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Gerhard Niederegger: „Das Freigeldsyndrom" (Für und wider ein alternatives Geldsystem)

Verlag für Ethik und Gesellschaft, Wien 1997

Auszug


(Seiten 56 -59)

Nun geht (...) Creutz bei der Feststellung der versteckten Zinsen in den Preisen (...) einen (...) Weg (...) über die amtliche Volkseinkommensrechnung (Deutschland 1990). In einer globalen Überschlagsrechnung ermittelt er ein zinsbringendes Gesamtkapital von 8.800 Mrd. DM, welches er mit 4.400 Mrd. als verschuldet annimmt, so daß weitere 4.400 Mrd. als schuldenfreies Kapital (betriebliches Eigenkapital) verbleiben. Diese 8.800 Mrd. ergeben zu angenommenen 7% 620 Mrd. DM als Zinslast und abzüglich der Bankmarge 540 Mrd. DM als Zinseinkommen. Bezogen auf das Sozialprodukt von 2.426 Mrd. DM errechnet Creutz eine Zinslast von 26%, das ergibt bezogen auf das (durch indirekte Steuern und Abschreibungen niedrigere) Volkseinkommen 29%.

Vergleichen wir diese Summe der Zinseinkommen (540 Mrd.) mit dem gesamten Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen (557 Mrd.), in dem sie per definitionem enthalten sind, so ergäbe sich der höchst seltsame Umstand, daß 97% des gesamten Unternehmereinkommens auf Zinseinkünfte fallen würde und nur 3% bzw. 0,9% des Volkseinkommens auf das gesamte Unternehmereinkommen aus Arbeit und Gewinn. Man sieht sofort, daß diese Rechnung nicht aufgeht und daher die Creutzsche Berechnung nicht einmal annäherungsweise stimmen kann (mit der er aber in der Folge weiterargumentiert und Schlußfolgerungen zieht). Denn in der genannten Größe müssen nicht nur alle Gewinne der vielen kleinen und der großen gewerblichen Unternehmer und Gesellschaften, sondern auch jene der Banken, Versicherungen und Dienstleistungen aller Art sowie die Einkommen aller freiberuflich Tätigen (Ärzte, Anwälte, Berater aller Art usw.) Platz haben, und gerade letztere werden ja in der Hauptsache nicht aus Maschinen und Anlagen, sondern aus der hochqualifizierten persönlichen Leistung erzielt.

Auf Grund einer aus betrieblichen Erfahrungswerten des Verfassers erstellten Berechnung verteilt sich das „Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen" (im angeführten Beispiel 557 Mrd. DM) fast genau zu 2/3 auf Unternehmerlohn und Unternehmergewinn sowie zu 1/3 auf die Verzinsung, so daß sich 189 Mrd. DM als gesamtes Zinseinkommen ergeben, das wären 7,8% vom BSP bzw. 10,1% vom Volkseinkommen. Bei einer Berechnung auf Grund der österreichischen Verhältnisse im Jahre 1993 ergeben, als Summe aller Zinseinkommen ebenfalls rund 10% (Arbeitseinkommen aus selbständiger und aus unselbständiger Arbeit 79%, Unternehmergewinne 11%).

Eine weitere Möglichkeit, um zur Errechnung des Zinseinkommens zu gelangen, besteht darin, daß man von der bei Creutz (1) angegebenen Zusammensetzung des Geldvermögens ausgeht und die in Frage kommenden Zinsbeträge einzeln berechnet. Die von Creutz auf das Geldvermögen entfallenden Zinsen von 270 Mrd. DM (1/2 von 540 Mrd.) reduzieren sich dabei auf etwa 137 Mrd. DM, was auf das Zusammenwirken folgender drei Faktoren zurückzuführen ist:

  1. Nicht aus allen Zinseinnahmen ergibt sich ein entsprechendes Zinseinkommen. Diejenigen Zinsen, die den Unternehmen und dem Staat (2) zufließen, bedeuten nicht zugleich auch Einkommen, sondern lediglich einen (teilweisen) Ausgleich der viel höheren Zinskosten dieser Sektoren, werden also saldiert und bilden somit kein Einkommen.
  2. Bei weitem nicht alle Teile des gesamten Geldvermögens erbringen einen Zins: Bargeld nichts, Sichteinlagen und Forderungen fast nichts, Spareinlagen teilweise sehr wenig Vor allem weil der Posten „Sonstige Forderungen" mit 1.045 Mrd. DM sehr stark Gewicht fällt, ergeben sich aus diesem Titel recht erhebliche Abstriche.
  3. Im Vergleich der so errechneten 137 Mrd. DM mit den auf Grund der Volkseinkommensrechnung geschätzten 189 Mrd. ergäben sich als Differenz mit 52 Mrd. die Zinseinkommen aus dem Eigenkapital. Die von Creutz dafür als schuldenfreies Sachkapital angegebenen 4.400 Mrd. DM hätten sich also statt mit 7% mit nur 1,2% verzinst (d.h. exkl. Unternehmerarbeit und -gewinn, unter Einrechnung des Unternehmergewinns etwa 5,9%). Creutz hat mit seiner Annahme einer durchschnittlichen Eigenkapitalverzinsung von 7% die Wirklichkeit also weit verfehlt.

Erklärend dazu ist festzustellen, daß er einerseits die Bezugsgröße (4.400 Mrd. Eigenkapital) zwar nur grob geschätzt hat, aber andererseits auch die tatsächliche Erzielung einer vollen Eigenkapitalverzinsung eine wirklichkeitsfremde Annahme bedeutet. Der Creutz dafür angesetzte Satz von 7% dürfte nur von einigen wenigen, besonders profitablen Unternehmen erzielt werden, zumal auf Dauer! Vielfach werden Sätze um 7% natürlich in den Kalkulationen, soweit diese sich nicht ohnehin am Marktpreis orientieren, vorgegeben, aber letztlich eben meist nicht realisiert. In seiner langjährigen Tätigkeit als Kostenrechner in verschiedenen Unternehmen mußte der Verfasser jedenfalls immer wie die Erfahrung machen, daß bei Vorgabe von Eigenkapitalzinsen die Betriebsergebnis sehr häufig negativ ausfielen, d.h. daß die erwirtschaftete Verzinsung des Eigenkapitals sehr gering war. Eine solche wird daher oft gar nicht kalkuliert, oder es ergibt sich eben unter einem solcherart strengen Maßstab ein „Verlust" (wobei gleichzeitig die normale G.u.V. (3), die Eigenkapitalzinsen nicht ansetzt, positiv sein kann).

Um dieses Zahlenkarussell zu vervollständigen, sei noch darauf verwiesen, daß, wie Creutz auf S. 116 und 270 angibt, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ja eigens die Größe auswirft, um die wir hier so schwer ringen, die Summe der „Vermögenseinkommen": im Jahr 1990 99 Mrd. DM. – Weil ihm dieser Betrag aber als viel zu niedrig erscheint, lehnt Creutz ihn als „fragwürdig" ab und geht, wie wir gesehen haben, in der Berechnung seine eigenen Wege. Dabei hätte er, wie ja von ihm selbst angedeutet, nur die Zinsen für die Staats- und Konsumentenschuld zu diesem saldierten Wert wieder hinzurechnen müssen, um die richtige (Brutto- ) Größe zu bilden. Wenn wir diese beiden Posten mangels Angabe (bei Creutz) auf 93 Mrd. DM veranschlagen (6% für die Staats-, 11% für die Konsumentenschuld), so ergibt sich ein Wert von 192 Mrd. als gesamtes Zinseinkommen, annähernd sich deckend mit den oben auf anderem Wege ermittelten 189 Mrd. DM.

Während die 99 Mrd. eine saldierte Größe von Erträgen (der Vermögensbesitzer) und Kosten (der verschuldeten Haushalte) darstellen, also einen Nettowert, bedeuten die 192 Mrd. DM als Bruttowert die Vermögenseinkommen eben nur der Geld- und Realkapital besitzenden Personen und Unternehmen, wobei die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung als Bezieher dieser Einkommen natürlich nur "Haushalte" annimmt; also Zinseinnahmen der Haushalte ohne Zinsausgaben.

Gegenüber all diesen Werten, die sich im Bereich von 7% bis 10% des Volkseinkommens bewegen, bringt Creutz, abgesehen von der Eigenkapitalverzinsung, immer wieder die allein von den Banken ausbezahlten 257 Mrd. DM ins Spiel. Er verweist zwar darauf, daß davon "etwa ein Drittel für bankinterne Kreditgewährungen" abzuziehen sei, dafür kämen jedoch noch andere Zinsquellen dazu (Versicherungen, Wertpapiere, Anlegerfonds). Creutz führt diese Rechnung aber nicht zu Ende, sondern stützt sich auf die oben dargestellte Globalrechnung, die sich jedoch, wie wir nachgewiesen haben, als unrichtig erweist.

