von durchschnittlich 10% annehmen, sammeln sich diese Beträge im Durchlauf der Stufen im Endpreis zu einem deutlich höheren oder sogar mehrfachen Anteil an. Der Endverbraucher zahlt also bei allen Ausgaben in den Preisen immer einen höheren Zinsanteil, als er einem Einblick in die letzte Kalkulationsstufe entnehmen kann. Das gilt auch für die von mir herangezogenen öffentlichen Preis- und Gebührenkalkulationen. Auch in ihnen sind nur die auf der letzten Kalkulationsstufe hinzugekommenen Zinsanteile ausgewiesen, nicht aber die tatsächlich in den Preisen enthaltenen.

Gibt es andere Möglichkeiten der Zinslastberechnung?

Da sich über die Kette der Einzelkalkulationen die wirklichen Zinsanteile in den Endpreisen kaum überprüfen lassen, muß man zur Berechnung der Durchschnittsbelastung - wie bereits angeführt - andere Erfassungsmethoden wählen.

Eine sehr einfache Methode, mit der sich zumindest die fremdkapitalbezogenen Zinsen in den Preisen überschläglich errechnen lassen, ist der Vergleich der Gesamtverschuldung in einer Volkswirtschaft mit dem Volkseinkommen, dem verfügbaren Einkommen oder den Ausgaben der Privathaushalte, mit denen letztlich das Gros aller Kosten bezahlt werden.

In der nachfolgenden Tabelle sind die vorgenannten Größen wiedergegeben, einmal bezogen auf Westdeutschland und das Jahr 1990 (dessen Daten in meinem Buch wie auch der Erwiderung Niedereggers herangezogen wurden); zum Vergleich außerdem die gesamtdeutschen Größen für das Jahr 1996. (5)

Tabelle 1:
Vergleich der Gesamtverschuldung mit Einkommens- und Ausgabengrößen im Mrd DM

1990
West-D.
1996
Ges.-D.
Gesamtverschuldung: 4 344 8 333
Volkseinkommen: 1 892 2 667
verfügbares Einkommen: l 533 2 328
Ausgaben der Haushalte: l 321 2 039
Gesamtverschuldung in % der Ausgaben: 329% 409%

Wie aus den Zahlen zu entnehmen, waren die Gesamtschulden der Volkswirtschaft 1990 in Westdeutschland 3,3mal so groß wie die Ausgaben der Haushalte; 1996, in Gesamtdeutschland, sogar 4,1mal so groß. Daraus ergibt sich bereits, daß 1990 die Zinsen für diese Schulden in den Haushaltsausgaben 3,3mal so hoch zu Buche schlugen wie die durchschnittlichen Schuldenzinssätze, 1996 mehr als viermal so hoch!

Aber auch hier lassen sich die genauen schuldenbezogenen Zinsbelastungen den offiziellen Statistiken entnehmen und daraus - wie in der nachfolgenden Tabelle - die Zinssätze errechnen. (6)

Bei diesen statistischen Daten ist jedoch zu beachten, daß sie alle nur die zwischen den Wirtschaftssektoren bestehenden Verpflichtungen und Zinszahlungen wiedergeben, nicht aber die innerhalb derselben. Wenn also Herr Müller Herrn Meier 100.000 DM leiht, oder die Firma x der Firma y 100 Millionen, erscheinen normalerweise weder diese Schulden noch die dafür geleisteten Zinsen in den herangezogenen offiziellen Statistiken.

Tabelle 2:
Verschuldungsgrößen und Zinsleistungen der drei nichtfinanziellen Wirtschaftssektoren in Mrd DM - daraus errechnete Zinssätze

Verschuld. Zinsen Zinssatz %

1990 1996 1990 1996 1990 1996
Privathaush.: 271 388 22 41 8,1 10,6
Unternehmen: 3016 5649 173 295 5,7 5,2
Staat: 1057 2297 63 131 6,0 5,7
insgesamt: 4344 8334 258 467 5,9 5,6

(Die anomal niedrigen Zinslasten und Zinssätze ergeben sich daraus. daß in den Schuldenbeständen auch unverzinste Verpflichtungen enthalten sind).

