Medialist 22.97: Grandioses Scheitern

Martin Recke (mr94@prenzlnet.in-berlin.de)
29 Apr 1997 10:22:08 GMT

Medialist 22.97: Grandioses Scheitern
Hgg. von Martin Recke

        Themen dieser Ausgabe:
        - SFB/ORB-Radiokooperation gescheitert
        - DAB in Legitimationsnöten


SFB-Verwaltungsrat lehnt Radiokooperation mit dem ORB ab -- Verzicht
auf NDR-Klassikwelle verlangt

Die geplante Zusammenarbeit von SFB und ORB im Radiobereich ist
vorerst gescheitert.  Der SFB-Verwaltungsrat lehnte am 28. April bei
fünf Ja-Stimmen und fünf Enthaltungen den vorliegenden Vertrag ab.
Für eine Zustimmung wären sechs Ja-Stimmen notwendig gewesen.  Dies
gab Verwaltungsratschef Hartmann Kleiner am gleichen Tag in einer
öffentlichen Sitzung des SFB-Rundfunkrats bekannt.  Mit sieben Stimmen
gab das Gremium die Empfehlung ab, auf die geplante teilweise
Übernahme des NDR-Klassikprogramms NDR 3 als Mantel für regionale
Klassikstrecken zu verzichten.  Der Verwaltungsrat kündigte seine
Zustimmung für den Fall an, daß dieser Empfehlung Rechnung getragen
würde.

Der Rundfunkrat brach nach kurzer Aussprache die Debatte mit der
Begründung ab, die Verhandlungsposition des Hauses gegenüber dem ORB
nicht zu gefährden.  Der Programmausschuß des Gremiums hatte im
Gegensatz zum Verwaltungsrat am 25.  April dem Vorhaben mit deutlicher
Mehrheit bei 14 Ja-Stimmen, einer Nein-Stimme und vier Enthaltungen
zugestimmt.  SFB-Intendant Günther von Lojewski kündigte Gespräche mit
seinem ORB-Kollegen Hansjürgen Rosenbauer noch für den gleichen Abend
an.  Der ORB-Rundfunkrat traf sich am 29. April nach Redaktionsschluß
zu einer Sitzung.  Er hatte dem Vertrag bereits im März zugestimmt
(Medialist 14.97).

Der nun gescheiterte Vertrag sah vor, aus den bestehenden
Kultur-Programmen SFB 3 und Radio Brandenburg (ORB) sowie dem vom SFB
produzierten Radio B Zwei insgesamt zwei neue Radiowellen
(Arbeitstitel: "Radio Eins" und "Radio Drei") zu bilden und gemeinsam
mit dem NDR ein Klassikprogramm einzurichten.  Auch im
Programmausschuß sei die Übernahme der Klassikwelle vom NDR der
"Hauptstreitpunkt" gewesen, hieß es in der Sitzung.  Man habe dem
Vertrag, den die Intendanten Anfang März paraphiert hatten (Medialist
12.97), schließlich "mit Zähneknirschen" zugestimmt.  Der
Programmausschuß trug der Geschäftsleitung auf, im Rahmen der
Gespräche mit dem ORB auch über eine gemeinsame Nutzung des analogen
ASTRA-Transponders zu sprechen, den der ORB ab Anfang 1998 angemietet
hat.  

SFB-Intendant Günther von Lojewski sprach von "Bedauern" darüber, daß
die Zustimmung zum Vertrag gescheitert sei.  Er könne sich nicht
vorstellen, daß der SFB gestärkt würde, wenn die geplante Kooperation
nicht zustande käme.  Lojewski erklärte, die angestrebte
Zusammenarbeit würde dem SFB im Jahr 2000 "mindestens zwei Optionen"
eröffnen:  Wenn der ARD-Finanzausgleich mit dem Ende der laufenden
Gebührenperiode entfalle, könne er die Kooperation mit dem ORB
fortsetzen, "nötigenfalls" aber auch alleine bestehen bleiben.

