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Der ursprüngliche pax-Begriff: Abkommen, (Friedens-)Vertrag
pax hängt etymologisch zusammen
mit pangere: heften, zusammenfügen, und bedeutet ursprünglich:
das Übereinkommen, der Vertrag, der Pakt. Diese pax bezieht
sich sowohl auf private wie auf staatliche Übereinkommen zwischen
zwei (streitenden) Parteien. Im privaten Bereich wird über ein 'Friedensabkommen'
die Harmonie zwischen Gleichberechtigten wiederhergestellt; pax
steht hier in der Nähe von concordia, der Eintracht (eigentlich:
das Zusammen der Herzen, also 'ein Herz und eine Seele').
Ein typisches Beispiel für den
häuslichen, den innerfamiliären 'Frieden', aus einer Komödie
des Plautus (ca. 250-184 v. Chr.): Im 'Mercator' (Der Kaufmann), hängt
der Haussegen schief; der Sohn will zwischen seinen Eltern vermitteln,
V.953ff.: Ich will 'Frieden' zustandebringen zwischen dem Vater und der
Mutter, denn jetzt ist sie wütend (pacem componi volo meo patri
cum matre, nam nunc est irata). Als er die Mutter besänftigt hat,
geht er zum Vater, sagt ihm das und fordert beide auf, sich die Hand darauf
zu geben: uxor tibi placida et placatast; cette (= date)
dextras nunc iam. Der charakteristische Handschlag als Zeichen der
pax ist rund 150 Jahre später auch auf der Rückseite der
ersten pax-Münze zu sehen (Abb.1).
In Krisen- und Bürgerkriegszeiten wird mit diesem Symbol die Wiederherstellung
von pax, fides und concordia beschworen (so z.B. durch eine
Münzprägung im Zusammenhang mit den Wirren nach Neros Freitod
68 n. Chr., Abb.2).
Etwas anders geartet ist die offizielle,
die zwischenstaatliche pax: Hier wird ein Abkommen geschlossen zwischen
dem Verlierer, der pax erbitten muß (pacem petere),
und dem Sieger, der - eventuell - pax gewährt (pacem dare)
und die Bedingungen diktiert. Aus diesem Abkommen resultiert dann zwar
ein Zustand, der aber im Falle des Vertragsbruchs jederzeit wieder aufgekündigt
werden kann.
Zwei Beispiele für pax in
der Außenpolitik, das erste wieder aus Plautus, 'Persa' (Der Perser)
V.753, in einem Botenbericht: Die Feinde sind besiegt, die Bürger
gerettet, die Lage ist ruhig, die Friedensabkommen sind geschlossen (hostibus
victis, civibus salvis, re placida, pacibus perfectis - im Plural!).
Das zweite Beispiel ist den 'Annalen' des Ennius (239-169 v. Chr.) entnommen,
dem römischen Nationalepos vor Vergils Aeneis, V.207: Der Unterhändler
kehrt ohne Friedensvertrag zurück und erstattet dem König darüber
Bericht (orator sine pace redit regique refert rem; orator
ist hier ein alter Terminus für den Friedensunterhändler).
Bei einem dritten frühen Anwendungsbereich
des Wortes wird das Gefälle zwischen pax-Geber und pax-Nehmer
noch deutlicher: bei der pax deorum, dem 'Frieden' mit den Göttern
bzw. übermenschlichen Kräften. Als Grundlage des persönlichen
Wohlergehens wie der Existenz des Staates muß sie um jeden Preis
gewonnen bzw. wiederhergestellt werden, und zwar durch bestimmte Leistungen:
Gebete, Opfer, Entsühnungsriten (die Römer haben hierfür
ein umfassendes System, geradezu eine Technik entwickelt). Formulierungen
wie 'Frieden von den Göttern erbitten' oder 'den Frieden der Götter
erbitten' zeigen, daß man sich pax im Besitz der Götter
vorstellt, als etwas, das von ihnen gewährt wird. Diese pax
hat also fast die Bedeutung von Wohlwollen, Gnade. Auch hier ist der Ausgangspunkt
jeweils ein bestimmter Anlaß: eine plötzliche Gefahr bzw. überhaupt
eine neue Situation oder Anzeichen für die gestörte pax deorum
(ungewöhnliche Himmelserscheinungen, Naturkatastrophen, Mißgeburten
u.ä.). Von menschlicher Seite gilt es daraufhin, die Ursachen zu erforschen
und geeignete Entsühnungsmaßnahmen zu finden, um die Götter
zu besänftigen (deos placare).