Wie aus der Tabelle zu entnehmen, lagen also die gesamten von der Volkswirtschaft zu tragenden Zinsen 1990 in Westdeutschland bei 258 Mrd DM, 1996 in Gesamtdeutschland bei 467 Mrd DM.

Bezieht man die ausgewiesene Schulden-Zinsbelastung des Jahres 1990 von 258 Mrd DM auf das verfügbare Einkommen aller westdeutschen Haushalte von 1533 Mrd DM, ergibt sich eine prozentuale Anteilsgröße von rund 17 Prozent. Bezieht man sie auf die Haushaltsausgaben von 1321 Mrd DM, über die das Gros aller Zinsen gezahlt werden, liegt der Anteil bei rund 20 Prozent.

Sechs Jahre später lagen in Gesamtdeutschland die beiden Werte bei 20 bzw. 23 Prozent, wohlgemerkt: immer nur für die schuldenbezogenen Zinslasten. Die statistisch nicht ausgewiesene Zinsbedienung der schuldenfreien Sachvermögen kommt also auch hier wieder hinzu. Selbst wenn man dafür einmal nur zwei Drittel der schuldenbezogenen Zinsen ansetzt, ergibt sich - wieder umgerechnet auf die Haushaltsausgaben - 1990 ein gesamter Zinsanteil von etwa 33 Prozent, 1996 von gut 38 Prozent, was allerdings einer Verzinsung des von mir angesetzten schuldenfreien Sachkapitals von nur 4% entsprechen würde.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Zinssätze im Jahr 1996 extrem niedrig waren. Schon ein Anstieg der Zinssätze um nur einen Prozentpunkt würde die durchschnittlichen Zinsanteile in den Ausgaben - wegen der viermal so großen Schuldenlasten! - rechnerisch um vier Prozentpunkte ansteigen lassen. Bei den weitgehend aus Zinsen bestehenden Mieten wirkt sich ein Anstieg der Hypothekenzinsen um einen Prozentpunkt - nach einer alten Faustregel - sogar als eine Erhöhung von 10 bis 12 Prozent aus!

Nun kann man natürlich darüber streiten, ob die Zinsbelastung inzwischen, bezogen auf die Haushaltsausgaben, etwas niedriger oder höher als 38 Prozent ist. Ganz gewiß aber gehen die in dieser Belastungsgröße enthaltenen schuldenbezogenen Zinsen von 23 Prozent mittelfristig in die zu zahlenden Preise ein, denn nur durch diese Überwälzung auf die Endverbraucher können die Unternehmen und langfristig auch der Staat zahlungsfähig bleiben.

Was nun die Zinseinkommen betrifft, die Niederegger statt der Zinslasten immer wieder heranzieht, so sind diese bei der hier anstehenden Betrachtung der Zinsanteile in den Preisen unerheblich. Denn diese Zinsanteile werden nicht von den Zinseinkommen bestimmt, sondern von den Zinslasten, die - bedingt vor allem durch die Bankmarge - durchweg um ein gutes Drittel über den Zinseinkommensgrößen liegen.

Auch das von Niederegger mehrmals vorgenommene Herunterrechnen der Zinsbelastung durch Saldierung mit den Zinseinkünften, verwischt die Folgen der zinsbedingten Auswirkungen. Denn was nützt es einem Privathaushalt, der über keine oder nur geringe Zinseinkommen verfügt und demnach per saldo die vollen Zinsanteile in den Preisen zahlen muß, daß sein vermögender Nachbar in gleicher Höhe Zinsüberschüsse vorweisen kann? Das gleiche gilt für den Unternehmenssektor, in dem einem Gros hochverschuldeter Betriebe einige wenige mit milliardenschweren Geldvermögen gegenüberstehen. Vor allem wenn man bedenkt, daß die Zinsen, die erstere zahlen, in vielen Fällen gerade an jene finanzstarken Betriebe fließen, deren Überlegenheit bereits marktbedrohend ist. Und die Annahme, daß solche Betriebe ihre Geldzinserträge zur Senkung der Preise einsetzen, ist wirklichkeitsfremd. Allenfalls wird man das kurzfristig tun, um auf diese Weise einen Konkurrenten an die Wand zu drücken.

Was hat es mit den Zinsen im Volkseinkommen auf sich?