Mehrfach wurde in der Debatte des Rundfunkrats die Frage an den
Verwaltungsrat gestellt, ob "programmliche Überlegungen" anstatt
finanzieller bei seiner Entscheidung eine Rolle gespielt hätten.  Die
Begründung des Votums verweise darauf.  Es lasse nicht erkennen, wie
eventuelle wirtschaftliche Bedenken gegen die Zusammenarbeit in
Nachverhandlungen behoben werden könnten.  Für Programmfragen ist der
Programmausschuß zuständig, während sich der Verwaltungsrat mit
Finanzfragen befaßt.

SFB-Intendant Günther von Lojewski wollte durch die Kooperation in der
laufenden Gebührenperiode insgesamt 13,5 Millionen Mark einsparen.
Bis Anfang Juni soll er eine mittelfristige Finanzplanung für die
Jahre bis 2000 vorlegen, die ein ausgeglichenes Ergebnis vorsieht.
Dies hatte der Rundfunkrat im Dezember gefordert.  Die gesamte
einzusparende Summe wird auf bis zu 60 Millionen Mark beziffert.
Durch das Scheitern der Vertragsvorlage sieht Lojewski sich nun
"zurückgeworfen", sagte aber dennoch die verlangte Vorlage zu.

In Berlin waren die Kooperationspläne seit Wochen auf hartnäckige
Kritik gestoßen.  Den Intendanten war vorgeworfen worden, weder die
Gremien noch den Personalrat vor der Paraphierung des Vertrags
informiert zu haben (Medialist 13.97).  Aus der Berliner Senatskanzlei
war das Vertragswerk als "unvorteilhaft" für den SFB kritisiert worden
(Medialist 15.97).  Das notwendige Placet des Verwaltungsrats galt
seit März als unsicher.  Anfang April hatten Verwaltungsratsmitglieder
verlangt, daß vor einer Entscheidung Programmschemata der geplanten
neuen Wellen vorliegen sollten.  Der Verwaltungsrat hatte Mitte April
seine Entscheidung zum zweiten Mal vertagt (Medialist 20.97).  (mr)


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Fernsehen bei 250 km/h -- DAB gerät in Legitimationsnöte / Von Jürgen
Bischoff
                                      
Es hat schon etwas Tragisches, wenn ein renommierter Rundfunkingenieur
verzweifelt versucht, sein Lebenswerk noch in den Zieleinlauf zu
retten, obwohl offensichtlich wird, daß das Rennen nicht mehr zu
gewinnen ist. Das Bessere ist nun mal der Feind des Guten.

Die Rede ist von Frank Müller-Römer, ehemals Technischer Direktor des
Bayrischen Rundfunks und als solcher maßgeblich auf europäischer Ebene
daran beteiligt, daß das digitale Radiosystem DAB bis zur Einsatzreife
entwickelt wurde.

Doch genau diese Einsatzreife, die auf der diesjährigen
Funkausstellung mit der Markteinführung der ersten im freien Handel
verkäuflichen Empfangsgeräte besiegelt werden soll, kommt inzwischen
zu spät.

Unzweifelhaft ist es ein großer technologischer Erfolg, der da seit
1980 von den Forschungslabors der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten und der europäischen Geräteindustrie erzielt worden
ist: ein digitales Radiosystem der Zukunft sollte nicht nur besseren
Klang in die Wohnstuben bringen. Auch die Frequenzbänder des Hörfunks
sollten wesentlich besser ausgenutzt werden und somit mehr Platz für
noch mehr Radioprogramme bieten. Darüber hinaus spart die digitale
Ausstrahlung von Radiosignalen den Sendern erhebliche Kosten durch
stark reduzierten Energieeinsatz an den Sendemasten.

