| Forschungsschwerpunkte |
In den letzten Jahren wurde unser Kenntnisstand über die Wirkweise von Estrogenen bedeutend erweitert. Es konnte bewiesen werden, daß der Estrogenrezeptor (ER) nicht nur ein ligandeninduzierbarer Transkriptionsfaktor, sondern auch ein Mediator für bekannte intrazelluläre Signalwege in verschiedensten Zelltypen ist. Vom Estrogenrezeptor sind bis jetzt zwei Subtypen bekannt, die auch einer unterschiedlichen Verteilung im Körper unterliegen.
Diese Erkenntnis sollte zu neuen Strategien für die Behandlung zellproliferativer, neurodegenerativer und kardiovaskulärer Erkrankungen führen. Die Entwicklung neuerartiger, nebenwirkungsarmer selektiver Estrogenrezeptormodulatoren (SERM) wird deshalb sehr stark forciert. Nach dem heutigen Stand der Forschung sollten SERM vorzugsweise nur an eine der ER-Isoformen binden. Auch der Entwicklung kleiner Moleküle, welche die Wechselwirkung des ER mit seinen Coaktivatoren beeinflussen, wird heute hohe Bedeutung beigemessen. Diese Substanzen sollten gewebsspezifisch wirkende Medikamente darstellen, die zwar die positiven Effekte von Estrogenen entfalten, aber keine proliferativen Auswirkungen auf Brust oder Gebärmutterschleimhaut haben. Für die Entwicklung derartiger Wirkstoffe wird in unserem Arbeitskreis nach neuen Leitstrukturen gesucht.
Bislang wird immer noch davon ausgegangen, daß alle hormonell wirkende Substanzen in identischer Weise an den Estrogenrezeptor binden. Wir konnten aber zeigen, daß am Estrogenrezeptor verschiedene Anker für die Bindung von Estrogenen existieren. Die von uns entwickelten estrogen wirksamen Verbindungen des 2,3-Diphenylpiperazin-, des 4,5-Diphenyl-2-imidazolin- sowie des 4,5-Diphenylimidazol-Typs (Typ-II-Estrogene) binden in der synklinal-Konformation der pharmakophoren 1,2-Diphenylethan-Einheit an den Estrogenrezeptor. Diese Interaktion unterscheidet sich grundlegend von der des Estradiols, Diethylstilbestrols oder verwandten Substanzen (Typ-I-Estrogene). Durch Molecular Modelling Studien gelang es uns ein Bindungsstellenmodell für Typ-II-Estrogene zu entwickeln, daß für die Entwicklung neuer SERM hohe Bedeutung erlangt.
Im Rahmen des von der Forschungskommision der Freien Universität Berlin geförderten Forschungsschwerpunktes „Untersuchungen zu Signaltransduktion und cross talk nukleärer Rezeptoren in epidermalen und entarteten Zellen“ bzw. des von der DFG geförderten Projektes „Struktur-Wirkungs-Studien an neuartigen hormonell-wirksamen Verbindungen - Entwicklung eines Bindungsstellenmodells für neue selektiv wirkende Estrogenrezeptor-Modulatoren“ werden die Voraussetzungen für die Bindung an diese „Nebenbindungsstellen“ erarbeitet. Dazu werden weitere Modellsubstanzen synthetisiert und deren dreidimensionale Strukturen durch NMR- und Molecular-Modelling-Studien aufgeklärt. Die Bindung der Wirkstoffe wird auf molekularer Ebene, im Luciferase Assay an der MCF7-2a-Zellinie, die das stabil transfizierte Plasmid EREwtc luc enthält verfolgt. Zusätzlich werden Estrogenrezeptorstudien im Ganz-Zell-Assay (MCF7-Zellen) und an Kalbsuteruszytosol durchgeführt.
Die erhaltenen Ergebnisse sollen auch dazu verwendet werden, Wirkstoffe zu entwickeln, die zwar an den Estrogenrezeptor binden, aber nicht die starken, von steroidalen Estrogenen bekannten, Nebenwirkungen aufweisen. Dabei soll die Selektivität der Wirkstoffe für die ER-Subtypen ERa und ERß durch gezielte Strukturmodifikation erhöht werden. Zur Evaluierung der neuen Wirkstoffe wird das bestehende Testsystem derzeit durch weitere molekularbiologische Verfahren zur Unterscheidung der Interaktionen mit reinen ER-Subtypen ergänzt. Dazu gehört auch die Quantifizierung der Interaktion von Rezeptor/Wirkstoff-Dimeren mit der DNA unter Verwendung der Fluoreszenz-Korrelations-Spektroskopie.