In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) ergibt sich das Volkseinkommen bekanntlich aus dem Bruttosozialprodukt durch Abzug der Abschreibungen und der indirekten Steuern, von denen wiederum die Subventionen abgezogen sind.

Von diesem Volkseinkommen wiederum wird durch Abzug der statistisch erfaßten „Einkommen aus unselbständiger Arbeit" (Bruttolöhne plus tatsächlicher und unterstellter Arbeitgeberbeiträge) als Rest eine Größe ermittelt, die als „Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen" bezeichnet wird. Diese Restgröße ist jedoch mit vielen Fragezeichen behaftet, vor allem im Hinblick auf die Anteile, die dem Unternehmerlohn, dem Gewinn und der Eigenkapitalverzinsung zuzuschreiben sind.

Der vorbeschriebene Berechnungsablauf ist in der nachfolgenden Tabelle wieder für die Jahre 1990 für Westdeutschland (mit leicht korrigierten, endgültigen Größen) und 1996 für Gesamtdeutschland wiedergegeben: (7)

Tabelle 3:
Errechnung der Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in Mrd DM

1990 1996

Volkseinkommen:

1 892 2 667
./.Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit: 1 317 l 895
= Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen: 575 771

Sich auf die von mir in meinem Buch überschläglich errechneten gesamten Zinseinkommen von 540 Mrd DM 1990 beziehend (8), schreibt Niederegger dazu auf Seite 56:

„Vergleichen wir diese Summe der Zinseinkommen (540 Mrd) mit dem gesamten Einkommen aus Unternehmertäfigkeit und Vermögen (557 Mrd), in dem sie per definitionem enthalten sind, so ergäbe sich der höchst seltsame Umstand, daß 97% des gesamten Unternehmereinkommens auf Zinseinkünfte fallen würde und nur 3% bzw. 0,9% des Volkseinkommens auf das gesamte Unternehmereinkommen aus Arbeit und Gewinn. Man sieht sofort, daß diese Rechnung nicht aufgeht und daher die Creutzsche Berechnung nicht einmal annäherungsweise stimmen kann."

Was hier jedoch nicht stimmt, ist die Annahme, in der hier ausgewiesenen Einkommensgröße seien tatsächlich die Zinseinkommen enthalten. In Wirklichkeit werden diese Zinseinkommen in der VGR jedoch bereits innerhalb der Sektorenrechnungen mit den Zinszahlungen gegeneinander saldiert, genauso wie die sonstigen Einnahmen und Ausgaben, wobei die sich dabei ergebende Differenz jeweils als Anteil des Sektors am Volkseinkommen ausgewiesen wird.(9) Das heißt, in den Sektorenrechnungen bleiben jeweils nur die Salden der Zinsströme übrig, die dann, in der konsolidierten Zusammenfassung aller Sektoren, nochmals saldiert werden, und zwar - sieht man von der Bankmarge ab - endgültig gegen Null. Lediglich der Saldo der Zinsströme mit dem Ausland, durchweg eine relativ geringe positive oder negative Größe, beeinflußt die Höhe des Sozialprodukts und damit des Volkseinkommens.

Dieses Herausrechnen der Zinsströme aus Sozialprodukt und Volkseinkommen ist letztlich logisch, da das Sozialprodukt ja die Summe aller Wertschöpfungen umfaßt, Zinszahlungen und -einkommen aber stellen keine Wertschöpfungen dar, sondern nur Umverteilungen innerhalb der Wertschöpfungsvorgänge.

Diese Totalsaldierung aller Zinslasten und -einkommen nahm kürzlich ein VWL-Student sogar zum Anlaß, die Zinsproblematik als völlig gegenstandlos zu bezeichnen. Sicher geht Niederegger nicht so weit, aber mit seinen verschiedenen Gegenverrechnungen versucht er, diese Problematik zumindest „optisch" zu entschärfen. Mit dem Abzug der Zinseinkommen aus der Größe „Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen" und der Bewertung des verbleibenden Restes als Unternehmereinkommen, liegt er allerdings völlig neben der Realität.

Was ist mit der statistischen Größe „Vermögenseinkommen"?

