Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein,
1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
Orginalausgabe 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
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13. Kapitel
Staatsverschuldungen
„Die Verschuldung der öffentlichen Hände
beginnt zu einer wirklichen Bedrohung un-
seres Gemeinwesens zu werden. Das Ver-
trauen der Bevölkerung in die Fähigkeit, die
immer weiter ausufernde Staatsverschul-
dung zu bändigen, ist praktisch geschwun-
den.“
Kurt Biedenkopf *
* Ministerpräsident von Sachsen, „Die Welt“, 28.11.1989
Als Ronald Reagan Anfang 1981 Präsident der USA wurde, hat er
den Bürgern die Schwere seines Amtes vor der Fernsehkamera
demonstriert. Er zeigte ihnen ein Paket Dollarnoten im Wert
einer Million und verwies darauf, daß die gesamte Staatsverschul-
dung, in den gleichen Geldscheinen aufeinandergetürmt, eine
Höhe von 70 Kilometern habe. Als er acht Jahre später sein Amt
verließ, hat er diese Demonstration aus gutem Grund nicht wie-
derholt: Die aufeinandergetürmten Dollarnoten der Staatsschuld
hatten nämlich in seiner Regierungszeit eine Höhe von über 200
Kilometern erreicht. Glücklicherweise war sein Nachfolger Bush
von der gleichen Partei, so daß dieser sich die Show verkneifen
mußte, und Clinton war so klug, sich nicht vorschnell festzulegen.
Wie rasch sind die Staatsschulden in den USA gewachsen?
In den USA ist die öffentliche Verschuldung in den 80er Jahren
von 1 000 Mrd. Dollar auf 3 000 Mrd. angestiegen. Der durch-
schnittliche Anstieg lag also bei 200 Mrd. im Jahr, pro Banktag bei
800 Millionen Dollar. Alleine von der staatlichen Finanzverwal-
tung in den USA wurden also täglich für 800 Mio. Dollar Neukre-
dite geordert, und zwar zusätzlich zu der noch größeren Nachfrage
durch Unternehmen und Privathaushalte. Und da in den USA die-
sem wachsenden Kreditbedarf keine ausreichenden Ersparnisse
gegenüberstanden, mußte man die benötigten Mittel zunehmend
im Ausland aufnehmen, vor allem in Japan und in der Bundesre-
publik. Die öffentlichen Haushalte in den Vereinigten Staaten le-
ben also nicht nur über ihre Verhältnisse, sie müssen auch noch
jedes Jahr höhere Zinszahlungen an ausländische Gläubiger lei-
sten. Das aber ist mit entsprechenden Reichtumsabflüssen aus den
USA verbunden. Verhindern könnten die USA diesen Abfluß
nur, wenn sie im Umfang der wachsenden Auslandsverschuldung
ihre Exportüberschüsse steigern würden. In Wirklichkeit aber
werden die Folgen der Überschuldung noch durch ein Außenhan-
delsdefizit verschärft.
Am 6. Februar 1991 schrieb das „Handelsblatt“ dazu:
„Als die Reagan-Bush-Administration 1981 antrat, um die "fis-
kalpolitische Verantwortungslosigkeit" der Demokraten zu be-
enden und den Haushalt bis 1984 auszugleichen, hatten alle
Präsidenten seit George Washington insgesamt Staatsschulden
in Höhe von 925 Milliarden Dollar aufgehäuft. Sie haben sich
seither in etwa vervierfacht, und mit rund 200 Milliarden liegt
der Netto-Zinsaufwand pro Jahr mittlerweile fast so hoch wie
die gesamten Kosten des Staatsbetriebs ohne Militär und Trans-
ferzahlungen.“
Doch wenden wir uns lieber der eigenen Haustür zu!
Ist auch die Staatsverschuldung in der Bundesrepublik ein Problem?
Als Helmut Kohl 1982 das Kanzleramt antrat, hat er die von ihm
übernommene Bundesschuld nicht mit Geldscheinbündeln, son-
dern in seiner Regierungserklärung am 13.10.1982 nur verbal an-
geprangert:
„Ende dieses Jahres wird sich der Schuldenstand des Bundes
auf über 300 Milliarden DM erhöhen; bei Bund, Ländern und
Gemeinden zusammengenommen auf über 600 Milliarden DM,
mit Bahn und Post zusammen addiert auf rund 700 Milliarden
DM. Allein der Zinsendienst der öffentlichen Hand wird Ende
dieses Jahres rund 60 Milliarden DM betragen. . . Die Neuver-
schuldung reicht kaum noch aus, um die jährliche Zinslast zu
bezahlen.“
Liest man den letzten Satz, dann hätte man eigentlich schon da-
mals stutzig werden müssen. Denn er besagt inhaltlich genau das,
was wir seit 1981 den überschuldeten Entwicklungsländern dau-
ernd vorgeworfen haben, nämlich daß sie die Zinsen ihrer alten
Schulden mit neuen Schulden bedienen.