Eine der großen wissenschaftlichen Herausforderungen ist das Auffinden und Entwickeln neuer Wirkstoff für die Behandlung maligner Tumoren. Die derzeit in der Therapie eingesetzten Zytostatika unterscheiden nicht zwischen gesundem und entartetem Gewebe und greifen besonders schnellproliferierende Zellen an. Dies hat schwerwiegende Nebenwirkungen, wie z. B. eine Schädigung der Knochenmarkszellen (Myelosuppression) zur Folge.
Aus diesem Grund wird verstärkt nach neuen Medikamenten gesucht, die selektiv in Tumorzellen angereichert werden oder selektiv in biochemische Vorgänge in der Tumorzelle eingreifen. Somit könnte eine bessere Verträglichkeit bei geringeren Nebenwirkungen erzielt werden. Nachstehend werden die von uns verfolgten Ansätze kurz beschrieben.
In den letzten Jahren treten synthetische Polymere als Carriermoleküle für Zytostatika immer mehr in den Vordergrund. Polymere haben den Vorteil, daß sie für einen Zytostatikatransport maßgeschneidert werden können und zudem, im Gegensatz zu Antikörpern, keine Immunantwort hervorrufen. Verglichen mit Liposomen sind sie wesentlich stabiler im Blutstrom und werden nicht phagozytiert. Der wichtigste Vorteil von Polymeren liegt aber in ihrer Größe. Während kleine Moleküle in alle Zellen gelangen, können Polymere nur durch Pinozytose aufgenommen werden. Dies tritt durch die ungewöhnliche Gefäßstruktur in Tumoren besonders häufig auf; die Tumorzellen sind quasi porös für große Moleküle. Auf diese Weise können Polymer/Wirkstoff-Konjugate in Tumorzellen angereichert werden, was die systemische Toxizität entscheidend verringert.
Eine neue Klasse hochverzweigter Polymere stellen Dendrimere dar, die auch als Carrier für Wirkstoffe verwendet werden können. Im Vergleich zu anderen klassischen Polymeren und Oligomeren haben Dendrimere einige Vorteile. Dendrimere werden in der Regel nicht durch Polymerisation erhalten und liegen deshalb monodispers vor. Sie können in sphärischer oder linear gestreckter (zylindrischer) Form synthetisiert werden und ihre Oberfläche kann mit verschiedenen funktionellen Gruppen belegt werden. Damit können Wirkstoffe kovalent oder durch elektrostatische Wechselwirkungen gebunden werden. Die freien, nicht wirkstoffbelegten Gruppen bewirken eine hohe Wasserlöslichkeit, so daß Dendrimer/Wirkstoff-Konjugate intraperitoneal, subcutan, aber auch per oral appliziert werden können. Geklärt werden muss allerdings noch, welche Größe für Dendrimere optimal ist, und wie hoch die Beladungsdichte mit Wirkstoffen sein muß.
Im Rahmen dieses Projektes sollen Zytostatika/Dendrimer-Konjugate entwickelt und auf ihre Eignung als Tumortherapeutika untersucht werden. Die Bindung der Zytostatika kann so erfolgen, daß erst nach Aufnahme der Konjugate in die Tumorzelle die Freisetzung der Wirkstoffe erfolgt. Dies ist z.B. bei Einsatz säurelabiler Spacer der Fall, da im Vergleich zu gesundem Gewebe in Tumorzellen ein relativ niedriger pH-Wert von ca. 5.5 vorliegt. Die Brauchbarkeit neuer Dendrimere als Carrier soll zuerst am Beispiel von Platinkomplexen untersucht werden, da für analytische Untersuchungen von platinhaltigen Zytostatika etablierte Analysenmethoden zur Verfügung stehen. Als Wirkstoffe werden die in der Klinik verwendeten Komplexe Cisplatin und Carboplatin sowie hochaktive [Ethylendiamin]dichloroplatin(II)-Komplexe eingesetzt. Die Platinkomplex/Dendrimer-Konjugate werden auf Löslichkeit, Stabilität, Reaktivität, Pharmakokinetik und Antitumorwirkung untersucht. Um den Einfluß der Makromoleküle auf diese Eigenschaften der Zytostatika quantifizieren zu können, erfolgt eine vergleichende Testung der Platinkomplex/Dendrimer-Konjugate und der ungebundenen Komplexe. Basierend auf diesen Untersuchungen erfolgt eine Optimierung der Dendrimere, der Wirkstoffe und der Polymerbindung. Letztendlich ist das Ziel dieses Projektes die Entwicklung neuer Wirkstoff/Träger-Kombinationen, die einen breiteren Einsatz von Zytostatika in klinischen Anwendungen ermöglichen.