In der VGR erscheint auch ein Titel dieses Namens. Seine darunter ausgewiesenen Größen ergeben sich, wenn man die „Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen" nochmals aufsplittet. Bezugnehmend auf die dabei entstehende Größe „Vermögenseinkommen" schreibt Niederegger auf Seite 58:

„Um dieses Zahlenkarussell zu vervollständigen, sei noch darauf verwiesen, daß, wie Creutz auf S. 116 und 270 an gibt, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ja eigens die Größe auswirft, um die wir hier so schwer ringen, die Summe der „Vermögenseinkommen": Im Jahr 1990 99 Mrd DM. - Weil ihm dieser Betrag aber als viel zu niedrig erscheint, lehnt Creutz ihn als „fragwürdig" ab und geht, wie wir gesehen haben, in der Berechnung seine eigenen Wege."

Um diese statistische Größe „Vermögenseinkommen" beurteilen zu können, muß man zuerst ihre Zusammensetzung zur Kenntnis nehmen: Sie besteht nämlich aus den Salden der Zinsströme der privaten und staatlichen Haushalte, die man nochmals saldierend zusammengefaßt. Dem sich daraus ergebenden Restsaldo rechnet man dann noch die „Ausschüttungen der Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit" hinzu. Diese Berechnung ist - wieder für die Jahre 1990 und 1996 - in der nachfolgenden Tabelle wiedergegeben:

Tabelle 4:
Berechnung der statistischen Größe „Vermögenseinkommen"

empfangene Zinsen geleistete Zinsen Saldierung

1990 1996 1990 1996 1990 1996

Privathaushalte:

135 204 22 41 113 163

Staat:

15 21 63 131 -48 -110

zus.:

150 225 85 172 65 53
+ Ausschüttungen der Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit: 38 38
= Vermögenseinkommen 103 91

(Die Differenz des Endbetrags 1990 gegenüber den im Zitat Niedereggers genannten 99 Mrd DM, ergibt sich wieder aus den inzwischen korrigierten Statistiken.)

Wie aus der Tabelle erkennbar, wurden die Zinseinkommen der privaten und öffentlichen Haushalte aus dem Jahr 1990 von 150 auf 65 Mrd DM heruntersaldiert. 1996 blieben von den 225 Mrd DM Zinseinkommen der beiden Sektoren sogar nur 53 Mrd DM übrig.

Die so ermittelte Grundlage der „Vermögenseinkommen" fällt 1996 also noch geringer aus als 1990, obwohl sich in den sechs Jahren in Deutschland die Schulden, Zinslasten und -erträge fast verdoppelt haben! Und steigt die Staatsverschuldung weiterhin so stark an wie bisher, wird der negative Zinssaldo des Staates den positiven der Privathaushalte in einigen Jahren völlig neutralisieren und die statistisch ausgewiesenen „Vermögenseinkommen" sogar gegen Null fallen.

Dabei ist noch zu beachten, daß in den vorgenannten Statistiken bei den Privathaushalten nur die Konsumentenschulden und deren Zinslasten ausgewiesen werden. Würde man - was sachlich längst erforderlich - auch die privaten Hypothekenschulden den Privathaushalten statt dem Unternehmenssektor zuordnen, wäre der sich ergebende Saldo „Vermögenseinkommen" heute schon negativ!

Diese Beispiele dürften zur genüge zeigen, daß aus dieser statistischen Größe keinerlei Rückschlüsse auf die tatsächlichen Zinseinkommen und noch weniger auf die Zinsanteile in den Preisen gezogen werden können.

Zieht man von den insgesamt 575 Mrd DM „Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen" des Jahres 1990 jenen saldierten Zinsrest von 65 Mrd DM ab, verbleibt also ein Betrag in Höhe von 510 Mrd DM. In diesem Betrag finden nicht nur die von mir angenommen Eigenkapitalzinsen von 270 Mrd DM ihren Platz, sondern ebenfalls die Unternehmerlöhne und -gewinne. 1996 verblieben für diese Posten sogar 718 Mrd DM.

Außerdem fallen auch die zusätzlich in die „Vermögenseinkommen" aufgenommenen „Ausschüttungen der Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit", den Unternehmen zu.