Die folgenden, noch einmal den plautinischen
Komödien entnommenen Beispiele für die Vorstellung der pax
deorum spiegeln Alltagssituationen wider: Im 'Curculio' (Gurgelmensch,
d.h. Schlemmer) rät der Koch seinem Auftraggeber, dem im Traum der
Gott Äskulap erschienen war, sich aber von ihm weggewandt hatte: Erbitte
'Frieden' von Äskulap, damit sich für dich daraus kein großes
Unglück ergibt (V. 270 pacem ab Aesculapio petas, ne forte tibi
eveniat magnum malum). In der 'Mostellaria' (Gespensterkomödie)
hat der gerissene Sklave Tranio ein Gespenst erfunden, um seinen Herrn
am Betreten des Hauses zu hindern, wo dessen Sohn gerade eine Orgie abhält.
Als dieser trotzdem eintreten will, bricht drinnen ein Höllenlärm
los: die Party ist auf ihrem Höhepunkt. Der Sklave interpretiert den
Krach schlagfertig als Reaktion des erzürnten Gespenstes, fordert
zur schleunigen Flucht und zum Bittgebet um göttlichen Beistand auf.
Er selbst kann bleiben, denn er hat im Gegensatz zum Hausherrn nichts verbrochen,
für ihn besteht weiter pax mit den Totengeistern (V. 514 pax
mihi est cum mortuis). Doch auch er wird beten - um dem Alten die Pest
an den Hals zu wünschen. (Die Sklaven, die im rechtlichen Sinn als
Sache gelten, stehen damit außerhalb der römischen Gesellschaft
und ihrer strengen Normen, und so kann es sich der Autor erlauben, sein
Publikum über die Gestalt des 'sittenlosen' Sklaven lachen zu lassen
und die Zuschauer damit für kurze Zeit von diesen Normen und dem Dauerdruck
der sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu befreien).
Auf dem Weg zum Frieden
Rund 100 Jahre später läßt
sich für pax eine weitere, neue Ausrichtung belegen: pax als
genereller Zustand, Frieden im Sinne von allgemeiner Ruhe, im Gegensatz
zu Krieg und Aufruhr. Erstmals findet sich diese pax in einem anonymen
Lehrwerk für den angehenden Redner, der sich bei seiner Argumentation
natürlich von ihrer Wirksamkeit beim Publikum leiten lassen muß.
Die Schrift ist verfaßt in den 80er Jahren des 1.Jhs., der Zeit des
Bundesgenossenkriegs, der ganz Italien verwüstet hat, und des anschließenden
Bürgerkriegs zwischen Marius und Sulla um die Vormacht in Rom; die
neue pax-Idee dürfte somit auf offene Ohren gestoßen
sein. Ihr Entstehen ist also zeitbedingt und läßt sich zudem
als Weiterentwicklung aus den bisherigen Geltungsbereichen erklären.
Entscheidender dürfte aber der Einfluß des griechischen Friedensbegriffs
gewesen sein, eirene. Mit eirene wird von Anfang an (d.h.
seit Homer) anders als bei pax kein Vertrag, auch kein Verhältnis
oder Verhalten bezeichnet, sondern ein Zustand. Durch diesen Zustand ist
Ordnung, Wohlstand und Wohlergehen garantiert; eirene wird nicht
von ihren Voraussetzungen her gesehen, sondern von ihren Wirkungen. Zum
politischen Programm wird sie in der Zeit des Peloponnesischen Krieges
(431-404). Das gleichnamige Stück des Aristophanes, das 422 uraufgeführt
wurde, enthält einen Hymnus auf die Gottheit Eirene (entsprechend
ihrer segensreichen Wirkung erscheint die personifizierte Friedensidee
in der griechischen Dichtung schon seit Hesiod, um 700). Ihre ideale Verkörperung
findet sie in der Statue des Kephisodot, um 370, die auf der Athener Agora
aufgestellt war (erhalten sind nur Vasenbilder und römische Repliken).