Neben intakten Zytostatika können aber auch zytotoxische Gruppen z.B. die N-Lost- oder die PtCl2-Gruppe des Cisplatins mit geeigneten Carrierliganden kombiniert werden. Die Art des Carrierliganden richtet sich nach dem System, welches für den Transport gewählt wird. Für die Therapie des hormonabhängigen Mammacarcinoms kann z.B. das Estrogenrezeptorsystem verwendet werden. In diesem Fall kann auch auf das Bindungsstellenmodell für Typ-II-Estrogene zurückgegriffen werden. Nach diesem Konzept wurden von uns [1,2-Diphenylethylendiamin]platin(II)-Komplexe entwickelt, deren spezifische Wirkung an verschiedenen Tumoren durch die Substituenten in den Aromaten bestimmt wird. Einer der interessantesten Vertreter ist der [meso-1,2-Bis(2,6-dichlor-4-hydroxyphenyl)-ethylendiamin]dichloroplatin(II)-Komplex, der im Tierversuch hochaktiv am R3327-Prostatakarzinom und DMBA-induzierten Mammakarzinom ist. Seine Wirkung entfaltet der Komplex als echtes Estrogen, seine zytotoxische Potenz ist gering. Unter Zuhilfenahme von NMR-Spektroskopie und Röntgenstrukturanalyse, in Verbindung mit Molecular Modelling und Kraftfeldrechnung, konnten wir die strukturellen Voraussetzungen für die Estrogenrezeptorbindung von [1,2-Diphenylethylendiamin]platin(II)-Komplexen ermitteln. Analog der Typ-II-Estrogene binden die hormonell wirksamen Platinkomplexe über synklinalständige, d.h. in Nachbarstellung befindliche Aromaten, an den Rezeptor.
Ein Highlight dieses Projektes ist das Design von Cisplatinderivaten, die an den Estrogenrezeptor binden, aber keine Agonisten sondern Antagonisten darstellen. Ein derartiges Wirkprofil zeigen 1,1,2-Triphenylethylendiamin]platin(II)-Analoga, die für die Therapie des Mammakarzinoms von Interesse sind. Derzeit wird nach geeigneten Substituenten in den drei Aromaten gesucht, welche die hormonellen Effekte optimieren. Zusätzlich wird der Einfluß der Substituenten und der Abgangsgruppen auf die pharmakokinetischen Eigenschaften und die Antitumorwirkung untersucht.
In Kooperation mit Prof. Abram, FU Berlin, wurden Goldkomplexe mit Thiosemicarbazon-Liganden entwickelt. Erste Ergebnisse zeigen, daß diese Wirkstoffe im nanomolaren Bereich aktiv sind. Sie sind anderen metallorganischen Verbindungen damit überlegen.
Ein neues Target für die Entwicklung von Wirkstoffen für die Tumortherapie
stellt die Histondeacetylase dar. Als Leitstruktur für neue Zytostatika wurde
Trichostatin A gewählt, welches das Wachstum von Tumorzellen im nanomolaren
Bereich hemmt. In Kooperation mit Herrn PD Jung, Universität Münster, konnten
zytotoxisch wirkende HD-Hemmer entwickelt werden.
Naturstoffe, die sich von Genistein ableiten, können Phytoestrogene darstellen und estrogenrezeptorvermittelt ihre hormonelle Wirkung entfalten. Zytotoxische Effekte dieser Wirkstoffe sind aber sehr oft auf ihre Tyrosinkinase-hemmende Wirkung zurückzuführen. In Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Prof. Löwe, Berlin werden neue Arzneistoffe des Isoflavon-Typs für die Therapie hormonabhängiger Tumoren entwickelt. Eine Erweiterung des vorhandenen Testsystems für diese Fragestellung ist in Vorbereitung. Ein Patent über neue Wirkstoffe ist eingereicht.
Ein pharmazeutisch interessanter und therapeutisch vielversprechender Ansatz für künftige Krebstherapien sind Farnesyltransferasehemmstoffe.
In Kooperation mit Herrn PD Dr. Martin Schlitzer werden neue nichtpetidische Hemmstoffe auf ihre Antitumorwirkung untersucht. Es konnte bereits gezeigt werden, daß Wirkstoffe, die auf dem Benzophenon-Grundgerüst basieren, keine Korrelation von Enzymhemmung und Antitumorwirkung zeigen, weshalb für diese Stoffe ein anderer Wirkmechanismus diskutiert werden muß.