Was aber hätte eine Demonstration à la Reagan für Kohl an
Möglichkeiten geboten? Nun, eine Million Mark in zehn Bündeln
von je hundert 1000-Mark-Scheinen hätte auch er leicht mit einer
Hand fassen können. Und die von ihm damals übernommene
Staatsschuld hätte aufeinandergestapelt mit 70 Kilometern Höhe
jener Dollarsäule nicht nachgestanden. Bei welchem Kilometer-
stand Helmut Kohl sein Amt einmal verlassen wird, bleibt abzu-
warten. Ende 1992 war die Säule mit 1400 Mrd. jedenfalls schon
140 Kilometer hoch.
1.311.000.000.000 Mark Deutschlands Schulden
Guten Morgen, lieber Leser. Schön, daß Sie aufge-
wacht sind. Am besten, Sie legen sich gleich wieder
hin. Aber Sie werden keinen Schlaf mehr finden.
Denn in den 20 Sekunden, in denen Sie diese Zei-
len lesen, mußte Deutschland rund 80.000 Mark Zin-
sen für seine Staatsschulden zahlen. Pro Tag sind's
363 Millionen. Insgesamt beträgt die Staatsverschul-
dung 1311 Milliarden Mark. Kurz gesagt 1,3 Billio-
nen, ausgeschrieben 1.311.000.000.000 Mark. Und
es werden immer mehr.
Mit dieser Nachricht begrüßte „Bild“ bereits am 4. 3. 1992 die auf-
gewachten Leser, die sicher mit den vielen Nullen ihre Schwierig-
keiten hatten. Leider werden sie durch den Text auch noch in die
Irre geführt, denn „Deutschlands Schulden“ bestehen nicht nur
aus jenen des Staates, vielmehr kommen die Schulden der Wirt-
schaft und der Privathaushalte noch hinzu. Wie wir gesehen ha-
ben ergibt sich daraus eine fast viermal so große Gesamtbelastung
an Schulden und zu zahlenden Zinsen.
Wie verhält sich die Staatsverschuldung zu den Staatseinnahmen?
Der Vergleich Einnahmen und Lasten entscheidet immer über die
Tragbarkeit von Verschuldungen. 1950 waren die gesamten öf-
fentlichen Schulden noch genauso hoch wie die gesamten Steuer-
einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden. Bis 1960 war die
Gesamtverschuldung auf 81 Prozent der Jahres-Steuereinnahmen
zurückgegangen und 1970 sogar auf 77 Prozent. Von da an ging es
wieder bergauf: 1980 lag die Schuldenquote bereits bei 127 Pro-
zent, und 1990 hatte sie den Satz von 184 Prozent erklommen.
Gemessen an den Steuereinnahmen, stieg die Staatsschuld also
von 1970 bis 1990 auf das 2,4fache an. Der Überanstieg der öffent-
lichen Schulden ist also keinesfalls nur eine Folge der Vereinigung
der beiden deutschen Staaten, wie es heute oft hingestellt wird.
Diese seit zwei Jahrzehnten andauernde Überschuldung wird
besonders deutlich, wenn man sich die Entwicklung beim größten
öffentlichen Schuldenmacher ansieht, also der Bonner Regie-
rung:
Wie die Darstellung 29 erkennen läßt, sah bis 1973 alles noch
ganz manierlich aus. Die Verschuldung des Bundes lag etwa bei
der halben Höhe der Bundeseinkünfte und entwickelte sich par-
allel dazu. Ab 1974 jedoch begann der überproportionale Anstieg.
1977 hatte die Schuld bereits die Bundeseinkünfte erreicht, und
die Schere zwischen beiden Größen begann sich zu öffnen.
Der Überanstieg der Bundesschulden zeichnet sich auch deut-
lich ab, wenn man - wie in den Kreisen der Grafik - die Schulden-
höhe an der Wirtschaftsleistung mißt, also am Sozialprodukt.
Während die Verschuldung 1970 noch bei sieben Prozent dieser
Leistungsgröße lag, hatte sie 1990 mit 23 Prozent mehr als den
dreifachen Satz erreicht. Zusammen mit den hier nicht erfaßten
vereinigungsbedingten Sonderlasten, die inzwischen vom Bund
übernommen wurden, eneichte die Gesamtschuld mit 1286 Mrd.