Die Göttin trug bezeichnenderweise den Plutos-Knaben im Arm, den personifizierten
Reichtum (Abb.3). Wie
Vasenbilder zeigen, hatte sie in der Hand zudem ein Füllhorn, das
Symbol ländlichen Überflusses, in der Rechten einen Stab, den
Heroldsstab oder - eher - ein Szepter.
Im Sinne eines politischen Programms wurde
ein solches statisches Friedens-Konzept in Rom wohl erstmals von Sulla
entwickelt, der auf seinen Münzprägungen nach Beendigung des
Bundesgenossen- und Bürgerkriegs das Füllhorn erscheinen läßt
(Münzen werden in Rom zunehmend als ebenso einfaches wie schnelles
Mittel zur Verbreitung von Propaganda genutzt). 20 Jahre später entwirft
Cicero in seinem Konsulatsjahr (63 v.Chr.) ein, wie er sagt, volksnahes
politisches Programm, bei dem der pax-Begriff eine zentrale Rolle
spielt. pax wird dabei in Verbindung zu concordia gebracht,
die alte innerfamiliäre pax also auf die Gemeinschaft der Bürger
übertragen, sowie - und das ist neu - zu otium: Ruhe, Muße.
Ciceros Programm richtet sich gegen den Gesetzesentwurf eines Volkstribunen
zur Verteilung von Großgrundbesitz (bei finanzieller Entschädigung
der Eigentümer). Die geplante Landverteilung würde das entworfene
Bild innerer Harmonie aufs Spiel setzen, so Ciceros Argumentation: Die
Staatskasse müßte zur Entschädigung der Großgrundbesitzer
eingesetzt werden statt für staatliche Getreidespenden, also für
'Brot und Spiele'. Durch den Antrag des Volkstribunen, der zugleich die
Einrichtung eines Exekutiv-Kollegiums mit umfassenden Vollmachten enthält,
sieht Cicero außerdem die libertas, die Freiheit, gefährdet.
Tatsächlich scheitert der Gesetzesvorschlag des Volksvertreters am
Nein des Volks. Wie man auch immer zu Ciceros etwas sophistischem Vorgehen
stehen mag: Auf alle Fälle entsprach die hier verkündete pax
offenkundig einem allgemeinen, aus der Zeitsituation geborenen Wunsch.
Die in griechischer Sprache und Denken Bewanderten gaben dem einen einprägsamen
lateinischen Namen: pax. Als Parole, die Ruhe und Ordnung verhieß,
wurde sie zum zentralen, auch durch Münzen propagierten Schlagwort
der Parteien in der anschließenden Bürgerkriegsära. Die
früheste pax-Münze (auf der Vorderseite ein Frauenkopf
mit der Umschrift PAKS, also der personifizierte bzw. zur Gottheit erhobene
Friedensgedanke, auf der Rückseite als Symbol der Händedruck,
s. Abb.1) stammt aus dem Todesjahr Caesars
(44) und war wohl noch von ihm initiiert: Caesar hatte nach seinem Sieg
über Pompeius neben dem Kult der Clementia (Milde, Gnade) auch einen
Pax-Kult einrichten wollen.
Mit dieser Entwicklung ist allerdings zugleich
der Rückzug der nominellen Staatsträger, der Bürger (cives),
aus der politischen Verantwortung angelegt. Diese negative Komponente wird
von Ciceros jüngerem Zeitgenossen Sallust (86 - ca.35) in seinen nach
40 v.Chr. verfaßten 'Historien' im Rückblick auf die sullanische
Ära deutlich gemacht, und zwar aus dem Mund des popularen Konsuls
Lepidus (78 v. Chr.): "Diese von vielen propagierte bequeme Ruhe in Verbindung
mit politischer Freiheit (illa quies et otium cum libertate) statt
Mühe, wie sie nun einmal mit ehrenvollen Ämtern verbunden ist,
die gibt es überhaupt nicht", und etwas später: "Unter dem Decknamen
'Eintracht und Frieden' (specie concordiae et pacis) werdet ihr
eurer Freiheit beraubt". Doch auch Cicero hatte schon einige Jahre früher
im Hinblick auf die libertas Zweifel an der paxParole bekommen.