Im übrigen bleibt er in seinen Vergleichen vorwiegend bei den verausgabten und vereinnahmten Bankzinsen. Diese sind aber Bruttowerte, die hin und hin in Buchhaltung und Rechnungswesen in mehrfacher Hinsicht erst saldiert werden müssen, um sinnvolle Zahlen und einwandfreie Aussagen zu erhalten. Viele Unternehmen und Private erhalten für eine bestimmte Periode sowohl Zinsgutschriften als auch Zinsbelastungen; sie verfügen ja meist über mehrere Konten, Depots, Kredite usw., sie disponieren um, nehmen Zwischenkredite auf, geben Wertpapiere als Pfand usw. In all diesen Fällen muß für die Gesamtperiode erst ein Saldo gebildet werden, um das wirkliche Zinseinkommen zu ermitteln.

SCHLUßFOLGERUNGEN

Wenn nun die gesamten Zinseinkommen etwa 10% des Volkseinkommens betragen, dann können auch die durchschnittlich in den Preisen enthaltenen Zinskosten nicht mehr als 10% ausmachen. In weiterer Folge können dann die hinsichtlich der angeblichen „Zinsausbeutung an der Mehrheit der Bevölkerung" genannten „30 bis 50 Prozent" nicht stimmen. Damit aber entschärft sich das Verteilungsproblem ganz erheblich. Denn wenn – zumindest laut amtlicher Statistik – sich fast 80% der Einkommen als Arbeitseinkommen herausgestellt haben, so kann es „Ausbeutung" dieser Art im Einzelfall zwar immer noch geben, aber sie ist begrenzt und damit kein gravierend gesamtgesellschaftliches Problem.

Hinzuzufügen wäre noch, daß Zinskosten nicht immer und vor allem nicht automatisch im Preis weitergegeben werden können, vor allem nicht unter den harten Wettbewerbsverhältnissen unserer Zeit. Daß die Kosten (alleine) den Preis bestimmen, ist eine längst überholte Lehrmeinung aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Selbst wenn man davon spricht, daß Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, ist zu beachten, daß die Kosten zwar zur Größe Angebot gehören, diese aber nicht zur Gänze bestimmen, vor allem nicht die Kosten der einzelnen Betriebe, sondern höchstens jene der Grenzbetriebe, und auch das nur auf lange Sicht. Das zweite Element aber, die Nachfrage, hat mit der Höhe der Kosten überhaupt nichts zu tun.

Kosten und (Verkaufs-) Preise sind also nicht dasselbe, die Kosten sind nur eine unter mehreren Einflußgrößen für das Preisniveau. Was nun im speziellen die Zinskosten betrifft, so wirken diese grundsätzlich nicht preistreibend, sondern prinzipiell preissenkend. Denn der entsprechende Einsatz von Kapital erfolgt – als ausdrückliche Entscheidung des Unternehmers – wahlweise zu anderen Produktionsfaktoren (meist Arbeit) und zwar einzig und allein mit dem Zweck, die Gesamtkosten zu senken und billiger anbieten zu können. Kapital wird nur insoweit eingesetzt, als es produktiver als menschliche Arbeit ist. Die hinzukommenden Zinskosten werden durch niedrigere Arbeitskosten überkompensiert.

Das kann nun zwar, wenn dem durch die Politik nicht entsprechend entgegengewirkt wird, unerwünschte Folgen in sozialer Hinsicht haben, bezüglich der Preis- bzw. Geldentwicklung ist der Effekt aber ein positiver.

Das Gerede von den „versteckten Zinsen im Preis", der „Zerstörungsmaschinerie des Zinses", „Ausbeutung der Mehrheit durch eine Minderheit" usw. entpuppt sich also als völlig ungerechtfertigt, sobald man sich die Dinge etwas genauer ansieht.

(1) CREUTZ, a.a.O. [Helmut CREUTZ, Das Geldsyndrom - Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft, München 1995] 206.
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(2) CREUTZ, a.a.O. 208.
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(3) d.h. Gewinn- und Verlustrechnung; d. Hg.
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