Den relativ komplizierten Berechnungen der VGR noch weiter nachzugehen, würde diesen Diskussionsbeitrag überfordern. Außerdem habe ich bereits in den 80er Jahren in umfassenderen Untersuchungen der Zinslasten und -erträge (die Niederegger offensichtlich nicht bekannt waren) diese Zusammenhänge zwischen VGR und Zinsen detailliert behandelt.(10)

Wie bilden sich die Preise?

In seinen Schlußfolgerungen auf Seite 59 bringt Niederegger nochmals die Zinseinkommensgrößen mit den Zinsanteilen in den Preisen in Verbindung, obwohl diese alleine von den (höheren) Zinslasten bestimmt werden. Weiter schreibt er dort, bezugnehmend auf den Einfluß der Nachfrage auf die Preise:

„Hinzuzufügen wäre noch, daß Zinskosten nicht immer und vor allem nicht automatisch im Preis weitergegeben werden können, uor allem nicht unter den harten Wettbewerbsverhältnissen unserer Zeit. Daß die Kosten alleine den Preis bestimmen, ist eine längst überholte Lehrmeinung aus dem 18. und 19. Jahrhundert."

Zweifellos werden die Marktpreise nicht alleine durch die Produktionskosten bestimmt, sondern letztlich durch Angebot und Nachfrage. Allerdings bestimmen die Produktionskosten darüber, ob und wie lange ein Produkt hergestellt wird.

Es mag sein, daß sich die Lehrmeinung zu diesem Tatbestand verändert hat, die Realität bislang jedoch noch nicht. Denn jedes Unternehmen muß auch heute noch mittelfristig alle seine Kosten auf den Märkten erwirtschaften, wenn es weiter existieren will. Und zu diesen Kosten gehören nicht nur die Fremdkapitalzinsen, sondern auch die des Eigenkapitals, so flexibel deren Verrechnung zeitweise auch gehandhabt werden mag.

Weiter schreibt Niederegger in seinen Schlußfolgerungen zu Zins und Preis:

„Was nun die speziellen Zinskosten betrifft, so wirken diese grundsätzlich nicht preistreibend, sondern prinzipiell preissenkend. Denn der entsprechende Einsatz von Kapital erfolgt - als ausdrückliche Entscheidung des Unternehmers - wahlweise zu anderen Produktionsfaktoren (meist Arbeit) und zwar einzig und allein zu dem Zweck, die Gesamtkosten zu senken und billiger anbieten zu können."

Auch diese Aussage mag lehrbuchmäßig richtig sein. In der Realität stimmt sie jedoch nur solange, wie die Produktivität im Gleichschritt mit der Verschuldungsaufnahme zunimmt. Denn wachsen die Schulden (und damit das zu verzinsenden Fremdkapital) rascher als die Wertschöpfung, muß das verschuldete Unternehmen entweder den Umsatz ausweiten, noch höhere Schulden aufnehmen, oder - wie Niederegger richtig in Klammern setzt - die Arbeitskosten abbauen.

In den ersten Nachkriegsjahrzehnten haben wir die aus der Verschuldungszunahme resultierenden Verteilungsspannungen durch immer weiteres Wirtschaftswachstum lösen können, wenn auch zunehmend auf Kosten der Natur und damit unsere eigenen Zukunft. Seit den 70er Jahren aber reicht dieses Wirtschaftswachstum nicht mehr aus, um die Löhne im Gleichschritt mit der Wirtschaftsleistung anzuheben. Inzwischen haben wir den Punkt erreicht, wo nur noch Reduzierungen der Arbeitskosten aus der Zwickmühle heraushelfen können, anfangs durch zunehmende Entlassungen, jetzt auch bereits durch Lohnkürzungen bei den weiter Beschäftigten.

Mit der überproportionalen Ausweitung des Kapitaleinsatzes und der daraus resultierenden Einkommensumverteilung von der Arbeit zum Besitz, wird also die Massenkaufkraft reduziert. Angesichts dieses Effekts ergibt sich die Frage, wer eigentlich den durch weiteren Kapitaleinsatz beschleunigten Ausstoß an Gütern auf Dauer noch kaufen soll?