Zur Rettung der Freiheit ruft er 44/43 zum entschlossenen Vorgehen gegen
Antonius auf:
Cicero, 'Philippica' 2,113: "Das Wort
'Frieden' hat einen süßen Klang und der dahinterstehende Sachverhalt
gewährleistet Wohlergehen, doch zwischen Frieden und Knechtschaft
ist ein gewaltiger Unterschied: Frieden bedeutet in Ruhe genossene Freiheit,
Knechtschaft das schlimmste aller Übel" (nomen pacis dulce est
et ipsa res salutaris, sed inter pacem et servitutem plurimum interest:
pax est tranquilla libertas, servitus postremum omnium malorum), und
12,14: "Ein mit denen geschlossener Frieden ist kein Frieden, sondern ein
Knechtschaftsabkommen" (cum iis facta pax non erit pax, sed pactio servitutis).
Um die republikanische libertas bewahren
bzw. wiederherzustellen, setzt Cicero auf den Caesarerben Oktavian, den
er für lenkbar hält, ein für ihn fataler Irrtum: Antonius
und Oktavian verbünden sich, und Cicero wird Opfer der Proskriptionen.
Doch bald ist es mit der pax zwischen Antonius und Oktavian wieder
vorbei; es kommt erneut zum Bürgerkrieg, aus dem Oktavian als uneingeschränkter
Sieger hervorgeht. Der junge Caesar, seit 27 v.Chr. Träger des Ehrennamens
'der Erhabene' (Augustus), führt zwar die innenpolitische pax-Linie
seines Adoptivvaters fort, verbindet sie aber klug mit dem libertas-Gedanken:
Auf der Vorderseite seiner pax-Prägung vom Jahre 28 anläßlich
der Beendigung der äußeren und inneren Kriege präsentiert
er sich als vindex libertatis, als Rächer und Bürge der
Freiheit (s. Abb.4).
Die 'neue' innere pax, Frieden verbunden mit Wohlstand und Sicherheit,
ist in Augustus' Programm gebunden an die 'alte' durch militärische
Siege errungene pax. Stolz erklärt er rückblickend in
seinem 'Tatenbericht' (Res gestae), daß unter ihm dreimal die Januspforte
geschlossen werden konnte (ein symbolischer Akt dafür, daß das
römische Territorium kriegsfrei war), und zwar "nachdem über
das ganze Herrschaftsgebiet des römischen Volkes zu Land und zu Wasser
durch Siege Frieden gewonnen worden war" (cum per totum imperium populi
Romani terra marique esset parta victoriis pax; die terra-marique-Formel
erscheint auch auf der Münze).
Außenpolitische pax muß
also jeweils geschaffen werden, zumindest in der offiziellen Proklamation
durch erfolgreiche Kriegsführung: So wird die durch Verhandlungen
erreichte Rückgabe römischer Feldzeichen seitens der Parther
und das damit verbundene gegenseitige Stillhalteabkommen vom Jahre 23 als
militärischer Sieg gefeiert.
Der Gedanke der pax victoria parta
bleibt auch für die Folgezeit bestimmend: Sozusagen ganz augusteisch
gibt sich Nero mit seinen pax-Prägungen nach Erfolgen im Orient
(s. Abb.5). Die als Motiv
später mehrfach wiederholte Prägung Vespasians bezieht sich auf
die Eroberung Jerusalems 71 v.Chr. (Abb.6);
nachdem der jüdische Widerstand völlig erstickt ist, wird mit
dem Bau des Forum Pacis begonnen, das auf einen prächtigen Pax-Tempel
zentriert war.
Doch selbst bei der außenpolitischen
pax ist der 'Eirene-Einfluß' spürbar: Die so zustandegekommene
pax Augusta garantiert für alle friedenswilligen Bewohner des
Imperiums Sicherheit und Wohlstand. Sie wird programmatisch-plastisch Stadtrömern
wie Besuchern verlockend vor Augen geführt im Altar des Augustus-Friedens:
Anläßlich der 'Befriedung' der spanischen Provinzen wird im
Jahre 13 v.Chr. auf Senatsbeschluß mit dem Bau der Ara Pacis Augustae
begonnen, deren Relieftafeln uns großteils erhalten oder rekonstruierbar
sind. Die linke Frontseite zeigt eine Muttergottheit (die Erdgöttin
Tellus, Italia oder Pax? - die Meinungen gehen auseinander), umgeben von
Symbolen ländlichen Wohlstands (Abb.7
und Abb.8).
