Also sagte Diepgen, was er immer sagt, und leichtsinnigerweise in ein Mikrofon des WDR: »In Berlin braucht man einen starken regionalen Sender, einen starken Hauptstadtsender. Die gegenwärtige Konstruktion von sehr kleinen Rundfunkanstalten ist sicherlich auf Dauer nicht vernünftig aus finanziellen Überlegungen. Also sollte man neben diesen regionalen Sendern - und ich rede jetzt von dem Hauptstadtsender in meiner Verantwortung für die Stadt Berlin - sollte es größere Einheiten geben. Da würde ich allerdings über den Bereich von SFB und ORB hinausdenken.«
Hinausdenken, in dieser Disziplin war bisher sein Knappe Landowsky führend, nebenberuflich SFB-Rundfunkrat, dessen Ceterum Censeo lautet: Hütet Euch vor einer zu schnellen Fusion mit dem (roten) ORB! Nehmt lieber den (schwarzen) MDR als Partner! - Leider hat der erklärte Fusionsgegner Landowsky, stetig mit der Verteidigung seiner West-Berliner Partei beschäftigt, die Geographie nicht unter seinen Verbündeten. Berlin grenzt, bei aller Mühe, weder an Sachsen noch ans Anhaltinische. Und nun kam auch noch sein Regierender und grub eine alte Idee des SFB-Intendanten Günther von Lojewski aus, die auf den für ARD-Verhältnisse kecken Namen Nora hörte: Nordostdeutsche Rundfunkanstalt, umfassend (mindestens) Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, als Zugabe am besten auch Sachsen-Anhalt. Drei bis vier Länder, ein Sender. Gescheitert 1991 an der Vorliebe Sachsen-Anhalts für den schwarzen Verbund mit Thüringen und Sachsen, am mecklenburgisch-vorpommerschen Lavieren zwischen NDR und Nora, zuletzt am vitalen brandenburgischen Selbständigkeits- Interesse.
»Man sollte sich jetzt darüber Gedanken machen«, so fuhr Diepgen fort, »ob in Variation auf diese Vorstellung wieder zurückgegriffen werden kann. Aber vielleicht sind im Jahre 2000 dann die alten Grenzen zwischen den alten und den neuen Ländern nicht mehr so entscheidend, also man kann auch darüber hinausgucken.« Was sollte das heißen? Alles oder nichts? Der Cheftaktiker an der Spitze des Norddeutschen Rundfunks ergriff die Gelegenheit beim Schopf und zog ein Papier aus der Schublade, in dem er der kleinen märkischen Anstalt ORB erklärt hatte, wie er sich Kooperation vorstellt. Jobst Plog ließ nun auch dem SFB und den Landesregierungen von Berlin und Brandenburg seine »Ideenskizze« (Kifu 35/95) zukommen, Durchschlag an die Presse zur geneigten Weiterbreitung, und begrüßte den Diepgen-Vorschlag, »den Norddeutschen Rundfunk stärker an Berlin zu binden«. Die Aufregung war groß. Plogs Anstalt hatte den möglichen Einspareffekt einer engeren Kooperation zwischen SFB, ORB und NDR »vereinfachend« nur auf die ORB- und SFB-Kosten gerechnet. Den Nachsatz, sie sollten nicht ausschließlich dort realisiert werden, mußte SFB-Chef Lojewski schon gar nicht mehr gelesen haben, um eine seine Empörung nur schwach verbergende Replik aufzusetzen und die Möglichkeit weiterer Einsparungen in seinem Hause von sich zu weisen.