DM Ende 1995 bereits 37 Prozent des BSP.
Angesichts dieser Entwicklung kann man nur fragen, wann der
einst so fette Bundesadler endgültig zu einem gerupften Pleite-
geier verkommt. Doch ist diese ausufernde Staatsverschuldung
keinesfalls nur eine Frage der Belastung oder der schwindenden
Bewegungs- und Gestaltungsfreiheit im politischen Alltag. Sie hat
auch andere schwerwiegende Folgen, die oft nicht genügend
beachtet werden, z. B. im ökologischen Bereich. Darauf hat u. a.
der Bundes-Arbeitskreis Wirtschaft und Finanzen des BUND in
einer Analyse des Bundeshaushaltsplans 1992 hingewiesen:
Darstellung 29
„Der Anstieg der Staatsverschuldung ist aus mehreren Grün-
den bedenklich. Erstens bewirkt eine Ausweitung der Staats-
nachfrage grundsätzlich eine Zurückdrängung privater Investi-
tionen, bedingt durch steigende Zinssätze. Zweitens sinkt die
Flexibilität der Haushaltspolitik, da ein immer größerer Teil für
Zinszahlungen und Tilgung aufgebracht werden muß. Und drit-
tens ist der Staat wegen der zunehmenden Verschuldung ge-
zwungen, an seiner an Wachstum orientierten Politik festzuhal-
ten, um den Schuldenberg mit wachsendem Steueraufkommen
zu bewältigen. Wirtschaftswachstum ist jedoch mit schwerwie-
genden Folgen für die Umwelt verbunden. Durch Wirtschafts-
wachstum werden erhebliche ökologische Folgekosten produ-
ziert, die die Mehreinnahmen überkompensieren können und
gleichzeitig zu irreparablen Umweltschäden führen.“
Warum sind Staatsverschuldungen besonders folgenschwer?
Wer einen Kredit aufnimmt, schafft damit normalerweise Dauer-
werte, mit deren Hilfe er den Kredit mit Zinsen bedienen und
eines Tages zurückzahlen kann. Diese Dauerwerte, z. B. Ge-
bäude oder Produktionsanlagen, dienen gleichzeitig der Absiche-
rung des Geldgebers bzw. der geldgebenden Bank. Denn notfalls,
wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist, kann der Kreditgeber auf
diese Werte zurückgreifen. Entweder, indem er das Objekt selbst
nutzt, es verpachtet oder aber versteigern läßt. Natürlich ist diese
Absicherung selbst bei Immobilien keine volle Garantie. Denn
werden viele Schuldner zeitgleich zahlungsunfähig, kann auf-
grund des Überangebots der Tageswert der Immobilien unter die
Verschuldungshöhe fallen. So gingen beispielsweise die Immobi-
lienpreise in Großbritannien von 1988 bis 1991 um 25 Prozent zu-
rück, weil aufgrund der Rezession Zehntausende von Häusern
versteigert werden mußten.
Bei Staatsverschuldungen ist die Lage, zumindest anfangs, gün-
stiger. Staaten sind die einzigen Schuldner, die eine dauernd spru-
delnde Geldquelle haben, auf die sie nach Bedarf zurückgreifen
können, nämlich den Steuerzahler. Wie fragwürdig allerdings
auch diese Quelle werden kann, zeigt uns die Geschichte. Zu die-
sen Sackgassenentwicklungen, aus denen sich auch ein Staat nicht
mehr herausmogeln kann, kommt es manchmal schneller, als man
denkt. Vor allem, wenn verantwortungslose Politiker im Hinblick
auf Wahlen (und solche stehen immer an) lieber neue Schulden
machen, als an das Portemonnaie der Bürger heranzutreten.
Über dieses Verhalten macht sich selbst die Bundesbank mit
vorsichtigen Worten Sorgen:
„Der durch Wahltermine "verkürzte Zeithorizont" und die
mangelnde politische Repräsentanz künftiger Generationen
sind zwei der Hauptfaktoren, die in der Demokratie eine. . .
Tendenz zur überhöhten Staatsverschuldung bewirken.“
So Prof. Dr. Otmar Issing, Mitglied des Direktoriums der Deut-
schen Bundesbank, in einem Vortrag in Innsbruck am 6. 3.1992.
Was als Sicherheit für den Geldgeber verbleibt, sind zwar auch
bei Staatsschulden überwiegend Dauerwerte. Aber was können
Gläubiger mit den Dauerwerten des Staates anfangen? Zum Bei-
spiel mit einer Turnhalle oder einem Stück Autobahn? Mit einer
Kaserne, einer Kanone oder einer Kläranlage?
