Arbeitstitel: Das digitale Fernsehen als mittelständisches Projekt?

(Kommentar zu epd: MABB ruft nach DVB-Vorschlägen)


Als die Europäische Kommission im vergangenen Jahr der Media Service GmbH ihr Placet verweigerte (Kifu 89/94), atmeten all jene auf, denen Kartellbildungen im Medienmarkt gewöhnlich suspekt sind. Die Superkonstruktion von Netzbetreiber (Telekom) und Veranstaltern (Kirch, Bertelsmann) war demontiert, das damit heraufziehende Monopol auf Herstellung, Betrieb und Vertrieb der digitalen, netzgebundenen Fernsehwelt schien zunächst verhindert. Der Vorhang zwar zu, doch alle Fragen offen: Wie soll sie nun aussehen, die wirtschaftliche Struktur hinter Set-Top-Boxen und Benutzeroberflächen? Die Antwort der Großen ist deutlich: Ohne ihr Geld und Know-How geht angeblich nichts. Allein für die Markteinführung der Set-Top-Boxen wird gerne bis zu eine Milliarde Mark veranschlagt. Wer soll das bezahlen?

Womöglich wird eine Antwort auf viele Strukturfragen in diesen Wochen in Berlin gegeben. Die Formel der Medienanstalt Berlin-Brandenburg lautet: »Soviel Zusammenarbeit wie nötig und soviel Wettbewerb wie möglich.« Geht alles so, wie der Chef der mittelständischen Medienfirma EMG es sich wünscht, dann beginnt das digitale Fernsehzeitalter am 1. Januar 1996. Statt 50 Teilnehmern, wie sie der im Februar begonnene Berliner Modellversuch der Telekom (Kifu 13/95) erreicht, könnten im Laufe des Jahres über 100.000 Teilnehmer mit Set-Top-Box und Smart Card ausgestattet sein. Die Telekom betreibt ihr digital erweitertes Breitbandkabelnetz, Wolfgang Wenzels EMG speist aus dem Sendezentrum digitale Programmpakete und einen Benutzerführungskanal ein, die Vebacom rüstet den Endkunden mit Geräten aus und sorgt für die Abrechnung. Die Programme liefern Dritte. Medienpolitisch zunächst unbedenklich. Ob es funktioniert, muß sich noch zeigen.

Die kleine, aber rührige Medienanstalt neben der Gedächtniskirche will die sendeabwickelnden Unternehmen den gleichen Bestimmungen unterwerfen, die für Programmveranstalter gelten. (In der Debatte um die Reformulierung der Konzentrationsvorschriften muß also von nun auch an digitale Sendezentren gedacht werden.) Den chancengleichen Zugang zur DVB-Verbreitung will sie mittels Auflagen sichern: So soll auch die Benutzeroberfläche, die nach EMG-Plänen eher einem verbesserten Btx-System als einem TV-Programm ähneln wird, einer Zulassung als Rundfunkprogramm bedürfen.

Technische Hürden stehen dem Wettbewerb jedenfalls keinesfalls im Weg. In keinem Bereich gibt es Technik- oder Kosten-Zwänge, die ein »natürliches Monopol« rechtfertigen könnten. Solange es bei einem Set-Top-Box-Typ bleibt (und dafür will die MABB in Berlin-Brandenburg sorgen), kann es mehrere Box-Anbieter geben. Programmpakete lassen sich mittels Smart Cards abonnieren und bezahlen, die Abrechnung kann, muß aber nicht zentralisiert werden. Die DVB-Richtlinien sind offen genug für jegliche Verschlüsselung, selbst das Multiplexing-Sendezentrum könnte problemlos Konkurrenz bekommen. Die EMG kalkuliert zur Zeit mit etwa 2,50 bis 3,- Mark pro Monat und Haushalt und sieht die Kostendeckungsgrenze zwischen 50.000 und 100.000 Teilnehmern. Da wäre im Berliner Kabelnetz mit seinen 1,1 Millionen Haushalten durchaus noch Platz für andere. Der Mittelständler Wenzel und seine auf Risikokapital des East German Investment Trust (EGIT) gebaute Firma führen die Argumente, mit denen Bertelsmann nach dem Brüsseler Veto auf der Notwendigkeit einer Superfirma bestanden hatte, mit leichter Hand ad absurdum. Keine Rede davon, daß in Deutschland nur die MSG-Gesellschafter in der Lage wären, die technisch-administrative Seite des Geschäfts abzudecken.

Ob der Einstieg gerade jener, die wie VEBA seit Jahrzehnten goldene Nasen am kartellverteilten Strommarkt verdienen, nicht den Kirch/Bertelsmann-Teufel mit dem Elektro-Beelzebub austreibt, läßt sich allerdings mit Berechtigung fragen. Geld wird nämlich tatsächlich gebraucht: Mit dem Durchbruch in den Massenmarkt rechnen EMG und Vebacom nur bei verhältnismäßig niedrigen Tarifen für die Programmpakete. Neben dem teuren Pay-TV Premiere (44,50 DM im Monat), das in Berlin zur Zeit rund 50.000 Abonennten erreicht, scheint kein Platz für weitere Angebote in dieser Preisklasse. Premiere soll denn auch, so jedenfalls die Vorstellungen der MABB, seinen Platz im Sonderkanalbereich des Kabels räumen, um Platz für ein Digitalpaket zu schaffen - das wiederum Premiere und ein wesentlich erweitertes Angebot enthalten könnte. Zur »Zentrale für das Zukunftsfernsehen« (so jüngst die Zeit) würde der Zahlkanal auf diese Weise wohl nicht, jedenfalls nicht an der Spree. Hans Heges Rechnung (»Eine Premiere-Services-GmbH darf nicht kommen.« - Kifu 89/94) scheint aufzugehen. Premiere könnte zwar sein Angebot erweitern, bekäme aber nicht den ersehnten vollen technisch-administrativen Durchgriff.

Der märkisch-metropolitane Medienrat machte sich für sein Manöver eine Klausel des Berlin- Brandenburger Medienstaatsvertrages zunutze und beschloß, daß zur Erprobung neuer, digitaler Kommunikationsdienste, Hörfunk- und Fernsehaustrahlung »erleichterte Bedingungen« gelten sollen (Kifu 2/95). Demnach kann, anders als bei herkömmlicher Ausstrahlung, ein Veranstalter künftig mehr als zwei Programme anbieten. Wo es die Vielzahl der Übertragungswege möglich machen, wollen die Medienaufseher sich vom Ausschreibungs- und Auswahlverfahren vollständig verabschieden.

Mit dem »Call for Proposals« der MABB liegt jedenfalls erstmals ein medien- und konzentrationspolitisch gangbarer Weg zum digitalen Fernsehen vor. Es scheint, als ob die meisten der sechzehn Länder weitestgehend darauf verzichtet hätten, auf einem ihrer wenigen ureigenen Politikfelder selbst Rahmenbedingungen zu setzen. Gerade hier - und das, obwohl sie sonst gerne über den steten Kompetenzschwund klagen. Dieses Vakuum füllt nun die Medienwächtertruppe um Hans Hege. Jedenfalls in Berlin-Brandenburg. (»Andere Länder«, schrieben die Berliner Senats- und die Potsdamer Staatskanzlei, »müssen entsprechende Freiräume erst schaffen.«) Der Rest - ist Schweigen? (mr)


Martin Recke <mr94@zedat.fu-berlin.de>