In welchem Tempo sich diese Verschiebungen entwickeln, geht aus der Darstellung 2 hervor, in der die Zuwachsraten der Geldvermögen, des Sozialprodukts sowie der Nettolöhne und -gehälter als Durchschnittswerte für die Jahrzehnte ab 1950 wiedergegeben sind. Aber auch schon der explosive Anstieg der Schulden und Schuldenzinsen in den letzten sechs Jahren, ersichtlich aus den Tabellen 2 und 4, spricht für sich.

Darstellung 2

Liest man einen anderen Satz aus den Schlußfolgerungen Niedereggers, so wird diese Scherenöffnung zwischen den Kapital- und Arbeitseinkommen von ihm offensichtlich billigend in Kauf genommen:

„Kapital wird nur insoweit eingesetzt, als es produktiver als menschliche Arbeit ist. Die hinzukommenden Zinskosten werden durch niedrigere Arbeitskosten überkompensiert."

Doch auch diese Aussage ist - bezogen auf den ersten Satz - wieder weitgehend akademischer Natur. Denn in jeder Volkswirtschaft können die laufend hinzukommenden Geldvermögen nicht nur als Kapital eingesetzt werden, sondern sie müssen - direkt oder über Kredite - wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden, wenn dieser nicht durch Geldmangel deflationär zusammenbrechen soll.

Ist der Zins nur ein verstärkender Faktor?

Dies wird von Niederegger mehrfach vertreten. Ergänzend schreibt er dazu auf Seite 55, bezogen auf die sozialen Folgen des Zinses und deren Behebung:

„... insbesondere spielt auch der Zins nicht die alleinige oder entscheidende Rolle ... Nach Ansicht des Verfassers bietet die Wirtschaftspolitik hier zahlreiche Möglichkeiten, um die Einkommensunterschiede - vor allem die durch Vererbung zustande kommen - nicht allzusehr auseinanderklaffen zu lassen, nämlich durch progressive Einkommenssteuer und Vermögensbesteuerung, Erbschafts- und Schenkungssteuer, Familiensplitting usw."

Zweifellos spielen auch andere Mechanismen bei der sozialen Polarisierung in unseren Gesellschaften eine Rolle. Doch die Auffassung, daß der Zins nur ein verstärkender Faktor ist, wäre vielleicht noch zu vertreten, wenn die Zinsanteile in den Preisen - wie Ende der 50er Jahre - noch bei zehn Prozent liegen würden. Inzwischen aber haben sie Größen erreicht, die - wie aus den Tabellen 2-4 hervorgeht - alleine für die Schuldenzinsen bereits 23 Prozent der Haushaltsausgaben beanspruchen.

Berücksichtigt man außerdem, daß es in den beiden letzten Hochzinsphasen innerhalb von vier Jahren jeweils zu Verdoppelungen dieser Zinslasten gekommen ist, daß sie inzwischen größenmäßig die Einnahmen des deutschen Bundeshaushalts übersteigen, beim zwei- bis dreifachen der Mehrwertsteuer liegen und deutlich rascher als die Wirtschaftsleistung zunehmen, kann man - vor allem im Hinblick auf die damit verbundene soziale Polarisierung - wohl kaum noch von einem nur verstärkenden Faktor reden. Jedenfalls läßt sich dem gesamten deutschen statistischen Zahlenwerk kein anderer größenmäßig vergleichbarer Kostenfaktor entnehmen, der in dieser überproportionalen und schon explosiven Weise aus dem Ruder läuft.

Und was die von Niederegger angeführten Möglichkeiten anbetrifft, diese zunehmenden Probleme durch steuerpolitische Maßnahmen zu bekämpfen, so setzt er mit ihnen - statt bei den Ursachen - nur bei den Symptomen an. Denn die von ihm erwähnten Einkommensunterschiede - auch bei den Erbschaften - sind überwiegend Folgen jenes zinsbedingten Überwachstums der Geld- und Sachvermögen und ihrer Konzentration bei einer Minderheit der Haushalte. Fast alle von Niederegger genannten steuerlichen Maßnahmen würden sich also weitgehend erübrigen, wenn man diese Wucherungen, vor allem jene der Geldvermögen, eindämmen könnte.

Fazit:

Der Versuch Niedereggers, die Bedeutung der Zinsbelastung in der Wirtschaft, vor allem bezogen auf ihren Anteil in den Preisen, auf einen Satz von etwa 10 Prozent der Endverkaufspreise herunterzurechnen, wird durch die hier wiedergegebenen Daten und die sich daraus ergebenden Größenvergleiche nicht bestätigt.