Auch der mit dem pax-Gedanken
zusammenhängende, von Caesar gegen innere wie äußere Gegner
proklamierte Gedanke der clementia findet Eingang in das Programm
des ersten Augustus. Als Ideal wird dies formuliert von seinen Dichtern,
so von Vergil in der Bestimmung der römischen Aufgabe im 6. Buch der
'Aeneis': Sie beginnt mit dem Auftrag, die Völker kraft ihrer Macht
zu lenken und dem Frieden Gesittung aufzuerlegen, und endet mit dem Aufruf
zur Schonung der Besiegten, doch Unterwerfung der Trotzigen (851ff. regere
imperio populos .... pacique imponere morem, parcere subiectis et debellare
superbos); ähnlich Horaz in seinem anläßlich der 'Jahrhundertfeier'
im Jahre 17 komponierten Festlied direkt bezogen auf Augustus, 'Carmen
saeculare' 51f.: dem Kriegsgegner überlegen, mild gegen den am Boden
liegenden Feind bellante prior, iacentem lenis in hostem). Augustus
selbst sagt in seinem Tatenbericht etwas pragmatischer, 'Res Gestae' 3:
Nach dem Sieg habe ich alle Bürger, die mich um Gnade baten, geschont.
Was die auswärtigen Nationen betrifft, so wollte ich die, denen man
ohne Gefährdung der Sicherheit verzeihen konnte, lieber bewahren als
ausrotten (victor omnibus veniam petentibus civibus peperci. Externas
gentes, quibus tuto ignosci potuit, conservare quam excidere malui).
Die pax Augusta (bzw. unter den Nachfolgern
des ersten Augustus auch selbstbewußt pax Augusti), für
die außenpolitische pax als Ausdruck römischen Selbstbewußtseins
auch pax populi Romani bzw. Romana, schafft in der offiziellen
Darstellung eine Konstellation der Ruhe, die durch das imperium Romanum
und seinen Herrscher gesichert und verbürgt ist. Für den 'Frieden'
im Inneren tritt jedoch immer häufiger securitas als neuer
Wertbegriff ein, Sicherheit, was bezeichnend ist für die Entwicklung
vom civis zum Untertan - und von vielen Angehörigen der ehemals
herrschenden Senatorenschicht auch entsprechend empfunden und angeprangert
wurde. Aus der Sicht des Normalbürgers dürfte die durch den Augustus
verbürgte und durch Münzprägungen bewußt gemachte
Ruhe und Sicherheit dagegen ein dankbar registrierter Wert gewesen sein.
Die pax-Parole engt sich nun wieder
auf die Außenlage ein. Sie beinhaltet zudem für die auswärtigen
Nationen erneut, nach Wiederaufnahme der vom ersten Augustus abgeschlossenen
römischen Expansionspolitik, weniger werbendes Versprechen als vielmehr
Drohung und mit allen Mitteln durchgesetzten Machtanspruch, gegen den sich
immer wieder erbitterter Widerstand erhebt. Die deutlichste Äußerung
zum römischen Imperialismus und pax-Gedanken ist die Warnung
des britannischen Häuptlings Calgacus an seine Landsleute, formuliert
allerdings von dem römischen Historiker Tacitus (ca. 55-116/20 n.
Chr.), 'Agricola' 30,4: "Wo sie eine Einöde schaffen, nennen sie das
'Frieden'" (ubi solitudinem faciunt, pacem appellant). Wie andere
Stellen zeigen, ist auch in Tacitus' Augen etwas Wahres an dieser Deklaration,
was allerdings keine Kritik an der römischen pax-Praxis bedeutet.