So pünktlich und zuverlässig der Staat also auch über Jahre und
Jahrzehnte hinweg die Zinsen für seine Schulden zahlen mag (all-
zuoft mit neuen, wiederum verzinslichen Krediten finanziert!): an
irgendeiner Stelle platzt einmal der Ballon, mit oder ohne Revolu-
tion und Bürgerkrieg. Und was dann die Gläubiger noch erhalten
werden, gehört in das Reich der Spekulation, die wir anderen
überlassen wollen.
Wie sieht die Staatsverschuldung in den anderen europäischen Ländern aus?
Vergleicht man den Stand der Staatsverschuldungen in Europa,
gemessen an der Wirtschaftsleistung, dann geht es uns noch recht
gut: Auch 1992 gehörten wir immer noch zu den Musterknaben.
Mit 46 Prozent Staatsschulden, bezogen auf das Sozialprodukt,
lagen wir mit Spanien und Schweden gleichauf. Geringer ist der
Satz mit etwa 30 Prozent nur in der Schweiz und mit 38 Prozent in
Großbritannien. Großbritannien ist übrigens der einzige westeu-
ropäische Staat, der seine öffentlichen Schulden in den letzten
zwei Jahrzehnten relativ verringern konnte. Allerdings z. T. mit
fragwürdigen Methoden, wie dem Ausverkauf staatlicher Versor-
gungseinrichtungen, vor allem von Elektrizitäts- und Wasserwer-
ken. Auch auf Kosten der sozial schwachen Bevölkerungsschich-
ten hat sich der britische Staat saniert. Nicht zuletzt als Folge
dieser Maßnahmen sind für rund 30 Prozent der Briten in den letz-
ten zehn Jahren die Realeinkommen gesunken, und das trotz all-
gemeinen Wirtschaftswachstums. Alle übrigen westeuropäischen
Länder haben höhere Staatsverschuldungsquoten als die Bundes-
republik. Spitzenreiter sind Italien, Irland und Belgien, bei denen
die Verschuldungsgrößen das jährliche Sozialprodukt deutlich
übersteigen. Das heißt, die relative Verschuldung ist in diesen
Ländern mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland; in Italien
sogar fast dreimal so hoch. Dort gibt der Staat jeden Tag inzwi-
schen an die 800 Mio. DM mehr aus, als er einnimmt. Wir haben
erst ein Viertel dieser Spendabilitätssätze erreicht.
Wie Italien, Irland und Belgien bis 1996 bzw. 1999 ihre Ver-
schuldung auf die EG-Norm von 60 Prozent des Sozialprodukts
zurückführen sollen und wollen, bleibt schlicht ein Rätsel.
Und wie ist das in Osteuropa?
Hier sind die Entwicklungen so offen, daß alle Aussagen für die
Zukunft nur Spekulationen sein können. Man kann nur hoffen,
daß es in einigen der Länder nicht zur Wiederholung dessen
kommt, was in Jugoslawien vor unseren Augen geschieht.
Lohnend in bezug auf die Staatsverschuldung Osteuropas ist je-
doch ein Rückblick ins vergangene Jahrzehnt. Denn der Zusam-
menbruch der Ostblockstaaten war nicht zuletzt auch eine Folge
der eingetretenen Überschuldung. Das geht aus der nachfolgen-
den Darstellung 30 hervor, in der die Entwicklungen der Aus-
landsschulden in den RWG-Staaten von 1980 bis 1989 eingetragen
sind. Wie erkennbar, war Polen Spitzenreiter bei der Westver-
schuldung. Die sogenannte Schuldenkrise brach auch nicht erst
1982 in Lateinamerika aus, sondern bereits 1981 mit der Zahlungs-
unfähigkeit Polens. Rückblickend schrieb dazu das „Handels-
blatt“ am 14.11.1991:
Auslandsverschuldung der Ostblockstaaten / 1980-1989
Quelle: RWG-Statistiken
Darstellung 30
„Obgleich zahlungsunfähig und von den internationalen Kapi-
talmärkten verdrängt, stieg die polnische Auslandsverschul-
dung von 1981 bis 1990 von 26 auf 48 Milliarden Dollar. Die
Verdoppelung der Auslandsschuld resultierte ausschließlich
aus der Nichtbezahlung fälliger Zinsen; es wurde kein einziger
Dollar getilgt oder als Realkapital zur Stärkung der polnischen
Exportwirtschaft importiert.“
In diesen wenigen Sätzen zeichnet sich das Schicksal all jener Staa-
ten ab, die sich für die Bedienung ihrer Schulden immer wieder
neu verschulden müssen. Dieses Schicksal dürfte auch den mei-
sten anderen RWG-Staaten den Todesstoß gegeben haben.