Diese Diskrepanz zwischen Annahme und Wirklichkeit hängt u. a. mit seinen Rückgriffen auf saldierte Zinsstromgrößen, der Heranziehung der Zinseinkommen statt der Zinslasten sowie mit der nichtbeachteten Akkumulation der Zinsen in den Preisen zusammen.

Offen bleibt allenfalls die zusätzliche aus dem schuldenfreien Sachkapital resultierende Zinsbelastung, die nicht genau erfaßbar ist. Geht man auch hier wieder von den statistischen Daten aus, wird diese von Niederegger jedoch entschieden zu niedrig eingeschätzt.

So wünschenswert der von Niederegger angesetzte zehnprozentige Zinsanteil in den Preisen heute auch wäre: Um ihn unter den derzeitigen Gegebenheiten zu erreichen, müßte man die Geld- und Sachkapitalzinssätze auf etwa 1,5% absenken.

Genau diesen Effekt, nämlich das Absenken der Zinsen, will ja die von Niederegger kritisch betrachtete Freiwirtschaft mit der von ihr geforderten Geld-Umlaufsicherung erreichen. Dabei geht es nicht um eine „zinslose" Wirtschaft wie Niederegger (und auch mancher Freiwirtschaftsanhänger!) annimmt. Angestrebt wird vielmehr eine Wirtschaft, in der der Knappheitspreis Zins mit der Sättigung der Märkte genauso gegen Null geht und schließlich um diese Marke pendelt, wie das bei den Knappheitsgewinnen auf den Gütermärkten der Fall ist. Noch konkreter: Es geht um eine Geldordnungskorrektur, in der dieses marktgerechte Absinken der Zinssätze nicht mehr durch eine künstliche Verknappung des Geldangebotes verhindert werden kann!

Ohne eine solche Korrektur der Geldordungs-Fehlstrukturen wird eine weitere Eskalation der ökonomischen, sozialen und ökologischen Spannungen unvermeidlich sein. Die Verbindung des Syndrom-Begriffs mit unserem heutigen Geld ist also angebracht, die Verbindung mit dem Freigeld aber, wie im Titel des Buches jedoch - wenn auch werbewirksam - sachlich unzutreffend.

Weitere wesentliche Fragen und Auffassungsunterschiede, die das Buch von Niederegger aufwirft, wären noch zu behandeln.

(Helmut Creutz in der Zeitschrift „Der Dritte Weg", Oktober 1997)

Anmerkungen:

1 Gerhard Niederegger, Das Freigeld Syndrom - Für und Wider ein alternatives Geldsystem, Wien 1997
(Zurück zur Textstelle)
2 Margrit Kennedy, Geld ohne Zinsen und Inflation - Ein Tauschmittel das jedem dient, Goldmann, München 1991
 
Helmut Creutz, Das Geldsyndrom - Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft, Wirtschaftsverlag Langen Müller/Herbig, München 1993, aktualisierte 4. TB-Auflage: Ullstein, Frankfurt-Berlin 1997
(Zurück zur Textstelle)
3 Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Fachserie 18, Reihe 1.2/3.3, Wiesbaden 1997
(Zurück zur Textstelle)
4 Institut der Deutschen Wirtschaft, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1997
(Zurück zur Textstelle)
5 Deutsche Bundesbank, Statistische Sonderveröffentlichung 4, Frankfurt 1997, bzw. lfd. Monatsberichte
(Zurück zur Textstelle)
6 wie 3
(Zurück zur Textstelle)
7 wie 3
(Zurück zur Textstelle)
8 Helmut Creutz, a.a.O., S. 241-246
(Zurück zur Textstelle)
9 Stat. Bundesamt, a.a.O., Reihe 1.2/ 2.3.2.
(Zurück zur Textstelle)
10 Helmut Creutz, Die Zinsbelastung in der Bundesrepublik Deutschland; Zeitschrift für Sozialökonomie Nr. 64, Hann- Münden, 1985, dto: Die Zinserträge in der Bundesrepublik Deutschland, Mr- 70. 1986
(Zurück zur Textstelle)