Denn während er die innenpolitische pax unter einem Herrscher
wie Domitian als Friedhofsruhe anprangert, bejaht er die auf Nichtbürger
und Barbaren gerichtete Außen=Eroberungspolitik und die auf militärischem
Sieg begründete pax vorbehaltlos. Im übrigen wurde auch
von vielen pax-Betroffenen die römische Herrschaft und der
damit verbundene Prozeß der Romanisierung als Vorteil gegenüber
den früheren Zuständen gesehen, zumal die in diesem Punkt offene
römische Gesellschaft die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg bot,
ungeachtet von Herkunft und Rasse, im Extremfall bis hin zum Kaiserthron
(s. das halbafrikanische Kaiserhaus der Severer, deren Mitglied Caracalla
212 allen freien Bewohnern des Imperiums das Bürgerrecht verlieh).
Ernsthafte Kritik üben jedenfalls erst
die Christen. Zunächst geschieht dies aus einer aggressiven Verteidigungsstellung
heraus in völliger Ablehnung der auf erfolgreichen Kriegen begründeten
pax Romana, doch bald, nach Ende der Verfolgungszeit, im Versuch,
aus der römischen pax-Praxis ein pax-Ideal abzuleiten,
zugleich in werbender Absicht. Man identifizierte sich zwar nicht mit dem
Rom, das real gegeben war, sondern mit dem, was es sein könnte: ein
christlicher Staat. So zeigt sich der Kirchenvater Augustin (354-430) durchaus
aufgeschlossen gegenüber den Errungenschaften der pax Romana.
Die Schattenseiten werden bei ihm durch Verallgemeinerung relativiert,
umgekehrt die Lichtseiten hervorgehoben, im 'Gottesstaat' (De civitate
Dei) 19,7f.: Anders als andere haben die Römer den besiegten Völkern
nicht nur das Joch auferlegt, sondern durch das Friedensabkommen (per
pacem societis) auch die lateinische Sprache, und damit ein Reich,
verbunden durch die gemeinsame Sprache und Kultur, geschaffen. Trotzdem
hält Augustin mit aller Klarheit fest: Die Basis des römischen
pax-Gedankens ist falsch und hat zu schrecklichen Resultaten geführt.
Es gibt keinen gerechten Krieg, und pax sollte nicht das Ziel des
Krieges sein, sondern der pax-Gedanke sollte Kriege von vornherein
verhindern.
Damit ist erstmals die uns geläufige
Friedensidee formuliert, erwachsen aus der Verbindung von christlichem
mit griechisch-römischem Denken, freilich immer noch mehr Wunschdenken
als Wirklichkeit. Um das Utopische seiner Zielvorstellung weiß auch
Augustin; der wahre Friede liegt allein bei Gott und ist als pax aeterna,
als ewiger Frieden, erst im Gottesstaat am Ende aller Zeit gegeben. Das
heißt aber nicht, daß alle menschlichen pax-Bemühungen
vergeblich sind, im Gegenteil, zur pax aeterna kommt man nur über
eine Art Leiter: In der sich an die Überlegungen zur pax Romana
anschließenden sog. 'pax-Tafel' stellt Augustin in aufsteigender
Linie die Facetten der pax-Vorstellung seiner Zeit dar, civ.19,13:
Am Anfang steht die pax corporis, die körperliche pax:
Gesundheit. Es folgen die pax animi, der innere, seelische Frieden:
der Friedensbegriff der Philosophen, der zuvor mit anderen Wörtern
gefaßt worden war. Diese Reihe schließt mit der pax corporis
et animae, also dem Ausgleich zwischen Körper und Geist. Dann
folgt die pax hominis et dei, von Mensch und Gott, die von menschlicher
Seite durch fides, Glauben, und Gehorsam getragen wird; hier verbindet
sich römisches mit christlichem Denken zu neuer Einheit. Die anschließende
Definition der pax hominum könnte ebenso eine Definition des
alten pax-Begriffes sein: pax hominum ordinata concordia,
der Friede unter den Menschen bedeutet eine auf Ordnung gegründete
Eintracht, also die alte Verbindung mit dem concordia-Begriff, gelenkt
von ordo, einer Auffassung von Ordnung, die jedem nach seinem Rang
den rechten Platz zuweist. Die häusliche pax gründet sich
auf eine Art Pakt in Bezug auf Befehlen und Gehorchen, ebenso die innerstaatliche
pax. Es folgen als Höhepunkt die pax caelestis civitatis,
ein spezifisch christlicher Gedanke, der hier aber doch aus der römischen
Vorstellung der pax bzw. concordia zwischen den Bürgern
entwickelt wird, und schließlich die kosmische pax, pax
omnium rerum tranquillitas ordinis, ein auf Ordnung beruhender Ruhezustand
des Ganzen: Hier spielt der stoische Gedanke des Weltfriedens mit hinein.