Doch nach 17 Jahren ist DAB nun in die Fortschrittsfalle getappt: DVB,
das europäische digitale Fernsehsystem, kann alles mindestens
genausogut, was DAB kann. Dem DVB-Übertragungssystem ist es egal, ob
es Video-, Daten- oder Audiosignale überträgt: es sind und bleiben
Datenpakete, die erst im Endgerät wieder auseinandergepflückt werden.
Mehr noch: auf einem DVB-Videokanal, der nicht ganz ausgenutzt ist,
kann der Rundfunkveranstalter per Huckepack zusätzliche Dienste
einfach mitausstrahlen. Kein Problem also, für den WDR beispielsweise,
auf einem DVB-Kanal das ARD-Gemeinschaftsprogramm, sein Drittes
Programm, alle fünf Hörfunkwellen und möglicherweise auch noch
Verkehrsmeldungen, Internet-Seiten oder verschlüsselte hausinterne
Verwaltungsdaten auszustrahlen. Flexibles Datenmanagement nennt sich
das in der Fachsprache der DVB-Ingenieure.

Einziges Pfund, mit dem DAB bislang wuchern konnte: die terrestrische
Ausstrahlung und damit der mobile Empfang im Auto und anderswo. Lange
Zeit schien in Deutschland wegen der vielen Nachbarländer, der
föderalen Struktur und vor allem wegen der sehr guten
Kabelinfrastruktur die Ausstrahlung von terrestrischem DVB wenig
Erfolg zu versprechen. Doch jetzt wurden eigens zwei militärisch
genutzte Kanäle für erste Tests freigeräumt. Das könnte sich zum
Sargnagel von DAB entwickeln - und das, obwohl gerade in verschiedenen
Bundesländern mit großem Aufwand umfangreiche DAB-Pilotprojekte
durchgeführt werden.

Selbst wenn DAB nun zur Funkausstellung 97 in den Markt eingeführt
wird, rechnet Frank Müller-Römer mit einem Durchbruch des Systems
nicht vor dem Jahre 2005. Erst dann sei zu erwarten, daß eine
kritische Masse an Empfängern verkauft worden sei. Langfristig soll
DAB dann die herkömmliche analoge UKW-Ausstrahlung ablösen. Diese
Prognosen stammen allerdings noch aus einer Zeit, als die Konkurrenz
durch DVB noch nicht so absehbar war.

Und diese Konkurrenz wird so bedrohlich für den Vorsitzenden der
Lobby-Organisation "Deutsche DAB-Plattform", daß Müller-Römer nun
verzweifelt nach Argumenten sucht, um DAB doch noch technisch eine
Überlebenschance zu sichern. Angriff ist die beste Verteidigung,
scheint er sich gedacht zu haben und propagiert seit einiger Zeit das
DAB-Verfahren als eine erfolgversprechende technische Variante, um
Videobilder digital über terrestrische Sendernetze zu übertragen.

Bei den Vertretern der DVB-Fraktion - darunter zahlreiche Technische
Direktoren der ARD-Anstalten - stoßen Müller-Römers Ideen eher auf
Befremden. Sie halten die Videoqualität der DAB-Übertragung ohnehin
für unbefriedigend. Für Müller-Römer Grund genug, noch nachzulegen. In
einem 21seitigen Papier voller technischer Formeln, daß er vor
einigen Wochen Journalisten zukommen ließ, wartete er mit neuen
Sachargumenten auf: nur die DAB-Übertragung dazu in der Lage, auch bei
Geschwindigkeiten bis zu 250 km/h eine "voll zufriedenstellende
Darstellung von Bewegtbildern für kleinere und mittlere
Bildschirmgrößen (z.B. PKW)" zu ermöglichen.

Für DAB sieht Müller-Römer da den Vorteil, daß die Frequenzbereiche
hierfür schon international koordiniert sind, während sich
terrestrisches DVB noch im Testlauf befindet. Kurzerhand erklärt er
eine schnellstmögliche Frequenzvergabe für DAB-Video als
"Schlüsselfrage" für die Durchsetzung digitaler Multimedia-Dienste:
"Frequenzpolitik ist Wirtschaftspolitik" heißt es im Resümee des
Papiers.

Also hergehört in den Staatskanzleien: Videofrequenzen für DAB sichern
Arbeitsplätze im Sportwagenbau (und im Bestattungsgewerbe).


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