Onkel Lojo, wie ihn der Kreis seiner Mit-Intendanten liebevoll nennt, hat damit seine Verteidigungslinie angedeutet: Der SFB wird am Ende des laufenden Schrumpfungsprogramms sein Personal um über 20 Prozent verringert haben - damit muß es dann auch genug sein. Weitere fusionsbedingte Reduzierungen könnten allenfalls gleichgewichtig stattfinden. So zu lesen auch im Thesenpapier (Kifu 52/95), dem der Rundfunkrat am 19. Juni sein Placet gab. Dabei vergißt Lojewski gern, zwei Dinge zu erwähnen: Bis 1989 war der SFB in seiner exponierten Lage und mit Sendegebiet in die DDR hinein als Politikum gewollt. Weder Größe noch ARD-Quote entsprachen dem West-Berliner Gebührenaufkommen. Die »Verschlankung« ist insofern nur die Rückführung aufs Normalmaß. Und seitdem die politische Rechtfertigung entfallen ist, hat auch die Bereitschaft der ARD- Kollegen Lojewskis stark nachgelassen, dem SFB noch immer eine jährliche Morgengabe in Höhe von 25,5 Millionen Mark zu überreichen. Das Nora-Projekt war letztlich auch ein (insofern zu recht gescheiterter) Versuch, dem übergroßen Berliner Sender adäquate Ressourcen aus den neuen Ländereien zu verschaffen, um die ansonsten unvermeidliche Schrumpfung zu umgehen. Man stelle sich das Szenario vor: Sendezentrale mit rund 1500 Mitarbeitern in Berlin, dazu Landesfunkhäuser mit vielleicht je 200 Angestellten in Potsdam, Schwerin und Magdeburg - der größte Teil der Nora-Beschäftigten wäre dann aus West-Berlin gekommen, vom SFB, umgekehrt proportional zur Bevölkerungszahl.
Lojewski zählt seit geraumer Zeit die Planstellen für ARD- Gemeinschafts- und Sonderaufgaben (92 laut Stellenplan 1995) nicht mehr zum SFB-Personal, ein Manöver zur Verbesserung der Optik. Zu Spitzenzeiten, so im Wirtschaftsplan 1992, zählte der Gesamt-SFB 1477 Planstellen. Damals gab die Anstalt mit 170,0 Millionen Mark knapp 43 Prozent ihrer ordentlichen Erträge für Löhne, Gehälter, Sozialabgaben und Altersversorgung aus. Der Wirtschaftsplan 1995 weist 1314,5 Planstellen aus, für 1997 sind etwa 1110 Planstellen vorgesehen. Für eine Fusion mit dem ORB, der zur Zeit rund 650 Stellen zählt, immer noch zuviel. Die Babelsberger haben ihr Personal nicht nur mangels Finanzmasse zurückhaltend entwickelt, sondern auch zur Vermeidung von Kündigungen im Falle einer Fusion. (Die man dort von Anbeginn als möglich und wünschenswert ansah, wenn auch nicht sofort.) Des Intendanten Rosenbauers Strategiepapier (Kifu 52/95) vom Dezember vergangenen Jahres schlug 1.500 Planstellen für eine Berlin-Brandenburgische Anstalt vor, geteilt entlang des Gebührenaufkommens (40:60): 600 vom ORB, 900 vom SFB. Daran hält Hansjürgen Rosenbauer eisern fest. Das SFB-Papier, das für den Herbst geplante Zusammentreffen der Rundfunkräte kann er als Erfolge seines beharrlichen Bemühens verbuchen, die Kollegen am Theodor-Heuss-Platz zum Jagen zu tragen.
Nun hat sich also der SFB-Rundfunkrat für eine Fusion der beiden Anstalten ausgesprochen. Endlich, muß man sagen. Bislang hatte die Mehrheit der Rundfunkräte sich genauso dem Nachdenken über die öffentlich-rechtliche Rundfunkzukunft in der Region verweigert wie die Geschäftsleitung. Der Intendant verwies stets auf die Landespolitik, deren Aufgabe es ist, über die Zukunft des SFB zu entscheiden. Die (theoretisch) denkbaren Optionen für sein Unternehmen bewegen sich dabei in etwa zwischen zwei Polen: Hauptstadtsender, sofern die Länderfusion Berlin-Brandenburg noch scheitert, dann weitestgehend selbständig; oder Teil einer größeren ARD-Anstalt, womöglich aus MDR (oder NDR), ORB und SFB bestehend. Mit dem ORB arbeitet die Berliner Anstalt bereits auf einigen Feldern zusammen, strategisch allerdings kooperiert Lojewski sonst lieber mit dem Leipziger MDR. Rosenbauer hätte gern schon für die laufenden und kommenden Kooperationsvorhaben eine nichtrechtsfähige Einrichtung beider Anstalten geschaffen und einem gemeinsamen Geschäftsgremium aus Intendanten und Direktoren (»Board of Directors«) unterstellt. Der SFB-Chef hat sich dem bislang verschlossen.