Pax itaque corporis est ordinata temperatura
partium, pax animae inrationalis ordinata requies appetitionum, pax animae
rationalis ordinata cognitionis actionisque consensio, pax corporis et
animae ordinata vita et salus animantis, pax hominis mortalis et Dei ordinata
in fide sub aeterna lege oboedientia, pax hominum ordinata concordia, pax
domus ordinata imperandi atque oboediendi concordia cohabitantium, pax
civitatis ordinata imperandi et oboediendi concordia civium, pax caelestis
civitatis ordinatissima et concordissima societas fruendi Deo et invicem
in Deo, pax omnium rerum tranquillitas ordinis. Ordo est parium dispariumque
rerum sua cuique loca tribuens dispositio.
Die christlichen (bzw. von ihrer Geschichte
her jüdisch-christlichen) Momente in Augustins Konzeption sollen im
folgenden in einem knappen, auf wenige Grundzüge beschränkten
Überblick verdeutlicht werden:
pax Christiana
1. Frieden ist zunächst eine Gabe Gottes
an den Menschen: Der Ursprung liegt im alttestamentlichen Friedensbund,
den Gott gewährt. Dieser Gedanke wird während und nach dem babylonischen
Exil um eine eschatologische Komponente erweitert: der endzeitliche Friedenszustand
(s. Isaia), was dann zum zentralen Gedanken im Christentum wird.
2. Davon ausgehend ist im christlichen Denken
Christus über sein Selbstopfer am Kreuz der Mittler dieses Friedens,
so erstmals im Kolosserbrief des Paulus (1,20).
3. Durch Christus findet der Mensch inneren
Frieden (pax interna, pax animi), s. Augustin. Hier verbindet sich
christliches mit heidnisch-philosophischem Denken.
4. Gottes Frieden offenbart sich in Natur
und Kosmos, Vorform des ewigen Friedens (pax aeterna), der in der
himmlischen Welt am Ende der Zeiten sein wird, s. wieder Augustin. Auch
hier fließen heidnisch-philosophische Gedanken ein.
Friedensgruß und Friedenstaube
Zwei aus der Vorstellung vom Friedensbund
Gottes mit den Menschen entwickelte spezielle Bedeutungen bzw. Anwendungsbereiche
haben sich bis heute erhalten: der liturgische Friedensgruß und der
Friedenswunsch für den Toten:
Beim rituellen Friedensgruß wird der
in der alttestamentlichen (Alltags-)Grußformel shalom implizierte
Gedanke des gottgesandten Friedens noch verstärkt bzw. explizit gemacht:
pax vobiscum - der Friede (des Herrn) sei mit euch.
Der Ursprung der in-pace-Formel auf
Grabinschriften (vixit in pace, obiit in pace, requiescit in pace
u.ä.) liegt in der hebräischen be-shalom-Formel, die man
auf jüdischen Grabsteinen der frühchristlichen Zeit in großer
Zahl gefunden hat, vor allem in Spanien. Jedenfalls haben sich für
die pax des Toten bisher weder lateinisch noch griechisch außerjüdische
bzw. vorchristliche Grundlagen gefunden.
Ein glücklicher Zufall hat uns
sogar eine trilingue jüdische Grabinschrift bewahrt (Abb.9):
Der hebräischen be-schalom-Formel Z.6 entspricht im lateinischen
Text Z.13 cum pace; die eirene-Formel im griechischen Text
Z.20/21 ist eine Konjektur.
Auch die Grußformel auf Grabsteinen
hat ihren alttestamentlichen Hintergrund, vgl. u.a. Genesis 15,15: Du aber
sollst in Frieden zu deinen Vätern eingehen (be-shalom, in
der Septuaginta met´ eirenes, in der Vulgata, der Übersetzung
des Hieronymus, in pace). Das bezieht sich freilich kaum auf ein
ewiges Leben, sondern auf die Geborgenheit in Gottes Frieden im Augenblick
des Todes; die Grabinschriften sind dagegen wohl mit den eschatologischen
Vorstellungen, die sich im Spätjudentum entwickelt haben, in Zusammenhang
zu bringen.