Auffallend ist in der Grafik, daß die Verschuldungsentwicklung
bei den meisten Ostblockstaaten in der ersten Hälfte der 80er
Jahre deutlich nach unten zeigt. Das dürfte mit dem Fall der Zins-
sätze, aber auch mit der Zurückhaltung westlicher Banken zusam-
menhängen, diesen Ländern nach den Erfahrungen mit Polen wei-
tere Kredite zu gewähren. Möglicherweise war es aber auch ein
(vielleicht abgesprochener) Versuch der RWG-Länder, sich aus
den Fesseln westlicher Verschuldung zu befreien. Doch angesichts
der maroden Wirtschaftsverhältnisse bestand dazu kaum eine
Chance. Durchgehalten hat das allein Rumänien. Es konnte nach
den RWG-Statistiken seine Schulden von nahezu 10 Mrd. Dollar
1981 bis 1989 auf eine Milliarde herunterfahren. Unter welchen
Opfern für die Bevölkerung dies geschah, ist bekannt. Ohne dem
Weltwährungsfond anzugehören, hat Rumänien in schärfster
Weise jene Rezepte praktiziert, die dieses Gremium im allgemei-
nen den überschuldeten Staaten empfiehlt.
Auch in der ehemaligen DDR fällt die Auslandsschuld im We-
sten von zwölf Milliarden Dollar Anfang der 80er Jahre auf knapp
sieben Milliarden 1985 zurück, um anschließend, ähnlich wie in
der UdSSR, in wenigen Jahren auf vorher nicht erreichte Größen
hochzuschießen. Hier spielte sich im Prinzip das gleiche ab wie in
Polen. Das geht aus den Worten des Devisenbeschaffers Schalck-
Golodkowski hervor, den „Die Zeit“ am 11. 1. 1991 zitiert:
„Der Präsident der Außenhandelsbank, Professor Polze,
mußte jährlich, allein um die Zahlungsfähigkeit des Staates zu
sichern, neue Kredite in Höhe von fünf bis sechs Milliarden
D-Mark aufnehmen. Wir hatten ja nicht nur die laufenden Ein-
fuhren zu bezahlen, sondern auch die Zinsen für die Schulden
und die Zurückzahlung aufgenommener Kredite. Uns haben
die Zinsen erdrückt, die Zinslast war gewaltig.“
Angesichts dieser milliardenschweren Überschuldungen, in die
die Ostwirtschaften bei dem Versuch, mit dem Westen gleichzu-
ziehen, geraten waren, mutet es fast rührend an, wie gerade jener
Schalck-Golodkowski den Machthabern in Ost-Berlin mit den
verschiedensten, oft illegalen Tricks selbst Kleckerbeträge harter
Devisen aus dem Westen beschaffen mußte.
Über die Situation in der ehemaligen UdSSR mag ein Auszug
aus der „Börsenzeitung“ vom 25. 8. 1989 Auskunft geben, auch
wenn sich die darin erwähnten Problementwicklungen inzwischen
mehrfach überschlagen haben:
„Der Staatshaushalt der UdSSR weist nach Berechnungen des
DIW 1989 ein Rekorddefizit von 100 Mrd. Rubel oder etwa 10
Prozent des Bruttosozialprodukts auf. Seine Finanzierung er-
folgte überwiegend durch die Notenpresse, so daß die Inflation
zugenommen hat. Der Geldüberhang wird offiziell auf 70 bis 80
Mrd. Rubel geschätzt, inoffiziell ist von der doppelten Summe
die Rede. Die Auslandsverschuldung der UdSSR von 54 Mrd.
Dollar und ihr Schuldendienst von 19 Mrd. Dollar im Jahr lie-
gen erheblich höher als angenommen.“
Wie glücklich wären Jelzin und die anderen Regierenden der
GUS-Staaten, wenn diese Sätze heute noch Gültigkeit hätten!
Das gilt vor allem für die Inflation, in deren Folge der Wert des
Rubels bereits Ende 1992 auf 0,3 Pfennig abgesunken war. Wer
bei diesen Relationen einem Russen einen 10-Mark-Schein
schickt, verschafft ihm mehr Kaufkraft, als er in einem Monat ver-
dienen kann. Daß bei solchen Zuständen nicht nur der Außenhan-
del zusammenbricht, sondern auch die Arbeitsmoral und damit
das ganze Wirtschaftsgefüge, liegt auf der Hand.
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Kapitel aus: Helmut Creutz: Das Geldsyndrom; Ullstein,
1997, 4. Auflage; ISBN 3-548-35456-4
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