Doch wann die Berliner Landespolitik sich bequemt, das Wort zur öffentlich-rechtlichen Rundfunkzukunft zu ergreifen, ist keinesfalls abzusehen. Eine Linie, eine Zielvorstellung ist nicht zu finden, nirgends. Lojewski hatte deswegen wahrscheinlich recht, als er seinem NDR-Kollegen vorrechnete, daß erst nach einer Fusion der beiden Länder mit Befunden in dieser Sache zu rechnen sei. Und der schon erwähnte Klaus-Rüdiger Landowsky, hauptberuflich CDU-Fraktionschef, hat dafür gesorgt, daß der Fusions-Volksentscheid erst im kommenden Jahr stattfindet. Dazu kommt die Blockade durch die Abgeordnetenhauswahlen im Oktober. Bis dahin veranstaltet die große CDU/SPD-Koalition bestenfalls Symbolpolitik. Und auch was danach passieren könnte, muß keinesfalls zur Besserung führen. Auf der Suche nach möglichen medienpolitischen Bündnispartnern läuft die bündnisgrüne SFB-Rundfunkrätin Alice Ströver bei der Berliner SPD stets ins Leere. Nichts bewegt sich, klagt sie, es scheint, als ob alle mit dem status quo zufrieden seien.
Keine Spur von knallharter Standortpolitik, wie sie in Köln, München oder Hamburg betrieben wird. Stattdessen viele Beispiele für zerrinnende Chancen. So registrierte 1990 und danach offenbar niemand so recht, daß Adlershof und die Nalepastraße in Berlin lagen, daß dort Medienschaffende und Produktionskapazitäten auf neue Verwendung lauerten. Der Abwicklungsartikel 36, mit dem per Einigungsvertrag die Auflösung des DDR-Rundfunks präjudiziert wurde, war letztlich auch ein Sieg für Studio Hamburg und Bavaria, meint Christoph Singelnstein, damals Intendant des DDR-Rundfunks, heute Chefredakteur der ORB-Welle Radio Brandenburg. »Das war einfach eine Konkurrenz, die sie nicht wollten, und das führte schnurgerade zu einer großen Koalition im Westen« - Hamburg und Nordrhein-Westfalen, rot regiert, wie auch Bayern, CSU. Die Berliner Medienpolitiker ließen sich die Butter vom Brot nehmen - erst als der Tisch fast leer war, begann die mühselige Kleinarbeit des standortpolitischen Alltags. Jetzt soll in Adlershof »eine der ersten Adressen im europäischen Medienbereich« entstehen, tönte Wirtschaftsstaatssekretär Hans Kremendahl im Herbst. Darunter machen sie es offenbar nicht.
Eine Medien-Abwicklung auf seinem Territorium hat der Berliner Senat schon klaglos hingenommen. Vielleicht muß letztlich deshalb auch die Geräuschlosigkeit nicht verwundern, mit der die Schrumpfung des SFB bislang über die Bühne ging. Was wäre wohl los in Nordrhein-Westfalen, wenn der WDR einen Per sonalabbau um mehr als 20 Prozent ankündigte? Hier rächt sich, daß der Stadtsender im politischen Lager offenbar zu wenig Freunde hat - den Rechten ist er zu links, den Linken zu rechts. (Was ja vom journalistischen Standpunkt aus eigentlich nichts Schlechtes bedeuten könnte.) Vom regionalistischen Standortegoismus, mit dem Landespolitiker im Rest der Republik ihren Heimatsender verteidigen, ist hier keine Spur. Man bedenke: Eberhard Diepgen nennt seinen »Hauptstadtsender« eine »sehr kleine Anstalt«, sicherlich keineswegs versehentlich. Die grassierende rundfunkpolitische Tonnenideologie des »je größer, desto besser« hat hier ihren Ausdruck. Dabei ist die Frage, ob große Anstalten tatsächlich günstiger arbeiten als kleine, noch keineswegs entschieden. Die drei derzeitigen Nehmer im ARD- Finanzausgleich, neben dem SFB auch Radio Bremen und der Saarländische Rundfunk, brauchen das Geld nicht, weil sie übermäßig teures Programm produzierten oder überhöhte Gehälter zahlten: Sie sind schlicht für ihr heimisches Gebührenaufkommen jeweils eine oder mehrere Nummern zu groß.