Ich komme abschließend zum bekannten
Symbol der Friedenstaube: Darstellungen einer Taube mit einem Ölzweig
finden sich in Verbindung mit der in-pace-Formel sehr häufig
auf christlichen Grabsteinen. Das Motiv hat seine Wurzeln in zwei Bibelgeschichten,
einer alt- und einer neutestamentlichen:
1. Die Geschichte von der Arche Noa: Noa
hatte zuerst einen Raben ausgesandt, der melden sollte, ob die Sintflut
zu Ende sei. Doch der Rabe kehrte nicht mehr zurück, und so sandte
Noa eine Taube, die mit einem Ölzweig im Schnabel zurückkehrte
und somit das Ende der Sintflut anzeigte (Genesis 8,11). Darstellungen
von dieser Szene sind in großer Zahl auf Katakombenwänden zu
sehen (Abb.10 und Abb.11,
die Arche ist hier wirklich eine arca: Kiste).
2. Die Taufe Christi am Jordan, bei der
der heilige Geist wie eine Taube über ihm erscheint (Matthäus
3,16). Auch dieses Motiv findet sich häufig in den Katakomben (s.
Abb.12). Bereits bei
Tertullian (ca. 150 - nach 220) werden die Geschichten miteinander verbunden
und die Taube als göttliche Friedensbringerin bezeichnet, wobei die
alttestamentarische Erzählung als Vorbote der Taufgeschichte erscheint.
Was ist der Grund für dieses auffällige
Interesse an Noa, Arche und Taube im frühen Christentum? Eine Art
Erklärung enthält ein Hexameter, der Ambrosius zugeschrieben
wird, wohl ursprünglich unter einem Bild der Arche Noa in seiner prächtigen
Mailänder Basilika: Die Arche Noa ist ein Symbol unserer selbst, und
der Vogel der Geist, der den Völkern mit dem Ölzweig den Frieden
darreicht (arca Noe nostri typus est, et spiritus ales/ qui pacem populis
ramo praetendit olivae); der Ölzweig ist ebenso wie der Heroldsstab
das alte Friedenszeichen des Gesandten. Bei Ambrosius handelt es sich freilich
um Frieden in übertragenem Sinn, um spirituellen Frieden. Und dieser
spirituelle Frieden ist auch gemeint mit den Taubenbildern, die in großer
Zahl auf frühchristlichen Grabsteinen zu finden sind, zusammen mit
den obengenannten in-pace-Inschriften in Bezug auf den Frieden des
Toten.
Hierfür zwei ikonographische Beispiele: zuerst
ein frühchristlicher Grabstein aus Rom, gestiftet von einem Sabinus
für seine Frau Celerina (Abb.13).
Rechts haben wir ein Bild von Noa in seiner Kiste, wie er gerade die Taube
mit dem Ölzweig empfängt, links eine Darstellung des guten Hirten
mit seinen Schafen, ebenfalls ein beliebtes Symbol der Zeit; die Inschrift
endet mit der Formel vixit in pace unter Angabe des Lebensalters
nach Jahr, Monat und Tag.
Das zweite Beispiel stammt aus der Umgebung von Trier,
wo man eine Fülle von entsprechenden Grabsteinen aus dem 3./4.Jh.
gefunden hat. Die Grabinschrift eines jungen Mädchens beginnt mit:
hic quiescit in pace, unten stehen zwei Tauben um einen Ölbaum
(Abb.14).
Irgendwann ist die Taube vom Grabstein entflogen (dort
ist sie nämlich m.W. nicht mehr zu finden) und zum inzwischen weltweiten
Friedenssymbol geworden (stellvertretend für eine Fülle von Beispielen
hier Picassos 'Blaue Taube' von
1961).
Dagegen findet sich die Friedensformel, nun in der jeweiligen
Landessprache, bis heute auf Grabsteinen bei uns und in anderen europäischen
Ländern.