Doch durch Fusionen ist solchen Problem nur sehr bedingt abzuhelfen. »Genauso gut«, meint ORB-Chef Rosenbauer, könnte jedes Bundesland seine eigene, jeweils passend dimensionierte Anstalt bekommen, wenn diese zu stärkerer Kooperation im Programm- wie auch im Infrastruktur-Bereich gezwungen würden. Es sei erinnert: Schon der frühere niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) hatte sich mit seinem Vorstoß für ein »Radio Niedersachsen« profiliert, bevor seinerzeit der NDR-Staatsvertrag novelliert und als Kompromißbestandteil die Landesprogramme aufgebaut wurden. Auch dies also nichts Neues. Zusammengefügt mit der laufenden Debatte um die Zentralisierung des ARD- Gemeinschaftsprogramms hieße das wohl, einen doppelten Modernisierungsschub auszulösen: Dezentralisierung (der Anstaltsstrukturen) und Zentralisierung (der Aufgaben für länderübergreifend verbreitete Programme) zugleich.
Der Plog-Vorschlag, die drei Anstalten NDR, SFB und ORB unter einer »Generalintendanz« zusammenzufügen, bleibt auf halbem Wege zurück. Kaum akzeptabel scheint angesichts der anhaltenden Differenzierung und Multiplizierung, Hörfunk- und Fernsehprogramme zusammenzulegen. Die dadurch möglichen Einsparungen beziffert das Plog-Papier auf gerade 45 Millionen Mark. Dafür (wie vorgeschlagen) statt dreien nur noch ein drittes Fernsehprogramm zu verbreiten und drei Berlin-Brandenburger Hörfunkprogramme abzuschaffen - das wäre ein hoher Preis, auch angesichts des Gesamtvolumens der drei Anstalten; insgesamt gut zwei Milliarden Mark stehen in den 95er Wirtschaftsplänen. In den Servicebereichen Verwaltung, Produktion und Technik sieht der NDR für 35 Millionen Mark Luft - es spricht wenig dagegen, diese Luft herauszulassen. Eine Ant wort auf die Frage nach verbesserter Kooperation ist das wahrscheinlich noch nicht.
Ein solcher nordostdeutscher Rundfunkverbund hätte hingegen mit starken Ungleichgewichten zu tun. Der heutigen Vierländeranstalt NDR mit acht Hörfunkprogrammen und einem Fernsehkanal (letzterer zusammen mit Radio Bremen veranstaltet) stehen zwar zwei Einländeranstalten mit je einem Fernsehkanal und insgesamt ebenfalls acht Hörfunkprogrammen gegenüber. Doch während der NDR 3.567 Planstellen im Jahre 2000 vorsieht, planen SFB und ORB mit zusammen 1.761 Planstellen auszukommen (Kifu 42/95). Im aktuellen Fernsehgeräteschlüssel liest sich das Verhältnis noch ungünstiger: 16,89 Prozent aller angemeldeten Fernsehgeräte stehen im NDR-Einzugsgebiet, nur 7,37 Prozent hingegen in Berlin und Brandenburg. Zusammengenommen allerdings überflügelte der Nordost-Verbund mit einer ARD-Fernsehquote von 24,25 Prozent den bislang größten ARD-Partner WDR (22 Prozent). Für die von Plog vorgeschlagene »Generalintendanz« liegen die Ressourcenverhältnisse also ungünstig. Der NDR- Intendant müßte seine Ankündigung wahrmachen und die Ideenskizze verfeinern: Welche Aufgaben lassen sie zentralisieren, an welchem Ort und zu welchen Kosten, materiell wie immateriell? Die ewiggleichen Fragen also, immer wieder neu zu beantworten.
Doch kann sich der NDR die Mühe womöglich sparen: das Papier hat im politischen Raum keine echten Freunde gefunden. Es soll hingegen Gespräche gegeben haben mit dem Ziel, Mecklenburg- Vorpommern aus dem NDR abzuwerben (CDU) oder Sachsen- Anhalt aus dem MDR herauszulösen (SPD). Es wäre ein Novum in der an politischen Kabinettstückchen nicht armen bundes deutschen Mediengeschichte, wenn ARD-Mehrländeranstalten ihre Bestandteil-Länder jeweils nach dem politischen Pegelstand in den Parlamenten wechseln würden. Ein Berliner Beobachter hält inzwischen »allen Blödsinn« für möglich. Nur nicht vor den Wahlen im Oktober.
Wahrscheinlich bleibt trotz allem die »kleine Fusion« aus SFB und ORB. Wenn es nur noch ein Bundesland gibt, dann kann es auch nur noch eine Landesrundfunkanstalt geben. Sollte es bei zwei Ländern bleiben, dann würde die Fusionsfrage auf der langen Bank landen, zwischen einer Vielzahl von berlin- brandenburgischen Staatsverträgen. Entschieden würde womöglich erst im nächsten Jahrtausend.